Kapitel 53
BELLAMY KÄMPFTE SICH in den nächsten Wochen durch seine eigene brandneue Hölle. Er legte Tag für Tag einen Teil seiner Emotionen ab, als wäre er ein Reptil, das seine Haut verlor. Je mehr Schlafentzug, Hunger und Schmerzen er ertragen musste desto härter wurde er. Wenn sein Blick abends innerhalb der fünf Minuten mit Licht den Spiegel streifte, erschrak er bei seinen matten Augen. Wenn er an sich herabsah, stachen seine Pupillen wie Nadeln in seinen Brustkorb, wo er noch letzte Regungen fühlte.
Er stumpfte allem gegenüber ab, da er es sonst nicht ertragen könnte. Machte man etwas falsch oder bewegte sich zu langsam, gab es eine Bestrafung. Auf jedes Fehlverhalten folgten Schmerzen, die einen um Gnade winseln ließen. Auch er musste die Pein viele Male ertragen. Mit jedem Schlag der Aufseher waren Gefühle aus ihm herausgequollen. Sie flüchteten aus seiner Seele, als hätten sie Angst vor diesem Ort. Inzwischen litt er nicht mehr, nicht mal mehr wegen der Verletzungen, die er sich im Kampf zuzog.
Anfangs gewann er nie gegen Lara. Sie war ihm und seinen unbeholfenen Schlägen mit ihren geschmeidigen Bewegungen viele Schritte voraus. Wie eine Raubkatze, die mit ihrer Maus spielte, streiften die Krallen immer wieder das Fell der Beute. Doch Bellamy wandelte sich mit jeder Niederlage. Die Schläge und Tritte verformten ihn zu einer Ratte, die der Katze ebenbürtig war. Der überlegene Blick seiner Antagonin nahm von Kampf zu Kampf an Ernst zu. Es war kein Zuckerschlecken mehr mit ihm. Der Ort hatte ihn zu einem skrupellosen Wesen erzogen.
Es kam der Tag, an dem er das erste Mal als Sieger hervorging. Als Lara am Boden lag, erfüllte Stille die Halle. Alle drei begriffen nicht, was passiert war. Der Groschen fiel und damit traf sie die Erkenntnis, dass Bellamy nicht den schwachen Neuling verkörperte, für den sie ihn gehalten hatten. Er war ein waschechter Antagon. Einer mit der Chance, die Runde für sich zu gewinnen und sich den Platz als Krieger zu erarbeiten. Sein starker Wille spiegelte sich in den Ausgängen der Kämpfe in den nächsten Tagen wider; pro Tag gewann er anfangs hin und wieder einmal gegen Lara. Es dauerte nicht lang, bis er mehrere Siege verzeichnete.
Die Tage verstrichen im Fluss des Blutes, das jeden Abend bei der Auswertung vergossen wurde. Die auseinandergerissenen Antagonenpaare schwemmten Stücke seines Herzens mit sich in den Keller fort. Mit starrem Blick beobachtete er, wie sie zum Lift geschleppt wurden. Unten würden sie zu Staub zerfallen. Die ernüchternde Erkenntnis bohrte sich tief in seine Seele und hinterließ Flecken der Finsternis. Er verlor sich selbst aus den Augen, wachte aber aus seiner Trance auf, sobald ihm die vielen Gewinne gegen Lara bewusst wurden. Gut ein Drittel der Kämpfe ging pro Tag auf sein Konto.
Die Trainerin lobte ihn an jenem Tag für seine Leistungen und führte ihm vor Augen, wie flott es mit ihm bergauf gegangen war. Je besser er wurde desto hochwertigere Nahrung bekam er vor die Nase gestellt. Lara hingegen erhielt schlechtere. Außerhalb des Kampfes versuchte Bellamy, seiner Antagonin gegenüber neutral zu bleiben. Das funktionierte gut soweit, aber im Wesentlichen ignorierten sie sich schlicht. Im Inneren brachte er ihr keine negativen Gefühle entgegen, indem er sie nicht beachtete, sondern die versprochene Gleichgültigkeit. Ob sie das stille Versprechen mitbekommen hatte, konnte er nur erahnen.
Bellamy lag in seinem Bett und ließ die Wochen Revue passieren. Kalt beurteilt lief alles "gut" für ihn. Je weniger er in seinem Körper fühlte desto dicker wurde das Fell. Inzwischen interessierte ihn nicht mal mehr sein eigenes Dasein. Sein eigenes Ziel war ihm egal geworden. Die Gleichgültigkeit hatte sich auf seine Person ausgeweitet. Ein Selbstzerstörungsprogramm, das sich selbst geschaffen hatte. Es beherrschte Körper und Geist. Noch schlummerte es, aber bald würde der Countdown starten.
Bellamy richtete sich schwer atmend auf und rieb sein Gesicht. Was machte er hier? Wozu tat er das alles? Natürlich war ihm seine eigene Existenz egal. Er war nur eine armselige Ameise, die aus dem vertrauten Erdreich geschleudert wurde. Aber welches Ziel verfolgte er, wenn er nicht mehr daran interessiert war, seine eigene Haut zu retten? Wozu machte er sich die Mühe, das Antagonenspiel für sich zu gewinnen? Irgendetwas lief gewaltig schief. Er hob seine Beine aus dem Bett und stand auf.
