König Drosselbart...Kapitel 6

Eklig...aber machbar



„Du sortierst zuerst einmal die Wäsche."

Trish stand vor einem Berg Säcke, die nicht gerade angenehm rochen. Einen Moment kam ihr der Gedanke, dass sie einfach verschwinden könnte, aber dann dachte sie an Cord und seine Vorwürfe. Nein, dem wollte sie sich wirklich nicht mehr aussetzen. Sie hatte genug von seinem vorwurfsvollen Blick. Sie straffte die Schultern und sah sich noch einmal die Säcke an.

„Da ist Kleidung drin?", fragte sie entsetzt.

Andrea, die sie in Empfang genommen hatte, lächelte sie spöttisch an.

„Die Kleidung hier wird leider nicht in Designer-Kartons gebracht."

Trish hob beide Hände.

„Das meinte ich nicht so. Aber entschuldige...es stinkt. Waschen die Leute die Wäsche nicht vorher? Wenn ich Kleidung abgegeben habe, dann war sie gewaschen."

Andrea wirkte gleich etwas versöhnlicher.

„Leider denken nicht alle daran, dass wir Mehrarbeit damit haben. Du solltest auch darauf achten, dass man die Sachen noch tragen kann. Die Menschen, die darauf angewiesen sind, haben es schwer genug. Sie sollten nicht auch noch in Lumpen herumlaufen müssen."

Trish hatte dafür vollstes Verständnis.

„Auf was muss ich achten?"

Nachdem Cord sie gestern so zusammengestaucht hatte, wollte sie ihm heute beweisen, dass sie keiner Arbeit aus dem Weg ging.

Andrea reichte ihr einen Zettel.

„Am besten sortierst du erst einmal nach Größe. Wir waschen die Sachen und werfen sie in den Trockner. Danach werden wir sie falten und wieder sortieren, bevor sie in das Lager kommen. Heute Mittag werden wir Kleidung abgeben."

Trish nickte und holte sich den ersten Sack. Doch als sie ihn aufreißen wollte, hielt Andrea ihr Handschuhe hin.

„Manche benutzen die Kleidersammlung auch für ihren Müll.", erklärte sie.

Trish starrte zuerst die Handschuhe, dann Andrea an.

„Das ist eklig."

Andrea nickte.

„Richtig. Wir können froh sein, dass die Ryan Cooperation uns Industriewaschmaschinen gespendet hat."

Trish hob fragend die Augenbrauen.

„Ryan Cooperation? Das Unternehmen von Shawn Ryan?"

Andrea nickte.

„Shawn Ryan ist nicht nur einer der reichsten Unternehmer hier in Atlanta. Er kümmert sich persönlich darum, dass es arme Menschen etwas besser haben."

Trish zuckte zusammen.

Shawn Ryan war also ein Wohltäter. Und sie hatte den Nerv gehabt, ihn lächerlich zu machen. Ein wenig bereute sie es schon. Sie war sich sicher, dass es bei Shawn wahrscheinlich auch nicht einfach gewesen wäre, aber er hätte sie bestimmt besser untergebracht als Cord. Außerdem war Shawn gebildet und hatte Manieren, was man von Cord nicht behaupten konnte.

„Also gehört ihm diese Kleiderkammer?"

Andrea lächelte leicht.

„Nicht nur diese Kleiderkammer hier. Er hat viele Einrichtungen, die dieser hier ähneln, ins Leben gerufen. Manche bezeichnen ihn als den König von Atlanta. Er ist sehr reich, obwohl er viel spendet. Oder auch gerade deshalb. Jeder hier mag ihn. Aber wir sollten nicht über Mister Ryan sprechen, sondern uns lieber an die Arbeit machen."

Trish verstand den Wink und zog sich die Handschuhe an. Andrea beobachtete sie noch eine Weile, dann ließ sie Trish alleine.

Eine halbe Stunde später bereute Trish, dass sie sich nicht legerer angezogen hatte. Ihre Seidenbluse klebte an ihrem Oberkörper und der teure Rock war schmutzig. Die Pumps waren auch nicht gerade hilfreich und ihre Füße schmerzten. Aber nachdem ihr Outfit am gestrigen Tag für Unmut gesorgt hatte, war sie heute lieber auf Nummer sicher gegangen. Nun hatte sie den Salat. 

