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In einem schnellen, beständigen Rhytmus rannte ich los durch die offene Haustür und hatte dabei nicht vor, je wieder stehen zu bleiben.
Die Sonne stand hoch am Himmel, wodurch viele Leute auf den Straßen unterwegs waren. Ihre neugierigen Blicke verfolgten mich, doch ich ignorierte sie und auch die Tatsache, dass ich nur einen Schlafanzug an einem zitternden Körper trug ... Im Endeffekt ignorierte ich alles und jeden um mich herum. Leider war ich dadurch so von den Gedanken an die vorherige Situation eingenommen, dass ich unachtsam an einer Bordsteinkante hängen blieb und voller Wucht auf dem harten Asphalt vor mir prallte.
"Verdammt!", fluchte ich laut auf und drehte mich unter höllischen Schmerzen auf meinen Rücken, um mein Knie fest zu umfassen. Es blutete von den tiefen Schrammen, jedoch ließ dieser Schmerz aufgrund meines Adrenalins schnell wieder nach. Viel heftiger traf mich die plötzliche Erkenntnis, was überhaupt passiert war und auch die Konsequenzen meiner unüberlegten Handlungen kamen mir in den Sinn.
Ich hatte mich mich meinem Alpha widersetzt und war vor ihm geflohen ... Meine Eltern würden mich dafür wahrscheinlich bis zu meinen Lebenende im Keller einsperren. Doch konnten sie das überhaupt noch? Dieser Unbekannte schien nicht vorzuhaben, mich abzulehnen oder hier zu lassen, was mein Herz vor Aufregung wieder zum rasen brachte.
"Hey, ist alles in Ordnung? Brauchst du Hilfe?"
Ein älteres Ehepaar blieb genau neben mir stehen und als ich überfordert zu ihnen aufblickte, schüttelte ich den Kopf und erkannte sie, als Mr. und Mrs. Jansons.
"Alles gut", gab ich mit großen Augen von mir und rappelte mich dabei wieder auf, wonach ich sofort bemerkte, was für ein unfassbarer Schmerz mir durch mein gesamtes Bein jagte. Zähne zusammen beißend drehte ich mich wieder in die Richtung herum, in die ich flüchten wollten und auch, wenn ich nun mehr humpelte als lief, setzte ich weiterhin entschlossen einen Fuß vor den anderen.
Es würde nicht mehr weit sein ...
Immer mehr Leute drängten sich auf dem Bürgersteig an mir vorbei und schienen dabei in Eile zu sein. Vermutlich hatte Lorcan sich bereits verwandelt und seine höheren Rudel Mitglieder zur Hilfe gerufen. Meinem Gefährten schien es aber immer noch gut zu gehen. Das spürte ich durch die unsichtbare Verbindung ... Zumindest jetzt noch ...
Als ich dann endlich am ende der Straße ankam, bog ich zur Seite ab und durchlief eine kleine Gasse, die direkt zu dem Baumhaus führte, auf dem ich früher mit Liriel immer über Jungs gelästert hatte. Noch nie hatte ich diese Zeiten so sehr vermisst, wie an diesem Tag.
"Ach! Hallo, Marcelina!"
Lächelnd wank ich einer Freundin meiner Mutter zu, die ihren großen Garten direkt hier am Waldrand hatte. Es passte mir gar nicht, dass sie mich gesehen hatte. Anderseits war es egal ... Wenn sie mich finden wollen würden, würden sie mich sowieso finden ...
Außer ...
Ich erspähte gerade das Baumhaus, da sah ich aber zu meiner Seite in den tiefen Wald hinein. Nie hatte ich die Grenze unseres Gebiets überquert und ich war mir auch sicher, dass ich es Lorcan nicht wert sein würde, so weit nach mir zu suchen. Dafür war ich ihm zu unwichtig ...
Schweren Herzens starrte ich noch mal zum Baumhaus herüber und kehrte diesem aber schnell wieder den Rücken zu, um über die knackenden Äste und Blätter immer tiefer in den Wald hinein zu laufen. Mein Knie schmerzte bei jeder noch so zaghaften Bewegung, doch ich lief trotzdem weiter. Was anderes blieb mir auch nicht mehr übrig, nur wegen ihm ...
Er hatte mich in eine Lage gebracht, in die ich nie geraten wollte. Mein sehnlichster Wunsch war immer ein Gefährte, der mir ebenwürdig wäre und am besten jemanden aus dem eigenen Rudel. Sogar Charlie wäre mir lieber gewesen und für einen Moment vermisste ich diesen Vollidioten sogar. Jetzt musste ich aber damit leben und während ich gedankenverloren meine beschissene Lage immer wieder durchging, bemerkte ich erst viel zu spät, dass ich die gesamte Zeit über verfolgt wurde.
