29. Angriff

„Severus, denkst du wirklich, dass Dawlish...?", fragte McGonagall leise, nachdem der Knall verebbt war.

„Es ist gut möglich.", gab Snape zu. „Aber es gibt etliche Todesser, die im Ministerium arbeiten. Er wird nicht der einzige gewesen sein."

„Wieso tut das Ministerium so etwas?", hauchte Hermine leise, während sie zitternd versuchte, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Die Tatsache, dass das Ministerium verantwortlich für Rons Tod gewesen sein könnte und der Angriff verhindert hätte werden können, ließ in ihr eine Angst los, die sich schnell in Wut entwickelte. Ein Ministerium, das für Sicherheit und Ordnung sorgen soll, lässt eine Infiltration von Todessern zu und tötet hunderte von unschuldigen Menschen. Es kam ihr alles so absurd vor - so falsch.

„Weil das Ministerium schon immer korrupt war.", meinte Snape kalt. „Auch vor dem dunklen Lord."

Hermine erschauderte. Wie könnte sie je wieder vertrauen, wenn selbst das Ministerium korrupt war?

„Ich schlage vor, dass wir warten, bis Kingsley sich meldet. Im Moment können wir nichts tun.", seufzte die alte Schulleitern müde und ließ sich auf ihrem Stuhl nieder. „Ich werde beim Abendessen eine Rede halten, um Lehrer und Schüler zu beruhigen. Vielleicht, wird mir wenigstens das gelingen."

Zerstreut betrachtete sie die vielen Briefe, die ausgebreitet auf ihrem Schreibtisch lagen. Besorgte Eltern, Todesmeldungen, Zeitungsartikel.

„In Ordnung, Minerva.", sagte Snape nickend und schritt auf die Tür zu. Hermine folgte ihm stumm, als sie die Treppenstufen hinuntergingen. Wortlos durchquerten sie die Korridore, bis sie in seinem Wohnzimmer saßen und stumm auf ein prasselndes Feuer starrten.

Snape hatte sich etwas abseits von ihr niedergelassen, den linken Arm auf die Sofalehne gelegt und seine Beine übereinandergeschlagen. Er musterte sie prüfend, während sie unruhig und nervös mit ihren Füßen hin und her wippte.

„Willst du etwas trinken?", räusperte er sich nach kurzer Zeit. Die Stille machte ihn ungeduldig.

Hermine schüttelte ihren Kopf.

„Was ist mit seinem Körper?", flüsterte sie leise und sein Blick fixierte sie prüfend.

„Sobald im Ministerium Ruhe eingekehrt ist, wird er vermutlich zu seiner Familie gebracht. Du hast Kingsley eben gesehen. Er steckt mitten in einem Putsch.", erklärte er ruhig, froh, dass sie endlich mit ihm redete.

Schluckend holte sie tief Luft.

„Meinst du...ich kann ihn nochmal sehen?"

Überrascht, dass sie plötzlich so ruhig darüber sprach, kniff er seine Augen zusammen.

„Vermutlich.", stimmte er ihr hilflos zu, nicht wissend, wie ehrlich ihre Ruhe war. Vor wenigen Minuten noch, war sie zusammengebrochen, lethargisch und abwesend. Jetzt aber schien sie ruhiger zu werden.

Nickend wandte sie ihren Blick zu Boden und nestelte nervös an ihrem Pullover. Er hasste es sie so aufgelöst zu sehen, doch er wagte nicht, auf sie zuzugehen. Wer wusste schon, ob sie seine Nähe überhaupt wollte? Sie hatten noch nicht über das gesprochen, was passiert war – die Anhörung, das plötzliche, angeekelte Aufblitzen in ihren Augen, als er zugab, Frauen vergewaltigt und ermordet zu haben. Die Erkenntnis, dass beide zu wenig über den jeweils anderen wussten.

Doch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, nahm Hermine ihm diese Entscheidung ab.

„Ich werde in mein Zimmer gehen.", murmelte die junge Hexe schluckend, während sie sich langsam erhob und ihn abwesend ansah. „Ich würde jetzt gerne alleine sein."