Doch sie wollte sich keine Blöße geben und arbeitete hart. Immer wieder kamen Mitarbeiter herein und Trish hatte das Gefühl von ihnen argwöhnisch beobachtet zu werden. Natürlich konnte das auch täuschen, denn die meisten nickten ihr nur zu und holten die Wagen, in denen sie die Kleidung rein geworfen hatte. Leider musste sie allerdings auch feststellen, dass der Wagen, der die sogenannten Lumpen beinhaltete, nun schon mehr als überfüllt war.

Beherzt nahm sie den nächsten Sack und stöhnte leise, als ihr wieder Gestank entgegenkam. Das war das Schlimmste an dieser Arbeit. Mehr als einmal hatte sie einen Sack aufgemacht, aus dem ein ekliger Schweißgeruch entwich. Und Schweiß war wirklich noch die harmloseste Variante. Sie konnte nicht verstehen, dass die Leute nicht weiterdachten, als über ihre Nasenspitze heraus. Mit offenem Mund sortierte sie die Kleidung, die wohl einem sportbegeisterten Mann gehört hatten. Zumindest zog sie einige Trikots heraus, die nach Schweiß und schalem Bier rochen.

Sie nahm sich vor, dass wenn sie endlich aus Atlanta herauskam, sich auch in New York umzuhören, wie es dort bei solchen Einrichtungen aussah. Ihr Vater würde ihr bestimmt helfen und auch dort einige Waschmaschinen spenden. Vielleicht könnte sie auch Spenden Partys veranstalten.

Einen Moment stutzte sie.

Seit wann machte sie sich denn um so etwas Gedanken?

Leise lachte sie und machte sich wieder an die Arbeit.

Wenn sie nicht aufpasste, würde sie vielleicht noch als reiche Spenden-Lady enden, die sie eigentlich nie ausstehen konnte.




„Sie arbeitet hart, Boss. Bisher habe ich nichts zu beanstanden gehabt und ich sehe nicht ein, dass ich mir irgendetwas ausdenke, nur um sie auszuschimpfen. Es dauerte zwar, bis sie Routine hatte, aber für das erste Mal ist sie nicht schlecht."

Das hatte Shawn nun nicht erwartet.

„Was arbeitet sie denn, dass du so zufrieden mit ihr bist?"

Er hörte, wie Andrea am anderen Ende der Leitung schnaubte.

„Ich habe sie zum Sortieren verdonnert und ich gebe es ungerne zu, aber sie macht ihre Arbeit verdammt gut. Sie arbeitet  mittlerweile schnell und effektiv. Was soll ich also deiner Meinung nach machen?"

Shawn holte tief Luft und kratzte sich etwas ratlos den Bart. Er hatte damit gerechnet, dass Trish sich wieder weigern würde, überhaupt zu arbeiten. Doch wieder überraschte sie ihn,

„Wenn du mir jetzt noch erzählst, dass sie Spaß daran hat..."

Andrea seufzte leise.

„Hör mal, Boss. Diese Arbeit macht niemanden Spaß. Das weißt du so gut wie ich. Aber sie macht sie und ich habe sie nicht einmal murren gehört. Als sie fertig war, bot sie sogar an, die Lumpen zusammenzupacken. Im Moment faltet sie die Kleidung zusammen. Sie arbeitet nun schon über acht Stunden und ich kann sie nicht mehr hierbehalten, nur damit ich sie bei einem Fehler erwische. Wenn ich ehrlich sein soll, ist sie eine große Hilfe und niemand wäre böse darum, wenn sie morgen wiederkommen würde."

Erneut hörte er sie seufzen.

„Kann es sein, dass du nur auf einen Fehler von ihr wartest, Boss?"

Wenn er ehrlich sein sollte, hatte er mit Theater von Trish gerechnet. Heute Morgen war er schon aus dem Haus gegangen, bevor ihr Wecker überhaupt geklingelt hatte. Wieder hatte er ihr ein paar Dollar auf dem Tisch liegen lassen und war gespannt, ob sie überhaupt einkaufen ging. Das könnte er sich nämlich auch vorstellen, dass sie ihm mit der Ausrede kam, dass sie ja hart gearbeitet hatte. Nun, das konnte immer noch passieren.