Unauffällig sah ich mich zwischen den vielen Bäumen um, doch ich erkannte niemanden. Einzig die fremden Gerüche drangen mir in die Nase und ließen mich erkennen, dass es keine Wölfe meines Rudels waren.
Genau das machte mich auch bei jedem Schritt immer nervöser und als ich unter Hochspannung plötzlich hinter mir ganz genau hörte, wie mehrere Äste laut knackten, schleppte ich mich einen Schritt schneller humpelnd zwischen den dichten Bäumen hindurch, bis ich die Grenze unseres Gebietes überquerte und mich fassungslos darüber herumdrehte.
Erzählungen zufolge sollte wir uns nie so weit weg von der Stadt bewegen. Vor allem nicht als Jungwolf. Uns wurden Furcht einflößende Geschichten über Rouges erzählt. Unbarmherzig sollten sie ihre Opfer nieder strecken und dabei keine Reue zeigen.
Doch hier befanden sich keine Rouges ... Ihr widerlicher Geruch würde alles andere übertönen und tagelang noch an den Bäumen haften. Hier war aber nicht einmal der Hauch eines Geruchs, außer mein eigener und der von den Wölfen, die mich seit der Stadt verfolgten.
Da wurde mir klar, dass diese Erzählungen nur Märchen waren. Erfunden von unserem Alpha, um uns nicht zu viel Freiheiten zu geben. Das vermutete ich jedenfalls.
"Ich weiß, dass ihr da seid! Verschwindet!", rief ich etwas lauter und hoffte wirklich, es wären nur Patrouillen Wölfe von Lorcan. Ihren Geruch würde ich nicht erkennen und es würde mich beruhigen, wenn ich Recht behalten würde, da sie mir garantiert nichts tun würden.
Es kam jedoch auch nach langen Sekunden keine Antwort zurück und ich drehte mich schnell wieder in die andere Richtung, um eilig zwischen den Bäumen zu verschwinden.
"Dämliche Köter", regte ich mich auf, als ihr Geruch mich weiterhin verfolgte. Ich holte gerade tief Luft, um ihnen erneut klar zu machen, mich in Ruhe zu lassen, da schrie ich jedoch laut auf. Unachtsam war ich in etwas hinein gelaufen und mich nahm von jetzt auf gleich ein grauenvoller Schmerz ein, der schlimmer war, als alles, was ich je zuvor gespürt hatte.
Am ganzen Körper zitternd sah ich vollkommen geschockt herab zu meinen Fuß, der in etwas gefangen war, was ich nie zuvor gesehen hatte. Es bestand aus hartem Stahl und hatte scharfe Klingen, die sich um meinen Knöchel herum tief in meine Haut rammten.
"Oh - Gott!", brachte ich unter Tränen der Verzweiflung hervor und wollte mich hektisch herunter beugen, um dieses Teufelsgerät von meinem Bein abzunehmen. Unter Panik spürte ich aber sofort, dass es sich bei meiner Bewegung nur noch enger um meinen Knöchel spannte und stieß erneut einen tränenerstickten Aufschrei heraus.
Mein gesamter Körper bebte schon von Schmerz und Verzweiflung eingenommen und ich wusste mir überhaupt nicht mehr zu helfen. Am liebsten hätte ich mich einfach fallen gelassen, da das Stehen mir zunehmend schwerer fiel. Bevor ich mich allerdings ganz hätte aufgeben können, hörte ich plötzlich schwere Schritte überall um mich herum und hielt vor Anspannung den Atem an.
Meine Augen huschten zu allen Richtungen und ich sah unter Tränen dabei zu, wie mehrere dunkle Wölfe zwischen den Bäumen direkt auf mich zukamen. Sie umzingelten mich zwar, schienen jedoch nicht feindlich gesinnt, was mir trotzdem kein Trost war. Dafür war meine Situation zu aussichtslos.
"Helft mir ... bitte", gab ich gequält von mir und sah einem von ihnen genau in die Augen. Er musterte mich neugierig und wollte gerade einen weiteren Schritte auf mich zu, da setzte er aber schlagartig zurück und neigte seinen Kopf zu Boden.
"Nicht bewegen!"
Allein seine so dunkle Stimme hinter mir, jagte mir eine Gänsehaut über meine Arme, während sein Geruch in mir das Gefühl von absoluter Sicherheit auslöste. Ich wusste jedoch, dass es nur Illusion war. Er war nicht mein Held - sondern derjenige, der mich erst in diese Situation gebracht hatte.
