Warum bin ich so komisch

Wenn du nicht weißt, was introvertiert bedeutet, bitte nimm dir die zwei Minuten und schmeiß die Suchmaschine an, bevor du diesen Text liest.

Manchmal fühle ich mich als wäre ich auf dem falschen Planeten geboren. Als wäre ich ein Alien, abgestürzt aus einem Ufo, ohne Erinnerung an den Ort von dem ich herkomme und wo ich hingehöre. Irgendwie falle ich aus allen Mustern heraus, passe nirgendwo dazu, in keine Schablone hinein.

Na gut, wer tut das schon?

Aber wer, außer mir selbst, mag keine Partys,

findet Small-Talk überflüssig,

hasst shopping (als Frau) und

ist gerne allein?

Ich bin ein Weirdo,

komisch, seltsam, merkwürdig, eigenartig.

Mein ganzes Leben lang trage ich das Gefühl mit mir herum missverstanden zu werden. Schon an meinem ersten Kindergartentag sagte die Erzieherin zu meiner Mutter ich wäre noch etwas still gewesen und ich erinnere mich heute noch daran, dass ich mir den Kopf darüber zerbrach, warum sie das gesagt hatte. Denn ich habe mich dort wohlgefühlt. Ich bin vom ersten Tag an gerne in den Kindergarten gegangen, mochte es mit den anderen Kindern zu spielen. Ich war keine von den Töchtern, die immer weinten, wenn sie sich von ihrer Mama trennen musste. Aber ich war eben auch keines der Kinder, die kreischend herumgesprungen sind und den größten Lärm veranstaltet haben. Doch das war mir als kleines Mädchen nicht bewusst. Kinder denken nicht darüber nach, ob sie so „normal" sind, wie sie sind. Und was ist schon normal? Ich war eben ein ruhiges Kind, genauso, wie ich ein wenig schreiendes Baby war und heute eher zur Fraktion zuhören und beobachten als schwingende Reden halten gehöre.

Je älter ich wurde, desto häufiger wurde ich auf meine stille Art hingewiesen.

„Du bist zu schüchtern"

„Komm doch mal mehr aus dir raus"

„Du musst an deinem Selbstbewusstsein arbeiten"

„Rede doch mal mehr"

„Du machst mir Angst, weil du immer so still bist"

All das sind Sätze, die ich in meinem Leben bereits hunderte Male gehört habe. In der Grundschule hatte ich immer das Gefühl ich wäre, so wie ich bin, nicht in Ordnung. Ich wurde im Unterricht absichtlich häufig aufgerufen und gezwungen zu reden. In meinem Zeugnis stand Jahr für Jahr, sie ist eine sehr ruhige Schülerin und was mündliche Noten anbelangt, erreichte ich selten etwas besseres als eine 3, die ich nur deshalb bekam, weil ich den Unterricht nicht störte. Ich hasste mich dafür das stille Kind zu sein, dabei war ich einfach nur ich selbst. 

Heute finde ich es gruselig, wie mit mir umgegangen wurde und merke welche Spuren das bei mir hinterlassen hat. Manchmal fühle ich mich jetzt noch unwohl, wenn ich merke, dass ich schon wieder die bin, die bis jetzt am wenigsten gesagt hat, weil der Typ dort hinten mich fragend ansieht, so als würde er sich wundern, ob es mir gut geht. Doch vielleicht ist das gut so, denn immerhin bin ich mir bewusst darüber, wie ich wirke und so kann ich mich, so seltsam das klingen mag, in bestimmten Situationen bewusst verstellen, um meinen Mitmenschen nicht zu erlauben mich in die Schublade, der extrem Schüchternen und Schweigsamen zu stecken.

Als ich ca. 13 Jahre alt war, las ich dann zum ersten Mal einen Artikel über die Unterschiede von introvertierten und extrovertierten Menschen. Dank sei dem guten, alten Internet, sonst hätte man mich wohl früher oder später in die Klapsmühle eingewiesen und mir erklären müssen, dass bei mir nichts kaputt ist, weil ich die Welt nicht mehr verstanden hätte, so oft wie an mir und meiner stillen Art herumgemäkelt wurde. Jetzt wo ich über Jahre hinweg immer wieder darüber nachgedacht, mich belesen und meine Erfahrungen gesammelt habe, finde ich es umso schlimmer, wie ich, besonders in der Schule, häufig behandelt wurde.