Ihr Blick durchbohrte sein Herz und hinterließ einen schmerzenden Stich in seiner Brust.

„Hermine...", begann er unsicher, doch sie schüttelte ihren Kopf.

„Ich kann jetzt nicht mit dir in einem Raum sein."

Das saß. Auch wenn er sie eigentlich verstehen müsste, bereitete es ihm Angst.

„Hermine, du wusstest, dass ich schlimme Dinge getan habe.", erklärte er ruhig, auch wenn sein Inneres tobte und ihn fast verzweifeln ließ. Er war augenscheinlich der falsche Mann für sie.

„Du hättest das nicht tun müssen.", flüsterte sie leise, um dann herzklopfend ihren Blick von ihm abzuwenden.

„Was?"

„All diese Dinge. Du hättest Frauen nicht..."

„Doch, Hermine! Der dunkle Lord musste glauben, dass –.", rief er aufbrausend.

„Nein!", sagte Hermine bestimmt. „Du hättest keine Frau vergewaltigen müssen."

Ihr durchdringender Blick ließ sein Herz erfrieren. Sie hatte doch keine Ahnung! Sie wusste nicht, was der dunkle Lord aus einem machen konnte!

„Hat es dir Spaß gemacht?", frage sie mit zusammengebissenen Zähnen, wobei ihr Blick ihn funkelnd ansah.

„Wo denkst du eigentlich hin?", knurrte Snape aufbrausend und fasste sich hilflos an den Kopf. „Meinst du, es hat mir Spaß gemacht, Doppelagent zu spielen? Meinst du, ich habe mich darauf gefreut, von -."

Er schluckte und ballte seine Hände zu Fäusten. Es war schwer, doch er rang sich dazu durch.

„...von Voldemort genötigt und gefoltert zu werden? Dachtest du etwa, ich würde die Zeit vermissen?"

Heftig atmend schüttelte Snape energisch mit seinem Kopf und versuchte die wütende Röte aus seinem Gesicht entweichen zu lassen. Er musste sich zusammenreißen.

Hermine starrte ihn ausdruckslos an.

„Ich kenne dich nicht.", flüsterte sie heiser. Sie wandte ihren Kopf ab und biss kontrolliert ihre Lippen aufeinander. „Ich weiß nichts von dir, außer..."

Alarmiert hob er seinen Kopf, was einige schwarze Strähnen in sein mittlerweile aschfahles Gesicht fallen ließ. Er wusste, was nun kam.

„Außer, dass du Harry beschützt hast, weil du Lily geliebt hast.", beendete Hermine ruhig ihren Satz und streifte seinem emotionslosen Blick, der ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Sie hatte seit der Anhörung das Gefühl, nichts über ihn zu wissen und die Dinge, die er getan hatte, ignoriert hatte, weil sie so geblendet von ihren Gefühlen war.

„Ich habe nicht nur Potter beschützt.", sagte er kalt. „Auch dich und die gesamte Zauberwelt."

Es war das erste Mal, dass Snape verteidigte, was er getan hatte. Doch er wusste nicht, wie er ihr anders begreiflich machen konnte, dass er nicht der war, den das Ministerium krampfhaft versuchte darzustellen. Oder etwa doch?

„Ich weiß, Severus. Du hast uns beschützt und dafür bin ich dir unendlich dankbar.", antwortete sie nun gefasst. „Aber ich muss das erstmal verarbeiten, ich kann nicht verstehen, wieso du..."

„Dann ist es wohl am besten, wenn wir dieser Verbindung ein sofortiges Ende setzen.", schnaubte er kühl. „Wie wir eben auch wieder sehen durften, bin ich augenscheinlich der falsche Mann für dich."

Erschrocken riss Hermine ihre Augen auf und schüttelte verständnislos ihren Kopf, während sie missmutig ihre Stirn zusammenzog. Ihre krausen, braunen Haare, pustete die Hexe aus ihrem erröteten Gesicht, während Snape ihre überraschte Mimik beobachtete.

„Wie meinst du das, Severus?"

