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Reed stand mit seinem Vater und Sally am Flughafenterminal und verabschiedete sich von ihnen. 

Sally nahm ihren Stiefsohn liebevoll in die Arme und drückte ihn an sich. Sie hatte sich von Anfang an mit ihm verstanden und liebte ihn jetzt schon wie ihren eigenen Sohn. „Melde dich, wenn du angekommen bist“, forderte sie und wartete auf Reeds zustimmendes Nicken. „Und sieh zu, dass du regelmäßig isst. Ich habe das Gefühl, du hast abgenommen.“ 

Reed versprach auch das. Dann wandte er sich an seinen Vater. „Dad. Leb wohl. Pass auf Sally und die Babys auf“, sagte er mit emotionsloser Stimme. Er fühlte sich innerlich wie abgestorben. Selbst die Herzschmerzen durch die Trennung zu seinem Mate waren in den Hintergrund getreten. 

„Ich wünschte ...“, begann sein Vater, doch Reed unterbrach ihn. 

„Es ist am besten so, glaube mir.“ Reed versuchte ein Lächeln. 

„Letzter Aufruf für Flug ...“, kam die Durchsage.

Reed lächelte seinen Vater und Sally traurig an. „Das ist mein Flug. Ich muss gehen. Macht es gut.“ Damit drehte er sich um und ging durch das Gate zu seinem Flieger.

„Was ist am besten so? Was meinte er? Und warum siehst du so traurig aus? Was verheimlicht ihr beide vor mir?“ Sally hatte die eigenartige Atmosphäre zwischen Vater und Sohn durchaus gespürt. 

Burke schüttelte den Kopf. „Das erkläre ich dir, wenn die Babys da sind. Jetzt lass uns gehen, du siehst erschöpft aus“, wich der Alpha aus. 

Sally war besorgt, denn so hatte sie ihren Geliebten noch nie gesehen. Er wirkte aus einem unbekannten Grund verzweifelt. Trotz aller Sorge akzeptierte sie Burkes Wunsch und fragte vorerst nicht mehr nach. Es dauerte ohnehin nicht mehr lange, bis die Kinder zur Welt kamen, dann würde sie erfahren, um was es hier gerade ging.

*****

Caleb schaffte den Weg nach Hause in neuneinhalb Stunden. Unterwegs hatte er seine Eltern angerufen, die ihn aufgebracht zusammenstauchten, sodass er den Kopf einzog, als stünden sie vor ihm. Endlich fuhr er auf ihr Anwesen und wurde bereits von seinen Eltern erwartet. Auch Reeds Vater stand dabei und starrte ihn böse an. Besorgt stieg er aus und eilte zu ihnen, wobei er sich suchend umsah. Wo war Reed? War es bereits zu spät?

„Caleb, warum tust du so etwas deinem Mate an? Hasst du ihn so sehr?“ Seine Mutter sah ihn enttäuscht an.

„Oder liegt es daran, dass er ein Mann ist und ihr keine Kinder bekommen könnt?“ Drake schüttelte bei seiner Frage den Kopf. „Wenn es das ist, sollte es nicht zwischen euch stehen. Es gibt doch andere Möglichkeiten, Kinder zu bekommen. Ihr könntet welche adoptieren oder euch eine Leihmutter suchen.“

Caleb ignorierte die Fragen und kam endlich vor den drei Wölfen zum Stehen. „Wo ist er? Warum ist er nicht hier? Ist es schon zu spät?“ Seine Stimme brach. Reed durfte nicht tot sein!

„Er ist nicht da. Reed ist zu seinem Onkel geflogen, um dort zu sterben, und zwar alleine! Er wollte nicht, dass Sally und ich ihm dabei zusehen müssen. Was hast du dir dabei gedacht, Caleb?“ Burkes Alpha-Stimme war ein einziges tiefes Grollen. 

Caleb zog unbewusst den Kopf ein und senkte ergeben den Blick. So hatte er Reeds Vater noch nie erlebt. Burke war eigentlich ein ruhiger, gerechter Mann, der selten seinen Alpha hervorbrachte. Dass er dies hier und jetzt tat, bezeugte von seiner Sorge um seinen Sohn. 

„Ich wusste nicht, dass so etwas passieren kann“, versuchte Caleb sich zu verteidigen.

„Das sollen wir dir glauben? Das lernt ihr in der siebten Klasse!“ Burke trat aufgebracht einen Schritt nach vorne, wurde aber von Hollys Hand sanft zurückgedrängt. 

„In der siebten...? Da habe ich ein viertel Jahr gefehlt. Das war das Jahr, in dem ich krank wurde und dieses Wolfsfieber hatte“, warf Caleb ein.

