05 - Music for the masses
Der Regen fiel in Strömen auf sie herab, nun hatten sie den unangenehmen Teil vor sich.
Kein guter Tag für einen Einsatz, dachte Britta Selzer, als Jan Ritter den Schlüssel im Zündschloss des Streifenwagens umdrehte. Wie eine Wand stand das Wasser in der Luft, man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Gutes Sehen war ohnehin überbewertet, wir fahren nach Gehör – Sarkasmus bestimmte ihre Gedanken, als sie sich dem Einsatzort näherten. Man musste schon schwerhörig sein, um die wummernden Bässe zu überhören, die ihnen aus der Schlange vor ihnen entgegen schallten. Wagen an Wagen reihte sich auf zwei Kilometern Länge die Ausfallstraße zum See entlang. Was die hier bloß alle wollten? Eine Demo schien das nicht zu sein.
Von einer Anmeldung hätten Britta Selzer und ihr Kollege sicher rechtzeitig etwas mitbekommen, und auch von anderen Veranstaltungen im näheren Umkreis wusste sie nichts. Da sich die Schlange keinen Millimeter vorwärts bewegte und dies auch in nächster Zeit nicht tun würde, wusste Jan Ritter genau, was zu tun war, auch wenn es unangenehm werden würde. Sie konnten nur hoffen, dass der Regen bald nachließ. Sicherheitshalber griff Britta Selzer schon mal nach hinten und streckte ihre Finger nach der Regenbekleidung aus, die sie für alle Fälle dort gestern Abend schon deponiert hatte. Auf Streife konnte es manchmal ungemütlich werden.
Während Jan Ritter das Fahrzeug am Straßenrand hinter dem letzten Fahrzeug der Schlange gemächlich ausrollen ließ und die Warnblinkanlage einschaltete, schlüpfte Britta Selzer in ihre Regenjacke und schnappte sich ihre Mütze. Rein optisch war sie als Polizeibeamtin in dieser Montur nicht auszumachen, worüber sie froh war, denn sie zog es vor, möglichst unauffällig erst einmal die Lage zu sondieren. Alle schienen dasselbe Ziel zu haben, und den Kennzeichen nach zu urteilen, waren die wenigsten von hier. Das kam ihr verdächtig vor. Aus dem Augenwinkel bot sich ihr bei den meisten der Wartenden das gleiche Bild: Die Personen auf den Beifahrersitzen scrollten sich angeregt durch Facebook. Nach sieben weiteren Fahrzeugen war für sie die Lage klar – alle hatten dasselbe Ziel, und der Schlüssel dazu war Facebook.
Das wird die Party des Jahres! Coole Drinks, hübsche Girls und fette Beats! – Überall der gleiche Spruch, soweit Britta Selzer erkennen konnte. Und wenn schon zehn, elf, zwölf Fahrzeuge zu dieser Party unterwegs waren, so waren es die übrigen in dieser kilometerlangen Schlange ebenfalls. Mit einem Mal kam ihr wieder die Hamburger Schülerin in den Sinn, die ihre Freunde über Facebook zu ihrer Geburtstagsparty hatte einladen wollen, und die Einladung aus Versehen öffentlich ausgesprochen hatte.
Für Britta Selzer bestand kein Zweifel, dass hier gerade etwas ähnliches passiert war. Mit einem einzigen Streifenwagen, darin war sie sich mit Jan Ritter einig, würden sie hier nicht viel ausrichten können. Während Jan mit der Fahrzeugkontrolle begann, forderte Britta Verstärkung an. Es dauerte nicht lange, bis die Kollegen ausrückten.
Wir nehmen sie in die Zange und zerlegen die Masse in kleine Häppchen. Dank Davids „genialem" Einfall, die Kühlung bis an den Gefrierpunkt herunterzufahren, damit der Wodka schneller kalt wurde, bildete das Grillgut einen einzigen Klumpen. Den aufzutauen, würde eine Weile dauern. Aber wegen der Wassermassen hatte sich das Thema ohnehin vorerst erledigt. Wenn Alex und Lucy schlau waren, dachte Laura, hatten sie sich irgendwo untergestellt. Ihre Gedanken behielt sie lieber für sich, denn bei Tom würde sie damit nur in ein Wespennest stechen, so geladen, wie der inzwischen war. Was nicht nur an dem Besäufnis seiner Kumpel lag, sondern auch an dem ins Wasser gefallenen Barbecue. Mit Andy, das spürte sie instinktiv, würde ihr Herzblatt früher oder später noch ein Hühnchen rupfen; jemanden einzuladen, den er kaum kannte.
Wir nehmen sie in die Zange und zerlegen die Masse in kleine Häppchen. Partywütiges Volk konnte rabiat werden, da durfte man beim Einsatz nicht zimperlich sein. Das Feld von hinten aufrollen, damit es nicht zu Wendemanövern mit kostspieligen Folgen kam, und die Meute zerstreuen... mit dieser Vorgehensweise hatten sie bisher kaum falsch gelegen, aber da war die jeweilige Menschenmenge um einiges überschaubarer gewesen. Hier halfen gute Worte nur bedingt, und wer wusste schon, wie groß die Anzahl derer war, die sich einsichtig genug zeigten, dass sie erkannten, wie blödsinnig die Idee gewesen war, zu einer Party bei Unbekannten aufzubrechen? Hier war ein Großeinsatz fällig, in dessen Verlauf es nicht beim Aufnehmen der Personalien bei den ganz Hartnäckigen bleiben würde.
Nach und nach erstarben die Beats aus den Lautsprechern und wurden hier und da von unwilligem Stimmengewirr verdrängt. In Britta Selzers Funkgerät knackte es, als sie und Jan Ritter nach vorne gerufen wurden. Man hatte den Verursacher dieses Ansturms endlich ausfindig gemacht.
Jemanden einzuladen, den man kaum kennt? Facebook macht's möglich, oder besser gesagt: Wenn man einen im Tee hat und nicht mehr zwischen privat und öffentlich unterscheiden kann, darf man sich nicht wundern, wenn nicht nur die zehn besten Freunde samt Freundinnen anrücken, sondern Hunderte, auch von weiter her.
Dumm ist es nur dann, wenn das Facebook-Account außer Rand und Band gerät, man das Gerät, auf dem man noch sternhagelvoll herumgedaddelt hat, ausschaltet und das Bombardement der zu einer unüberschaubaren Menge aufgelaufenen Nachrichten ungelesen verhallt. Das wird die Party des Jahres! Coole Drinks, hübsche Girls und fette Beats! Vor allem die Beats...
Das war doch niemals Andys Soundanlage, die da draußen aus dem Toyota wummerte. Irritiert warf Laura einen Blick aus dem Fenster und blieb fassungslos und mit offenem Mund wie angewurzelt stehen, als sie erkannte, was das Chaos am See zu bedeuten hatte. Wir nehmen sie in die Zange und zerlegen die Masse in kleine Häppchen? Wohl kaum, wurde ihr schlagartig klar, denn sie waren kurz davor, überrollt zu werden. Um Himmels Willen, tut doch etwas. Hoffentlich war es dazu noch nicht zu spät.
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