Gedankennomade

Eine paar Worte über meine zwei widersprüchlichsten Seiten

Ich sitze hier im Schneidersitz auf dem Boden und blicke aus dem Fenster, den rosa Himmel bewundernd. Auf meiner rechten Schulter sitzt die kleindimensionale Emilia streichelt mein Haar und erfüllt mich mit Wärme und Inspiration. Sie ist für meine Emotionen verantwortlich, bringt mich genauso zum Lachen, wie sie mich zu Tränen rührt. Sie ist sehr präsent, denn ich bin ein gefühlvoller Mensch.

Genauso aufmerksam ist jedoch Rick, der es sich auf meiner linken Schulter bequem gemacht hat. Er ist ein sehr pragmatischer, rationaler, sachlicher, kleiner Kerl, der die Dinge bis ins kleinste Detail analysiert, dafür sorgt, dass jedem meiner Gedanken und Gefühle direkt 10 Gegengedanken folgen und ich mich nicht blind von meinen Emotionen leiten lasse.

Emilia und Rick sind Partner mit harten Auseinandersetzungen. Manchmal so heftig, dass sie versuchen sich gegenseitig zu erdolchen und mir dabei Stiche, Löcher in den Kopf rammen. Für Blutschlachten in meinem Gehirn sorgen, sodass ich mich auf die Seite lege und warte bis es nachlässt.

Jedem meiner Gedanken folgen 10 Gegengedanken, was dazu führt, dass ich niemals sicher bin, mit dem Denken niemals zu einem Ende komme. Meine Emotionen niemals genügen, um mir Meinungen zu bilden. Alle meine Gefühle werden von Rick blockiert und ausgebremst, was dazu führt, dass ich am Boden liegen bleibe, mit Handschellen gefesselt an Armen und Beinen, mich nicht von der Stelle rühren kann und den rosa Himmel verpasse.

Meine Meinung bleibt niemals die selbe, wechselt wöchentlich, täglich oder gar stündlich. Im Prinzip habe ich keine Meinung, hänge immer irgendwo dazwischen, wie Nomaden, die nie an einem Ort sesshaft werden. Vorgefertigte Stellungen reichen mir nicht aus. Es gibt immer noch etwas zu hinterfragen, ein weiterer Gedanke daran angeknüpft, der das Gesamtbild wieder in ein ganz anderes Licht rückt, eine noch bessere Wahrheit. Doch wozu dann all die Gedanken? Wenn sie kein Ziel haben und ich nie länger an einem Punkt bleibe, als für eine kurze Rast? 

Ich bin ständig auf der Durchreise, keine meiner Einstellungen bleibt so wie sie ist. Menschen, die ich gestern noch bewunderte, denen ich zu 100% zustimmte, gehen mir heute auf den Keks, weil ich schon wieder weitergezogen bin, neue Gedanken angeknüpft habe, deren Meinung widerlegt habe. Jedem meiner Gedanken folgen 10 Gegengedanken.

Ich habe ein riesiges Bedürfnis, alle Menschen zu verstehen und die Kombination aus Rick und Emilia sorgen dafür, dass ich das so gut wie immer tue. Wodurch ich wiederum mich selbst und meine Meinung verliere. Man kann jeden Menschen verstehen, wenn man genug Empathie und Analytik besitzt. Doch wie soll ein Mensch das ertragen, Verständnis für Alles und Jeden zu haben? Kein Wunder, dass meine Gedanken so anstrengend sind und ich ständig von Kopfschmerzen geplagt bin. Durchschnaufend Löcher in die Luft starre, meinen Kopf nach unten senken lasse und ihn auf meinen Händen abstütze.

Vielleicht besiegt Rick eines Tages Emilia und ich werde zum gefühllosen Pragmatiker oder Emilia erdolcht Rick und ich werde zum emotionsgeleiteten Leichtsinn.

Oder es kommt zu einer Waffenruhe. Möglicherweise im Alter, wenn die Beiden ihren Idealismus aufgegeben haben, keine Energie für die immer wieder selben Auseinandersetzungen mehr verschwenden möchten. Vielleicht einigen sie sich irgendwann und hängen dann mit buckeligem Rücken und baumelnden Beinen auf meinen Schultern und tauschen sich über Pietro und Sarah Lombardi aus.

Aber wäre das dann noch ich? Wenn nicht mehr jedem meiner Gedanken 10 Gegengedanken folgen? Ist ein einfacheres Leben dieses Einschläfern wirklich wert? 

NEIN, das ist es nicht!

Und deshalb werde ich kämpfen, dafür, dass Emilia und Rick am Leben bleiben. Werde sie anstacheln, zu diskutieren, zu streiten und zu kämpfen. Damit sie niemals müde werden, niemals ihren Idealismus aufgeben, auch wenn es mir das Leben zur Hölle macht, mir schlaflose Nächte bereitet, mich in tiefe Depressionen verfrachtet. Ich will es nicht anders. Ich werde die Wahrheit jagen, die utopische, beste Meinung suchen, für immer, so lange bis ich sterbe und wenn ich niemals zum Ziel komme. 

Auf dem Weg das Ziel gesucht und nie gefunden zu haben ist immer noch besser, als blind fremde Ziele zu übernehmen.


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