Kapitel 47
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NACH DEM ESSEN wurden alle zurück in den Lift gedrängt und in die Ebene gebracht, wo sie zuvor trainiert hatten. In Bellamy drehte sich alles bei dem Gedanken, dass er wieder Lara gegenübertreten müsste. Der Schmerz würde ihn durchzucken und die Schwäche seine Verteidigung abmildern. Er hatte keine Chance. Das war von Anfang an klar gewesen. Seine Unterlippe bebte, als er der Antagonin folgte. Der Blick war an ihre Fersen geheftet und nahm vom Umfeld kaum etwas wahr.
Bellamys Gedanken waren von Angst erfüllt und suchten vergeblich nach etwas Hilfreichem, das er früher mal gelernt hatte. Von der Kämpferin bekam hauptsächlich Lara Tipps, auch wenn er sie ebenfalls hörte und anzuwenden versuchte. Als eine Tür zufiel, hob er abrupt seinen Kopf an. Sie waren zurück im Trainingsraum. Die Aufseherin stand am Rand und nickte knapp. Sein Blick schoss zu seiner Antagonin, die diese Geste stumm entgegennahm, indem sie sich aufstellte und für den Kampf bereit machte. Ihr Nacken knackte, was ihn erschaudern ließ. Er stellte sich vor, wie dieses Geräusch ertönen würde, wenn seine Knochen brechen würden.
Lara griff geschickt an, noch bevor er es realisieren konnte. Seine Augen verengten sich und verschlossen sich vor der Wahrheit. Den gesamten Kampf über blieb er der Schwächere, der zum Verlieren verurteilt war. Seine Antagonin schlug ihn in jeder Runde mit ihren geschickten Bewegungen. Sie war stark, aber unfassbar elegant. Man sah die Stärke hinter ihrem zarten Körperbau nicht, was ihr einen Überraschungsmoment verlieh. Ihre Arme schwangen durch die Luft so geschmeidig, dass man meinen konnte, dass sie irgendwann wie ein Vogel abheben würde und dieser Hölle entkommen konnte.
Nach vielen Stunden des harten Trainings lag Bellamy am Boden. Wenn er Flügel hätte, dann wären sie längst gebrochen und zerstückelt. Regungslos lag er am Grund, dem Ort, an dem er sich unzählige Male bereits befunden hatte und in Zukunft noch oft sein würde. Das kam ganz darauf an, wie gut er das alles aushielt. Keuchend erhob er sich und folgte den beiden, die den Raum verließen. Er blieb in Laras unmittelbarer Nähe und fand es so befremdlich wie nie, dass sie ihn vollkommen ignorierte. Neben ihr zu gehen und ruhig zu bleiben, fiel ihm schwer. Bestimmt würde ihn ihr eleganter Kampfstil noch im Schlaf verfolgen. Er rechnete jeden Moment damit, dass sie sich zu ihm drehte und überwältigte. Die Schläge und Tritte hallten in seinem Kopf nach, während sie vollkommen friedlich in den Lift stiegen.
Ratternd setzte sich der Käfig in Bewegung. Das Licht flackerte, als würde das ganze System jeden Moment ausfallen. Bellamy fühlte sich so fragil wie der Aufzug. Jeden Moment konnte er aufgeben und abstürzen. Seine schmerzenden Glieder zogen ihn nach unten und flüsterten seinem Überlebenswillen zu, dass es keinen Sinn hatte. Die Stimme wurde von Minute zu Minute stärker, doch er zog vorerst keine eiligen Schlüsse.
Der Lift blieb stehen und quietschte. Rasselnd wurden die Türen aufgeschoben, während die Aufseher wirre Beleidigungen brüllten, denen Bellamy kaum mehr folgen konnte. Der Tonfall und die Lautstärke waren Warnung genug, auch wenn er den Inhalt der Drohungen nicht erfasste. Seine trägen Beine schleppten ihn den Gang entlang, neben den vielen anderen Menschen. Die Schritte waren teils ängstlich und schnell, teils berechnend und gleichgültig. Er starrte auf den Boden und wagte es nicht, in die Gesichter zu sehen.
Irgendwann war seine Antagonin verschwunden, ohne dass er es bemerkt hatte. Seine Gedanken trugen ihn in weit entfernte Welten, als sie sich aus dem Staub gemacht hatte. Wobei das nicht die richtigen Worte waren, da sie wie er gefangen war. Doch über ihr hing der Schatten nicht, der einen erdrückte. Es wirkte kaum so, als würde sie sich unwohl fühlen. Es wirkte gar nicht so, als fühlte sie überhaupt etwas.
