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Tot. Luke war tot, und das noch am nächsten Morgen, als ich aufstand.

Das war kein böser (oder doch ein guter?) Traum, sondern Realität.

Ich stand von meinem warmen und gemütlichen Bett auf und bewegte mich auf mein Bad zu.

Dort angekommen blickte ich in den Spiegel. Ich sah genauso langweilig mit meinen langen braunen Haaren und den blau grünen Augen aus, wie immer.

Ich führte meine morgendliche Routine weiter fort, um von meinen Gedanken von Luke abzulenken. Er war tot. Und anscheinend machten mich viele dafür verantwortlich. Denn jeder wusste, dass ich ihn dafür hasste, was er mir jeden Tag in der Schule antat. Das Motiv hatte ich vielleicht, aber trotzdem konnte ich so etwas niemals tun.

Vor meinem einfachen weißen Kleiderschrank überlegte ich kurz, was ich anziehen sollte. Am besten wäre wahrscheinlich etwas unauffälliges, um nicht zu sehr aufzufallen.

Meine Klamotten bestanden zu einem Großteil aus langweiligen und einfarbigen Oberteilen und Jeans. Dadurch hoffte ich irgendwie, nicht allzu sehr auf mich aufmerksam zu machen. Das klappte nicht immer, trotz meiner Kleiderwahl wurde ich Opfer von dummen Sprüchen.

Aber heute in der Schule werde ich mehr denn je auffallen. Viele hatten den Account 'wegmitmonaderkillerin' abonniert. Die meisten hatten bestimmt auch von der Theorie, ich hätte Luke getötet, gehört.

Und wenn jemand beliebtest so etwas sagte, glaubte man das und machte mit bei den Aktionen, wie dieses Instagramprofil, mit.

Hoffentlich hatte man das bald wieder vergessen und man fand den Schuldigen, der für den Mord verantwortlich war. Dann glaubten die anderen sicher auch, dass ich nichts damit zu tun hatte. Aber das brauchte vermutlich seine Zeit. Und diese Zeit musste ich nun durchstehen. Alleine. Mal wieder.

Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich bei diesen Gedanken angefangen habe zu weinen. Die kalten salzigen Tränen bahnten sich den Weg von meinem Auge hinunter zu meinem Mund, wo ich sie auf den Lippen spürte.

Da hatten sie es mal wieder geschafft, mich so weit zu bringen, dass ich heulte. Sie hatten doch schon was sie wollten, warum hörten sie dann nicht auf? Ich hatte ihnen doch nicht mal etwas getan.

Verbittert über diese Gedanken wischte ich mir die Tränen weg und machte mich auf dem Weg ins Esszimmer, um schnell etwas zu essen.

Glücklicherweise war meine Mutter bereits auf der Arbeit, sodass sie mich nicht so mit verheultem Gesicht sah. Sie war Krankenschwester im städtischen Krankenhaus und arbeitete deshalb in Schichten, oft war sie deshalb in der Früh oder auch Nachts nicht hier im Haus.

Aber trotzdem hatte sie nicht vergessen mir ein Brot für die Schule zu machen. Um mir selbst ein Vesper zuzubereiten, hatte ich einfach keine Zeit in der Früh.

Ein Stück Brot von gestern musste als Frühstück diesmal ausreichen, da ich nichts anderes zu Essen fand. Meine Mutter ging erst wieder heute nach der Arbeit einkaufen.

Ich packte noch schnell meine Sachen zusammen und ging aus dem Haus und schloss hinter mir mit meinem Schlüssel ab, den mir meine Mutter nach langer Diskussion hat anfertigen lassen, ab.

*

Ich hatte richtige Angst vor diesem Schultag. Ich wurde ja auch für einen Mord verantwortlich gemacht und das von vielen, denn der neue Instagramaccount, mit dem Namen "wegmitmonaderkillerin", hatte ja auch ziemlich viele Follower bekommen. Die Bilder auf dem Account wollte ich mir gar nicht ansehen.

