Regeln töten Kunst

Vor einiger Zeit fand ich einen alten Krimi, aus dem Jahr 1977, im Wohnzimmerschrank meiner Eltern. Dieses Buch hat mir große Freude bereitet, weil es mal etwas völlig anderes war und vor Originalität nur so sprießte. Da ist mir erst bewusst geworden, wie sich all die aktuellen Romane mehr und mehr angleichen. Die Handlung ist stets auf dieselbe Weise aufgebaut und spielt sich zumeist in ähnlichen Welten ab, es gibt die gleichen klischeehaften Charaktere und oft zieht man keine neue Botschaft aus Büchern heraus, da man so gut wie alles zumindest schon mal so ähnlich woanders gelesen hat.

Doch woran liegt das? Haben Autoren den Mut verloren, etwas komplett anderes zu schreiben, das man von ihnen noch nie gelesen hat? Schließlich will niemand eine kitschige Liebesgeschichte eines Schriftstellers lesen, den er für seine blutrünstigen Thriller lieben gelernt hat. Das ist, als würde man plötzlich nur noch Käse vom Metzger seines Vertrauens erhalten. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und wenn sich etwas verändert, wird immer gemeckert. Denkt man nur mal an Linkin Park, deren Musik sich haufenweise Fans abwendeten, nachdem sie sich immer weiter vom ursprünglichen Stil des beliebten Albums Hybrid Theorie entfernten. Je erfolgreicher man war, desto höher sind die Erwartungen, desto ausgeprägter die Vorstellung davon, wie die neue Platte oder das neue Buch sein sollte und desto größer die Blockaden im Kopf der Künstler, die es erschweren die Kreativität einfach so aus sich heraussprudeln zu lassen. Ständig wird man mit Ratschlägen überhäuft, sodass man mehr und mehr darauf achtet Regeln einzuhalten, statt Spaß zu haben und seine Gedanken und Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

Selbst bei mir selbst habe ich festgestellt, dass ich viel pingeliger bin, seit ich nicht mehr nur für mich selbst schreibe und mit Feedback konfrontiert werde. Plötzlich denke ich Dinge einhalten zu müssen, die mir selbst niemals wichtig waren. Beispielsweise wurde ich darauf hingewiesen Zahlen bis 12 auszuschreiben, auf eine bessere Kommasetzung zu achten und strukturierter vorzugehen. Ich meine, all diese Tipps sind richtig und gut, aber es fällt mir schwer konstruktiv damit umzugehen. Wie soll man in diesen kreativen Flow kommen, wenn man ständig überprüft, ob hier und da nicht doch ein Komma fehlt, dieser Satz ohne unnötige Füllwörter besser klingt oder an diese Stelle eine Metapher hineinzubasteln wäre, um das Ganze ein wenig anschaulicher zu gestalten.

Wie viele Vorgaben muss ich einhalten, damit meine Texte lesenswert sind?

Wie man richtig plottet, den Charakteren Tiefe gibt und von formalen Vorgaben hatte ich bis vor Kurzem keinen blassen Schimmer. Ich wollte einfach schreiben und dabei meine Kreativität ausleben. Meine Absicht war es nie einen professionellen Roman zu schreiben, den möglichst viele Menschen mögen. Ich wollte nicht Millionen von Lesern erreichen, reich und berühmt werden. Denn dann könnte ich auch für mich in meinem stillen Kämmerlein arbeiten, bis eine Geschichte perfekt ist und alle schriftstellerischen Regeln soweit erfüllt, dass sie eine Chance hat angenommen zu werden, wenn ich sie an einen Verlag schicke.

Kann man überhaupt kreativ sein, wenn man will, dass das Ergebnis Anklang findet? Ist es noch Kunst, wenn man ein Buch so schreibt, dass es möglichst vielen Menschen gefällt? Und sind nicht sowieso die Werke am besten, die sich an keine Regeln halten, dafür aber umso origineller sind? Kunst bedeutet doch nicht ein Endprodukt herzustellen, sondern fließen zu lassen was raus muss, ohne vorher zu wissen was am Ende dabei rauskommt. Manchmal male ich Bilder und frage mich danach selbst wie ich so etwas zeichnen konnte, denn ich bin darin nicht sonderlich begabt, habe es nie richtig gelernt. Aber, wenn ich in der richtigen Stimmung bin, inspiriert und in meine Welt aus Stift und Papier abgetaucht, schaffe ich Dinge, die mich im Nachhinein selbst faszinieren.

Punks treffen auch nicht jeden Ton und trotzdem oder genau deswegen gibt es haufenweise Leute, die das mögen. Weil es anders klingt und Themen behandelt, die wichtig sind.

Es gibt eine Menge Gitarristen aus erfolgreichen Bands, die keine Noten lesen können und auf jegliche Regel pfeifen, weshalb sie überhaupt erst auf die Idee bestimmter Lieder kamen. Beispielsweise indem sie Pickingmuster eine ganze Saite nach oben versetzten oder absichtlich die falsche Basssaite benutzten, wovon jeder geschulte Musiker abgeraten und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte. Nicht selten wurden genau diese Songs am Ende zu großen Hits.

Tschick von Wolfgang Herrndorf, ein riesen Bestseller, trotz, oder gerade wegen der durchgehend umgangssprachlichen Formulierungen.

Die Känguru-Chroniken, auch ein wahnsinnig erfolgreiches Buch, obwohl es noch nicht einmal eine richtige Geschichte ist, sondern einfach nur Dialoge und, obwohl der Autor seinen eigenen Charakter verwendet, wovon ich schon zu Hauf gelesen habe, dass man dies auf keinen Fall tun sollte.