Er seufzte atemlos und drosselte seine Schritte, da die Leute vor ihm zum Stehen kamen. Sein Blick fiel auf die Tür hinter ihm. War das seine Zelle? Die eisernen Tore erschienen ihm wie wachende Dämonen. Er fühlte starrende Augen in seinem Rücken, auch wenn er wusste, dass niemand hinter ihm stand. Es gab keine Anweisung, aber alle hatte angehalten und sich parallel zur gegenüberliegenden Wand hingestellt. Nein, das hinter ihm war nicht sein Raum, das spürte er. Außerdem standen alle aneinandergereiht, ohne dass jemand beachtete, ob sich hinter ihnen eine der kalten Türen oder die finstere Mauer befand.
Die bissigen Schritte eines Aufsehers ertönten in Bellamys Ohren und ließen ihn aufhorchen. Er hob seinen Kopf an und sein Körper versteifte sich. Die Luft schwirrte und man ahnte, dass etwas im Gange war. Es passierte etwas. Der Kämpfer ging in der Mitte so langsam, wie es ihm wohl möglich war. Er war derart groß, dass Bellamy es nicht wagte, auch nur kurz hinaufzusehen. Das Geräusch der auf dem Boden schreitenden Schuhe war im gleichen Takt wie seine innere Uhr, die ihn stetig daran erinnerte, dass seine Zeit ablief.
"Es erfolgt die Auswertung des fällig gewordenen Antagonenpaares. Zwei von euch sind seit genau zwei Monaten hier. Diese zwei kommen jetzt freiwillig nach vorne, wenn sie klug sind. Wenn sie nicht klug sind, werden sie aufgerufen und bestraft, bevor die Auswertung erfolgt." Die Stimme erdrückte die Hallen mit ihrer Lautstärke. Bellamy kämpfte mit dem Zwang, sich die Ohren zuzuhalten.
Ruhe kehrte ein, als die Worte im Grund versiegt waren. Nur die kühlen Schritte blieben im Takt der Furcht, die jeden der Menschen durchrüttelte. Man schien auf etwas zu warten. Je länger nichts passierte desto stärker kribbelte es in Bellamys Bauch. Die bedrohliche Stille war eine Folter, die man nicht unterschätzen durfte. Sie bohrte sich in den Kopf hinein, um Schicht für Schicht in das Innerste zu gelangen, damit sie Chaos stiften konnte. Der Wahnsinn holte einen heim und zerstörte jeden kümmerlichen Rest von Würde, den man noch besaß.
Nervös trippelnde Schritte lösten sich von der Stille und verfingen sich zaghaft im unendlichen Hall des Ganges. Mit gesenktem Kopf ging einer von ihnen in die Richtung des Aufsehers. Noch ein zweiter Schemen trat hervor und schloss sich an. Man hörte förmlich die Angst in ihren Blicken. Bellamy erhaschte nur einen kurzen Blick auf die Gesichter, bevor er aus Selbstschutz wegsah und die Erinnerung aus seinem Kopf verbannte.
"Es erfolgt nun die Bekanntgabe der Punkte." Der Aufseher lief vor den beiden auf und ab. Sein Blick streifte unwillkürlich einige der anderen, die mit zusammengepressten Lippen die Geschehnisse beobachteten. Sie wussten alle, dass sie mussten. Durch Bellamy lief scheinbar ein Stromschlag, als die kalten Augen bei ihm hängenblieben. Ihm wurde heiß und kalt, doch der Kämpfer wandte sich wieder den anderen zu.
"Leon, 132 Punkte." Die Worte peitschten durch den Gang und ließen den Angesprochenen zusammenzucken. Hinter der Miene schien ein Damm zu brechen, den er nur mit Mühe zurückhalten konnte. "Mark, 133 Punkte." Das Brustkorb des Antagonen senkte sich und er schlug für eine Sekunde die Augenlider nieder. Der Aufseher blickte zu Leon, der zähneknirschend nickte.
"Mark bekommt einen neuen Antagonen und Leon wird aussortiert", erklärte er. Zwei weitere Kämpfer marschierten um die Ecke. Sie begleiteten Leon, der von den beiden in Richtung des Liftes geführt wurde. Seine trippelnden Schritte wirkten ungeschickt, sodass er kaum mithalten konnte. Doch die Aufseher drosselten ihr Tempo nicht, sie blieben im gleichsamen Schritt. Es war wohl Leons letzter Gang vor seinem Tod.
