Kapitel 35
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SCHMERZEN. QUÄLENDE KOPFSCHMERZEN veranlassten Bellamy dazu, aus seinem tiefen Schlaf zu erwachen. Er versuchte sich aufzurichten, hielt aber inne, als er seinen Gleichgewichtssinn verlor. Scharf sog er die Luft ein, bevor er sich behutsam in eine aufrechte Position begab. Seine Lider waren fest zusammengepresst, als hätte er Angst, die bittere Realität würde ihn überwältigen.
Viel mehr sah er mit geöffneten Augen nicht. Der dunkle Raum war schwach beleuchtet und besaß schwarze Wände. Sie gestalteten die Umgebung noch kälter, als sie es schon ohnehin war.
Intuitiv tastete er den Boden ab. Erst im Nachhinein wurde ihm bewusst, dass er weder seinen Würfel noch sein Handy hier finden würde. Eine schwindelerregende Vorahnung suchte ihn heim. Die Erinnerung an das Geschehene blieb aus.
Endlich huschten seine Augen nach oben und schenkten den anderen Anwesenden Aufmerksamkeit. Drei düster eingekleidete Schemen erkannte er, mindestens so unauffällig erscheinend wie die ruhige Wand selbst. Sie waren ihm nicht aufgefallen, da sie mit ihr nahezu verschmolzen.
Die mittlere der Gestalten löste sich von seinem Platz und kam auf ihn zu. Bellamy war zu verwirrt, um zu reagieren. Er ließ die Dinge einfach geschehen. Die Frau vor ihm einfach sprechen.
"Sei gegrüßt, Bellamy Bennington", hallte durch die trostlosen Räumlichkeiten. Nicht eine Spur von Willkommenswünschen lag in den Worten der rauen Stimme. Die Frau bezweckte bloß, dass sich jedes einzelne seiner Nackenhaare aufstellte.
Ihre kurz geschnittenen, dunklen Haare umrahmten ein scharfkantiges Gesicht. Wären Augen das Tor zur Seele, dann würde man daran zweifeln, dass dieser Körper von einem Geist bewohnt war. Ihre Miene war kalt. Festgefroren wie Eis.
Entschlossen streckte sie ihre muskulösen Arme nach seinen Handgelenken aus. Einerseits half sie ihm auf und andererseits sperrte sie mit ihrem festen Griff seine Blutbahnen ab. Bellamy musste das Bedürfnis unterdrücken, sich loszureißen.
Jetzt, wo er auf seinen beiden Beinen stand, blitzten die letzten Erinnerungen durch sein Gedächtnis. Kurz bevor die mächtige Schwärze ihn umwoben und eingeschläfert hatte. Das verlassene Lagerhaus. Der dumpfe Schlag auf seinem Kopf.
Panik suchte ihn augenblicklich heim. Der Anblick der anderen beiden Gestalten provozierte sie nur zusätzlich. Beide Gesichter waren auf brutalster Weise zugerichtet. Narben überlagerten sich in ungesunden Formen und Größen. Eine von ihnen durchquerte sogar das linke Auge. Wobei das nicht der richtige Ausdruck war, zumal die Augenhöhle der Person leer war.
"Wo bin ich?", fragte er voller Furcht und blickte zur Frau, die ihm aufgeholfen hatte. Sie hatte wieder Abstand genommen. Sie stand stramm und mit gehobenem Haupt zu ihm gewandt.
"Du bist in der Pyrax-"
"Was wollen Sie von mir? Wenn Sie Geld wollen: Ich habe keines! Was ist das für ein verfluchtes Loch? Wer sind Sie alle überhaupt, zur Hölle?", beschwerte er sich ohne großartig nachzudenken. Er war verwirrt und verschreckt und wollte nur noch weg von hier.
Ein höllischer Schmerz, begleitet von einem Klatschen fuhr durch seine linke Gesichtshälfte. Er wich zurück und betrachtete ungläubig die Frau, während das warme Prickeln in seiner Wange zu einem heißen Brennen heranschwoll. Sie war innerhalb Millisekunden zu ihm hervorgetreten und hatte ihn geschlagen. Beinahe schmerzte die bittere Überraschung darüber mehr als der Schlag selbst.
"Du redest nur, wenn du gefragt wirst", bellte sie knapp und emotionslos. Nun traute er sich nicht mehr, einen Mucks von sich zu geben. Er starrte sie stumm an und sie sprach weiter, als wäre nichts geschehen.
"Wir sind die NBI. Du wirst hier zu einem von uns ausgebildet. Zu einem Krieger", erklärte sie harsch. Ein unangenehmes Gefühl legte sich über Bellamys Brust. Seine Zukunft schien so ungewiss wie noch nie zu sein, obwohl stets das Gegenteil der Fall gewesen war.
