15. Die Lüge
Heftig atmend keuchte er, Kälte fraß sich in seine Glieder, zitternd und energielos lag er auf dem Rücken, unfähig sich zu bewegen, zu atmen, etwas zu sagen. Ein Schmerz durchzuckte ihn, Worte hallten in seinem Kopf wieder.
„Du warst mir ein treuer Diener, Severus."
Die Stimme jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Angsterfüllt starrte er mit seinen dunklen, tiefschwarzen Augen an die Decke und erkannte das Bootshaus von Hogwarts. Hölzerne, dicke Balken zierten das Dach, Wasser tropfte von oben hinunter in sein Gesicht. Seine Kleidung war völlig durchnässt, er wollte aufstehen und weglaufen, verschwinden, fort von diesem Ort, diesem unheimlichen, schmerzerfüllten Ort. Er wollte zu ihr. Wo war sie? Wieso ließ sie ihn alleine? Wieso?
Mit aller Kraft versuchte er aufzustehen, doch mit jedem Versuch sich zu bewegen, zuckten höllische Schmerzen durch seinen Körper. Etwas an seinem Hals kribbelte, nicht schmerzhaft, sondern weich und angenehm. Er wollte es dennoch berühren, seinen Hals, seine Wunde, sie spüren, er wusste, wenn er seine Hand auf seinen Hals presste, dann würden die Schmerzen schlimmer werden, sie würden stärker werden, er wusste nicht wieso, aber er wusste es.
Wo war sie? Er vermisste sie so sehnlichst. Er wollte bloß zu ihr, sie in den Arm nehmen, er wollte ihren Kopf auf seine Brust legen, dann wäre alles gut, dann würden die Schmerzen für immer verschwinden, er wäre glücklich, er könnte Leben, atmen, sie an sich pressen und auf Vergebung hoffen. Sie hatte ihm verziehen. Er hatte Albus getötet, doch sie verzieh ihm. Er hatte Menschen gequält und ermordet, doch sie verzieh ihm. Er hatte Lily verraten, doch sie verzieh ihm. Er hatte sie jahrelang ignoriert, tyrannisiert und ihr das Leben schwer gemacht, doch sie verzieh ihm. Sie sah etwas in ihm, dass er längst aufgegeben hatte. Wo war sie nur? Er wusste, sie war hier, irgendwo, aber er konnte sie nicht finden, es war so dunkel, seine Konzentration schwand, sein Bewusstsein rang nach Atem, sein Kopf fühlte sich leer an und pochte unaufhaltsam. Alles, was er wollte, war, sie in den Arm zu nehmen, ihr über den Kopf zu streicheln, sie zu spüren, zu riechen – alles an ihr in sich aufzusaugen und sie nie wieder loszulassen.
Die Worte hallten erneut in seinem Kopf wieder.
„Aber du weißt, nur ich kann ewig leben."
Er wusste, jetzt würde es passieren, er würde sterben. Ohne sie zu sehen. Ohne ihr ein letztes Mal in die Augen zu blicken, ihre bernsteinfarbenen, neugierigen, liebevollen Augen. Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, durchzuckten ihn wahnsinnige Schmerzen und er fiel in eine tiefe, dunkle Schlucht, immer tiefer und tiefer.
Keuchend riss Snape seine Augen auf, starrte mit zitterndem, bebendem Körper an die Decke seines Bettes und setzte sich ruckartig auf. Sein Bewusstsein wollte nicht in der Realität ankommen, zu intensiv war dieser Traum gewesen. Er konnte nicht einordnen, ob es ein Alptraum oder ein Traum gewesen war. Heftig atmend stierte er auf seinen Kleiderschrank, der am Ende seines Bettes stand und legte eine Hand auf seine Brust, um seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Alles in ihm schrie danach aufzuspringen und Hermine zu suchen. Doch er war noch nicht vollkommen in der realen Welt angekommen, sein keuchender Atem durchschnitt die Stille seines Schlafzimmers. Erst nach wenigen Augenblicken bemerkte Snape, dass die Sonne schon hell am Himmel stand. Sein Kopf wanderte langsam zu einem kleinen Kellerfenster und ruhte auf den Wäldern von Hogwarts.