Sie liefen um die Ecke und Bellamy unterdrückte die Versuchung, den Kopf zur Seite zu recken, um sie noch weiter beobachten zu können. Niemand regte sich einen Millimeter. Wenn man auch nur zu auffällig atmete, fiel man auf. Bellamy musste vollkommen auf sein Gehör vertrauen, um zu erfahren, was vor sich ging. Die Ohren gespitzt, konzentrierte er sich auf nichts als die Schritte. Er konnte den steinernen von dem trippelnden Gang gut unterscheiden.
Ein Rauschen erklang. Die Lifftür wurde grob aufgerissen. Für einen Moment war es totenstill, bevor die Schritte quälend langsam weitergingen, um in den Aufzug zu steigen. Es erschien ihm, als ließen sich die Aufseher unendlich viel Zeit. Sie genossen das alles und wollten den Moment nur ungern zu schnell vorbeigehen lassen. Ob auch Bellamy so einen schrecklichen Charakter entwickeln würde, wenn er an ihrer Stelle wäre? Oder wurde man mit diesen Eigenschaften geboren? Er wusste es nicht und erinnerte sich sogleich daran, dass er ohnehin nie so weit kommen würde.
Mit einem Schlag setzte sich der Aufzug ratternd in Bewegung. Das in der Ferne erklingende Geräusch holte ihn in die Gegenwart zurück und ließ seine Gedanken zu Leon schweifen. Der Typ würde wohl irgendwo anders umgebracht werden, was ihn überraschte. Er hatte fest damit gerechnet, dass man ihn vor ihren Augen exekutieren würde. Bellamy nahm sich vor, später mehr darüber zu reflektieren, welchen Zweck das haben könnte. Er wollte nur zu gern wissen, was ihm nun widerfahren würde. Dieses Unwissen machte ihn hibbelig, sodass das ruhige Stehen zu einer Qual wurde.
"Weitergehen", zerschnitt der Aufseher die Luft mit seinen Worten. Das Rascheln und die Schritte waren in Bellamys Ohren viel zu laut, als sich alle auf den Weg machten. Die Stille stellte immer wieder einen Kontrast zu allem da, was an grausamen Taten hier geschah. Sein pochendes Herz trieb ihn weiter den Gang entlang, auch wenn es nicht wusste, wo er hingehörte. Er war eine verlorene Seele, so wie jeder hier.
Als jemand vor ihm stehen blieb, hörte er automatisch auf zu laufen. Er betrachtete die stählerne Tür vor ihm und wusste plötzlich, dass es seine Zelle war. "Ihr habt fünf Minuten Zeit", teilte der Aufseher mit, bevor die Tore klackend aufsprangen und alle in ihre Räume gingen. Auch er trat in sein Zimmer hinein und schlug das Tor zu. Es glich einer Flucht, wie rasch sich alle zurückzogen. Jeder ließ die Gefahrenzone nur zu gerne hinter sich, um das letzte bisschen Schutz voll und ganz auszukosten.
Aber vielleicht irrte sich Bellamy. Vielleicht hatte der Schmerz ihre Körper ausgehöhlt und sie zu emotionslosen Wesen gemacht. Vielleicht wollten sie keine Zeit verlieren, um sich nicht im Dunkeln bettfertig machen zu müssen. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er noch an der Tür klebte. Er schlug die Augen auf und löste sich von dem kühlen Tor. Eilig suchte er nach etwas zum Umziehen und hoffte, dass er rechtzeitig fertig wurde. Das wenige Licht machte einen großen Unterschied, das wusste er aus Erfahrung.
Wie auf Kommando ging in diesem Moment das Licht aus und Bellamy fragte sich, ob wirklich schon fünf ganze Minuten vergangen waren. Denen konnte man nicht trauen, das war ihm klar. Er ließ seine Hände sinken und tastete sich durch die Dunkelheit. Wahrscheinlich war sein Zeitgefühl durcheinandergeraten. Der Schmerz und die nicht enden wollenden Kämpfe standen den Momenten gegenüber, in denen er Ruhe hatte. Sie waren so kostbar, dass sie schneller vergingen, als einem lieb war. Er stolperte auf das Bett zu und ließ sich kraftlos hineinfallen.
An diesem Ort herrschte das Böse, davon war er überzeugt. Dieser Ort hatte seine eigenen Gesetze und wer versicherte ihm, dass sie fair waren?
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