Wenn er doch nur mehr Zeit hätte, um über alles nachzudenken. Er sollte lieber schlafen, aber sein Gedankenstrom hielt ihn hellwach, indem er ihn zum Kern der Wahrheit führte. Denn wenn er sich selbst gegenüber gleich wurde, musste er dringend überlegen, was ihn antrieb. Was war der Kraftstoff? Der Sinn? Er tappte zur nackten Mauer rechts der Stahltür. An dieser Stelle ritzte er jeden Tag einen Strich hinein. Seine Finger glitten über die Wand und fühlten die vielen Einkerbungen, die er auch im Finsteren problemlos zählen konnte.
Es waren gut drei Wochen vergangen, seitdem man Bellamy in die Pyrax verschleppt hatte. Seine Hand verkrampfte sich. Die NBI. Die Organisation, die hinter allem stand. Bis jetzt hatte er die offenen Fragen verdrängt und sich auf das Training konzentriert, doch jetzt schienen sie seinen Rücken emporzukriechen und den Kopf einzunehmen. Wabernde Schemen verfinsterten seine Gedankengänge. Warum brauchten sie so viele Krieger, gingen aber so verschwenderisch mit den Menschenleben um? Er konnte nicht verstehen, welche Art von Vorhaben diese Vorgehensweise voraussetzte.
War die NBI diese Terrorgruppe, die seit nun fast drei Monaten in der Welt ihr Unwesen trieb? Möglich war es. Zwar hieß es zuletzt, dass nur eine kleine Gruppe dahinterstehen würde, aber das hatte man nicht hinzureichend verifiziert. So vieles an den Extremisten war unklar. Aber wenn er an die Motive dachte, ergab es Sinn; zahlreiche Entführungen. Natürlich verschwanden auf der Erde wesentlich mehr Menschen, als er mit freiem Auge in der Pyrax zählen konnte, aber diese Anstalt war riesengroß. Wer wusste schon, ob da nicht noch mehr Leute gefangen gehalten wurden. Ein Vorrat an Antagonen, auf das sie jederzeit zurückgreifen konnten. Die NBI musste die Extremistengruppe sein, von der alle Welt sprach. Es wäre ein zu großer Zufall, wenn zwei derart mächtige Phänomene gleichzeitig existieren würden.
Mit einem Mal verpufften die kreisenden Gedanken und es blieb eine Frage im schwarzen Nebel übrig; wie brach man aus der Pyrax aus? Bellamy drehte sich um und drückte seinen Körper gegen die kühle Mauer. Die Kälte schien seine Kleidung zu zerfressen, sodass er zitternd die Arme um sich schlingen musste. Ob man von diesem Ort flüchten konnte, fragte er sich nicht. Er trug die Überzeugung in sich, dass man überall abhauen konnte. Wo man hineingelangt, kommt man auch wieder hinaus. Er kletterte ins Bett und ließ die Worte in seinem Kopf nachhallen, bis sie ihn in den Schlaf begleiteten.
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Der Vormittag des nächsten Tages flog vorüber wie der Wind und mit ihm wurde ein Haufen von Niederlagen davongetragen. Bellamy setzte sich gegenüber Lara durch und gewann die Mehrheit der Kämpfe. Beim Mittagessen erkannte er, dass seine Portion noch nährstoffreicher aussah als gestern. Er stand bei der Essensausgabe und wartete, bis Lara ihren Teller erhielt. Seine Antagonin starrte die Wand an und regte sich nicht. Sie war eine Meisterin darin, sich die Gefühle von außen nicht anmerken zu lassen. So gut wie sie würde er es wahrscheinlich nie hinbekommen, aber auf das rein Optische kam es ohnehin nicht an. Was zählte, war die angenehm befreiende Leere tief in seiner Brust.
Lara wurde ein Teller in ihre Hand gedrückt und sie nahm ihn mit einem Blinzeln entgegen. Bellamy runzelte die Stirn, als er merkte, wie ihre Gesichtszüge für den Bruchteil einer Sekunde entgleisten. Fassungslosigkeit blitzte in ihren Augen auf. Die winzige Portion glitzerte darin traurig. Das war noch weniger als gestern. Wenn es so weiterging, würde seine Antagonin vom Fleisch fallen, noch bevor die Auswertung in Reichweite rückte. Er trat einen Schritt näher und wollte den Mund öffnen, um etwas zu sagen - egal ob zu ihr oder denjenigen, die das Essen verteilten.
Der Teller glitt aus Laras Händen. Sie sog die Luft scharf ein und ihre Finger schnappten hilflos danach. In den Bewegungen steckte pure Panik, als sie das Desaster zu verhindern versuchte, indem sie ihr Essen vor dem Aufprall bewahren wollte. Ein Blitz schien durch Bellamys Arm zu schießen, sodass er nach vorne glitt und den Teller auffing. Er hielt ihn so fest er nur konnte, auch wenn sich der Rest seines Körpers bereits entspannte und die Luft aus seinen Lungen wich. Als ihm auffiel, dass er beinahe am Boden saß, erhob er sich. Mit einem Seitenblick prüfte er, ob einer der Aufseher etwas bemerkt hatte. Nichts wies darauf hin. Deren stählernen Mienen wanderten ruhig über die Köpfe der Antagonen.
