Teil 5
Lorena
„Schweigen und in der Dunkelheit verstecken. Wie heldenhaft." Meine Stimme zittert nur ein wenig. Es ist so stickig, dass ich kaum Luft bekomme. Wie in der Disko, wenn sie die Nebelmaschine anmachen. „Ganz wie du willst, Chérie." Jemand schnipst und im selben Moment gehen fünf Strahler an. In jedem Lichtspot steht ein Mann. Niemand spricht, ich bin unsicher, zu wem die Stimme gehört.
Keiner von ihnen sieht nach der Theatralik aus, die aus der Stimme klang. Denn niemand der jungen Männer sticht hervor. Sie alle tragen eine dunkelblaue Uniform, die sehr förmlich wirkt. Genauso förmlich stehen sie da. Regungslos und mit stoischen Mienen. Ich bin zwar ihre Blickrichtung, aber ich könnte vermutlich einen spontanen Showtanz hinlegen und es würde sie nicht aus der Ruhe bringen. Das hier sind klare Befehlsempfänger. Ich lasse den Blick schweifen.
„Suchst du nach mir?" Ein sechster, deutlich älterer Mann schlendert an der Kante entlang, an der die Lichtkreise die Dunkelheit berühren. Ha. Mein Bauchgefühl hat mich nicht getäuscht. „Ich suche nicht nach Drama-" Der Mann hebt seine Hand wie ein Theaterregisseur. „Das Drama findet dich, hab ich Recht?" Er mustert mich aus stahlgrauen Augen. Die Fältchen, die seine Augen umgeben, verleihen seinem Gesicht nichts Freundliches oder Sanftes. Die Partie, an der bei anderen die Lachfalten sitzen, zeugt bei ihm von brutaler Härte. Als wären die Furchen in Stein gemeißelt. Mir schaudert und ich lege bemüht langsam den Kopf schräg. Pausen und langsame Bewegungen sind mein bester Freund, um diesem kühlen Typen Respekt abzunötigen.
„Nichts findet mich, wenn ich es nicht will." Ich weiß nicht, was ich da rede, aber eine Weile scheint er über die Bedeutung der Worte nachzudenken, als ergäben sie Sinn. Dann wechselt er ruckartig die Richtung und marschiert zum äußersten Lichtstrahl. Der Typ darin - es ist der muskulöseste der fünf - bewegt sich nicht, obwohl er eine Hand auf seiner Schulter ablegt. „Ich liebe Dramatik, aber ich hasse Theater." Er dreht sich um und richtet seine erbarmungslosen Augen erneut auf mich. „Tu mir den Gefallen und führ mir das nicht vor Augen." Ich schlucke, weil das offensichtlich eine Ankündigung ist.
„Bringt unseren Stern zum Leuchten." Der Anführer macht eine ungeduldige Handbewegung und die schweigenden Männer kommen auf mich zu. Eine Weile funktioniert das Rückwärtsgehen, aber dann spüre ich den kräftigen Stoff der Innenwand des Planetariums in meinem Rücken und der Abstand zwischen den fünf und mir verringert sich. „Was soll das werden?" Ich weiche zur Seite aus, immer die Wand entlang, ohne zu wissen, was ich hinauszögere. Denn dass es nur eine Frage der Zeit ist, das wird mir immer klarer. Ich bin in der Unterzahl und keiner der Handlanger des Anführers hat bis jetzt eine Schwäche offenbart, die ich ausnützen könnte. Nur einem zuckt das linke Auge, was ihn aber nicht weniger furchteinflößend macht. Niemand antwortet mir. Vermutlich dürfen sie nicht. Ich darf nicht aufgeben. Was auch immer sie mit mir vorhaben, es ist nichts Gutes.
Eins nach dem anderen gehen auf einmal die Lichter aus und die lauernde Panik erfasst mich. Hektisch taste ich mich weiter in die Richtung, die eben noch von meinen „Verfolgern" weg führte. Aber die fehlende visuelle Kontrolle hemmt meine gesamten Bewegungen. Sind sie vielleicht dabei mich zu umzingeln? Ich muss meine Füße gewaltsam zu Schritten zwingen. Ich darf an keinem Ort bleiben, sonst finden sie mich. Atemlos wie ich bin, sauge ich panisch Luft ein. Es ist ein viel zu lauter Atemzug. Feste Hände legen sich um meinen Körper, ein zweites Paar folgt, zerquetscht mir fast die Rippen. „Fünf gegen eins, habt ihr gar kein Ehrgefühl?!" Keuchend versuche ich mich loszureißen, aber man hätte mich genauso gut in einem Schraubstock einklemmen können. Der Bewegungsspielraum ist minimal.
Plötzlich spüre ich wie mein T-shirt am Rücken nach oben geschoben wird. Alle Dämme in mir öffnen sich und heraus flutet tiefschwarz die Angst. Ich ramme mein Knie nach oben, einer der dunklen Gestalten zwischen die Beine. „Fass mich nicht an!" In das Stöhnen hinein, schnalzt jemand tadelnd mit der Zunge. Es ist der Anführer. „Theater." Sein Tonfall ist absolut nüchtern, diagnostizierend. Die Gedanken in meinem Kopf überschlagen sich. Es gibt nur einen Weg. Mit Schwung lasse ich mich fallen. Es ist die einzige Richtung, in die sie keinen Ausbruchsversuch erwartet haben. So schnell, wie ich kann, robbe ich von den haschenden Händen weg. „Du kleine Ratte." Einer der Männer flucht. „Isaac, mach das Licht an." Wieder ein anderer. Gut. Solange sie reden, kann ich mich über das Gehör orientieren. Ich muss mich jetzt etwa in der Mitte der Halle befinden. Kein schlechtes „Versteck", sollte es dunkel bleiben. Die Verzweiflung will sich an der Wand entlang drücken, aber mein Verstand weiß, dass sie mich dort zuerst finden. Ich halte den Atem an. Solange sie die Außenzonen der Kuppel durchkämmen, bin ich hier sicher. Ich muss nur rechtzeitig die Position wechseln. Ich spitze die Ohren. Kommt da jemand auf mich zu? Als ich einen fremden Zeigefinger an den Lippen spüre, weiß ich, dass ich zu spät bin.