Da stand ich also vor der Schule und Panik, die mir kurz den Atem raubte und meine Knie zittrig werden ließ, kam in mir auf. Aber wenn ich jetzt nicht in die Schule gehen würde, werden die noch mehr denken, dass ich was mit dem Mord zu tun hatte.

Das kannte ich schon aus diversen Krimiserien, die ich oft, chipsessend, mir abends vor dem Fernseher anschaute.

Aber das hier war keine Serie sondern die Realität, und die war meistens noch schlimmer.

Der Schulgong riss mich aus meinen eh schon viel zu panischen Gedanken. Dann sollte ich mich wohl besser beeilen ins Klassenzimmer zu kommen.

Ich gelangte gerade noch so vor dem Lehrer ins Klassenzimmer und setzte mich an meinen Stammplatz, der zum Glück noch frei war.

Auf dem Weg dorthin wurden mir ein paar verächtliche Blicke zugeworfen, aber ich kam lebend dort an. Denn niemand traute sich vor unserem strengen Deutschlehrer was gegen mich zu sagen. Außer er hätte Lust auf Nachsitzen.

"Ruhe!", schrie der hagere Mann, um die Klasse ruhig zu stellen, was auch funktionierte, denn er hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit von jedem Schüler, einschließlich mir. Unser Deutschlehrer war einer der wenigen Lehrern, vor denen die Schüler wirklich Respekt hatten.

"Wer Hilfe bei der Trauerbewältigung braucht, im Sekretariat stehen die nächsten paar Tage Trauerbegleiter zur Verfügung, mit denen ihr sprechen könnt", kam es von dem strengen Lehrer, fast sogar ein bisschen sanft und einfühlsam. Hätte ich gar nicht erwartet, dass er diese strenge Stimme auch mal ablegen konnte.

Und auch hier im Unterricht wurde ich mal wieder daran erinnert, dass Luke tot war. Ermordet um es genauer auszudrücken. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter.

Wie sollte ich bloß den ganzen Schultag überleben?

Daraufhin fing Katy, eine der Schulschlampen, an zu heulen und ein paar Schüler blickten mich vorwurfsvoll an. Als ob ich was dafür konnte, dass er tot war! Aber das glaubten die ja anscheinend wirklich.

Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden fing der Deutschlehrer mit dem langweiligen Unterricht an.

*

Immer wieder wurden während des Unterrichts Schüler in das Sekretariat gerufen und wurden dort von der Polizei befragt zu dem Mord an Luke.

Ich hoffte ich werde nicht auch befragt, doch keine paar Minuten später fand auch ich mich vor dem Sekretariat wieder. Hier war ruhiger als in anderen Teilen der Schule, wo Unterricht stattfand. Das lag vermutlich daran, dass die Polizei hier war und die Lehrer deswegen extra drauf achteten, dass sich hier auch jeder richtig benahm.

Nachdem ich ein paar Minuten hier rumstand, ohne, dass mir jemand Beachtung schenkte, hörte ich eine Stimme hinter mir, die eindeutig einem Mann gehörte, obwohl sie etwas hoch war:
"Mona Siller? Kommen sie bitte mit in das Besprechungszimmer", hörte ich den einen Polizisten zu mir sagen. Seine Stimme ließ nicht deuten, was er dachte, sie war emotionslos, kalt und hörte sich so an, als ob er jeden Tag den gleichen Satz tausendmal wiederholen müsste.

Wie in Trance folgte ich den beiden Beamten in das Besprechungszimmer. In dem Raum befand sich ein großer Holztisch, an dem Stühle standen. An den Wänden hing ein großes Bild, auf dem ein Wald mit Bergen abgebildet waren. Sonst befand sich nichts mehr in dem Zimmer.

Die Atmosphäre war angespannt und kalt. Ich spürte die musternden Blicke der Polizisten auf mir, als wollten sie abschätzen, ob ich fähig wäre, jemanden wie Luke zu töten.

Mit einem Nicken signalisierten sie mir, dass ich mich ihnen gegenüber setzen sollte, was ich auch tat. Mit einem lauten Quietschen schob ich den Stuhl zurück. Augenblicklich wurde ich rot, warum musste mir das jetzt passieren?!