„Stimmt, daran erinnere ich mich. Dann hast du das Thema vielleicht gar nicht mitbekommen.“ Die Luna schien ein wenig erleichtert. Sie hatte schon Angst, ihr Sohn habe sich mit Absicht geweigert, Reed zu kennzeichnen.

„Ist doch jetzt auch egal“, warf Drake ein. „Du musst ihm folgen und dir bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Damit wandte er sich an Burke und nickte diesem zu.

Reeds Vater kramte in seiner Gesäßtasche und förderte ein Flugticket zutage. „Hier, nimm das“, brummte er und reichte es Caleb. „Dein Flug geht in vier Stunden. Sieh zu, dass du ihn markierst, denn tust du es nicht, dann töte ich dich!“ 

Caleb nahm das Ticket schweigend entgegen und nickte. „Dazu haben sie meine Erlaubnis, Alpha Burke“, gab er zurück. Holly keuchte entsetzt, blieb aber still.

Burke sah sich den Mate seines Sohnes nun genauer an. Caleb wirkte übermüdet. Seine Kleider saßen nicht richtig und er wirkte verschwitzt. Er sah aus, als wäre er, ohne ein einziges Mal anzuhalten, sofort hierher zurückgekommen. „Hast du eine Pause gemacht?“ Burke sah ihn fragend an und Caleb schüttelte den Kopf. 

„Ich wollte keine Zeit verlieren“, antwortete er leise. „Zudem ich glaube, dass Reed es mir nicht leicht machen wird, ihn zu markieren. Dafür werde ich wohl etwas Zeit benötigen.“ 

Burke seufzte. „Das wird er wirklich nicht, denn er hasst dich aus vollem Herzen. Du hast ihn durch deine Weigerung, ihn zu kennzeichnen, sehr verletzt. Wenn es sein muss, zwing ihn dazu. Er soll leben. Auch wenn das bedeutet, dass du ihn fesseln und knebeln musst. Er wird sich dir mit Sicherheit widersetzen.“

„Ich werde mein Bestes geben und verspreche ihnen, dass er am Leben bleiben wird. Auch wenn das für uns bedeutet, dass er mich ein Leben lang hasst“, gab Caleb leise von sich. 

Holly fing nun an zu sprechen. „Jetzt komm rein, Caleb. Du musst etwas essen und ein Bad nehmen, denn du stinkst.“ Damit ging sie ins Haus, gefolgt von ihrem Gefährten Alpha Drake. 

Caleb setzte sich in Bewegung, um seinen Eltern zu folgen, da hielt ihn Burke noch einmal auf. 

„Rette meinen Sohn, ich bitte dich. Er ist das Einzige, was mir von meiner ersten Frau geblieben ist“, bat der Alpha leise. 

Caleb nickte. „Ich schaffe das“, versprach er. 

„Das hoffe ich, denn Reed hat den Starrsinn meiner verstorbenen Geliebten. Er wird es dir nicht leicht machen.“ Dann wandte er sich ab und ging zu seinem Auto.

Caleb sah Reeds Dad hinterher, der in sein Auto stieg und davonfuhr. Erst als der Wagen verschwunden war, ging auch er ins Haus. 

*****

Wieder einmal streunte Reed durch die Wälder seines Onkels. Lark trauerte weiterhin in ihm und schien aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben. Er wechselte zwischen den Gestalten, denn er wollte später völlig erschöpft sein, damit er nicht nachdenken konnte und sofort einschlief. Es war der zweitletzte Tag seines Lebens. Morgen Abend würde er sterben und er hatte große Angst davor. 

Reed würde nicht mehr zu seinem Onkel zurückkehren, denn er wollte nicht, dass eine andere Person ihm beim Sterben zusah. Auch hatte er jeden blockiert, damit ihn niemand finden konnte. 

Da er in den vergangenen Tagen nur wenig essen konnte, war er ziemlich geschwächt, trotzdem jagte er in seiner Wolfsform wie ein Irrer durch die Gegend. Auf einem Felsen blieb er stehen und gab ein wütend-schauriges Heulen von sich, das in einem traurigen Ton endete. Plötzlich wandelte er sich. In menschlicher Gestalt sackte er in sich zusammen und fing hemmungslos an zu schluchzen. 

Nachdem Reed über eine Stunde geweint hatte, schlief er erschöpft an Ort und Stelle ein. Es war ihm egal, dass er dabei nackt war und es zunehmend kälter wurde. Kurz darauf ging die Sonne unter. 

*****

Caleb hatte auf dem Flug versucht, etwas zu schlafen. Er würde seine ganze Kraft benötigen, um Reed davon zu überzeugen, ihn markieren zu dürfen, das war ihm absolut bewusst. Endlich landeten sie und er stieg aus dem Flieger. 

