06 - The final countdown

Der Regen fiel in Strömen auf sie herab, nun mussten sie nur noch warten.

Zehn Einsatzfahrzeuge der Polizei und nochmal genauso viele Busse, mit denen die Randalierer abtransportiert wurden sowie etliche zusätzliche Anzeigen wegen Sachbeschädigung, so sah die Bilanz einer aus dem Ruder gelaufenen illegalen Party am Samstagnachmittag aus. Eine Party, die auf das Konto eines jungen Mannes ging, der nun so schnell niemanden mehr einladen würde.

Neun- bis zehntausend Euro Schaden würden auf Julian Meister wegen seiner Aktion mit dem Tablet zukommen. Nicht nur, dass die Umgebung um den am Morgen noch so idyllischen See nach Beendigung des Einsatzes völlig zugemüllt war, auch einige PKWs der Anwohner und im kleinen Bootshafen liegenden Jollen und Segelyachten hatten etwas abbekommen. Herr und Frau Meister würden toben, denn ob ihre private Haftpflichtversicherung für den Schaden ihres noch schulpflichtigen Sprösslings anstandslos aufkommen würde, blieb noch abzuwarten. Geschah ihm Recht, dachte Laura, aber sie konnte sich nicht freuen. Zu aufgewühlt war sie noch nach dem, was sich in den vergangenen Stunden abgespielt hatte. Todesängste hatte sie ausgestanden, als die Menge der Unbekannten immer größer wurde. „Verrammelt die Tür!" hatte sie geschrien und ein großes Möbelstück vor die Tür geschoben. Die Angst hatte ihr Bärenkräfte verliehen; die anderen standen nur planlos da und starrten sie entgeistert an.

Acht Uhr war es inzwischen, und noch immer gab es von Alex und Lucy keine Spur. Laura hatte Tom beruhigen und davon abhalten wollen, Andy und David rund zu machen; Andy, weil er Alex eingeladen hatte, einen Fremden. David, weil er diesen dazu gebracht hatte, Lucy mitzunehmen. Schließlich wusste doch jeder Blöde, dass man solchen Typen nicht trauen konnte und dass bei der langen Zeit, die die beiden nun schon verschwunden waren, garantiert etwas vorging. Etwas, das Tom nicht gefiel. Doch dank des Großeinsatzes, der gerade noch das Schlimmste verhindert hatte, blieb den beiden zwar das Donnerwetter erspart – aber nicht die Peinlichkeit, die Beamten aufs Revier begleiten zu müssen. Ein Fremder? Alex durfte Toms kleinste Sorge sein; die vielen Fremden, die am See eingefallen waren, waren das wirkliche Problem.

Sieben hätten es eigentlich sein müssen, und nun waren es nur fünf Personen, die den Beamten Rede und Antwort stehen mussten. Mit Laura ging es am schnellsten. Sie war den ganzen Nachmittag in der Hütte gewesen und konnte daher nichts über Julians Aktivitäten sagen. Auch aus David bekamen sie nichts brauchbares heraus, da der zwar laut Toms Aussage mit Andy und Julian den Nachmittag auf der Decke mit Zocken und Trinken verbracht hatte, aber sich dann ziemlich schnell betrunken hatte und im Prinzip zu nichts mehr zu gebrauchen war. Und Andy? Der hüllte sich in Schweigen, abgesehen davon, dass ihm Julians Daddelei auf den Zeiger gegangen war und deshalb den Tatort relativ schnell verlassen hatte. Am Ende war jeder dabei gewesen, aber keiner hatte etwas gesehen. Im Prinzip war das auch nicht nötig. Julians Timeline sprach Bände, und sein Tablet würde für die Dauer der Ermittlungen sichergestellt bleiben.

Sechs Kilometer weiter südlich ließ der Regen langsam nach. Froh, dass das Gewitter sie verschont hatte, lösten sich Alex und Lucy aus ihrer Umarmung und überlegten sich, ob es noch einen Sinn hatte, ihre Einkaufstour fortzusetzen. Jetzt hatten sie so lange ausgeharrt, da hatte bestimmt keiner der Läden mehr geöffnet. Auch nicht im Einkaufszentrum. Aber andererseits konnte sich Lucy kaum vorstellen, dass Tom nach diesem Monsun noch auf seiner blöden Nachtwanderung bestehen würde. Der Kauf neuer Schuhe war womöglich gar nicht mehr notwendig. Alex ließ Lucy zuerst aufsitzen, dann schwang er sich auf die Maschine und gab Gas.

