Alles ist so anders ...

Nach einer Minute sinnlosem Herumstehen kam ein Mann auf uns zu. Er hatte lange, verfilzte schwarze Haare und nur einen kurzen Latz um seine Hüfte gebunden. Er musterte uns.

"Kommt mit", rief er. Ich hatte nicht erwartet, dass er Deutsch sprechen konnte. Wir vier folgten dem Mann in eine kleine Hütte und fanden dort lauter Decken vor.

"Euer Platz zu schlafen." Na ja, ganz richtig redete er nicht.

Ich schluckte. Von Minute zu Minute wurde mir immer unbehaglicher zumute.

Wir trotteten ihm wieder hinterher. Dieses Dorf war größer als ich gedacht hatte. Doch überall nur arme Menschen, die uns traurig anschauten. Die Kinder musterten uns neugierig. Ich konnte die Armut und den Hunger förmlich riechen. Müll lag in allen Ecken und ein paar Einheimische aßen zu viert oder fünft aus großen Metallschüsseln.

"Um zu trinken, drei Stunden gehen zu Wasserloch."

"Ach du Scheiße", murmelte Anton.

"Essen müsst selbst jagen. Wir haben Ziegen, die schlachten wir. Einmal im Monat gutes Essen."

Mir stiegen die Tränen in die Augen. Echt jetzt?! Was hatte das hier für einen Sinn? Waren wir etwa bei Die strengsten Eltern der Welt gelandet?!

Anscheinend dachte der Mann, dass er alles erklärt hatte und ließ uns alleine, aber nur kurze Zeit später tauchten ein paar Buben auf. Sie waren wahrscheinlich zwischen zwölf und fünfzehn Jahren alt und trieben eine Ziegenherde vor sich her. Einer schrie zu uns herüber. Er zog diesen Oliver und mich mit sich.

"Ihr helfen Ziegen fangen."

Also gut, dachte ich. Dann mach ich das halt mal.

Es stellte sich heraus, dass Ziegen ziemlich sture Geschöpfe sein konnten. Immer, wenn wir es fast geschafft hatten, stoben alle auseinander uns liefen meckernd irgendwo hin. Den Buben wurde es schließlich zu blöd und sie griffen ein. Nach nur einer Minute befanden sich alle Tiere im eingezäunten Bereich. Oliver warf mir einen belustigten Blick zu. Ich konnte nicht lachen. Ich war zu nichts fähig. Wo sollte das nur hinführen?

"Wie heißt du noch mal?", fragte er mich.

"Tara."

"Ach ja, Tara. Ich glaube, wir werden hier nicht durchgehend sein. Vielleicht sind wir hier nur für ein paar wenige Tage und dann kommen wir wo anders hin. Womöglich gibt es gerade zu viele Probleme in den Städten."

So sehr ich auch seinen Worten Glauben schenken wollte; ich brachte es einfach nicht zusammen. Nach dieser nicht so erflogreichen Aktion schien es Essen zu geben. Jedes Dorfmitglied versammelte sich vor einer großen Hütte mit Strohdach und bekam ein bisschen was zu essen. Als es mir in die Hand gelegt wurde, drehte sich mir der Magen um. Irgendwelche Würmer, die aussahen, als würden sie noch leben und ein paar Körner. Das war's. Ich schmiss das ganze in einen Strauch und rannte einige Meter davon hinter eine Hütte und musste mich zusammenreißen, um nicht zu kotzen. Ich hatte schreckliche Angst vor der Zukunft. Als die Übelkeit nachgelassen hatte, setzte ich mich auf den Boden und starrte auf den Boden. Eine Träne entwischte meinen Augen, dann noch eine. Es wurden immer mehr, bis es schlussendlich ein richtiger Strom war. Ich weinte leise vor mich hin, damit mich ja keiner finden konnte. Doch irgendwie schaffte es Oliver trotzdem. Er ließ sich neben mir nieder und schaute mich von der Seite an.

"Du tust mir leid, Mädchen."

"Wir kommen hier nicht wieder weg."

"Doch, Tara. Das verspreche ich dir", widersprach er mir.

Dann kamen auch noch Anton und Emily dazu.

"Oh, gibt's schon die ersten Tränen?", vermutete Anton richtig. Oliver nickte.

Emily setzte sich rechts neben mich und nahm meine Hand in die ihre. Auch Oliver wollte mich weiterhin trösten. Er legte seinen Arm um meine Schultern und ich lehnte mich gegen ihn. So saßen wir hier in einem armen Dorf irgendwo in Afrika und versuchten zu überleben.

"Erzählt doch ein bisschen was von euch", sagte Anton nach ein paar Minuten des Schweigens.

"Ich heiße Emily und bin zwanzig Jahre. Ich bin Single, habe keine Familie mehr seit fünf Jahren außer meinem Opa und meiner Oma. Ich bin eigentlich noch im Medizinstudium, aber einstweilen muss ich logischerweise eine Pause einlegen. Ja ... Sonst noch was?"

"Ne. Ich bin Anton, zweiunddreißig Jahre jung und arbeite als ... ratet mal. Als Lehrer! Hab Mathematik studiert und unterrichte das jetzt auch. Ich bin verlobt und ähm ... in zwei Wochen wäre unsere Hochzeit gewesen ..."

"Das ist ein schlechter Zeitpunkt", bemerkte Oliver. Anton nickte.

