Ein nie versendeter Brief
Dear P,
es gibt da ein paar Dinge, die ich dir sagen muss. Wahrscheinlich denkst du, dass ich dich nicht ausstehen kann, aber das stimmt nicht. Es tut mir Leid, dass ich so abweisend bin, dich so schlecht behandelt habe. Du bist ein toller Mensch und ich wünschte es würde mehr von deiner Sorte geben. Dann wäre die Welt sicher ein besserer Ort.
Das Problem bist nicht du, sondern ich. Ich weiß es sehr zu schätzen, wie du mich gern hast, auf diese ehrliche Weise. Ich fühle mich geschmeichelt, aber ich weiß auch in Wahrheit bin ich ganz anders, als du mich siehst. Gerne wäre ich dieses unkomplizierte, korrekte Mädchen, das viel lacht und gut zuhören kann, das du in mir siehst.
Doch das bin ich nicht. Es gibt Seiten an mir, die ich dir nicht zumuten kann und will. Abgründe, die sich in meine Seele eingekerbt haben, schwarze Gedanken, die du noch nicht mal erahnen kannst, weil ich sie nicht zeige. Ich würde das Leben gerne so leicht nehmen, wie es meine Fassade tut, aber ich kann es nicht. Du denkst oder hast vermutlich gedacht, dass ich einfach nur schüchtern bin und deshalb wenig von mir erzähle, aber schon noch irgendwann auftauen würde und das stimmt auch teilweise. Vielleicht hat es dich sogar gereizt. Du wolltest sehen, was sich da geheimnisvolles hinter meiner Stirn verbirgt.
Die ganze Wahrheit ist, dass ich ein wahnsinnig negativer Mensch bin, mit einem Blick auf die Welt, bei dem es dir eiskalt den Rücken hinunter laufen würde.
Du bist unkompliziert und pragmatisch, kannst die Dinge nehmen, wie sie sind, hast einen klaren Blick auf die Welt, bist optimistisch und blendest alles Schlechte aus.
Aber ich kann das nicht. Mein Weltbild ist so düster, dass ich es kaum ertragen kann. Ich erkenne Dinge, die andere Menschen niemals wahrnehmen werden, wünsche mir jeden Tag dümmer zu sein, um mir nicht ständig selbst im Weg zu stehen und komme mir total arrogant vor, weil ich von mir selbst denke, klug zu sein.
Es zerreißt mich zu wissen, deine Erwartungen nicht erfüllen zu können, nicht so sein zu können, wie du mich siehst. Und dir nicht erklären zu können, warum ich mich so seltsam verhalte, tut mir weh. Wenn du mich ansiehst mit deinen traurigen Augen, enttäuscht, weil ich dich nicht an mich heranlasse. Aber ich will dich nicht mit in meine Abgründe reißen. Ich bin echt unausstehlich, weiß immer alles besser. Manchmal würde ich mich am liebsten erschießen, wenn die Menschen um mich herum bestimmte Dinge tun oder sagen. Doch sage nicht mal was. Ignoriere meine Gedanken einfach und schlucke sie hinunter, weil ich keine Energie habe zu diskutieren und nicht mehr daran glaube, dass sich irgendwann alles zum Guten wendet.
Sitze mein Dasein nur noch ab, versuche alles Schlechte hinter mir zu lassen und suche verzweifelt nach einem lebenswerten Platz in dieser Welt.
Manchmal denke ich, ich hab's geschafft, die dunklen Gedanken endlich losgelassen und neuen Lebensmut gefunden. So war das, als wir uns kennenlernten. Und dann rutschte ich wieder in dieselben Abgründe, schlechte Gedankenmuster, unendliche Melancholie. Mir wird alles zu viel, ich ziehe mich zurück und ertrage keinen Menschen mehr.
Morgens aufzustehen hat keinen Sinn mehr. Ich tue es nur noch, weil ich muss. Quäle mich und funktioniere, wie ein Roboter. Eine leere Hülle, keine Gefühle, keine Lebensfreude. Ich flüchte mich in Bücher, stelle die Musik immer lauter, um das taube Gefühl im Kopf loszuwerden und schreibe unendlich lange selbstbemitleidende Texte für die ich mich schäme. Aber das hält mich am Leben, ist meine Therapie.
Ich wünschte du wüsstest das alles, könntest mich verstehen, aber das tust du nicht. Du kannst es nicht, bist viel zu pragmatisch. Die Wahrheit würde es für dich kein Stück besser machen, dir die Kränkung nicht nehmen. Du würdest das für eine lieb gemeinte, falsche Entschuldigung halten, dafür, dass ich dich nicht mag.
In deiner Welt gibt es nur ja oder nein,
sie mag mich oder sie mag mich nicht.
Nichts dazwischen, keine komplexen Probleme, nichts Widersprüchliches und das ist okay so. Aber ich hasse es, dir mich nicht erklären zu können, sodass du es verstehst und weißt, dass ich dich nicht furchtbar finde.
Manchmal wünsche ich mir so wie früher mit dir abzuhängen, zu reden, Spaß zu haben, die Illusion einer unkomplizierten, unkaputten Welt aufrecht zu erhalten. Aber es geht nicht. Ich würde dir nur falsche Hoffnungen machen und dann würde alles noch schlimmer, noch komplexer, noch unerklärbarer.
Also wünsch ich dir einfach nur ein gutes Leben mit Menschen, die gut zu dir sind und dich glücklich machen.
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