"Hier bitte", hauchte Bellamy Lara zu, als ob sie etwas Illegales besprachen. In ihren geweiteten Pupillen spiegelte sich der Teller wider. Für einen Moment reagierte sie nicht auf seine Worte, sondern starrte ihr Essen an, bevor ein Ruck durch sie ging und sie ihm die Portion aus den Händen riss. Der Schock blieb ihr ins Gesicht geschrieben.
Wenn Bellamy ihren Teller nicht aufgefangen hätte, wäre es brenzlig geworden. Die Aufseher zögerten in solchen Fällen kein bisschen, sondern zogen ihre Schlagstöcke hervor und bestraften die Antagonen für ihre Unachtsamkeit. Beobachtet hatte er das bis jetzt nur zwei Mal, denn es kam öfter vor, dass jemand stolperte und hinfiel. Aber er erinnerte sich gut, dass diejenigen keinen Ersatz für ihr Essen bekamen und obendrauf auch am nächsten Tag hungern mussten. Es gab eine Zeit, da hatten ihn die Gedanken daran noch frösteln lassen, aber das war vorbei. Er fühlte nichts. Auch keine Furcht vor dem Schmerz, den der Nahrungsentzug mit sich brachte.
Bellamy rührte sich nicht und runzelte seine Stirn. Sein Blick lag auf Lara, die keine Anstalten machte, sich vom Erlebnis zu erholen. Er war kurz davor, zu den Tischen zu nicken und ihr somit zu deuten, dass sie gehen mussten, aber sie hob ihren Kopf und sah ihm direkt in die Augen. In diesem Moment wurden alle Gedanken und abhanden gekommenen Gefühle in ihm weggewischt, denn nur mehr die Wahrheit in ihrer Miene erfüllte ihn. Sie konnte ihre Fassade nicht mehr aufrecht erhalten. Sie ließ die Masken endgültig fallen, als sie ihn mit bebenden Lippen anstarrte. Es schien, als würde sie ihren Mund öffnen wollen, um ihren Dank auszusprechen. Ein innerer Zwang hielt sie zurück, weswegen er sich dazu entschloss, selbst das Wort zu ergreifen. Denn ewig konnten und durften sie hier nicht stehen bleiben.
"Schon okay", murmelte Bellamy. "Es gibt keinen Grund, sich zu bedanken. Das war selbstverständlich." Er zwang sich zu einem Lächeln, das nicht mal seine Lippen richtig erreichte, geschweige denn seine Augen. Laras Blick weitete sich.
"Grund?", kroch es heiser aus ihrer Kehle. Tiefe Ehrlichkeit entsprang jeder ihrer Regungen. So viel Gefühl auf einmal drang zu Bellamy hinüber, aber nichts davon erreichte sein Herz. Es war verborgen hinter einer Wand so dick wie die chinesische Mauer.
"Lara", flüsterte Bellamy und sie zuckte zusammen, als er ihren Namen in den Mund nahm, "wir müssen jetzt gehen. Sonst fallen wir auf." Mit den Augen deutete er auf die Aufseher. Einer von ihnen schwenkte seinen Blick in deren Richtung. Wenn es so weiterging, würden erst recht beide von ihnen Schläge abbekommen. Was war bloß los mit seiner Antagonin? Er wünschte er könnte sie verstehen, sich in sie hineinfühlen-
Nein. Besser nicht. Er presste die Lippen aufeinander, als er Laras Oberarm ergreifen wollte, um sie in die Richtung der Tische zu lenken. Wenn sie sich nicht bewegte, musste er nachhelfen. Kurz bevor seine Hand ihre Haut streifte, wich sie einen Schritt zurück. Er hielt inne und beobachtete, wie Lara ihre entgleisten Gesichtszüge zurück auf die Schienen lenkte, die Gefühle von sich abschüttelte und ihr Pokerface erneuerte. Als wäre nie etwas geschehen, ging sie an ihm vorbei und würdigte ihn keines Blickes. Er folgte ihr wortlos. Das verzweifelte Glitzern in ihren Augen geisterte in seinem Kopf herum und ließ ihn am Ende des Tages ratlos zurück. Was war mit ihr bloß los gewesen?
Schreiben. Ist. Zeitaufwand. Arbeit sowieso, aber solang ich nicht zu müde bin, bremst mich eher der Zeitmangel. Vor allem für die Überarbeitung muss ich nochmal bis zu zweieinhalb Stunden miteinberechnen, je nachdem wie genau ich das mache. Aber ich bin dran am Schreiben. Würde gern mal wieder bei meinem anderen Buch weitermachen, aber Alles Blau hat sich in meinem Kopf im Moment kind of durchgesetzt 💙
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