Fünf Elternpaare wagten ihren Ohren kaum zu trauen, als sie hörten, was ihre teilweise noch nicht volljährigen Söhne und Töchter angestellt hatten. Töchter? Tom sank kleinlaut in sich zusammen, als er zugeben musste, dass er keine Ahnung hatte, wo Lucy war. Unverantwortlich nannten sie ihn, dass er seine Schwester mit einem Unbekannten hatte losziehen lassen. Lauras Eltern zogen daraus die Konsequenz und verboten ihrer Tochter kurzerhand den Umgang mit Tom. Aber das alles war eine Kleinigkeit im Vergleich zu Julian, den seine Eltern gründlich in die Mangel nahmen. „Wenn die Rechnung kommt, Freundchen", hatte sein Vater die Tirade beendet, „sprechen wir uns wieder." Bis dahin hatte er Arrest. Mit Andy verfuhren sie nachsichtig, er kam von allen am leichtesten davon, während die Abrechnung mit David noch warten musste, bis er wieder nüchtern war. Ihm ins Gewissen zu reden, hatte in seinem Zustand keinen Sinn.

Vier Kilometer lagen noch vor ihnen. Alex hatte ein ungutes Gefühl, als er sah, wie ihm der erste Polizeibus entgegen kam. Seine Unruhe nahm beim Anblick der ihm entgegenkommenden Autos noch zu, und als die Spuren der Verwüstung in seinem Blickfeld stetig zunahmen, stand sein Entschluss fest.

Drei Uniformierte rollten an der Straße, die zum See führte, das Absperrband zusammen und packten ihre Sachen ein. Mit der Sicherung der Spuren waren sie soweit durch; auf die in Richtung See vorbeirollende Enduro achteten sie nicht. Als sie außer Sichtweite kamen, brachte Alex die Maschine zum Stehen und packte sein Smartphone aus. Was er las, öffnete ihm die Augen über die Ereignisse, die ihm und Lucy entgangen waren.

Zwei Minuten später waren er und Lucy sich einig, dass sie gar nicht erst zur Hütte zurückfahren, sondern sich gleich auf den Rückweg machen würden. Auf eine Konfrontation mit ihren aufgebrachten Eltern hatte Lucy keine Lust, und um ihr Gepäck machte sie sich keine Gedanken – das würde schon jemand einsammeln. Alex hatte sich bereit erklärt, sie direkt zu Hause abzusetzen, nicht ohne jedoch sie vorher noch nach ihrer Telefonnummer zu fragen.

Eins hatte sie daraus gelernt: So schnell würde sie nicht mehr mit ihrem Bruder auf Tour gehen, und falls Tom es wagen sollte, kein gutes Haar an Alex zu lassen, dann konnte er sich auf was gefasst machen.

"Null Toleranz gegenüber diesen Chaoten!"

Die Titelstory war kurz, knackig und unmissverständlich. Damit sprach das Revolverblatt den Meisters aus dem Herzen. Gleich nach den Ferien würde Julian auf ein Internat wechseln und dort auch bis zum Abitur bleiben. Dem Mangel an sittlicher Reife würde man dort sehr erfolgreich abhelfen, die Erfolgsquote dieser Institution sprach Bände. Null Verständnis hatten auch Toms und Lucys Eltern für das unmögliche Verhalten ihres Sohnes. Während Lucy glimpflich davon kam – im Grunde waren ihre Eltern froh, dass ihr nichts passiert war - , durfte Tom sich auf Hausarrest während der letzten beiden Ferienwochen „freuen". Das passte ihm zwar nicht, aber was blieb ihm schon anderes übrig? Andy und er waren ohnehin geschiedene Leute, Laura durfte er auch nicht mehr wiedersehen, und David und Julian konnten ihm gestohlen bleiben.

Dieses Wochenende war in mehr als einer Hinsicht ins Wasser gefallen, und ein weiteres dieser Art würde es nicht mehr geben.

                                                                     Ende

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