Reeds Onkel Garret würde ihn abholen und über alles aufklären. Als er durch das Terminal trat, sah er schon einen Mann, der Burke ziemlich ähnlich sah. Sofort steuerte er auf diesen zu. „Sind sie Garret?“ Fragend blieb er stehen und spürte im nächsten Moment eine Faust in seinem Gesicht und fiel wie ein Sack zu Boden.

„Du mieses Balg! Du hast Reed überhaupt nicht verdient. Er hat mir von dir erzählt und wenn du nicht der Einzige wärst, der ihn retten kann, würde ich dich hier und jetzt töten“, keifte Garret und beugte sich mit funkelnden Augen über ihn. Dann drehte er sich wütend um. „Und jetzt komm. Wir müssen ihn suchen. Er ist irgendwo im Wald unterwegs. Normalerweise kann ich ihn über unseren Mind-Link rufen, aber er hat alle ausgesperrt und das bedeutet nichts Gutes.“ 

Caleb rappelte sich vom Boden auf und folgte dem wütenden Alpha, der mit energischen Schritten davonlief. Schweigend stiegen sie ins Auto ein und fuhren los. 

„Meine Männer suchen bereits nach ihm. Uns bleiben nur noch knapp eineinhalb Tage, um ihn zu finden. Ich hoffe, er kommt noch einmal nach Hause, was ich allerdings bezweifle. Du bist wahrscheinlich der Einzige, der ihn finden kann. Du musst nur seinem Geruch folgen. Da du sein Mate bist, müsstest du ihn riechen können.“ Garret hatte Caleb keines einzigen Blickes gewürdigt, während er ihm alles erklärte. Die Hände umklammerten wütend das Lenkrad, so, dass die Knöchel weiß hervorstachen. 

Zwei Stunden später, in der kein weiteres Wort mehr gefallen war, kamen sie endlich am Haus des Alpha an. Caleb stieg aus und streckte sich kurz. Er war verspannt. Die lange Fahrt von seiner Tante nach Hause, der Flug, dann noch diese Fahrt hierher hatten seinen Muskeln hart zugesetzt. 

„Komm. Du musst etwas essen, denn du wirst deine Kraft brauchen. Reed wird sich dir mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln widersetzen. Allerdings ist er ziemlich geschwächt, denn er hat kaum noch gegessen“, sagte Garret und sah ihn forsch an. „Dir ist aber schon klar, dass du in ihm sein musst, wenn du ihn beißt?“, fragte er dann nach und sah erleichtert, dass Caleb nickte. 

„Ich weiß. Mein Vater hat mich ausreichend darüber aufgeklärt“, antwortete Caleb leise, während er Garret mit gesenktem Kopf folgte. 

Zusammen gingen sie ins Haus und gleich darauf in die Küche. Caleb hatte noch kein einziges Wort gesprochen. Er aß, was ihm vorgesetzt wurde, ganz automatisch und ohne etwas davon zu schmecken. Seine Gedanken kreisten permanent um Reed. Was er gehört hatte, bereitete ihm große Sorgen und es war seine Schuld.

Eine Viertelstunde später rannte Caleb in seiner Wolfsform an der Seite von dem braunen Wolf von Garret in den Wald. So langsam wurde es dunkel. Eine ganze Weile jagten sie durch die Dunkelheit, bis sie sich dazu entschieden, jeder solle für sich weitersuchen, also trennten sie sich. 

*****

Caleb hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Er war die ganze Nacht durch die Gegend gelaufen, auf der Suche nach seinem Gefährten. Nun wurde es bereits hell und die Sonne verdrängte nach und nach die Dunkelheit der Nacht. Ihm taten die Pfoten weh, denn er hatte, ohne auch nur eine einzige Pause einzulegen, nach seinem Gefährten gesucht. 

Der junge Alpha war maßlos erschöpft, dennoch wollte und konnte er nicht aufgeben. An einem Bach blieb er schließlich stehen und löschte gerade seinen Durst, als ihm der Duft nach Lavendel in die Nase stieg. Sofort hob er schnuppernd den Kopf. 

Da war er. Endlich hatte er Reeds unverkennbaren Duft in der Nase. Mit neu gewonnener Energie folgte er der Spur und traf kurze Zeit später auf seinen Mate, der sich gerade am Ufer des Baches erfrischte. Langsam nahm Caleb seine menschliche Gestalt an.


**********

Was wohl jetzt passiert?
Wird Reed sich von Caleb kennzeichnen lassen?
Kann er ihm verzeihen?
Wir werden sehen...

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