Ungeduldig klopfte er mit seinem Kugelschreiber auf der Schreibtischplatte herum.

Nun gut, sie hatte bewiesen, dass sie arbeiten konnte. Andrea hatte Recht. Er konnte sie nicht länger arbeiten lassen, nur, weil er nach Beweisen suchte, dass Trish wirklich zu verwöhnt war.

„Schicke sie nach Hause. Aber sie soll morgen irgendwo anders arbeiten."

Andrea seufzte erneut.

„Wo soll ich sie denn hinschicken?"

Shawn lächelte.

„Wir versuchen es morgen bei den Kindern."

Andrea gab einen unwirschen Laut von sich.

„Du hast dich nicht mit Josh zusammengetan, oder?"

Er lachte leise.

Natürlich hatte er das.

Joshua Miller war nicht nur eines der Vorstandsmitglieder, sein Steckenpferd waren die Obdachlosenheime für Kinder. Das er außerdem der Verlobte von Andrea war, machte es um so einiges besser für Shawn.

„Josh weiß schon Bescheid und er wird sie morgen empfangen."

Damit war Andrea nun gar nicht einverstanden.

„Ich kenne Josh zufällig und ich weiß auch, dass er dir jeden Gefallen tun würde. Aber glaube ja nicht, dass ich ihn heute Abend nicht ins Gebet nehmen werde. Ich muss zugeben, dass Trish nicht das ist, was ich erwartet habe und ihr werdet ihr bestimmt nicht die Hölle heiß machen. Sie mag etwas verwöhnt sein, aber ich denke, sie ist auch sehr nett, wenn man sie anständig behandelt und sie auch mal alleine machen lässt. Ihr werdet das nicht mit aller Gewalt zerstören."

Shawn lachte.

„Ich habe Josh nichts dergleichen gesagt."

Andrea schnaubte noch einmal.

„Ich kenne euch Männer!"

Sie legte auf und Shawn lehnte sich zufrieden zurück.

Morgen würde Trish etwas anderes erleben. Sie würde mit Menschen zusammenarbeiten müssen, die nicht unbedingt ihrem Umfeld entsprachen. Mal schauen, wie sie sich dort anstellte.




Trish holte die Wäsche aus dem großen Trockner und warf alles in den Wagen. Mittlerweile klebte alles an ihr. Es war unangenehm heiß in diesem Raum, doch sie beschwerte sich nicht. Ihre heutigen Kollegen waren alle nett zu ihr und hatten ihr geduldig die Arbeit erklärt. Evie, einer der älteren Frauen, sorgte sogar dafür, dass Trish immer genug trank und Cassie hatte ihr ein Haarband geliehen, damit ihr die Haare nicht immer ins Gesicht fielen. Obwohl die Arbeit schweißtreibend und anstrengend war, wurde gescherzt und man bezog Trish einfach mit ein. Nie hätte sie geglaubt, dass ihr so ein Umfeld Spaß machen würde.

Nun nahm sie das erste Wäschestück aus dem Wagen und faltete es ordentlich zusammen, wie Evie es ihr gezeigt hatte.

„Trish? Deine Schicht ist vorbei. Komm doch bitte zu mir ins Büro."

Trish schaute erst zu Andrea, dann zu Evie, die ihr lächelnd zu nickte.

„Du hast gute Arbeit geleistet, Mädchen. Ich hoffe, ich sehe dich mal wieder."

Alle verabschiedeten sich von ihr, als sie Andrea ins Büro folgte.

Dort gab ihr Andrea einen Zettel, auf dem die ersten Stunden notiert worden waren. Acht Stunden. Trish seufzte leise. Der Anfang war gemacht.

„Morgen können wir dich leider nicht gebrauchen, aber ich habe schon die nächste Arbeitsstelle für dich."

Andrea gab ihr lächelnd einen weiteren Zettel auf dem eine Adresse notiert war.

„Es ist ein Kinderheim und ich denke, dort wird es dir auch gefallen."

Trish schnappte leicht nach Luft.

„Aber ich hatte noch nie mit Kinder zu tun!"

Andrea lachte.

„Mit Altkleidern hattest du doch auch nie zu tun, oder? Ich denke, du wirst es auch dort gut meistern."

