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Ich stand vor der Schule, ein Ort vor dem ich mittlerweile echt Angst hatte. Aber ich musste dort hin, ich brauchte einen guten Abschluss, sodass ich später Medizin studieren konnte. Dafür quälte ich mich jeden Tag in die Schule. Und an keinem einzigen Tag wurde ich von den anderen in Ruhe gelassen.
Vor mir erhob sich das Schulgebäude, an sich war es keine hässliche Schule. Es war eben eine Schule, sowas konnte auch nie schön oder hässlich sein, es war eben nur ein Gebäude und nichts worüber man sich lange Gedanken machen sollte, so wie ich gerade.
Auf dem Schulhof standen nur wenige Schüler, die meisten waren bei diesem regnerischen Wetter lieber in der Schule, was ich vollkommen versthen konnte. Nur ich war da etwas anders, denn ich liebte dieses Wetter und den Geruch wenn es gerade angefangen hat zu regnen.
Die wenigen, die dennoch draußen waren, befanden sich an überdachten Plätzen, sodass sie nicht nass wurden. Obwohl der Regentropfen auf das Blechdach der Fahrradgerage prasselten, konnte ich trotzdem ihre Stimmen hören, auch die meiner ehemaligen besten Freundin, die daran Schuld war, dass jetzt die ganze Schule über mich lachte. Aber an sie sollte ich keinen Gedanken mehr verschwenden, das war sie echt nicht wert und ich sollte drüber hinweg kommen, dass ich von ihr verraten und ausgenutzt wurde.
Und diese Gruppe von Schülern, zu denen ich gerade herüberschaute, waren auch nur hier vor der Schule, um zu rauchen. Das interessierte die Lehrer eh nicht, die blieben lieber drinnen im Warmen, als hier in in der Kälte Verweise zu verteilen. Konnte ich durchaus verstehen. Die würden sowieso nicht durch sowas mit dem Rauchen aufhören. Was man nicht alles tut, um dazuzugehören.
Erst jetzt merkte ich, wie durchnässt meine Kleidung schon war. Da war ich mal wieder zu sehr in Gedanken vertieft. Ich sollte wohl schnell ins Warme und Trockene, bevor ich mir noch eine Erkältung holte, meine Mutter würde mir dann einen langen Vortrag darüber halten, wie wichtig Gesundheit ist, und dass ich nicht so leichtsinnig mit ihr umgehen sollte.
Ich schlang meine Arme um meinen Körper, um mich etwas zu wärmen, da ich schon zitterte. Doch dies half mir leider wenig, da meine Arme genauso kalt waren wie der Rest von mir.
Noch einmal atmete ich tief ein und aus bevor ich mich auf den nicht allzu weiten Weg zum Eingang des großen kahlen Schulgebäudes machte und bereitete mich darauf vor, wieder dumm von den anderen angemacht zu werden. Diesmal würde ich mich nicht wieder provozieren lassen. Ich durfte mich nicht immer so klein von den anderen kriegen lassen, das lies mich nur schwach aussehen. In so einer Welt wie diese hier und im 21. Jahrhundert konnte man sich sowas nicht erlauben.
Letztes Mal hatte ich mich versucht gegen die blöden Sprüche der anderen zu wehren. Dies ging jedoch nach hinten los, denn dann kamen noch mehr Schüler, die bei der Auseinandersetzung zwischen mir, Jason und seinen Kumpels, zuschauten. Manchmal stimmt das Sprichwort - "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" - eben doch noch.
Jason war einer der beliebtesten meiner Jahrgangsstufe, wenn nicht sogar der ganzen Schule. Er war dieses Klischee von gut aussehenden Footballspieler, der oft Partys feierte und jede Woche eine neue Freundin hatte. Aber solche Leute gab es doch an jeder Schule.
Und wenn man ehrlich war, bewunderte jeder sie, jeder wollte mit ihnen befreundet oder so wie sie sein.
Nur bei mir war das unmöglich, ich würde nie beliebt oder begehrt sein. Und das würde mir auch jeden Tag von den anderen klar gemacht, dass ich niemals so sein würde wie sie.
Was sich nicht sonderlich schlimm war, ich lebte gerne alleine in meiner Welt. Aber oft wünschte ich mir auch beliebt zu sein oder einfach nur ein paar Freunde zu haben, mit denen ich reden konnte.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht merkte, dass ich schon fast an meinem Ziel war: Meinem Spind.
Ich schaffte es bis zu meinem kleinen grauen Spind, der glücklicherweise etwas abgelegen lag, sodass ich dort oft nicht so auffiel, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Ich holte gerade meine Bücher raus, da wurde ich angerempelt. Als ich blickte nach oben und sah Luke, einer meiner größten Mobber. "Oh ich hab dich gar nicht gesehen. Kleinen mickrigen Streber Abschaum übersieht man eben." Ich hörte ein paar Leute lachen.