Eine Freundin, die ähnlich introvertiert ist, wie ich, hat sogar eine Liste bekommen, auf die ihre Lehrerin in der ersten Klasse jedesmal einen Strich setzte, wenn sie sich zu Wort meldete, wofür sie bei einer bestimmten Anzahl an Strichen einen Stern bekam. So als wäre sie ein Hund, dem man Sitz und Platz beibringen möchte und ihn mit Leckerlis belohnt, wenn er tut, was man von ihm verlangt. Ich weiß, dass es auch schüchterne Menschen gibt, die man aus ihrer Reserve locken muss, damit sie sich öffnen. Aber sind Methoden, wie diese Strichliste wirklich der richtige Weg? Menschen öffnen sich, wenn sie sich wohlfühlen und das Gefühl haben so angenommen zu werden wie sie sind. Nicht, weil man sie zwingt.

Wie soll ein von Natur aus stilles Kind sich öffnen, wenn man ihm durchgehend das Gefühl gibt, es würde so wie es ist nicht akzeptiert werden.

Und darf ein 6- oder 7-jähriges Kind denn nicht ein wenig schüchtern sein? Ist das wirklich so schlimm?

Schüchternheit ist eine Angst. Die Angst vor Menschen zu sprechen. Und ja, ich bin nicht frei von dieser Angst, aber wer ist das schon? Wie viele Menschen gibt es, die sich vor nichts und niemandem für irgendetwas schämen? Es ist völlig natürlich in bestimmten Situationen schüchtern zu sein und es schützt uns davor nicht ständig verletzt zu werden. Jemand hat mal zu mir gesagt ich hätte mir einen Panzer gebastelt, mit dem ich durch die Welt laufe und der dafür sorgt, dass ich nicht aus mir herauskomme. Aber vielleicht brauche ich diesen Panzer, um nicht ständig auf die Schnauze zu fliegen. Vielleicht brauche ich diesen Panzer um das sensible Mädchen zu sein, das ich bin.

Alle predigen die ganze Zeit, dass man man selbst sein soll, unperfekt perfekt ist und sich von niemandem hereinreden lassen soll. Es ist okay verrückt, tollpatschig oder aufgedreht zu sein, aber wenn du schüchtern bist, dann stell dich gefälligst nicht so an und geh verdammt nochmal daran arbeiten!

Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass die Neigung zur Introversion angeboren ist, was bedeutet man kann sie sich nicht abtrainieren. Man kann höchstens so tun, als wäre man extravertiert, sich verstellen und sich dabei scheiße fühlen. Das ist in etwa so, als würde man einen schwulen Mann dazu umerziehen wollen auf Frauen zu stehen. Es geht nicht und es ist krank.

Und selbst wenn es ginge, warum sollte man es tun? Damit am Ende alle Menschen gleich sind. Alle, die zu laut sind werden darauf gedrillt ihre Klappe zu halten oder sie sollen sich gar Ritalin einwerfen, damit sie ruhiger werden und die, die zu leise sind, sollen gefälligst häufiger ihren Mund aufmachen und sich nicht ständig alles aus der Nase ziehen lassen.

Versteht mich nicht falsch. Wer stille Menschen nicht leiden kann, der kann mich eben nicht leiden. Niemand muss mich mögen, aber ich sage ja auch niemandem, dass die Augenfarbe blau ihm besser stehen würde in der Erwartung er würde von dort an nur noch mit blauen Kontaktlinsen durch die Gegend laufen, wenn er von Natur aus rehbraune Augen hat. Denn wer bin ich so über andere Menschen zu urteilen?

Ich finde es erschreckend, dass es in der Schule offensichtlich als erstrebenswert gilt, Menschen zu lebhafteren, redseligeren Wesen umzuerziehen. Dabei sollte Lehrern mit ihrer pädagogischen Ausbildung beigebracht werden, wie man mit introvertierten Kindern umgeht, nicht wie man ihnen klar macht, dass sie anders sind und das so nicht in Ordnung ist.

Können wir nicht alle so sein lassen wie sie sind? Solange man niemandem mit seiner Art schadet, ist doch alles cool.

Selbstbewusstsein ist wichtig und bestimmt könnten viele Menschen ein wenig mehr davon gebrauchen, wozu ich selbst im Übrigen auch gehöre. Dennoch habe ich jedesmal das Gefühl, wenn mir das jemand sagt, dass meine stille Art mit einem geringen Selbstbewusstsein begründet wird sprich, dass es anderen Menschen gar nicht auffallen würde, dass ich keinen besonders hohen Selbstwert habe, wenn ich nicht so ruhig wäre.