Er war definitiv nicht mehr zurechnungsfähig. Egal, was im Moment auch mit ihm passieren mochte, er war nicht mehr zurechnungsfähig. Die Bilder hämmerten in seinem Kopf, was war er nur für ein rücksichtloser Mensch gewesen. Wieso hatte er sich auf sie eingelassen?
War das jetzt die Strafe dafür? Wieso konnte er sich nicht an diese gemeinsame Nacht erinnern? Es war zum Verrücktwerden!
Kein einziger Moment, kein Gefühl – nichts!
Snape schloss seine Augen um sich erneut zu erinnern, doch er fand nichts.
Mit wackeligen Beinen setzte er sich auf die Bettkante und spürte erstmals wieder den kühlen Kellerboden unter seinen nackten Füßen. Da war es wieder. Das Gefühl. Eine Mischung aus Angst und Freude. Erinnerungen an seine Zeit als Schulleiter tauchten vor seinem inneren Auge auf, Kinder, die ihn fassungslos und ängstlich anblickten. Auch wenn er die kleinen Gören aufgrund ihrer mangelnden Intelligenz zutiefst verachtet hatte, so vergaß er nie das Gesicht eines 12 jährigen Hufflepuff Schülers, der ihn mit aufgerissenen, verängstigten Augen anblickte...
Verärgert schüttelte Snape seinen Kopf, öffnete die Augen und sog tief Luft ein. Es war ein verwirrendes Gefühl wieder in Hogwarts zu sein.
Nachdem er für einen kurzen Moment die Toilette aufgesucht hatte, duschte er ausgiebig und stellte überrascht fest, dass seine Narbe nicht mehr so wehtat, wie vor wenigen Tagen.
Vor seinem Kleiderschrank angekommen, betrachtete er seine alten Klamotten mit einem teils wehmütigen, teils freudigen Gefühl.
Seine komplette Kleidung lag fein säuberlich geordnet in seinem Schrank, es war, als ob sich rein gar nichts verändert hätte. Alles war so geblieben wie er es zurückgelassen hatte. Sein Schlafzimmer, sein Wohnzimmer, seine Küche, sein Badezimmer...Seine Weinflaschen in der gläsernen Vitrine, neben seinem dunklen, Mahagoni Schreibtisch, seine Korrekturen der letzten Klassen, sein Sessel.
Alles unverändert. Niemand schien seine Räume betreten zu haben.
Seufzend griff Snape nach einem schwarzen, einfach T-Shirt und einer schwarzen Hose und überlegte grade, ob er ein Hemd darauf anziehen sollte, als es an der Tür klopfte. Erschrocken verharrte er in seiner Bewegung.
Dann lief er stirnrunzelnd in den Flur, öffnete die Tür und blickte in bernsteinfarbenen Augen. Sofort holte sein Traum ihn ein, unbeschreibliche Gefühle jagten ihm Stromstöße durch seine Adern. Schluckend holte er tief Luft.
„Hermine.", räusperte er sich kurz, trat zur Seite, um ihr Eintritt zu gewähren, doch sie zögerte. „Alles in Ordnung?"
Erst auf den zweiten Blick, wesentlich gefasster, bemerkte er ihre tiefen Ränder unter den Augen, ihren suchenden, verwirrten Blick, ihre nervöse Haltung.
„Keine Ahnung.", murmelte diese leise, ging an ihm vorbei und blieb dann mitten im Flur stehen.
Er schloss seine Wohnungstür, blieb jedoch noch einen kurzen Augenblick mit dem Rücken zu ihr stehen. Dann drehte er sich um und schaute ihr fragend in die Augen.
„Was ist passiert?", fragte er ruhig, da er wusste, dass etwas nicht stimmte. Sofort schob er jegliche Gedanken an das Ministerium beiseite, Minerva hatte gesagt, dass sie sicher waren und er traute ihr merkwürdigerweise. Vielleicht war es auch nur ein hoffnungsvolles Vertrauen, oder ein verzweifeltes Vertrauen – er wusste es nicht. Seine Gedanken drehten sich um andere Probleme.