Ich versuchte das ganze nicht an mich heran zu lassen und einfach zu ignorieren, was man mir jeden Tag an den Kopf warf. So wie jetzt, ich drehte mich wieder zu meinen Büchern im Spind, die mir gerade ziemlich spannend vorkamen.
"Hats dir jetzt die Sprache verschlagen, oder was?", das war wieder Luke. Der wird immer aggressiv wenn ich nichts sagte, mich also nicht so provozieren ließ. Früher hab ich mich immer gewehrt gegen dumme Sprüche, aber ich hab eingesehen, dass das nichts brachte.
Ich packte schnell meine Bücher zusammen und verschwand schnell ins Klassenzimmer, wo immer schon ein Lehrer saß um sich auf den Unterricht vorzubereiten. Dort konnte mich niemand nerven. Auf dem Weg dorthin wurde ich zwar zweimal geschubst und einmal als fett beleidigt, aber ich kam ohne größere Zwischenfälle dort an. In Wirklichkeit war Luke nicht besonders mutig, er machte oft zwar Sprüche über mich und schubste mich auch oft, aber sich wirklich was trauen, was nicht jeder auch macht, tat er nicht. Vermutlich hatte er viel zu viel Angst davor, was sein Vater dazu sagen würde, wenn er rasufinden sollte, was sein Sohn so in der Schule anstellte. Was ich bisher gerhört hatte, war sein Vater ziemlich streng und wollte ihn so erziehen, dass Luke später mal die Firma seines Erzeugers leiten konnte. Wenn er das irgenwann mal tun sollte, wird sie definitiv den Bach runter gehen, nach seinem Vehalten zu urteilen. Aber über sowas musste ich mir wirklich keine Sorgen machen, ist ja echt nicht meine Problem.
*
Im Klassenzimmer nickte mir einmal kurz der Lehrer zu und ich setzte mich in die vorletzte Reihe ans Fenster, wo ich nicht so auffiel. Die hinterste Reihe war schon für die beliebten aus meiner Klasse besetzt.
Von diesem Sitzplatz aus konnte ich den Unterricht trotzdem gut verfolgen, sodass ich alles mitbekam und gute Noten schrieb.
Nur mündlich war ich nicht so gut, denn immer wenn ich mich meldete und den Mund aufmachte, folgte ein blöder Kommentar von einem Mitschüler.
In der Pause versuchte ich so schnell wie möglich aus dem Klassenzimmer ins Freie zu kommen. Etwas abseits der Schule gab es, neben dem Schuppen des Hausmeisters, eine alte heruntergekommene Bank. Dort kam so gut wie nie jemand hin, deswegen mochte ich diesen Ort. Hier hatte ich meine Ruhe. Man hörte nur manchmal wenn der Wind durch die Blätter der alten Birke, die gleich neben der Bank ihre Wurzeln warf.
Ab und zu schaute mal der alte Hausmeister vorbei, der sagte aber so gut wie nie was zu mir. Anfangs hatte er mir noch Fragen gestellt wie 'Warum bist du hier so ganz alleine, hast du keine Freunde?', aber anscheinend hatte er eingesehen, dass ich nicht reden und lieber alleine gelassen werden wollte. Also holte er meistens nur irgendwelche Geräte aus dem Schuppen und verschwand wieder in Richtung Schule.
Ich aß schnell mein Pausenbrot, das mir meine Mutter heute früh zubereitet hatte, auf. Der Weg hierher dauerte immer etwas, sodass ich mich mit dem Essen beeilen musste, denn ich wollte nicht zu spät zum Unterricht kommen.
Früher war mir das ein paar Mal passiert, dann war ich nicht rechtzeitig ins Klassenzimmer gekommen und die ganze Aufmerksamkeit hatte auf mir gelegen. Solche Situationen wollte ich lieber vermeiden.
*
Wieder Zuhause angekommen zog ich meine neuen Sneaker, auf die ich etwas stolz war, da sie mich etwas besser fühlen ließen, denn viele aus meiner Schule trugen solche Schuhe in der Art, aus. Danach hängte ich meine alte schwarze Jacke an den Haken neben der Tür. Ich hörte Geräusche aus der Küche was dafür sprach, dass meine Mutter daheim war und für uns kochte. Also ging ich zu ihr und begrüßte sie. Zu meiner Mutter hatte ich nicht so ein gutes Verhältnis, wir redeten zwar miteinander wie normale Mutter und Töchter, doch ich erzählte ihr keine Geheimnisse. Eigentlich redete ich mit niemandem über meine Probleme.