„Du weißt ganz genau, wie ich das meine, Hermine!", gab er barsch zurück. „Potter hat dich in wenigen Minuten schneller trösten können, als ich in Stunden!"

„Das ist nicht dein ernst!"

Mit einem abschätzigen Blick erhob sich der alte Tränkemeister und kniff wütend seine Augen zusammen.

„Doch, Hermine. Diese Verbindung, die zwischen uns existiert, ist eine Farce. Wir beide wissen, dass der Altersunterschied und die damit verbundenen Probleme zu groß sind, um bewältigt werden zu können.", sagte er leise. Seine Augen stierten auf ihr erschrockenes Gesicht und ein schmerzender Stich bereitete sich in ihm aus. Was hatte er sich dabei eigentlich gedacht?

„Harry ist der einzige, der auch nur ansatzweise verstehen kann, was Ron's Verlust für mich bedeutet, Severus!", fauchte sie verärgert und schritt einige Meter auf ihn zu. „Er ist der einzige Mensch, der verstehen kann, was ich empfinde! Weder Du, noch Ginny oder Minerva haben eine Ahnung, was Ron mir bedeutet hat und wie sehr er mich verletzt hat! Deine Anschuldigung ist kindisch und unfair! Du läufst ständig vor Problemen davon, Severus!"

Ihre Tonart war mittlerweile in ein lautstarkes Kreischen übergegangen, was ihn kurzzeitig zusammenzucken ließ. Er hatte schon immer gewusst, dass sie eine emotionale, gar heißblütige Mentalität hatte, doch dieser Ausbruch ließ ihn erschrocken zurückfahren. Die eben noch abwesende, lethargische Hermine, schien ihm nun deutlich angenehmer.

„Du läufst vor allem davon! Sobald dir etwas nicht passt, oder du Angst hast, verletzt zu werden, kappst du die Verbindung und denkst, dass du so das Problem beseitigst!", schrie sie wildgestikulierend weiter. „Aber das tust du nicht! Du verletzt andere Menschen damit! Du bist ein egoistischer Mistkerl! Das bist du!"

Atemlos hob und senkte sich ihre Brust, als sie verletzt zusammensank und Tränen über ihre Wangen liefen. Stirnrunzelnd blieb Snape wie erstarrt stehen, unfähig, weiter auf sie einzugehen. Die eben gesagten Worte trafen ihn nicht wirklich, er hatte schon immer gewusst, dass er egoistisch war, was seine eigene Gefühlswelt betraf, aber nur um nicht verletzt zu werden. War es denn nicht besser immer die Kontrolle zu bewahren, als sich in Situationen hineinzureiten, von denen man zu Anfang wusste, dass sie unlösbar waren?

„Du machst mit mir Schluss, während ich meinen besten Freund verloren habe? Du machst mit mir Schluss, weil die ersten Probleme dir zu viel Stress bereiten?", schluchzte Hermine lauthals los, vollkommen außer sich. Die letzten Stunden waren für die sonst so gefasste Hexe eine aufreibende Zeit gewesen. Die plötzlichen, harten Emotionen, die auf sie einschlugen, ließen sie vollends die Kontrolle verlieren.

Stumm starrte Snape auf das weinende Mädchen, das ihr Gesicht nun in ihren Händen vergraben hatte und unkontrolliert zitterte.

Langsam schritt er auf sie zu, kniete sich hin und hob sanft ihren Kopf. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren gerötet, während er bedächtig eine Träne wegwischte.

Bevor er sie jedoch küssen konnte, umgriff die junge Hexe seine Hand und schob ihn langsam von sich weg.

„Ich kann das jetzt nicht, Severus.", schluckte Hermine ruhig. Er verharrte in seiner Position, während einige schwarze Strähnen in sein Gesicht fielen. Unfähig, überhaupt einen Ton von sich zu geben.

Entschlossen stand sie auf, griff sich ihre Jacke, die sie bei ihrer Ankunft auf einen nahegelegenen Stuhl geworfen hatte und verließ wortlos seine Wohnräume. Als die Tür lauthals ins Schloss fiel, wagte Snape wieder zu atmen. Er stand auf, drehte sich um und starrte emotionslos ins Feuer, das dramatisch einige Flammen in den Kamin züngelte.