Aber Introversion und Selbstbewusstsein ist nicht dasselbe. Das sind zwei verschiedene Kategorien. Introversion ist ein Teil meines Charakters, den ich schon immer hatte und vermutlich immer haben werde. Selbstbewusstsein ist eher ein Gefühl, das sich beispielsweise steigert, wenn man erfolgreich ist, in dem was man tut. Und manchmal, wenn ich von Freunden höre, welche Unsicherheiten sie haben z.B. auf ihren Körper bezogen oder weil sie denken nicht gut genug für irgendwen oder irgendwas zu sein, frage ich mich schon, wie es sein kann, dass ich die Einzige bin, die sich ständig anhören muss, dass sie einen zu geringen Selbstwert hat? Denn eigentlich mag ich mich im Vergleich dazu echt gerne und bin mir sehr bewusst darüber wer ich bin und genau das bedeutet Selbstbewusstsein doch.

Das beste Beispiel hierfür ist wohl Elliott Smith, bekannt für seine tiefsinnige, melancholische Musik, die man heute noch ab und zu im Soundtrack von Filmen wiederfindet. Ich kannte ihn natürlich nicht persönlich und kann deshalb nur übernehmen, was andere Menschen über ihn sagen und das ist, dass er ziemlich introvertiert gewesen sein muss. Jedenfalls gibt es da dieses Video(siehe oben) indem ihm jemand bei einem Konzert aus dem Publikum zuruft: „Get a backbone", auf seine buckelige Körperhaltung und seine traurigen Texte hindeutend. In dem Video kann man sehen wie, meiner Meinung nach cool, er darauf reagiert. Glaubt ihr wirklich jemand hat kein Rückgrat, der sich mit seiner Gitarre vor ein Publikum setzt und Lieder singt, mit Texten, die sein Innerstes nach außen tragen? Jeder darf es unsympathisch finden, wenn jemand mit geduckter Körperhaltung durchs Leben geht und dabei wirkt als könnte ihn ein leichter Windstoß aus der Bahn werfen, aber mein Problem damit ist, dass ich keinen Grund sehe und es oft sicherlich keine Möglichkeit dazu gibt, extrovertierter zu werden, wenn man es nicht ist. Dieser Kerl hatte vielleicht Ängste und war zerbrechlich, aber was sollte er dagegen tun? Er bewies mehr Mut damit, sich mit seinen Liedern vor Publikum zu setzen und das nach außen zu strahlen was er war, als wenn er sich unter die Menschenmenge gemischt hätte, sich genauso angezogen und verhalten hätte, wie alle Anderen und seine Musik niemals auf die Bühne gebracht hätte, weil sie seine Schwäche zeigt.

Mehr als das zu tun, wovor man Angst hat, kann man nicht machen. Und wenn man dabei eben schüchtern wirkt oder ist, dann ist das so. Solange du deine Angst unter Kontrolle hast und nicht deine Angst dich, ist alles im grünen Bereich.  

Durch die Jahre erlebte ich immer wieder Situationen, die mir einerseits zeigten, dass mein Charakter für viele Menschen völlig unergründlich ist, andererseits aber auch, dass die meisten eher interessiert sind, als mich blind für mein Schweigen zu hassen.

Wie oft wurde ich schon seltsam angesehen, weil ich in einer größeren Gruppe kein Wort von mir gab, und habe später dann genau mit der mich anstarrenden Person geredet und erstaunte Blicke geerntet, weil es offensichtlich völlig unverständlich ist, dass das ach so schüchterne Mädel ganz normal reden kann und mir jetzt plötzlich sogar sympathisch ist, wo ich sie gerade noch in die Schublade, der komischen Freaks gesteckt habe.

Ist es denn wirklich so schwer zu verstehen für eine extrovertierte Person, dass es Menschen gibt, die sich in großen Gruppen zurückhalten, aber unter vier oder sechs Augen gerne ihren Beitrag zum Gespräch leisten? 

Diese Situationen erinnern mich immer daran, dass ich in bestimmten Punkten eben doch ganz anders ticke, als so viele Andere und fühle mich dann wie ein einziges Flamingo unter 150 Vogelsträußen.