„Ich hab unser Sternchen." Seine Stimme ist rau. Ich weiß nicht, was das Gerede von den Sternen soll. Vom Adrenalin hochgepeitscht wehre ich mich mit Händen und Füßen, aber immer mehr unterstützende Arme greifen nach mir. Das kann nicht sein. Das kann mir nicht passieren. Ich schleudere den Kopf nach rechts und links, wie ein tollwütiger Hund. Wenn ihr von hinten angegriffen werdet: Kopfstoß. Eine winzige Erinnerung an den Selbstverteidigungskurs, den ich in der Unterstufe mitgemacht hatte. Ich reiße den Kopf nach oben. Krachend treffe ich auf jemandes...Kinn? Das Aufeinanderschlagen von Zähnen bestätigt meine Vermutung. Ein Stöhnen, dann Lachen. Lautes, irres Lachen, geringschätzig und mitleidig. Ein Licht flammt auf, diesmal beleuchtet es das ganze Planetarium. „Dass Laientheater so amüsant sein kann." Er. Isaac. In einem Stuhl am Rande des Geschehens. Jedes seiner Worte legt ein Scheit auf das Feuer meines Hasses. Die Flammen lodern heiß und zornig, bis ich mich nicht mehr bremsen kann. „Wenn sie nur Zuschauer sind, dann halten Sie auch die Klappe."
Der Hieb von der Seite erwischt meine Nase. Ich habe für einen Moment vergessen, dass seine Hampelmänner mich haben. Es tut unverschämt weh. Tränen schießen mir in die Augen. Das Knirschen eines Knochens hallt in meinem Ohr. Ich habe noch nie etwas Durchdringenderes gehört. Ab jetzt schwindet die Luftzufuhr langsam und stetig, aber ich weiß, dass es nicht an der Luft an sich liegt, sondern an meiner zuschwellenden Nase. Ich öffne den Mund weiter, um irgendwie Luft in meine schreienden Lungen zu bekommen. Blut rinnt mir über die Lippen, hinein in den Rachen. Es schmeckt metallisch und nach Ohnmacht. Ich winde mich. Jetzt scheint mein Widerstand keine Amüsiertheit mehr auszulösen. Ich kassiere ein paar weitere Schläge, dann haben sie mich bäuchlings am Boden festgepinnt. Vier Leute halten meine Extremitäten an Ort und Stelle, während einer von ihnen meinen Kopf nach unten drückt und sich dann wieder an meinem T-shirt zu schaffen macht. Ich wimmere. Obwohl ich alles einsetze, was ich an Kraft übrig habe, gelingt es mir nicht, dem Griff auszukommen. So gut es geht, bäume ich mich auf, aber dann gibt er meinem Kopf einen festen Schubs. Meine kaputte Nase kracht auf den Boden. Für einen Moment schwinden mir die Sinne. Ich übergebe mich. Dann wird meine Nase zur Nebensache und alles konzentriert sich auf meinen Rücken.
Der Schmerz schießt mein Rückgrat entlang nach oben, wie eine Rakete zum Himmel. Ich werde herumgedreht. Sterne explodieren hinter meinen Lidern. Der Funkenregen macht alles taub. Ich kann mich nicht mehr rühren, meine Beine sind wie gelähmt. Eine glühende Hitze in mir vernichtet mich. Es ist tausendmal schlimmer als jedes hohe Fieber, das ich jemals hatte. Als würde sich Lava durch meine Adern wälzen und alles unter sich verbrennen. Nur der glühend rote Schmerz bleibt an der Oberfläche, frisst sich weiter voran. Mir wird bewusst, dass ich schreie - vermutlich schon länger. Aber gegen diesen Schmerz kann ich nicht anschreien, denn er kommt von mir. Wie meine Stimme. Es fühlt sich an, als wäre der Schmerz ein Teil von mir. Irgendwo in mir verankert. Ich zucke unkontrolliert. „Bitte." Das Wort zerfällt zu Asche mit mir. Die Umstehenden rühren sich nicht. Ich klammere mich an eines der Gesichter, deren Körper mich einschließen. Es ist ein dunkelhäutiger Junge mit vollen Lippen und wildem Blick. Ich zwinge unter größter Anstrengung einen angeekelten Ausdruck auf mein Gesicht. Er soll wissen, dass er ein Monster ist.
Ich spüre meine Besinnung schwinden. Diesmal wird es keine kurzfristige Sache sein. Bleib da, sonst bist du ihnen wirklich ausgeliefert! Ich versuche mich zu konzentrieren. Aber sein Gesicht verschwimmt vor meinen Augen, als würde man an der Schärfe eines Bildes drehen. Jemand, der von hinten kommt, hebt mich hoch wie eine Puppe. Der Fokus entgleitet mir.
Mein Kopf wippt einmal, zweimal, dreimal, dann kippt das Licht.
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