„Ich...", stockte Hermine langsam, wandte den Kopf ab und presste ihre Lippen aufeinander. Sie sah erschreckend verzweifelt aus, ihre krausen Haare hingen wirr in ihrem Gesicht herum und ihm kam eine beunruhigende Vorahnung, wieso sie so aussah.
„Es ist schwer, oder?", hauchte er leise. Ruckartig wandte sie ihren Kopf herum und starrte ihn stumm nickend an.
Sie sah so unglaublich verletzlich aus. Er hatte sich gedacht, dass sie damit nicht klar kommen würde. Schließlich hatte sie genauso damit zu kämpfen, wie er. Es musste für sie noch traumatischer sein, wieder nach Hogwarts zurückzukehren, auch nach 6 Jahren Abwesenheit. Der Spruch „Zeit heilt alle Wunden", war totaler Schwachsinn. Verdrängung heilte nichts. Konfrontation heilte. Den Schmerz aushalten, daran wachsen, stärker werden. Aber für Hermine musste es unglaublich schwer sein. Trotz ihres Alters und ihrer Reife, war sie in seinen Augen ein kaputtes, verletzliches Mädchen geworden, viel von der eifrigen, motivierten Hexe von damals schien nicht mehr übrig zu sein.
Stumm schweigend blickten sich die Beiden an, einige Meter trennten sie voneinander, jeder hing seinen Gedanken nach, doch keiner traute sich etwas zu sagen. Die Bilder seines Traumes schossen ihm wieder durch den Kopf.
Herzklopfend betrachtete er jedes Detail ihres Körpers, es kam ihm immer unwirklicher vor, dass sie sich auf ihn eingelassen hatte. Auch wenn sie sehr abgeschlagen aussah, in seinen Augen war sie wunderschön, auch mit krausem Haar und tiefen Rändern unter den Augen.
„Severus, wir müssen über...den Horkrux sprechen.", sagte sie nach einer Weile mit fester Stimme, um sich dann umzudrehen und in seinem Wohnzimmer zu verschwinden. Sofort landete Snape wieder in der Realität.
„Hermine...", begann er, als beide in seinem Wohnzimmer standen und sie sich staunend umblickte. „Vielleicht sollten wir erstmal mit Minerva sprechen."
Sie drehte ihren Kopf herum um ihn anzublicken. Dieses ruhige, stumme Verhalten bereitete Snape Besorgnis. Das war nicht die Hermine, die er in den letzten Tagen kennengelernt hatte. Es war, als ob sie etwas beschäftigte. Mehr denn je.
„Wir müssen zuerst reden.", flüsterte die junge Hexe und biss sich erneut auf die Unterlippe.
Er schloss beruhigend seine Augen um tief Luft zu holen, doch die Bilder aus seinem Kopf wollten nicht verschwinden. Das Gefühl, sie in den Arm nehmen zu wollen, war so täuschend echt. So reell. Vielleicht waren das die Gefühle von ihrer gemeinsamen Nacht?
„Severus, ich...", stotterte sie hastig, unterbrach sich dann jedoch selbst. Langsam ging sie einige Schritte auf ihn zu. Wenige Zentimeter vor ihm blieb sie stehen, wandte den Kopf ab und nestelte nervös an ihrem Pullover.
Snape hatte sich nicht gerührt, er war wie erstarrt in seiner Bewegung, jeder Schritt von Hermine kam ihm vor wie in Zeitlupe. Sein Herz klopfte laut und sprang ihm fast aus der Brust. Er hatte solche Gefühle seit Jahrzehnten nicht mehr gespürt. Er dachte, er könnte nie wieder so fühlen, so reell fühlte sich sein Traum an. Wann war er so ein sentimentales Weichei geworden?
„Weiß du, gestern im Wald, hatte ich wirklich panische Angst dich zu verlieren."
