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Reed wurde direkt ins Krankenhaus gebracht und kam sofort in den OP. Mehr als vier Stunden wurde er operiert und kam danach zur Überwachung auf die Intensivstation.
Burke wartete mit Sally im Arm auf eine Nachricht, als ein Arzt kam, um mit den Angehörigen zu sprechen. Auch Caleb und seine Eltern warteten auf eine Information, wie es um Reed stand. Caleb hatte schon die ganze Zeit ein ungutes Gefühl, denn er spürte seinen Gefährten nicht mehr. Nur unerträgliche Schmerzen tobten in ihm.
Doktor Mertens räusperte sich, als er zu der Familie trat. „Also, wir konnten Reeds innere Blutungen stoppen. Auch den Riss in seiner Lunge konnten wir reparieren. Die Brüche an Schulter, Arm und Unterschenkel haben wir stabilisiert. Seine zahlreichen Schnitte genäht. Körperlich ist er stabil, aber ...“ Der Arzt brach ab und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
„Aber was?“, fragte Burke und Sally schluchzte leise. Beruhigend zog er sie näher und streichelte ihr über den Rücken.
„Nun ja, wie soll ich das sagen? Ihr Sohn hat einen schweren Schädelbasisbruch erlitten und liegt im Koma, was allerdings nicht das Schlimmste ist. Es ist sein Wolf! Wir sehen im EEG nur die Hirnwellen von Reed und selbst die sind nicht gut. Aber von seinem Wolf ist nichts zu erkennen. Er ist einfach nicht mehr da“, erklärte der Arzt und wirkte tatsächlich betroffen.
Daraufhin stürmten viele Fragen auf ihn ein und er versuchte sie so gut es ihm möglich war, zu beantworten. Doch vieles wusste selbst er nicht, denn solch ein Fall war ihm noch nie untergekommen. Kurz danach verabschiedete er sich und ließ die verzweifelte Familie allein.
„Wie konnte das nur passieren?“, weinte Sally und strich sich wiederholt die Tränen von den Wangen.
„Ich weiß es nicht. Er hat wohl etwas gehört und missverstanden. Plötzlich ist er davon gelaufen und wollte nicht mehr mit mir reden“, erklärte Caleb und vergrub verzweifelt das Gesicht in den Händen. Ein leises Schluchzen verließ seine Kehle und als seine Mutter ihn in den Arm nahm, brachen die Dämme. Er heulte herzzerreißend und klammerte sich an Holly, die selbst gegen die Tränen ankämpfte. Es tat ihr weh, ihren Sohn so zu sehen.
„Oh Gott! Kann man denn nichts tun? Ich darf ihn nicht verlieren. Ich liebe ihn doch!“ Caleb konnte sich kaum beruhigen. Es wurde sogar so schlimm, dass Drake einen Arzt um ein Beruhigungsmittel für seinen Sohn bat.
Es dauerte nicht lange, da glitt Caleb in einen unruhigen Schlaf. Da er ebenfalls unter Schock stand, entschied man sich dazu, dass er über Nacht unter Bewachung im Krankenhaus bleiben sollte.
Drake nahm seinen Sohn auf die Arme und trug ihn in sein ihm zugeteiltes Zimmer. Dort legte er ihn ins Bett und deckte ihn sorgfältig zu. Dann verließen er und Holly leise das Zimmer.
*****
Zehn Tage später rührte sich Reed immer noch nicht. Von den Hirnströmen seines Wolfes war weiterhin nichts zu erkennen und auch die von Reed wurden zunehmend weniger. Er lag in einem tiefen Koma. Dadurch, dass Reeds Körper bei der Heilung keine Unterstützung von seinem Wolf bekam, heilte er nur sehr langsam.
Täglich kamen Burke und Sally, um nach Reed zu sehen. Auch Calebs Eltern kamen fast täglich.
Caleb selbst saß Tag und Nacht an Reeds Bett und hielt seine Hand. Er erzählte ihm von seinen Gefühlen und beteuerte, dass er ihn nicht verlieren wolle, da er ihn doch liebe. Er bat seinen Gefährten immer wieder darum, dass er endlich aufwachen solle, da er ihn doch brauche. Caleb weinte oft und da er kaum etwas aß, wurde er immer dünner.