Aber mit dem hatte ich mich abgefunden und kam ganz gut ohne zurecht. Deswegen wusste sie auch nicht, dass ich gemobbt wurde. Manchmal hatte ich schon das Gefühl, dass sie merkt, dass in meinem Leben etwas gerade falsch läuft, doch war sie immer die Person, die zuerst richtige Beweise brauchte, bis sie mich fragt. Wahrscheinlich wusste sie auch gar nicht, wie sie mich fragen sollte, sie war nie eine Mutter, die sich so großartig mit so Mutter-Tochter Angelegenheiten auskannte.
In meinem Zimmer erledigte ich gerade die Hausaufgaben in Mathe, die mich schon etwas langweilten, als mich meine Mutter zu sich ins Wohnzimmer rief.
Ich seufzte, was wollte sie jetzt schon wieder von mir? Zuvor hatte ich ihr eigentlich zu verstehen gegeben, dass ich bechäftigt war und nicht gestört werden wollte. Aber wann hörten Mütter schon Mal auf einen? So gut wie nie.
Aber ich musste wohl oder übel von meinem bequemen Stuhl, der an meinem Schreibtisch stand, auf und lief ins Wohnzimmer, wo meine Mutter gerade vor dem Fernseher saß.
"Was ist denn los?", fragte ich sie und versuchte nicht allzu genervt zu klingen. Sie schaute mich nicht an, sondern verfolgte gespannt was auf dem Fernseher passierte, ihren interessierten und gleichzeitig geschockten Blick konnte man kaum übersehen. Danach antwortete sie auf meine Frage:"Ist das nicht ein Junge aus deiner Klasse?"
Nun schaute auch ich gespannt auf das schwarze Gerät vor uns und tatsächlich in den Nachrichten ging es um Luke, den Luke, der mich heute mal wieder beleidigt hatte.
"...der achtzehnjährige Schüler Luke Thomas wurde ermordet in dem Haus seiner Eltern aufgefunden... die Polizei ermittelt...", hörte ich die Nachrichtensprecherin sagen.
Ich erstarrte. Luke wurde ermordet?! Aber warum? Ja er war reich und hatte bestimmt viele Neider, aber ihn deswegen umbringen, konnte ich mir nicht vorstellen. Vor ein paar Stunden hatte er sich noch über mich lustig gemacht und jetzt sollte er tot sein?
"Kanntest du ihn?", fragte mich meine Mutter. "Ja... Ich meine... Nein, nicht so... wirklich", stotterte ich nur, sie musste ja nicht wissen, dass er mein "Mobber" war.
"Hmm... Was seine Eltern wohl gerade durchmachen? Das muss schrecklich für sie sein", sprach meine Mutter mehr mit ihr selbst als mit mir. Wenn sie wüsste, wie er zu mir war, würde sie sicher anders denken. Aber das konnte sie ja nicht. Hoffentlich musste sie das auch nie. Ich hasste es, wenn sie sich Sorgen machte. Dann bildeten sich auf ihrer Stirn immer tiefe Falten, was sie mindestens ein paar Jahre altern ließ. Außerdem war sie dann immer so angespannt und brachte den ganzen Tag nichts auf die Reihe. Ich wurde dann immer tausendmal gefragt, wie sie mir denn helfen soll und lauter solche Sachen. Ich hasste es einfach nur.
Noch immer wie in Trance von dem Schock, den ich gerade erfahren hatte, stand ich auf und begab mich in mein Zimmer.
Hausaufgaben konnte ich jetzt nicht mehr machen, dafür war ich zu aufgewühlt. Da war gerade einer meiner "Mobber" umgebracht worden. Und ich erwischte mich dabei, ein bisschen gute Laune zu bekommen, vielleicht werde ich ja in der Schule morgen wenigstens einmal in Ruhe gelassen?
Nein, so durfte ich nicht denken, er war tot und das war schlecht, ich durfte mich darüber nicht freuen.
Ich hasste ihn zwar und es traf mich jedes mal wenn er mir seelisch und körperlich weh tat, aber freuen, dass er tot war, durfte ich mich trotzdem nicht.
Ich schaltete mein altes Handy an und öffnete Instagram, um ein paar Bilder anzuschauen, als ich den Hashtag #Monadiekillerin oder #MonahatLukeumgebtacht entdeckte.
Nein, das konnte nicht sein, ich hatte niemanden umgebracht! Langsam kam Panik in mir hoch, ich begann zu zittern und meine Atmung verschnellerte sich.
War ja auch irgendwie klar gewesen, dass sie mich als Sündenbock nahmen.
Da konnte ich mich auf den morgigen Schultag ja gefasst machen...
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