Ich regte mich nicht. Keinen Millimeter mehr. Auch dann nicht, als er langsam um mich herumtrat und mich von oben bis unten zu begutachten schien. Meine Augen lagen starr ins Nichts gerichtet, um ihm mit aller Macht zu beweisen, dass er mich nicht im Geringsten interessierte. Als sich jedoch einzelne Tränen über meine Wangen schlichen, wandte ich mein Gesicht doch zu ihm auf und verlor mich in seinen so dunklen Augen.
Er war groß. Sehr viel größer, als ich in Erinnerung hatte. Sein Gesicht schien ohne Ausdruck, wobei mir aber auffiel, dass seine Pupillen sich weiteten, umso länger wir uns tief in die Augen sahen. Er sagte nichts und beobachtete mit einem faszinierenden Ausdruck meine Tränen, was mich mehr als nur beschämte. Ich wollte nicht, dass er mir meine Schmerzen ansehen würde. Wollte nicht, dass er denken würde, mich retten zu müssen - doch er tat es trotzdem.
Ohne seine Augen auch nur für eine Sekunde von meinen zu nehmen, ging dieser Mann plötzlich vor mir ganz langsam in die Hocke und bereitete mir damit nur noch mehr Herzrasen. Ich hatte noch nie gesehen, dass ein Alpha sich freiwillig unter jemanden begab und auch die Wölfe um mich herum, reagierten unruhig auf seine Handlung.
"Nicht erschrecken, kleines Geschöpf", flüsterte er zu mir auf und auch, wenn seine Stimme nur ein Hauchen war, drang seine Dominanz in jedem einzelnen Wort durch.
Ich war so eingenommen davon, zu ihm herabzusehen, dass ich meine Schmerzen kaum noch wahrnahm, bis ich erschrocken zusammenzuckte, als er das Metall mit einem Ruck auseinander riss und ich durch einen hektischen Schritt rückwärts zu Boden fiel.
Unter Tränen setzte ich mich sofort auf und umfasste meinen Knöchel, der umgeben von tiefen Einschnitten des Metalls war. Es schmerzte so sehr, dass ich meinen Kiefer durchgehend anspannen musste, um nicht jaulend vor ihm und seinen Wölfen zusammenzubrechen.
"Lass mich mal sehen", meinte der Alpha vor mir anschließend ohne jeglichen Ausdruck und wollte gerade meinen Fuß in seine Hand nehmen, da trat ich jedoch mit meinem anderen Bein aus und erwischte fast sein Gesicht, was ihn bedrohlich zum Knurren brachte.
"Verschwinde!", zischte ich und wollte mich am liebsten verwandeln, da als Wölfin der Schmerz schneller nach lassen und die Verletzung schneller heilen würde. Als Jungwolf hatte ich aber noch nicht die Kontrolle darüber, mich spontan zu verwandeln und egal wie sehr ich mich gerade anstrengte, es klappte einfach nicht. Mir entging dabei nicht, wie dämlich dieser Alpha plötzlich zu grinsen begann, während er sich wieder aufstellte.
"Deine Wölfin wird dir nicht helfen, vor mir zu fliehen."
Irrtiert starrte ich zu ihm auf und verstand im nächsten Moment, was er damit meinte. Natürlich würde meine Wölfin die Verwandlung nicht zulassen. Erst Recht nicht, da mein Verstand ihr mit allen Sinnen mitteilte, dass ich vor ihrem Gefährten flüchten wollte.
"Ich brauche sie nicht, um vor dir abzuhauen!", giftete ich wütend zu ihm auf und während ich ihn weiterhin feindseelig anstarrte, rappelte ich mich unter unerträglichen Schmerzen wieder auf. Mir entging nicht, dass er beeindruckt eine Augenbraue hob, als ich genau vor ihm wieder sicher auf beiden Füßen stand, doch es war mir egal. Ich wollte ihn gar nicht beeindrucken.
Als ich mutig mein Kinn anhob und er nur den Kopf leicht schief legte, um mich intensiv zu mustern, fiel mir schlagartig das Blut auf, dass er an seinen Armen kleben hatte. Ich riss ungläubig meine Augen auf und ärgerte mich, es durch sein schwarzes Shirt zuvor nicht wahrgenommen zu haben.
"Von wem-", fing ich beinahe atemlos an und ertrug die Vorstellung nicht, es könnte auch Blut meiner Eltern an seinen Händen kleben.
"Euer Alpha ist tot."
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Ich hoffe ihr habt Spaß an meiner Geschichte! Was jetzt wohl passiert, wenn es wirklich stimmt, was der Unbekannte sagt 😬
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