Trish sah an sich herunter. Nun, mit einem Kostüm brauchte sie dort auch nicht auftauchen. Andrea schaute auf den PC und tippte schnell auf der Tastatur herum.

„Ich habe eine Bitte.", begann Trish leise.

Andrea sah zu ihr auf.

„Ja?"

Trish zeigte auf sich selbst.

„Ich habe nur solche Kleidung, doch damit kann ich bei den Kindern wahrscheinlich nichts mit anfangen. Ich habe aber ein Shirt, Turnschuhe und Jeans in die Lumpensammlung geworfen. Kann ich das haben?"

Andrea schnalzte mit der Zunge und stand auf.

„Lumpen? Nein, Trish. Das machen wir nicht. Komm mal mit."

Trish folgte Andrea in den Lagerraum, in der schon einige Leute zwischen den Regalen herumliefen, um sich Kleidung zu suchen. Andrea ging zielstrebig auf ein Regal zu und zog eine Jeans heraus, die sie Trish übergab.

„Such dir hier etwas aus."

Trish starrte verlegen zu den Leuten, die etwas missbilligend auf ihre teure Kleidung sahen. Man konnte ihre Gedanken direkt hören. Jeder fragte sich, warum die Frau mit den Designerklamotten hier Kleider bekam.

„Aber ich will niemandem etwas wegnehmen."

Andrea schnalzte mit der Zunge.

„Du nimmst niemandem hier etwas weg. Wir haben noch genug Kleidung in deiner Größe."

So kam es dann, dass Trish eine halbe Stunde später mit einer Tüte voller Kleidung im Bus saß. Erschöpft lehnte sie ihren Kopf an die Scheibe.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie je so hart gearbeitet hatte. Immer wieder fielen ihr die Augen zu. Nur nicht einschlafen. Sie hatte noch so viel zu tun.

Endlich war ihre Haltestelle gekommen und sie ging müde zum Supermarkt.

Nur noch eine Weile, dann konnte sie sich ausruhen, bis es wieder weiterging.

Hoffentlich würde sie heute alles so erledigen, wie es Cord erwartete. Noch einmal so eine Standpauke würde sie nicht aushalten.




Shawn hatte sich wieder in Cord verwandelt und fuhr mit dem alten Auto zu seinem derzeitigen Zuhause.

Natürlich hatte er noch erfahren, dass Trish sich Kleidung aus der Kleiderkammer mitgenommen hatte. Auch das hatte ihn überrascht. Nun schon zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit.

So langsam machte er sich Gedanken, ob er nicht falsch lag mit seiner Vermutung, dass sie eine verwöhnte Zicke wäre. Konnte es sein, dass sie einfach den falschen Umgang bisher pflegte? Andrea und die Frauen in der Kleiderkammer waren voll des Lobes gewesen, als er dort noch einmal nachgefragt hatte.

Nun, er würde abwarten, was Josh ihm am anderen Tag erzählte.

Er parkte das Auto vor dem Haus. Beinahe erwartete er wieder, dass Mrs. Carter wieder herauskam und sich wegen Trish beschweren würde, aber es blieb ruhig.

Er versteckte sein Smartphone in dem altersschwachen Rucksack und stieg aus dem Auto.

Die Sonne ging gerade unter und man hörte den Lärm, der normal in diesem Stadtteil war. Vor einigen Häusern sah er Männer beieinander sitzen, die schon jetzt so aussahen, als ob sie den ganzen Tag getrunken hatten. Das war ihm vorher noch nie aufgefallen und er hoffte, dass Trish nicht von ihnen belästigt worden war.

Er schloss die Haustür auf und ging in den obersten Stock. Als er die Haustür öffnete, wunderte er sich, warum es so still war.

Dann sah er Trish, die auf dem Sofa lag und schlief. Leise schlich er sich in die Küche und hob einen Deckel vom Kochtopf. Das Essen war vorbereitet, aber sie schien zu erschöpft gewesen zu sein, um auf ihn zu warten.

Schnell ging er unter die Dusche und deckte danach den Tisch.

Trish wachte nicht einmal davon auf. Er ging zu ihr und hockte sich vor das Sofa. Sie schlief tief und fest, ihr Mund war leicht geöffnet und ihre Hände lagen unter ihrer Wange.