Die Worte hämmerten auf ihn ein. Langsam nickte er, weiterhin beobachtete er ihre Mimik, ihre Haltung, wie sie vor ihm stand, wie ein Häufchen Elend. Wieso sprang er nicht über seinen Schatten und nahm sie in den Arm? Sie bräuchte es so offensichtlich. Wenn sie schon miteinander geschlafen hatten? Was erwartete sie bloß von ihm?
„Hermine, es tut mir leid. Bitte verzeih mir, ich war so betrunken...", schluckte er merklich, holte tief Luft und legte dann eine Hand auf ihren Unterarm. Sie zuckte leicht zusammen, ließ ihren Blick jedoch nicht von seinen Augen. „Ich kann mich wirklich an nichts erinnern."
Mit weitaufgerissenen Augen und wirrem Blick wandte sie ihren Kopf ab. Snape war so unsicher, es machte ihn im wahrsten Sinne des Wortes total verrückt! Was machte sie bloß aus ihm?
„Severus, ich muss dir...", sagte sie mit leiser Stimme, doch er ignorierte sie, trat einen Schritt auf sie zu und schloss sie leicht in seine Arme. Er merkte wie sie sich zuerst versteifte, dann jedoch schlang sie ihre Arme um seine Taille und presste ihren Kopf an seine Brust. Herzklopfend vergrub Snape sein Gesicht in ihren Haaren und sog ihren Duft ein. Sie roch so unwahrscheinlich gut! Behutsam strich er ihr über ihren Kopf, drückte ihn fester gegen seine Brust und blieb regungslos stehen.
Keiner der Beiden sagte ein Wort.
Er fühlte sich wie betört von ihrer Berührung, es war kein fremdes Gefühl sie in den Arm zu nehmen, sondern ein bekanntes, normales Gefühl, so als ob er nie etwas anderes getan hätte.
Nach einiger Zeit blickte Hermine langsam zu ihm auf. Er schaute sie prüfend an, irgendetwas in ihrem Blick beunruhigte ihn. Wenn er darüber nachdachte, was er da grade tat, dann kam ihm alles so unwirklich vor. Sein Herz jedoch spürte ihre Geborgenheit und ihre Nähe und wollte mehr davon.
Vorsichtig strich er ihr mit einer Hand eine Strähne aus dem Gesicht, nicht darüber nachdenkend, was er tat. Hermine starrte ihm schockiert in die Augen, nicht wissend, wie sie sich verhalten sollte.
„Severus, ich muss dir etwas sagen...", flüsterte sie heiser, doch ihre Worte prallten an ihm ab, er sah nur ihr wunderschönes Gesicht, sog ihren Duft ein und versuchte fieberhaft sich an ihre gemeinsame Nacht zu erinnern. Sollte er sie küssen? Was war schon dabei? Wieso erinnerte er sich nicht daran?
Mit einem verzweifelten Ausdruck in ihren Augen, wich Hermine einige Schritte zurück. Irritiert neigte er den Kopf leicht zur Seite und blickte ihr mit einem fragenden Blick in die Augen.
„Habe ich etwas falsch gemacht?", fragte er leise, überrascht über seine Frage. Seit wann fühlte er sich wie ein unsicherer Teenager?
Hermine schloss ihre Augen, seufzte dann tief und schüttelte leicht den Kopf.
„Severus wir...wir haben nicht miteinander geschlafen."
Die Worte hallten in seinem Kopf wieder, doch er begriff sie nicht. Wie meinte sie das?
„Ich habe dich angelogen. Ich war so wütend auf dich, weil du so...weil du mich immerzu wie eine Schülerin behandelst. Das ist so frustrierend und durch den Angriff...", stotterte sie leise und wagte es nicht ihm in die Augen zu schauen.
Verwirrt schüttelte Snape seinen Kopf, immer noch begriff er ihre Worte nicht wirklich. Sie hatten also nicht miteinander geschlafen? Sie hatte ihn angelogen? Aber dann...was tat er dann hier?
Er starrte sie an, als hätte sie nun völlig den Verstand verloren.