"Morgen wird dir dein Antagon zugewiesen und alle weiteren Informationen gegeben", teilte sie ihm mit. Keine Sekunde später wandte sie sich von ihm ab und machte eine Handbewegung in eine Richtung. Die beiden anderen nickten ihr treu zu und blickten zu Bellamy.
"Hier lang", wies ihn einer an. Der strenge Ton erlaubte keinen Widerspruch. Er zögerte nicht, da er nicht noch mehr Ärger riskieren wollte.
Lange hatte er von sich gedacht, sich selbst recht gut verteidigen zu können, doch ein Blick auf diese Personen reichte, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Diese Menschen waren radikale Krieger. Das konnte man alleine aus ihren Gesichtern deutlich ablesen.
Bellamy schleppte seine noch immer schlaffen Glieder möglichst rasch zu ihnen. Einer ging voran und der andere bildete das Schlusslicht. Sie führten ihn durch einen Gang, der aus denselben dunklen Steinwänden bestand, wie der Raum zu Anfang.
Nach einiger Zeit bogen sie rechts ab und statt den Mauern waren seitlich eiserne Türen aneinandergereiht. In dem schnellen Schritttempo kam Bellamy sofort mit dem Zählen der Räume durcheinander, doch es waren definitiv eine Menge. Der Gang erstreckte sich über einen Kilometer und schon bald wurde ihm schwindelig, wenn er sich die darin eingesperrten Personen vorstellte. Trotz eines winzigen Fensters, das es pro Zimmer gab, war es stockdunkel.
Beinahe wäre Bellamy in den mit Narben übersäten Mann vor ihm hineingerannt, was er dringlichst hätte vermeiden wollen. Er blieb so abrupt stehen, dass die Türen an den Seiten seines Blickfeldes ineinander verschwommen.
Der Typ, der hinter ihm gegangen war, steuerte auf eine der Stahltüren zu und sperrte sie auf. Begleitet von einem unerträglichen Quietschen öffnete sie sich, doch noch immer war es zu finster, um etwas erkennen zu können.
"Nach dem Läuten in der Früh hast du genau fünf Minuten Zeit, um dich fertig zu machen und herauszutreten. Keine Sekunde länger. Kapiert?", rief ihm derselbe Mann kalt zu.
Gleichzeitig holte der andere etwas aus seiner Tasche hervor und ging auf den Streifen Wand zu, der zwischen der einen und anderen Tür frei lag. Ungläubig beobachtete Bellamy, wie er seinen Würfel in den Händen hielt und in die Wand hineindrückte. Geschmeidig wie Butter ließ sie an exakt diesem Fleck nach und nahm sein einziges Erbe in sich auf. Sein ein und alles.
Er konnte sich kaum entscheiden, wovon er in seiner Situation am meisten enttäuscht sein sollte. Der Würfel gehörte zu dieser eigenartigen Terrororganisation oder was auch immer sie waren. Durch ihn hatte man ihn gelockt. Er war reingelegt worden und zwar mit dem einzigen Etwas, das in seinem belanglosen Leben eine Bedeutung gehabt hatte.
"Los jetzt", meinte der andere, dem Bellamys Handeln zu langsam ging. Grob stieß er ihn in die Zelle hinein. Wie ein Tier trieb man ihn hinein, wobei er nur noch kurz einen Blick auf die anderen Türen erhaschen konnte. Neben jeder einzelnen war derselbe Würfel eingebaut.
Sein Leben war eine lächerliche Lüge. Das wurde ihm mit einem Schlag klar, als er auf dem harten Betonboden aufkam. Er blieb einen Moment liegen, da er noch immer nicht realisierte, was gerade passierte. Je mehr er sich an seine Situation gewöhnte, desto sehnlicher wünschte er sich, dies sei ein böser Traum.
Flackernd ging ein Licht an und erhellte den Raum notdürftig. Es war der Anlass dafür, dass Bellamy sich doch noch aufrichtete. Zitternd sah er sich um und inspizierte die mickrige Stube. Auf nur wenige Quadratmeter waren eine winzige Dusche, ein Waschbecken mit einer Kommode darunter und ein Bett untergebracht.
Bellamy schaffte es nur noch, sich auf die Liege niederzulassen. Für alles andere hatte er keine Motivation mehr. Prompt stellte er fest, dass die vermeintliche Schlafgelegenheit in Wirklichkeit nur ein einfaches Holzbrett war. Abgenutzt und selbstverständlich unlackiert. Keine Matratze oder sonstiger Bettbezug.
Noch nie hatte er sein Zuhause so vermisst wie jetzt. Egal wie er sich drehte und wendete - er lag unfassbar unbequem. Der harte Untergrund drückte seinen Knochen entgegen und verhinderte, dass er zur Ruhe kommen konnte. Auch innerlich sah es bei ihm ähnlich wild aus.