Shawn atmete tief ein. So sah sie nun wirklich unschuldig und lieb aus. Aber er hatte auch die andere Seite von ihr kennengelernt. Das sollte er sich immer vor Augen halten.

Er stieß sie leicht an der Schulter an.

„Hey, Prinzessin!"

Sie brummte leise und drehte sich um. Dabei gab sie noch einen schmatzenden Laut von sich, was ihn zum Lachen brachte.

„Sag mal, haste gesabbert?"

Nun setzte sie sich erschrocken hin und fuhr sich hektisch mit dem Handrücken über den Mund.

„Was?"

Er lachte leise.

„Nicht schlimm. Kann jeden passieren. Wie war dein Tag?"

Sie seufzte und sackte leicht in sich zusammen.

„Eigentlich ganz gut."

Er hob fragend eine Augenbraue.

„Eigentlich."

Sie zuckte mit den Schultern.

„Es war gut, doch leider brauchen sie mich morgen nicht und ich muss irgendwo anders hin. Dabei hat es mir wirklich gefallen."

Sie stand umständlich auf und reckte sich etwas. Ihr Gesicht verzog sich schmerzhaft und er hörte ein leises Quietschen von ihr, als ob sie nicht zugeben wollte, dass sie Scherzen hatte. Und die hatte sie bestimmt. Andrea hatte sie hart ran genommen. Das wusste er.

„Ich mache das Essen warm."

Er lächelte.

„Hab ich schon."

Wieder rubbelte sie sich über die Augen und er reichte ihr seine Hände.

„Komm Essen. Dann kannst du weiterschlafen."

Trish wunderte sich, denn Cord war heute ausgesprochen nett zu ihr. Nicht nur, dass er das Essen aufgewärmt hatte, er hatte auch den Tisch gedeckt und half ihr nun beim Spülen. Es sah schon etwas seltsam aus. Ein so männlichen Kerl mit einem geblümten Geschirrtuch zu sehen, aber er machte seine Arbeit so selbstverständlich, als ob nichts dabei wäre. Ihren Vater hatte sie nie bei der Hausarbeit gesehen und sie konnte es sich auch nicht vorstellen. Zuhause wurde ihnen jede Arbeit vom Personal abgenommen. Natürlich arbeitete ihr Vater hart und war meist bis spät am Abend im Büro, aber Cord arbeitete auch. Er war früher aus dem Haus als ihr Vater und sie sah ja, dass er hart arbeitete. Dennoch stand er nun hier bei ihr und hörte ihr lächelnd zu, wie sie ihm von ihrem Arbeitstag erzählte.

„Und dann habe ich noch Kleidung geschenkt bekommen, aber das nehme ich nicht einfach so an. Wenn ich wieder zu Hause bin, dann werde ich Shawn Ryan eine Spende zukommen lassen."

Cord hob eine Augenbraue.

„Warum?"

Sie zuckte mit den Schultern und schrubbte den Topf sauber.

„Nun ja. Ich will ihm nichts schuldig sein. Und es kommt mir seltsam vor, wenn ich von der Kleiderkammer etwas nehme."

Er schnaubte leise.

„Weil sie nicht deinem Standard entsprechen."

Trish ließ ihren Kopf hängen.

„Warum nimmst du immer das Mieseste von mir an, Cord? Hm? Ob du es mir glaubst oder nicht, es geht mir darum, dass ich in New York sowas nicht anziehen würde, sondern es geht mir darum, dass ich niemandem etwas wegnehmen will. Wenn ich etwas mehr Geld gehabt hätte, wäre ich wohl selbst in einen Secondhand-Laden gegangen, um mir passende Kleidung zu holen. Da du aber darauf bestanden hast, dass ich nur für Lebensmittel Geld ausgebe, habe ich eben darauf verzichtet."

Er schnaubte leise.

„Haste denn?"

Sie runzelte die Stirn.

„Was hab ich?"

„Eingekauft. Für die ganze Woche."

Trish seufzte und stellte den Topf auf das Abtropfgitter.

„Ja, das habe ich. Ich habe Gemüse, Fleisch und andere Sachen gekauft. Ich habe auch Brot für das Frühstück gekauft. Sogar deinen komischen Instantkaffee habe ich geholt, obwohl ich nicht verstehe, wie man die Brühe runter bekommt."