„Du hast was?", sagte er nach einigen Sekunden leise.
„Es tut mir leid.", flüsterte sie bedrückt. Die plötzliche Distanz ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen.
„Verlassen Sie meine Räume, Miss Granger.", sagte Snape gepresst, darauf bedacht, sich unter Kontrolle zu halten.
Ängstlich blickte sie ihn an, doch der Blick den er ihr zuwarf, war bedrohlicher denn je.
„Es tut mir leid, Severus.", versuchte die junge Hexe es erneut.
„Scheren Sie sich raus!", knurrte er nun und warf ihr einen mörderischen Blick zu. Hermine wich einige Schritte zurück und hob abwehrend ihre Hände.
„Ich wollte..."
„Wenn Sie nicht sofort verschwinden, garantiere ich für nichts, Miss Granger.", fauchte Snape und schloss für einen Moment die Augen, um tief durchzuatmen.
Ihr erschien es sicherer den Rückzug anzutreten, da Snape verzweifelt versuchte sich unter Kontrolle zu halten und sein Blick in ihr tiefe Angst hervorrief. Die Diskrepanz, die sich zwischen ihnen plötzlich aufgetan hatte, gab der Situation noch eine zusätzliche Bedrohung.
Ohne weiter darüber nachzudenken, drehte Hermine sich schnell um, ging durch seine Schlafzimmertür und war kurz darauf verschwunden.
Snape starrte noch immer auf die Stelle, an der sie zuvor gestanden war, unfähig sich zu bewegen oder darüber nachzudenken, wie lächerlich er sich gemacht hatte.
Dieses kleine Biest hatte ihn doch tatsächlich glauben lassen, dass sie miteinander geschlafen hatten! Wie naiv war er bitte gewesen!
Er hatte sich vollkommen lächerlich gemacht! Nur um ihre Gefühle nicht zu verletzen!
Wütend trat er mit seinem Fuß gegen seinen Schreibtisch. Er führte sich auf wie ein Vollidiot!
Das bestimmte Klopfen an seiner Tür, ließ ihn wenig später merklich zusammenzucken. Wagte es dieses penetrante Biest doch tatsächlich wieder bei ihm aufzutauchen? Kannte Hermine Granger ihn nicht? Mit einem zorneserfüllten Gesicht riss er kurzerhand seine Wohnungstür auf und stand einer erschrockenen Minerva McGonagall gegenüber, im Schlepptau Harry Potter und Kingsley Shacklebolt.
Der Tag konnte nicht besser werden! Hatte Minerva ihn doch tatsächlich reingelegt? Noch bevor er jedoch seine Tür vor den Augen der Ministeriumsbediensteten zuschlagen konnte, setzte Potter seinen Fuß in die Tür und schüttelte leicht mit dem Kopf, seinen Blick bedrohlich auf ihn gerichtet.
„Wir wollen nur mit Ihnen reden, Snape.", erklärte er ihm ruhig und sachgemäß, als ob er mit einem Kind spräche.
„Reden?", knurrte Snape als Antwort und grinste abfällig. „Natürlich. Meint ihr, ich wäre vollkommen verblödet?"
Kingsley hob abschätzig seine Augenbrauen in die Höhe, McGonagall rümpfte beleidigt ihre Nase und verschränkte dann ihre Arme vor der Brust.
„Severus, Harry kann deine Unschuld beweisen und dir zu einem Freispruch verhelfen!"
„Wie können Sie bitte meine Unschuld beweisen, Potter?", fragte er abfällig. Kopfschüttelnd verzog Harry sein Gesicht und schnaubte.
„Ich kenne die Wahrheit und ich werde vor dem Ministerium für Sie aussagen, Snape. Wenigstens das bin ich ihnen schuldig.", versuchte Harry sich unter Kontrolle zu halten, da ihm Snapes abfällige, hochnäsige Art gewaltig gegen den Strich ging. Egal was Snape auch für ihn getan hatte, er konnte ihn einfach nicht leiden.