Bestimmt kennt ihr „Das Parfum" von Patrick Süskind. Auch dort gibt es diesen Parfümeur, Baldini, der sein Handwerk perfekt beherrscht, seit Jahren jedoch keine gute Idee für einen neuen Duft mehr hatte. Wohingegen ein Jüngerer, Pélissier sich nicht an die alten Regeln hält, dafür aber zahlreiche neue Düfte erstellt, die großen Anklang finden.

Bei meinem eigenen Werk habe ich wohl so ziemlich alle Regeln gesprengt, was das plotten angeht. Ich bin oft von einer Szene in die nächste gesprungen, habe große zeitliche Lücken gelassen und kein Einleitung, Hauptteil, Schluss -Schema verfolgt. Für viele war oder ist das wahrscheinlich ein Punkt, warum sie die Geschichte nicht mögen und ganz ehrlich ich würde das jetzt auch nicht mehr genauso machen, würde ich mit dem, was ich zwischenzeitlich dazugelernt habe, diese Story nochmal schreiben. Aber ist es nicht witzig, dass genau das, nämlich die Handlung, von den Lesern, die das Buch mochten, am häufigsten gelobt wurde? Das, wovon ich vermutlich am wenigsten Ahnung hatte und mich einfach nach meinem persönlichen Empfinden, nach meinem Bauchgefühl leiten lassen habe, ohne irgendwelche Vorgaben erfüllen zu wollen.

Lasst uns Péllisier sein, nicht der alte, verbitterte Baldini.

Reicht es denn nicht, sich an seinem eigenen Empfinden zu orientieren? Die Verbesserung kommt mit der Zeit ohnehin von selbst, wenn man dranbleibt und immer weiter schreibt, seinen eigenen Stil entwickelt und macht, was man selbst cool findet.

Ich finde es schade, dass Autoren sich immer mehr an Vorschriften und vorgegebenen Schablonen entlanghangeln und das als Gradmesser für die Qualität von Büchern hergenommen wird. Denn das führt, zumindest bei mir, vor allem zu einem:

Der Einschränkung meiner Kreativität

An je mehr Vorgaben ich mich halten möchte, desto verkopfter werde ich und stehe mir irgendwie selbst im Weg. Klar, kann man auch innerhalb des Regelkonstrukts, das man sich schafft noch eigene Ideen einbringen und eine individuelle  Geschichte erzählen. Aber wären viele Bücher nicht innovativer, wenn sie sich weniger an vorgegebenen Schemen orientieren würden, wie z.B. der 4- oder 5-Akt-Struktur.

Sollten wir uns nicht eher darum bemühen neue, innovative und kreative Ideen umzusetzen? Auch wenn Geschichten dann vielleicht zwei Höhepunkte haben oder die Sprache zu wünschen übrig lässt, weil der Autor es nicht besser kann. Wollen wir wirklich auf gute Geschichten verzichten, da sie Ecken und Kanten haben? Können wir nicht mal über Fehler hinwegsehen, wenn man die Leidenschaft spürt, die dahintersteckt? Woher sollen denn neue Ideen kommen, wenn man jede verrückte Idee sofort ausmerzt, weil sie bestimmte Vorgaben nicht erfüllt?

Lasst uns aufhören an irgendwelchen Vorschriften zu klammern und ein bisschen durchgeknallter sein. Die Kunst lebt von abgefahrenen Ideen und Literatur ist, zumindest in meinen Augen, eine Kunstform. Manchmal müssen wir die Kreativität aus uns herausfließen lassen, ohne über Kommasetzung und Wortwiederholungen nachzudenken.

Natürlich hat so ein perfekt lektoriertes Buch auch seinen Reiz und ich genieße diese Perfektion oft. Aber manchmal sind eben auch die unperfekten Geschichten, oder gerade diese, Goldschätze auf die ich nicht verzichten möchte wegen ein paar Rechtschreibfehlern oder zu flapsigen Formulierungen. Lasst uns Ratschläge als Tipp annehmen, als Inspiration, sprich einer Möglichkeit, für die wir uns entscheiden können. Aber lasst uns nicht vergessen, dass wir im Prinzip alles dürfen und nichts müssen, auch wenn wir dabei 100 Regeln brechen.

Gerade auf Wattpad sollte es meiner Meinung nach mehr um Herz und Leidenschaft gehen, denn wir sind doch fast alle keine perfekten Autoren. Sonst wären wir nicht hier und könnten das, was wir schreiben  gleich an einen Verlag schicken und Geld damit verdienen, wenn unsere Bücher verkauft würden. Und genau deshalb sollte doch wenigstens hier auf Wattpad, wo es nicht um möglichst hohe Absatzzahlen geht und wir das nicht Vollzeit, sondern als Hobby machen, eine Chance sein, diese ganzen Vorgaben zu umschiffen und dafür ein kleines bisschen kreativer zu sein.

Wie seht ihr das? Stimmt ihr mir zu oder gibt es für euch etwas das überhaupt niemals in Ordnung geht, egal wie viel Leidenschaft in einem Buch stecken mag?

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Mein heutiger Musiktipp ist Shocky, weil er ein wahrer Künstler ist. Oben findet ihr das Lied "Anima".

Wenn ihr ihn auschecken wollt, versucht es am besten auf Youtube, da findet man am meisten.

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