Er war gefangen. Immer wieder sprach er es gedanklich aus, woraufhin es unerträglich oft echote. Organisierte Kriminelle, die sich NBI nannten, hatten ihn entführt. Sie wollten ihn zu einem Krieger ausbilden, wenn er es richtig verstanden hatte. Doch wofür? Wofür brauchten diese Wahnsinnigen eine Armee?
Bestimmt handelte es sich um die ominösen Extremisten, die in den Medien besonders präsent waren. Auch wenn er nur wenig von diesem Ort gesehen hatte, so war er sich mit seinen Vermutungen sicher. Die Gänge mit den gefängnisartigen Zellen. Die Würfel. Alleine ihre Vorgehensweise.
Bis in die tiefste Nacht hinein quälten ihn seine erschreckenden Überlegungen. Der Schlaf wollte und wollte ihn nicht erlösen. Auch die eisige Kälte hielt ihn wach. Sein Körper war verkrampft bis auf das Äußerste und er zitterte am ganzen Leibe. Die Kühle zehrte an seinen Gliedern und fraß sich allmählich bis ins Innere. Dass er unter diesen Umständen jemals wegdämmern würde, erschien ihm stundenlang mehr als fragwürdig.
Licht und ein schriller Ton ließen ihn aufschrecken. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch er war tatsächlich eingenickt. Verwirrt blickte er um sich und ihm dämmerte wieder, in welcher Lage er sich befand. Auch fiel ihm ein, was der Typ gestern klargestellt hatte.
Das hohe Piepsen hörte nach einer Minute auf. Bellamy war, so schnell es ihm seine müden Glieder erlaubt hatten, aufgesprungen und vor das Waschbecken getreten. Ungeschickt hatte er die Kommode geöffnet und blind Kleidungsstücke herausgezogen. Es stellte sich heraus, dass dessen Inhalt aus immer den gleichen, schwarzen Gewändern bestand. Flott zog er sich um und wusch sich sein Gesicht mit Eiswasser. Eigentlich wollte er nochmal genauer in den Kasten blicken, als ihm der Zeitdruck einfiel. Fünf Minuten. Länger durfte er nicht brauchen.
Hektisch tapste er auf die silbrige Türe zu. Er drückte die Klinke hinunter und zog, wobei er zuerst daran zweifelte, dass sie aufgeschlossen war. Doch der massive Klotz gab nach. Kaum ein Spalt war sie offen, als Bellamy durch sie schlüpfte und unsicher vor seiner Zelle stehen blieb.
Auf dem Gang waren eine Menge Leute. Vor jedem Stahltor stand jeweils eine schwarz gekleidete Person. Junge Menschen so wie er, doch kaum ein Funken Lebensfreude war in ihren Augen zu finden. Sie sahen viel älter aus. Verbrauchter.
Es lag nicht nur an der Vielzahl an Narben, die ihre Körper bedeckte. Oder an den unnatürlichen Muskeln - wobei man betonen musste, wie dürr sie ohnehin waren. Nein. Ein Schleier bedeckte sie. Er verfinsterte ihre Seelen. Ihre Gesichter hatte zu lange kein Glück sehen dürfen. Ob sie das Freuen gar verlernt hatten?
Totenstille. Der Gang war bis zum Rand gefüllt mit Menschen und doch kam er Bellamy auf unerklärliche Weise leer vor. Man musste es mit eigenen Worten sehen und fühlen, wenn man es verstehen wollte. Wie sie alle stramm und bewegungslos dastanden. Er selbst ahmte sie einfach aus Prinzip nach. Kaum, dass er sich traute, auszuatmen.
Das quietschende Geräusch einer der Türen durchbrach die Stille und ein Typ humpelte mühevoll aus seinem Bereich heraus auf den Gang. Vorsichtig linste Bellamy in seine Richtung. Zeitgleich marschierten mehrere der Krieger in den Gang hinein. Darunter einer, der ihn gestern hier her begleitet hatte.
Der arme Kerl sah übelst zugerichtet aus und das hieß etwas, wenn man jemanden von den restlichen Leuten abgrenzen konnte. Doch die radikalisierten Krieger hatten gesehen, wie er verzögert aus der Zelle getreten war. Sie waren skrupellos.
"Zu spät", fuhr einer ihn streng an. Ohne zu zögern kam er auf den verletzten Typen zu und stürzte sich auf ihn.
Bellamy war zu entsetzt um wegzusehen. Auch die anderen schauten regungslos dabei zu, wie man auf ihn einprügelte. Auf jemand Verwundeten.
Was für ein Ort war das hier bloß, an dem Menschen ohne mit der Wimper zu zucken, zusehen konnten, wie auf einen brutal eingeschlagen wurde?
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