Stirnrunzelnd blickte Snape in die drei verwunderten, wütenden und erwartungsvollen Augenpaare, da er immer noch nicht begriff, wie Potter seine Unschuld vor dem Zaubergamot beweisen wollte.
Da fiel es ihm wie Schuppen vor den Augen. Die Nacht im Bootshaus. Sein beinahe Tod. Die Phiole mit seinen Tränen. Die Erinnerungen an Lily, an Albus, an Voldemort. Schluckend holte er tief Luft, die Gedanken über seine längst vergangene Liebe trafen ihn wie ein Schlag ins Gesicht und schnürten ihm die Luft ab.
„Severus, bitte vertraue uns. Stimmst du Harrys Erzählung zu, dann wird Kingsley sich um alles kümmern und du wirst bald vor dem Ministerium angehört werden. Wir wissen alle, dass du unschuldig bist, es muss nur noch publik gemacht werden.", erklärte Minerva ihm ungeduldig, ihre streng, hochgesteckten, grau-melierten Haare ließen die alte Dame zu seiner Überraschung doch autoritärer wirken, als in Bademantel und Hut.
„Woher der plötzliche Umschwung, Minerva?", fragte Snape trocken, da er der plötzlichen Waffenruhe zwischen ihnen eher skeptisch gegenüber sah.
„Plötzliche? Es sind 6 Jahre vergangen, Severus.", erwiderte die alte Hexe knapp und blickte ihm tief in die Augen. „Lass dir helfen, Severus."
Wo hatte er das nur schon einmal gehört?
Er wäre dumm, wenn er das Angebot von Potter ablehnen würde. Vermutlich würde er sowieso vor dem Ministerium aussagen, Potter war ein Mensch, der sein Wort hielt, so sehr er ihn auch verabscheute. Er war James einfach zu ähnlich. Seine arrogante, abgehobene Art, der Held Harry Potter, der Junge der überlebt hatte. Dennoch waren seine grün, leuchtenden Augen der von Lily täuschend ähnlich und mit jedem Blick in sein Gesicht, spürte er einen leichten Stich in seiner Magengegend. Auch wenn Potter manchmal arrogant erschien, so war er dennoch selbstlos und stand für andere Menschen ein, genau wie Lily es getan hatte.
„Gut. Von mir aus.", brummte er nach einer Weile schulterzuckend und gewährte den Dreien Einlass in seine Wohnung. Auch wenn er erst seit wenigen Stunden wieder in Hogwarts war, fühlte er sich wie zuhause. Potter und Kingsley erklärten ihm kurze Zeit später den Vorgang der Anhörung, was er sagen musste und wie er sich zu verhalten hatte. Es kam ihm unwirklich vor – vor wenigen Stunden noch war er einer der meistgesuchten Männer seit dem Endkampf in Hogwarts gewesen und jetzt saß er mit dem Zaubereiminister und dem Leiter der Aurorenzentrale in seinem Wohnzimmer und sprach über seine Unschuld. Lächerlich. Diese aufgebauschten Informationen, die der Tagesprophet verbreitete, wie er jegliche Hexen und Zauberer verrückt machte und Lügen auftischte. Schrecklich!
Nach einiger Zeit stand der Minister auf, nickte Snape knapp zu und verließ mit McGonagall seine Wohnung, um einige, private Worte mit ihr zu wechseln. Harry blieb mit Snape auf seiner Couch sitzen und ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen.
„Nette Wohnung.", räusperte Harry sich nach einer Weile. Snape überhörte seinen Kommentar und schwieg. Was interessierte es ihn, was Potter über seine Wohnung dachte?
Unruhig starrte Harry auf seinen dunklen Mahagoni Schreibtisch und kämpfte mit seiner Wortwahl, da ihm etwas auf der Seele brannte.
„Snape, ich weiß, dass Sie kein schlechter Mensch sind...", begann Harry zögerlich und versuchte seinen Ex-Zaubertrankprofessor anzublicken. Dieser hob abwartend seine Augenbrauen gen Himmel und schnaubte zynisch.