Was auch immer grade geschehen war, es ließ ihn mehr denn je spüren, dass er alt wurde. Jedes einzelne Glied tat ihm weh, Kopfschmerzen setzten ein, die Müdigkeit schien ihn übermannen zu wollen. Was sollte er nur mit Hermine tun? Wie konnte er ihr zeigen, was er wirklich für sie empfand und versichern, dass er für sie da sein würde?

Ganz sicher nicht, indem Du immer wieder Schluss machst!", sagte eine innere Stimme und er nickte impulsiv. Granger hatte Recht. Er rannte vor Problemen davon, er suchte sofort das Weite und distanzierte sich von jeglichen emotionalen Verbindungen. Für ihn war Sex einfach nur Sex, nie hatte er diese tiefe Verbundenheit mit einem Menschen gespürt, die ihn voll ausfüllte, jedoch auch Panik machte. Wenn er weiterhin so unvorsichtig wäre, dann würde er sie verlieren. Und so wie er Hermine einschätzte, würde sie nicht weiter Katz und Maus mit ihm spielen. Wenn er sie verlieren würde, dann für immer.

Unruhig ginge der Tränkemeister auf und ab. Seine Gedanken schweiften ab, zum Ministerium, zu Shacklebolt, der nun alle Hände voll zu tun hatte. Den Verursacher für den Putsch zu finden war eigentlich beinahe unmöglich. Er konnte mit seiner Vermutung, Dawlish wäre der Anführer des Ganzen, nur Glück haben. Zwar traute er ihm diese Art von Terror zu, aber einen so organisierten, durchgeplanten Anschlag auf das sicherste Gebäude der Zauberwelt?

Nein. Eigentlich nicht das sicherste Gebäude. Denn das sicherste Gebäude der Zauberwelt war Hogwarts...Und wieso hatten die Todesser nicht versucht, die Stätte zu zerstören, die Lord Voldemorts persönliche Grabstätte war?
Es war wohl viel zu schwierig. Aber Moment. Es wäre die einzige, logische Erklärung. Wenn das Ministerium, geschwächt und mit vielen Verlusten, mit dem Wiederaufbau und der Aufdeckung des Anschlags beschäftigt war, dann konnte Hogwarts niemand zur Hilfe eilen. Dann...

„Verfluchte Scheiße!", rief er plötzlich aufgebracht und riss sich von seinen Gedanken los. Hogwarts!

Als er zur Tür sprintete, hörte er plötzlich einen lauten Knall. Er schien weit entfernt zu sein und von draußen zu kommen. Verwirrt zauberte er ein magisches Kellerfenster in die steinerne Wand und traute seinen Augen nicht. Vor den Mauern von Hogwarts rannten etliche Todesser auf das Schloss zu. Fackeln erhellten die frühe Nacht und Schreie prallten von den Mauern ab.

Ohne weiter zu überlegen, raste Snape auf seine Tür zu und lief in Richtung großer Halle, um Minerva zu warnen, doch dies schien nicht mehr nötig zu sein. Etliche Schüler und Lehrer tummelten sich auf den Korridoren, überall in der großen Halle und blickten sich ängstlich um.

„Severus!", rief Flitwick schluckend, während er einige 6. Klässler versuchte zu beruhigen. „Minerva sucht dich! Todesser haben..."

Nickend rauschte er an seinem ehemaligen Kollegen vorbei, auf der Suche nach Hermine. So wie er sie kannte, bewachte sie jüngere Schüler vor einer Panikattacke, doch dort schien sie nicht zu sein. Wieso war sie nicht hier?

Konzentriert fasste er sich an den Kopf und scannte den kompletten Raum ab. Keine Hermine. Nirgendwo. Hatte sie nichts davon mitbekommen?

Ängstlich riss er sich von der Masse los, durchquerte die Korridore und blieb atemlos vor ihrem Raum stehen. Die Tür stand offen, das Zimmer war leer.

„Hermine!", rief Snape nervös. „Mine! Wo bist du?"

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