04 - Zeter und Mordio


Der Regen fiel in Strömen auf sie herab, nun lagen die Würstchen auf der Erde und der Grill war durchweicht.

Tom war stinkwütend. So hatte er sich das nicht gedacht: Seine Freundin war beleidigt, seine Kumpel hackedicht, und das Barbecue grandios abgesoffen. Doch am meisten machte ihm Sorgen, dass seine Schwester da draußen immer noch unterwegs war. Auf dem Soziussitz mit jemandem, den er nicht näher kannte. Warum hatte Andy den bloß eingeladen? Am liebsten hätte er seinen Freund auf der Stelle zur Rede gestellt, aber ob das in seinem Zustand so clever war?

Eine komische Stimmung war das heute. „Vielleicht fährt dich ja unser Easy Rider!" hatte David gegrölt. Was für ein Idiot! Am liebsten hätte Tom ja seine Schwester selbst gefahren, aber nach seinem zweiten Bier traute er sich nicht mehr hinters Steuer. Außerdem kam er nicht an die Schlüssel vom Toyota heran. Wie gesagt, in Andys Zustand... Hoffentlich kamen Lucy und dieser Alex bald wieder. Er hasste Unterbrechungen, und am meisten hasste er es, untätig herumzusitzen, während er warten musste. Ob er mal nach Laura sehen sollte? Die war ja schon am Morgen so seltsam gewesen, und jetzt war sie schon seit Urzeiten in der Hütte verschwunden.

„Ihr könnt mich mal im Mondschein besuchen!" hatte sie bei ihrem Abgang gefaucht. Mondschein! Was auch immer für ein Problem sie hatte, die nächtliche Wanderung zu den Felsen würde sie schon auf andere Gedanken bringen. Das und das von ihm geplante Picknick. Picknick? Sein Magen meldete sich knurrend und verdrängte seine Vorstellung von Romantik im Mondenschein. So langsam konnte er nun wirklich den Grill startklar machen, damit die ersten Würstchen fertig waren, sobald Lucy und dieser Kollege von Andy von ihrem Shoppingausflug zurück waren. Wenn Andy und die anderen beiden wussten, dass es bald losgehen würde, packten sie bestimmt mit an. Den Grillmeister wollte er nicht alleine geben. Entschlossen erhob er sich aus seinem Deckchair. Andy folgte ihm, anders als Julian, der auf seinem Tablet herumdaddelte, und David, der auf der Decke lag und alle Viere von sich gestreckt hatte. Eine komische Stimmung war das hier. Inzwischen hatte der Wind aufgefrischt und brauste durch die Bäume rund um den See. Deren Blätter hatten die Unterseite nach oben gekehrt und schimmerten silbrig.

Die Unterseite nach oben gekehrt hatten auch die Würstchen auf dem Rost. Ihre verführerisch duftenden Schwaden zogen in alle Richtungen und ließen Laura das Wasser im Munde zusammenlaufen. Neugierig spähte sie nach draußen, wo sich ihr Freund hingebungsvoll seiner Aufgabe als Grillmeister mit einer Flasche Bier in der Hand widmete. Da es bald loszugehen schien, konnte sie ja schon mal den Kartoffelsalat aus dem Kühlschrank holen. Bis Alex und Lucy zurück waren, hatte der hoffentlich eine angenehmere Temperatur als diese Eiseskälte. Bestimmt hatte dieser Blödmann David an den elektrischen Geräten herumgefummelt. Die Kühlung war doch viel zu stark eingestellt! An ihren Zähnen wollte sie Blitz und Donner nicht erleben.

Blitz und Donner... Noch war am See weit draußen nur wenig davon zu spüren, aber die Donnerschläge rollten fast schon im Sekundentakt über die Stadt hinweg und waren über dem Bushäuschen besonders gut zu hören. Bei jedem Krachen schnellte Lucys Puls in die Höhe. So ein hartnäckiges Gewitter hatte sie noch nie erlebt. Die meisten gingen relativ schnell vorbei. Aber wenigstens fror sie nicht mehr so erbärmlich in ihrem dünnen und klammen Ringelshirt; irgendwie hatte es Alex geschafft, ihr seine Jacke überzustreifen und hielt sie nun fest in seinen Armen. Eingehüllt wie in einen Kokon, dachte sie, hörte sie sein Herz gleichmäßig schlagen. Gleichmäßig und ruhig. Ihr Fels in der Brandung inmitten des Donners, der ihr noch den Verstand rauben würde. Donner. Getöse und kein Blitz...

Getöse und kein Blitz... wo war der verdammte Kartoffelsalat? Natürlich – Laura ahnte es schon: Vor lauter Tamtam und Getöse um Lucys Schuhe hatte kein Mensch an die Beilagen gedacht. Den Fünf-Liter-Eimer suchte sie vergeblich, doch außer haufenweise Energydrinks und ein paar Steaks war nichts im Kühlschrank. Nicht einmal Grillsoßen. Na prima, da hatte jemand ganze Arbeit geleistet. Verärgert zog Laura einen Flunsch. Der Ausdruck in ihrem Gesicht war filmreif. Das fand auch Julian, der ihre Grimasse mit dem Tablet festhielt. Mit Blitz. Kandidat Nummer Zwei, der bei ihr unten durch war.

Ach ja, es war ihm doch immer wieder eine Freude, anderen behinderlich zu sein, feixte Julian. Lauras dummes Gesicht war Gold wert. In seiner Galerie peinlicher Bilder war ihr ein Platz weit oben sicher. Blitz und Donner... inzwischen war Julians Tablet außer Rand und Band, die Schlagzahl eingehender Nachrichten auf seinem Facebook-Account erhöhte sich stetig und nervte ab einem gewissen Punkt nur noch. Den Überblick hatte Julian längst verloren – ihm wurde es zu dumm, und er schaltete das Gerät ab. Er konnte nicht ahnen, dass das Sperrfeuer erst begonnen hatte.

Blitz und Donner! Zeter und Mordio. Das Gerumpel über ihren Köpfen wollte schier kein Ende nehmen. So langsam konnte dieses Unwetter doch mal nachlassen, knirschte Alex innerlich mit den Zähnen. So viel Ritterlichkeit gut und schön, und dass Lucy sich beruhigt zu haben schien, erleichterte ihn ungemein; aber ihre Nähe machte ihn so langsam nervös. Und nervös würden auch die anderen werden, wenn er Lucy nicht bald zurückfahren würde. Aber solange es dermaßen schüttete, war an Weiterfahren nicht zu denken. Blitz und Donner? Das einzige, was er blitzen sah, war das Blaulicht der vorbeirasenden Streifenwagen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top