„Wissen Sie das, Potter?"
Kurz zuckte der Leiter der Aurorenzentrale zusammen, ärgerte sich jedoch selbst über seine Reaktion. Snape hatte eine Art an sich, die ihn trotz der vergangenen Jahre immer wieder als Schüler herabstufen ließ, wenn er mit ihm sprach.
Seufzend wandte Harry den Blick ab und starrte auf die Tischplatte seines Sofatisches.
„Hermine hat schwer mit der Nacht im Bootshaus zu kämpfen gehabt, Snape.", setzte Harry nach und Snape schwante übles. Hatte Miss-Know-It-All Potter tatsächlich in die Sache miteingeweiht?
„Nun ja, ich weiß gar nicht genau, wieso ich das jetzt sage, aber ich glaube...es liegt ihr viel an ihnen.", beendete er schwermütig seinen Monolog und rümpfte die Nase. „Auch wenn ich sie beim besten Willen nicht verstehe."
Schweigend blickte Snape auf seine Wohnzimmertür, unfähig dem Gesagten von Potter Freiheit in seinem Kopf zu gewähren. Was sollte er darauf antworten? Was hatte es Potter überhaupt zu interessieren?
Wütend schaute er ihm mit einem mörderischen Blick in die Augen.
„Danke für die Information, Potter.", antwortete er kühl und fing sich damit einen beleidigten Blick ein.
Keiner der Beiden sagte ein Wort, bis McGonagall abgeschlagen wieder ins Wohnzimmer trat.
„Severus, ich würde heute Abend gerne mit Hermine und dir sprechen, es ist wichtig für mich, dass ich alle Einzelheiten kenne, damit ich morgen eine Rede in der großen Halle halten kann. Bis dahin würde ich dich bitten, deine Wohnräume nicht zu verlassen. Die Schüler würden vor Schreck umfallen.", vollendete sie seufzend ihren Satz. „Hast du Hermine heute schon gesehen? Sie war eben nicht in ihrem Schlafraum."
Schulterzuckend schüttelte er seinen Kopf, die Gedanken an Hermine ließen ihn erneut wütend werden, wütend auf sich selbst, dass er sich eingebildet hatte, Gefühle zu haben, die nicht existierten. Misstrauisch verzog Minerva ihr Gesicht, beließ es jedoch dabei.
„Gut. Um sieben Uhr habe ich Zeit für euch, es ist im Moment so viel zu tun – Harry, würdest du noch einen Moment mit in mein Büro kommen? Wir müssen noch über deine nächste Stunde sprechen. Danach muss ich in den Unterricht, verdammter Mist, ist das alles ärgerlich, so viel zu tun...", murmelte sie im Hinausgehen zerstreut und Harry folgte der Schulleiterin schnell.
Seufzend ließ Snape sich kurze Zeit später in seinen heißgeliebten Sessel fallen und lehnte den Kopf zurück.
Potter würde für ihn aussagen und ihm helfen, seine Unschuld zu beweisen. Vor dem Ministerium. Ob er der Anhörung wirklich beiwohnen würde, das wusste er nicht. Er hatte Minerva nur zugestimmt, damit sie Ruhe gab, seiner Meinung nach hatte er auch mit Potters Aussage keine Chance auf Freiheit und ehe er dieses Risiko eingehen würde, würde er doch lieber Jahrzehnte lang auf der Flucht bleiben oder sich von einer Brücke schmeißen.
Verurteilt vor dem korrupten Ministerium? Niemals!
Das war aber nicht der einzige Gedanke, der ihn wurmte. Die Sache mit dem Horkrux stand immer noch mitten im Raum und er wusste nicht, wie er mit dieser Information umgehen sollte. Hatte Granger tatsächlich Recht? War er ein unbeabsichtigter Horkrux?
Wenn ja, was müsste er tun? Auch wenn sein Arm seit mehreren Stunden nicht mehr schmerzte, so würden die Schmerzen irgendwann wieder zurückkehren oder schlimmer werden. Er würde sich sehr bald darum kümmern müssen.
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