Aber wisst ihr was, das ist vollkommen in Ordnung. Nicht Jeder muss mich verstehen und solange man mir die Chance gibt zu zeigen wer ich bin, wenn man mich näher kennenlernt, kann ich damit bestens leben. Und diese Chance hat mir bisher so gut wie Jeder gegeben und die, die es nicht tun, sind ohnehin so oberflächlich und voreingenommen, dass wir sicher keine Freunde werden würden.

Also falls du auch introvertiert bist, erlaube dir nichts zu sagen, wenn du nichts sagen möchtest und trau dich zu sein wie du bist und deine Mitmenschen werden dich dafür respektieren. Lass dich nicht auf deine ruhige Art reduzieren und die Leute werden dich nicht darauf reduzieren. Menschen werden für ihre Stärken respektiert und introvertiert zu sein beinhaltet meistens auch Sachen wie gut zuhören zu können, Kreativität, eigenständiges Denken, hohe Konzentrationsfähigkeit, eine analytische Denkweise und vieles mehr. Und sicherlich hast du ganz individuelle Stärken. Vielleicht bist du musikalisch, ein Profi im Programmieren oder kannst gut kochen.

Du bist du. Du hast ganz schön was auf dem Kasten und du passt dich nicht an das Bild an, das Menschen von dir haben, die dich nicht kennen. Nur weil deine stille Art das Erste ist, das an deinem Charakter auffällt, bist du nicht nur das. Kein Mensch ist nur eine seiner Charaktereigenschaften und du bist nicht nur introvertiert. 

Vor vielen Jahren hielt ich ein Referat, bei dem mich ein Typ aus meiner Klasse die ganze Zeit völlig entgeistert angesehen hatte. Ich war fast ein wenig verunsichert, fragte mich, ob ich gerade Schwachsinn erzählte, einen roten Punkt auf der Stirn hatte oder sondergleichen, bis mir bewusst wurde, warum er mich so anblickte.

Ich war für ihn das wahnsinnig stille Mädel, das sich niemals traute ein Wort zu sagen und jetzt stand ich da vorne und

redete und redete und redete ... ohne dabei ganz leise zu sprechen und auf den Boden zu schauen, weil ich Angst hatte ich könnte etwas Falsches sagen. Denn das hatte ich nicht. Es war nicht mein Ding schwingende Reden zu halten, ich war nervös und hasste es, aber wenn ich wollte und mich darauf vorbereitete dann konnte ich sehr wohl ein gutes Referat halten. Was übrigens typisch für introvertierte Personen ist. Doch da wurde mir wieder bewusst, was andere Menschen für ein seltsames Bild von mir haben, denn es ist ja nicht so, dass ich den ganzen Tag durch die Welt laufe und mit den Zähnen auf meiner Lippe herumkaue, weil ich eigentlich gerne etwas sagen würde, mich jedoch nicht traue. Ich habe meistens nur nicht das Bedürfnis all meine Gedanken auszusprechen. Ich lebe mehr in meinem Kopf, als auf meiner Zunge und manchmal träume ich davon, dass wir eines Tages so weit sind, dass nicht jeder auffällig introvertierte Mensch als gestörter Psycho oder Mensch ohne Selbstbewusstsein abgestempelt wird.

Jeder Mensch ist ein Genie, aber wenn man einen Fisch danach beurteilt, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein Leben lang denken, er sei dumm. ~Albert Einstein

Jeder Mensch ist ein Genie, aber wenn man einen Introvertierten danach beurteilt, ob er in großen Menschenmengen viel redet, wird er sein Leben lang denken er sein dumm.

Fast jeder von uns hat einen dominierenden Charakterzug, der seinen Mitmenschen als erstes auffällt und ich denke damit müssen wir leben. Es ist okay, darauf hingewiesen zu werden oder deshalb nicht gemocht zu werden, aber wir müssen uns deshalb nicht verändern.

Was ist es bei dir?

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Danke, dass du tatsächlich bis hier hin gelesen hast. Der Text ist ein wenig ausgeartet, weshalb ich jetzt beschlossen habe, hier einen Cut zu setzten und eventuell wann anders einen zweiten Teil zu schreiben, auch um dem Thema gerecht werden zu können. Das Ganze wurde ein wenig emotionaler, als ich es eigentlich wollte und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich den Punkt getroffen habe, aber meine Worte sind nicht Gesetz. Also wenn du findest, dass ich Schwachsinn schreibe, sag's mir ruhig.

Heute empfehle ich natürlich die Musik von Elliott Smith, der einmal über eine Oscarverleihung sagte, bei der auftrat, er fühlte sich wie auf dem Mond. 

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