10. Silbern und Golden
Er stolpert auf den Torbogen zu. Rosen ranken an ihm empor und er kann die Musik schon hören, noch bevor er den Saal überhaupt betritt.
Sie gibt gerade ein Fest zu ihrer Ehren und er wird dieses Fest nun stören. Doch das ist ihm egal. Ihm ist auch egal, was dann mit ihm geschehen wird oder ob er Konsequenzen für die Unterbrechung über sich ergehen lassen muss.
Er muss es ihr sagen. Immerhin hat er einen Eid geleistet und dieser ist bindend, egal ob er will oder nicht. Das macht ihre Magie.
Die schwarze Rose, die aussieht wie eine Malerei und auf seinem Handrücken prangt, beginnt bereits Wärme in seinen gesamten Körper auszusenden. Nicht mehr lange und er wird in Flammen aufgehen.
Er muss sich beeilen, unbedingt und ihr erzählen, was geschehen ist.
So fordert es sein Eid und die Rose, die immer wärmer wird.
Er ist einer der ersten gewesen, die in ihren Dienst getreten sind. Einst vor langer Zeit war er nur ein einfacher Hofnarr, doch sie hat sein Talent gesehen. Dass er sich überall aufhalten konnte und die Intrigen des Hofes, selbst die dunkelsten Geheimnisse der Höflinge kannte, ohne dass ihn jemals jemand wahrgenommen hat.
Er ist der geborene Späher, hat sie gesagt und er hat sich in ihre Dienste begeben. Hat etwas geschworen, dessen Tragweite ihm damals noch nicht bewusst gewesen ist.
Nun zittern seine Knie und sein Herz macht Saltos, dennoch verspürt ihr den Drang ihr alles zu erzählen und die Angst, sollte er sich dabei zu viel Zeit lassen, gleich in Flammen zu stehen.
Er stolpert durch den Torbogen hindurch. Nickt den Wachen zu, auch wenn seine Auge keine einzige von ihnen wahrnimmt. Der Mantel der Luft schützt sie vor Blicken, doch sie sind immer da und wachen. Er spürt sie als Teil ihres Hofes, denn er ist selbst ein Teil von ihm.
Vom Torbogen aus stolpert er in einen Gang hinein, der ihn rechts um den Saal herumführt. Gelächter und Stimmfetzen wehen durch das Efeu zu ihm herüber, das den Gang wie eine Barriere von den Festlichkeiten trennt.
Schmetterlinge fliegen umher. Betrachten ihn neugierig, während sie sich auf die weißen Blüten setzen, die den Gang säumen.
Auch wenn die Sonne nicht hier herein scheint, ist es dennoch taghell.
Er kommt dem Blütenbogen näher. Ein Rahmen, der den Blick auf sie mit rosanen Blüten frei gibt. Es ist ein schönes Bild, doch das kommt nicht von den Blumen, sondern von der Schönheit in ihrer Mitte.
Die Herrscherin des Südens ist eine wunderschöne Frau. Ihr Haar fließt golden ihren Rücken hinab, umrahmt ihr engelsgleiches Gesicht. Zu dem heutigen Anlass hat sie sich für ein schneeweißes Gewand entschieden. Sie sieht aus wie eine himmlische Figur.
Nur der Platz, auf dem sie sitzt, zerstört dieses Bild.
Ihr Thron. Ein Thron, der davon zeugt, was sie alles auf sich genommen hat, um ihn zu besteigen.
Er ist aus den Knochen ihrer Opfer sowie aus denen ihrer Widersacher gemacht. Weiße Knochen für jedes menschliche Leben, das sie genommen hat und silberne als Zeichen dafür, dass sie auch bereit ist ihresgleichen zu vernichten. Es ist eine Trophäe und gleichzeitig eine Warnung an ihr Volk.
Selbst ein goldener Knochen in der Rückenlehne schimmert hoch über ihrem Kopf.
Er ist ihr liebster und der einzige, der poliert wird, damit jeder sehen kann, dass sie selbst fähig ist den General eines anderen Herrschers zu vernichten.
Ihn schüttelt es heute noch, wenn er an die Zeit denkt, als der General des Westens hier im Thronsaal angekettet worden ist, entmachtet, entblößt und sein goldenes Blut den Boden färbte.
Sie hat ihn öffentlich gefoltert und irgendwann hat sie ihm den Gnadenstoß gegeben.
Er hat sich in dieser Zeit, soweit es gegangen ist, vom Thronsaal ferngehalten, doch die nicht enden wollende Schreie hat er selbst in seinen Gemächern gehört. Irgendwann hat er nur noch gehofft, dass sie ihn erlöst und er die Nächte mal wieder ein Auge zu bekommt.
Das ist ihr Pakt und ihre Welt. Gerade die seiner Herrscherin und das ist ihre Wahl gewesen, eine aufkommende Rebellion gegen sie zu zerschlagen.
Manchmal fragt er sich, warum die vier Herrscher sich überhaupt bekriegen. Warum sie überhaupt den Pakt geschlossen haben?
Sie haben ihre Herrschaftsgebiete, in denen sie schalten und walten können wie sie wollen, dennoch kommt es immer wieder vor, dass jemand den Pakt verletzt oder die Grenze der Gebiete überschreitet.
Fenris hatte ihm mal gesagt, er solle darüber nicht nachdenken. Politik sei nichts für Jedermann.