"Okay, wie ihr bereits wisst, ist mein Name Oliver und ich bin Architekt. Ich habe einstweilen keine Freundin seit einem Monat oder so und ja ... Und jetzt du, Tara."

Ich schniefte und atmete ein paar mal ein und aus.

"Heiße Tara, bin sechzehn ..." Anton sagte ein leises Oh. "und gehe noch zur Schule. Ich bin ... Single."

Am Abend zogen wir uns in unsere Hütte zurück und legten uns auf den trotz Decken harten Boden. In der Nacht hörte man nur Ziegengemecker und ein paar wenige Male Babys. Sonst schien alles zu schlafen. Ich hatte so schrecklichen Hunger. Ich hatte ja auch schon seit einigen Tagen kein richtiges Essen mehr zu mir genommen. Auch der Durst quälte mich die ganze Nacht lang.

Am nächsten Tag erfuhr ich, dass wir zuerst drei Stunden Fußmarsch vor uns hatten, bevor wir überhaupt etwas trinken konnten.

Wir waren ungefähr zehn Leute. Anton, Oliver, Emily und ich hatten alle mitkommen müssen. Wir gingen einfach quer durch die Wüste. Ein paar Frauen begleiteten uns. Drei Männer hielten die Gruppe mit den Eseln und Ziegen zusammen. Wenn dieses Dorf keine Tieren besitzen würde, wären sie wahrscheinlich verloren, denn sie dienten zum Wassertransport und auch zum Pflügen von Feldern. Eigentlich wie früher bei den Bauern.

Nach diesen ewigen drei Stunden - ich hatte einige Male geglaubt, ich sterbe gleich - kamen wir an eine unebene Fläche. Und wo sollte da Wasser sein?, fragte ich mich verzweifelt.

Meine Frage wurde schnell beantwortet. Wir mussten graben, um an Flüssigkeit zu kommen. Und das beanspruchte wieder einige Zeit. Endlich spürte ich etwas Nasses an meinen Fingern. Doch trinken durften wir noch immer nicht. Als erstes mussten wir das wenige Wasser in Töpfe und Behälter füllen und sie an den Ziegen und Eseln befestigen. Als "Belohnung" durften wir vier uns cirka ein normales Glas Wasser teilen. Ich hatte mit den drei Schlucken noch lange nicht genug, doch ich musste damit leben. Die drei Stunden zurück schaffte ich nur durch Olivers Hilfe, der mich einmal schob, dann trug (das wurde uns aber verboten) und mich anfeuerte. In dem Dorf angekommen ließ ich mich auf den heißen Boden plumpsen und rang nach Luft. Mein Hals und meine Mundhöhle fühlten sich so schrecklich ausgetrocknet an.

"Hör zu, Tara. Es ist wichtig, dass du Nährstoffe zu dir nimmst, okay?", trichterte mir Oliver später ein. "Ich habe es gestern auch geschafft, diesen Wurm zu essen. Er schmeckt einfach nach nichts, ja? Schlucke ihn einfach runter. Der Wurm besitzt Flüssigkeit. Sie schmeckt nach nichts, also iss! Bitte!" Ich schüttelte meinen Kopf und begann wieder zu Weinen. Weil ich so verzweifelt war, versuchte ich, meine Tränen zu trinken. Als es an diesem Tag wieder Essen gab, brachte mir Oliver meine Mahlzeit. Zuvor hatte er auf mich gezeigt und den Essensausteilern erklärt, dass die zweite Portionen für mich gedacht war, und nicht für ihn. Er legte es vor mich hin und ich sah es skeptisch an.

"Also, dass ist ... äh, wieder irgendso ein Tier, aber heute gibt es eine Frucht dazu. Ich habe zwar keine Ahnung, wie sie heißt, aber sie sieht gut aus. Ich esse meine, okay? Und dann du deine."

Er roch zuerst an dem lila Ding, dann biss er hinein. Er kaute eine Weile herum und nickte dann.

"Schmeckt so ähnlich wie Weintrauben, nur ein bisschen würziger."

Ich schloss meine Augen und knabberte ein kleines Stück von meiner Frucht ab. Eine Frau mit ihrem Baby im Arm gesellte sich zu uns.

"Essen", sagte sie zu mir. Ich lächelte gezwungen und biss ein richtiges Stück ab. Lustlos kaute ich darauf herum und kam zu dem Entschluss, dass es scheußlich schmeckte, aber besser war, als dieser Wurm. Ich aß die ganze Frucht und fühlte mich danach ein wenig besser. Sie hatte Flüssigkeit besessen; das war gut. So brauchte man nicht so viel Wasser zu trinken. Die Frau verschwand wieder.

"Super, Tara. Das hast du gut gemacht. Und jetzt esse ich diesen Wurm. Wie schon gesagt; es schmeckt nach gar nix, hat aber viel Flüssigkeit." Ich wollte mir gar nicht vorstellen, welche Flüssigkeit das war.

Er verspeiste das ganze Tierchen. Ich konnte einfach nicht hinsehen. Mir wurde einfach nur schlecht bei diesem Anblick.

"Tara, bitte."

"Nein! Ich kann das nicht! Ich bin eh schon satt!" Ich sprang auf und verließ Oliver. Mein Kreislauf war ziemlich durcheinander, denn ich ging in einem Zick-Zack Muster hin und her. Ich versteckte mich in unserer Hütte, wo es Gott sei dank Schatten gab und legte mich hin. Durch meine Erschöpfung schlief ich sehr schnell ein.

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