In den Blicken der Männer konnte ich Ungeduld feststellen. Schnell setzte ich mich hin, darauf bedacht keine peinlichen Geräusche zu verursachen. Meinen Blick hatte ich auf die braune Tischplatte gesenkt und betrachtete das Muster.

"Kannten sie Luke Thomas gut?", war die erste Frage an mich. Zitternd antwortete ich:"N-nein... ich hab nicht viel mit ihm... gesprochen." Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass der größere von den beiden nickte. Der andere jedoch musterte mich eindringlich, was mich zittern ließ. Er blickte mich so an, als wollte er wirklich sicher gehen, dass ich nicht log.

Was ich auch nicht wirklich getan hatte. Luke sprach mich zwar oft an, aber ich redete nie mit ihm, ich ignorierte ihn größtenteils.

"Uns wurde gesagt, sie hätten nicht das beste Verhältnis zu Luke. Sie hätten ihn sogar gehasst", kam von dem Mann, der mich stumm gemustert hatte.

Ich zuckte leicht zusammen. Hoffentlich hatten das die Polizisten gesehen und erwischten mich jetzt beim Lügen.

Katy. Ganz bestimmt war sie das. Naja, bestimmt nicht nur sie. So wie die anderen mich angeschaut haben, könnten das viele gewesen sein. Die wollen mich eh alle los haben.

"Naja, hassen ist etwas übertrieben, i-ich kenne ihn nicht wirklich," sage ich mit überraschend fester Stimme. Wenn ich beweisen wollte, dass ich unschuldig war, musste ich überzeugend klingen.

Als woolten sie die Befragung schnell hinter sich bringen, fragten sie auch schon die nächste Sache, die sie von mir wissen wollten:"Kennen sie jemanden, der ein Motiv gehabt hätte ihn zu töten?"

Woher sollte ich das denn wissen, wenn ich ihn nicht mal richtig kannte?! Also antwortete ich nur mit:"Nein." Mit dieser Antwort konnte ich eigentlich nichts wirkliches falsch machen, dachte ich mir.

"Wenn wir noch weitere Fragen an Sie haben, werden wir auf sie zukommen", beendete der dünne Polizist mit diesem Satz das Gespräch.

Ich war überrascht, dass es nur so wenige Fragen waren und ich jetzt schon gehen durfte. Noch immer zitternd erhob ich mich von meinem Stuhl, der diesmal zum Glück nicht quietschte.

Ich bedankte mich schnell und wollte gerade wieder in den Unterricht gehen, als ich eine der großen Wanduhren auf dem Flur entdeckte. Es war kurz vor Schulschluss. Es würde sich also gar nicht mehr lohnen in den Unterricht zurück zu gehen und noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.

Meine Sachen hatte ich schon dabei und lief gerade zum Ausgang, als ich ein kreischen hörte. Es war schrill und man konnte die Angst in der Stimme hören.

Schnell lief ich auf dem Pausenhof, woher das Kreischen kam.

Der Anblick, der sich mit dort bot war einfach nur schrecklich.

Melissa, auch eine Art Schulschlampe und jemand der nicht gerade nett zu mir war, lag auf dem schwarzen kalten Asphalt. Um sie herum ein große Blutlache und über sie gebeut eine geschockte Katy und ein paar weitere Schüler, die ich nur vom sehen kannte. Melissas Augen waren geöffnet und man konnte den Schock in ihnen sehen. Ihr Körper lag seltsam verdreht auf dem Boden.

Fast genauso schlimm wie der Anblick der Verletzten war der von Katy, sie hatte die Augen weit vor Schock aufgerissen und ihr Gesichtsausdruck sah vor Wut verzerrt aus, der sich noch verschlimmerte als sie mich erblickte. Wenn Blicke töten könnten...

"S-sie i-ist... tot..", hörte ich sie mit einer fassungslosen Stimme sagen.

Katy blickte hoch, direkt in meine Augen.

"D-du warst das, du hast die aus dem Fenster gestoßen!", kreischte sie, zeigte mit ihren langen Fingern mit noch längeren Fingernägeln auf mich und stürzte sich kreischend auf mich.


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