Er betritt den Thronsaal. Sie hat ihn sofort wahrgenommen, auch ohne dass sie ihm nur einen Blick schenkt. Aufgrund der Tatsache, dass er alleine kommt, weiß sie sicherlich bereits, dass etwas passiert ist.
Dennoch lässt sie das Fest weiterlaufen. Seinesgleichen wirbelt zu der Musik umher, die aus den unzähligen Blüten an den Wänden, schallt.
Keiner nimmt von ihm Notiz. Er ist ihrer Aufmerksamkeit auch nicht würdig. Er, der silbernes Blut und silberne Knochen besitzt, wird nie so hoch angesehen sein wie die Adeligen mit ihrem goldenen Blut und ihren Knochen.
Deswegen ist er auch ein Späher. Keiner nimmt ihn hier für voll. Keiner glaubt, er könnte sie ans Messer liefern, doch er tut es.
Der Adlige, ein fetter Kerl, der seinen Wanzt vollgeschlagen hat, sobald er sich an der Tafel niederließ, hat sich so manches Mal über die Herrscherin ausgelassen. Er, als guter Späher, hat es ihr natürlich direkt erzählt und nun sitzt der Fette nicht mehr hier.
Stattdessen hat er jetzt ein hübsches Plätzchen im Kerker, wo er singt wie ein Vögelchen, nur um seine Tortur zu beenden.
Die Folterknechte der Herrscherin sind nichts im Vergleich zu ihr selbst, aber sie beherrschen ihr Handwerk dennoch außerordentlich gut.
Er geht um den Thron herum, fällt förmlich auf die Knie und neigt seinen Kopf soweit herunter bis seine Stirn das kalte Marmor berührt. So harrt er aus, wartend und sie lässt ihn lange warten. Die Gäste hinter ihm schwingen ihre Körper zur Musik. Er kann so manchen Lufthauch spüren, wenn Tanzende ihm zu nahe kommen.
"Erheb dich", kommt es von seiner Herrscherin gelangweilt und als er sich aufrichtet, beobachtet er sie dabei, wie sie ihre Fingernägel betrachtet.
"Herrscherin", spricht er sie an, obwohl ihr Name eigentlich Jelena ist, bevorzugt sie es dennoch so angesprochen zu werden, "Ich habe Meldung zu machen."
Gelangweilt blickt sie auf.
"Was kannst du berichten?"
"Wie ihr es erwartet habt, wurde der Mensch von seinesgleichen der Lügen bezichtigt. Ihre Oberen glauben nicht an einen Krieg, der niedere Stand allerdings schon."
Sie nickt. "Der niedere Stand interessiert mich nicht. Sie haben keine Macht, können nichts bewirken."
Er stimmt ihr zu und fügt dann hinzu: "Es gab einen Zwischenfall. Wir trafen auf die Winterbärin und es kam zum Kampf. Fenris ist tot und Gejo wurde verschleppt."
Die Herrscherin richtet sich auf, beugt sich ihm entgegen.
"Willst du mir weis machen, ihr habt es zu dritt nicht mit einem Bär aufnehmen können?" Schneidend entkommen ihr ihre Worte.
Er schüttelt den Kopf.
"Ein Menschenmädchen mischte sich ein. Überraschte uns und dann kam Kenaen."
Dass sie mit der Bärin gespielt und deswegen unnötig Zeit verloren haben, lässt er gekonnt weg. Soviel Raum gibt ihm die Rose auf seinem Handrücken
"Ein Menschenmädchen?", echot die Herrscherin überrascht, "Was hat ein Mensch mit dem Hof des Nordens zu schaffen?"
Er zuckt die Schultern. "Kenaen rettete sie."
"Interessant", murmelt die Herrscherin, während sie augenscheinlich überlegt. "Kenaen hat den Mensch also gerettet?
"Ja Herrscherin." Er nickt zustimmend.
"Und was ist dann geschehen?" Ungezügeltes Interesse liegt in ihren leuchtenden Augen. "Wie bist du entkommen?"
Er wringt sich die Hände hinter dem Rücken, antwortet aber dennoch ehrlich.
"Ich nutze die Zeit, in der Fenris getötet wurde."
"Hmmhmm", macht die Herrscherin. Ihr Ausdruck ist neutral. Etwas, was ihn am meisten an ihr ängstigt. Er kann nicht einschätzen wie sie seine Worte aufnimmt. Ihr Gesicht ist eine Maske, ihre Gefühle dahinter gut verborgen.
"Und du wurdest nicht verfolgt?"
"Doch", antwortet er wahrheitsgemäß, "Aber ich hatte einen Vorsprung."
"Hmmhmm", macht die Herrscherin erneut, dann setzt sie sich kerzengerade hin und fokussiert ihn durch ihre gelben Augen.
"Nimm dir Sebis mit und dann bringt mir das Menschenmädchen. Wie ihr das anstellt, ist mir egal, aber sie soll lebend bei mir angekommen."
"Jawohl", antwortet er wie aus der Pistole geschossen und verneigt sich vor ihr ehe er sich abwendet.
"Das wird ein interessantes Gespräch werden", hört er sie noch murmeln und besäße er so etwas wie Mitleid, würde ihm das Mädchen vermutlich jetzt schon leid tun.
Gut, dass er zu derartigen Gefühlen nicht in der Lage ist.
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