Am siebzehnten Tag schlug Reed schließlich seine Augen auf. Caleb konnte es kaum fassen und rief sofort nach dem Arzt. Doktor Mertens untersuchte den Verletzten und stellte ihm ein paar Fragen. Zuvor hatte er die Anwesenden jedoch gebeten, ihn und Reed für einen Augenblick allein zu lassen. Kurze Zeit später kam er aus dem Zimmer und atmete tief durch. So etwas Ähnliches hatte er erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß. Traurig erklärte er den Angehörigen die Situation.
„Also. Reed ist erwacht und es geht ihm dementsprechend gut. Er bekommt Schmerzmittel und ich habe ihm erklärt, was passiert ist“, begann der Arzt vorsichtig.
„Und weiter? Ich sehe doch, dass das nicht alles ist“, hakte Burke nach und der Arzt rieb sich, wie immer, wenn er schlechte Nachrichten überbringen musste, über die Stirn.
„Das Problem an der ganzen Sache ist, dass er sich an nichts erinnert.“ Der Arzt blickte in betroffene Gesichter.
„Sie meinen den Unfall“, folgerte Drake.
Doktor Mertens schüttelte den Kopf. „Nein. Er kann sich an gar nichts mehr erinnern“, wiederholte er. „Er weiß weder seinen Namen noch, wer er ist oder dass er eigentlich ein Wolfswandler ist. Er ist nicht im Bilde darüber, was mit ihm passiert ist und wie er hierherkam.“
Geschockt sahen ihn alle an. „Können wir etwas tun, um ihm zu helfen, sich zu erinnern?“ Reeds Vater war mit dieser Nachricht völlig überfordert.
Der Arzt schüttelte den Kopf. „Ich weiß es offen gestanden auch nicht. Ihr Sohn leidet an einer sogenannten dissoziativen Amnesie. Alle Erinnerungen, die vor seinem Unfall passiert sind, gehen dabei verloren. Ob und wann die Erinnerungen zurückkommen, zeigt uns nur die Zeit. Jetzt entschuldigen sie mich bitte. Ich habe noch zu tun“, verabschiedete sich der Arzt, nickte und verschwand.
Schweigen breitete sich aus, bis Caleb aufstand. „Ich gehe dann mal wieder zu ihm“, meinte er betrübt. Seine Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Mit hängenden Schultern schlurfte er davon.
*****
Täglich saß dieser hübsche, junge Mann mit den wundervollen braunen Augen an seinem Bett und hielt seine Hand, was Reed mehr als nur unangenehm war. Alle behaupteten, sie seien ein Paar. Auch der große Mann, der sein Vater sein sollte, und Sally, seine angebliche Stiefmutter, besuchten ihn regelmäßig.
Er lag bereits seit fünf Wochen im Krankenhaus und morgen würde man ihn endlich entlassen. Noch immer konnte er sich an nichts erinnern. Sein Name klang allerdings mittlerweile vertraut, aber der Kerl namens Caleb kam ihm immer noch nicht bekannt vor. Mit ihm soll er eine Beziehung führen? Das konnte doch nicht stimmen, denn wenn er eine hübsche Krankenschwester sah, regte sich mehr in ihm als bei dem Braunhaarigen. Zumindest redete er sich das ein.
Obwohl man ihm Bilder zeigte, die Caleb auf seinem Handy hatte und er sah, wie sie beide sich küssten, fühlte es sich falsch an. Etwas stimmte nicht. Und wenn er versuchte, sich zu erinnern, bekam er ein heftiges Stechen im Kopf. Frustriert strich er sich die Haare aus der Stirn. Seine Schulter und seine Rippen waren gut verheilt. Auch alle anderen Verletzungen, wie die Schrammen und Hämatome, sah man nicht mehr. Nur sein Gedächtnis und sein Unterschenkel bereiteten ihm noch Probleme.
Gelangweilt saß Reed in einem Rollstuhl am Fenster und blickte hinaus. Plötzlich öffnete sich die Tür und sein angeblicher Freund kam herein. Mit einem zaghaften Lächeln begrüßte Caleb ihn und beugte sich zu ihm hinunter, um ihn auf den Mund zu küssen. Reed drehte, wie jedes Mal, den Kopf zur Seite, sodass Calebs Lippen nur seine Wange streiften.