Sie ging zu ihrer Handtasche und holte ihr Portemonnaie heraus.

„Ich habe sogar noch Geld übrig. Ich habe alles so gemacht, wie du es haben wolltest und trotzdem nimmst du nur das Schlimmste von mir an."

Sie warf die übrigen Scheine auf den Tisch und ging dann ins Wohnzimmer. Trotzig setzte sich auf die Couch und hob ihre Beine hoch und umschlang sie mit beiden Armen. Leise schniefte sie und legte ihre Stirn auf die Knie.

Warum machte er immer so was? Es kam ihr beinahe so vor, als ob er immer einen Streit provozieren wollte. Und warum zum Teufel interessierte sie das überhaupt? Cord war Müffelmann! Sie konnte ihn doch nicht einmal leiden.

Noch einmal schniefte sie, doch dann spürte sie eine Hand, die vorsichtig ihr Knie berührte.

„Tut mir leid."

Sie hob leicht den Kopf. Cord hatte sich auf den kleinen Beistelltisch gehockt. Sein Blick war weder abschätzend noch wütend. Eher besorgt.

Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.

„Ich kann dir nichts recht machen, richtig? Warum wirfst du mich nicht einfach hinaus, wenn ich dir so zuwider bin?"

Er atmete tief ein und aus.

„Du bist mir nicht zuwider. Vielleicht hab ich dich falsch gesehen. Dachte, du bist ne verwöhnte Zicke."

Sie zuckte mit den Schultern.

„Das bin ich doch auch, aber ich bemühe mich doch. Ich bin zu der Kleiderkammer und habe geschuftet, ohne zu murren. Und glaub mir, es ist mir nicht leicht gefallen. Es ist eklig, was die Leute ab und zu in die Säcke werfen. Ich habe kein Geld bekommen und das verstehe ich auch. Immerhin muss ich eine Strafe abarbeiten. Ich habe nur diese Klamotten angenommen, weil ich dir nicht noch mehr zur Last fallen will. Ich habe mich wirklich bemüht. Anders als bei Dr. Murphy. Aber in deinen Augen mache ich alles falsch."

Er senkte kurz den Kopf und Trish schaute einen Moment verblüfft auf sein Haar. Das war irgendwie seltsam. Sie könnte schwören...

Leicht hob sie eine Hand und wollte eine der Locken berühren, aber in dem Moment hob er den Kopf.

„Machst du nicht. Und rauswerfen tu ich dich auch nicht. Wo willste denn hin?"

Sie zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung."

Er grinste sie an und seine dunklen Augen leuchteten auf.

Himmel, diese Augen...warum kam dieser Blick Trish nur so bekannt vor?

Wieder wurde sie abgelenkt, bevor sie ihr Gehirn weiter matern konnte.

„Ich versprech dir was, Prinzessin! Ich mach dich nicht mehr blöde an. Ist das was?"

Sie nickte und zog zitternd den Atem ein.

„Okay. Und ich strenge mich an, bis ich diese blöden Stunden hinter mir habe. Dann haben wir beide etwas davon, denn du wirst mich los."

Er nickte.

„Ja. Aber das mit dem spenden lässt du sein. Der Kerl hat genug Geld und kann das bisschen Zeug, dass du genommen hast, aus der Portokasse bezahlen."

Sie runzelte fragend die Stirn.

„Kann es sein, dass du Shawn Ryan nicht leiden kannst?"

Cord zuckte mit den Schultern.

„Kenn ihn nicht. Nicht meine Liga. Aber ich bin hier und nicht er. Deswegen lass den Kerl und hör auf ihm in den Arsch kriechen zu wollen."

Sie nickte.

„Ich werde ihm wahrscheinlich sowieso nicht mehr begegnen. Also ist alles gut."

Er nickte und reichte ihr die Hand. Fragend sah sie hoch zu seinem Gesicht.

Cord zuckte mit den Schultern und grinste wieder, was man unter seinem Bart kaum erkennen konnte.

„Du hast hart geschuftet und ich auch. Zur Feier des Tages gebe ich ein Eis aus. Willste?"

Sie sprang begeistert auf und ergriff seine Hand.

„Klar, will ich!"

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