Mit einem enttäuschten Seufzen richtete sich der Braunhaarige wieder auf. „Du erinnerst dich immer noch an nichts“, stellte der Kerl wie jeden Tag leise fest. Reed schüttelte den Kopf. Zwar hatte er das Gefühl, seinen Vater und Sally zu kennen, doch mit Caleb war es anders. Bis zu einem gewissen Grad hatte er das Gefühl, er wolle sich nicht erinnern!
Caleb holte sich einen Stuhl und setzte sich zu ihm. Traurigkeit war in seinem Blick zu erkennen und Reed rutschte unruhig in seinem Rollstuhl hin und her.
„Haben wir ...“, begann Reed und unterbrach sich, dann sprach er weiter. „Haben wir auch miteinander geschlafen?“
Caleb sah ihn erstaunt an. Es war das erste Mal, dass Reed von sich aus etwas ansprach. Nachdenklich überlegte er, was er antworten sollte und nickte dann einfach nur.
Reed gab ein unsicheres Seufzen von sich. „Wer von uns ist der, welcher gefickt wird?“ Diese Frage brannte schon die ganze Zeit in ihm.
Caleb richtete sich auf. Er hatte bei Reeds Fragen ein ungutes Gefühl. „Beide?“, antwortete er vorsichtig.
Reed blickte ihn mit zusammen gekniffenen Augen abschätzend an. Er musste mehr erfahren. „Ausgeglichen?“
Caleb schloss besorgt die Augen und öffnete sie gleich darauf wieder. Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein“, gab er leise zu.
Reed betrachtete ihn nachdenklich. Caleb sah schlecht aus, stellte er fest. Mit jedem Tag ging es dem jungen Mann anscheinend schlechter und obwohl er spürte, dass es diesem unangenehm war, darüber zu sprechen, fragte er weiter. „Du fickst mich. Richtig?“
Reed starrte Caleb durchdringend an. Er konnte es nicht fassen, als dieser zögernd nickte. „Hör zu. Es tut mir leid, aber ich empfinde nichts für dich, auch wenn es mal so gewesen sein sollte. Darum möchte ich, dass du dich von mir fern hältst. Ich tue dir nicht gut und wenn du in den Spiegel schaust, siehst du das ebenfalls. Also geh jetzt bitte und komm nicht wieder.“
Caleb starrte ihn entsetzt an. Das konnte sein Gefährte doch nicht wirklich so meinen! „Was? Aber ...“, begann er, wurde aber unterbrochen.
„Lass es, Caleb. Ich bin nicht schwul, da bin ich mir ziemlich sicher. Auch wenn du ein hübscher Kerl bist, reicht das nicht aus, dass ich freiwillig die Beine für dich breit machen würde. Also verschwinde endlich. Ich möchte dich nicht mehr sehen!“ Nach diesen Worten stand Reed vorsichtig auf und verließ humpelnd das Zimmer.
Caleb blieb geschockt sitzen. Etwas später stand er ebenfalls auf und verließ bedrückt das Zimmer. Als er durch den Empfang ging, hörte er ein Mädchen lachen und drehte unwillkürlich den Kopf. Was er sah, brach ihm das Herz und sein Wolf winselte bestürzt in ihm.
Reed saß auf einem der Stühle und beugte sich gerade zu einer jungen Krankenschwester vor. Dabei nahm er ihre Hand und zog das kichernde Mädchen auf seinen Schoß. Caleb konnte nicht weiter dabei zusehen und rannte regelrecht davon. Völlig verstört, setzte er sich in sein Auto. Hoffnungslosigkeit erfüllte ihn und er wollte weinen, doch er konnte nicht. Es war alles aus und vorbei. Nun hatte er seinen Gefährten endgültig verloren.
**********
Oh weh ...
Warum erinnert sich Reed nicht? Oder möchte er sich nicht erinnern?
Und was passiert mit Caleb, wenn er seinen Mate verliert? Während Reed von ihrer Verbindung nichts mehr weiß, sieht es bei Caleb anders aus.
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