Du bist asexuell, wenn du George Clooney von der Bettkante stoßen würdest
Als ich jünger war, ging ich immer davon aus ganz gewöhnlich heterosexuell zu sein. Ich stellte mir immer vor, eines Tages eine Beziehung mit einem Mann zu führen. Manchmal dachte ich auch, vielleicht bleibe ich allein und werde eventuell mal einen Freund haben, um diese Erfahrung gemacht zu haben, dann aber feststellen, dass ich dem nichts abgewinnen kann und von dort an weiter als Single mein Leben bestreiten. Die meiste Zeit meines Lebens war ich Single, ich hatte meine gesamte Teenagerzeit keine Erfahrungen gesammelt, niemanden geküsst, nie Händchen gehalten und wenn da doch mal jemand war, wurde nie etwas daraus. Ich sah nie in meinem Leben Pornos und irgendwie interessierte mich Sex auch nicht so sehr. Es war einfach nur etwas, das existierte, das ich vielleicht irgendwann haben würde, aber womit ich auch kein Problem hatte es nicht zu haben.
Ich war nicht gegen Sex, aber auch nicht dafür und auch nicht auf der Suche nach ihm.
Manchmal wunderte ich mich, was daran so toll sein sollte und sah Geschlechtsverkehr eher als etwas an, das mir an einer Beziehung sicherlich lästig wäre. Ich fragte mich, ob es mir überhaupt gefallen könnte, regelmäßig Sex zu haben und wunderte mich wie oft man wohl Sex haben musste, wenn man eine Partnerschaft einging.
Mit meiner sehr pessimistischen Einstellung was dieses Thema anging, dachte ich, eine Beziehung könnte mein Leben nur so halb bereichern. Ich dachte, ich würde eines Tages nur deshalb eine eingehen, weil ich nicht mehr allein sein wollte. Nicht mehr allein Leben wollte und aus Neugier mich auf einen Kerl einließe, der Interesse an mir zeigte. Ein wenig auch deshalb, weil es nicht unbedingt als gesellschaftlich angesehen gilt, sein Leben lang allein zu bleiben. Also schätzte ich mich froh noch jung genug zu sein, sodass mein Single-Dasein als Sie ist nur ein Spätzünder oder Sie ist eben etwas schüchtern durchging.
Meines Erachtens nach müsste ich eine Menge dessen, was ich an meinem Leben genoss, für eine Beziehung aufgeben. Stundenlang Zeit allein zu verbringen, Hobbys nachzugehen so lang und viel ich will, und mein zuhause als Rückzugsort ganz für mich allein zu haben. In meiner Vorstellung sah ich es als Last an sich eines Tages ein Bett mit einer anderen Person zu teilen, weil es mir die Möglichkeit nimmt als introvertierte Person meine Batterien aufzuladen. Und in diesem Leben sind nunmal leider oft die wertvollsten Stunden am Tag, die man wirklich für sich hat, die die man abends nach dem Feierabend und vor dem Schlafen gehen hat.
Gleichzeitig wünschte ich mir dennoch eine Partnerschaft. Jemanden, den ich lieben konnte, jemanden, der mich liebte. Also glaubte ich, man müsste Kompromisse eingehen und ich müsste es einfach mal versuchen. So ging ich offen durch mein Leben, versuchte Männern, die wollten, eine Chance zu geben. Für Dating-Apps oder ähnliches war ich jedoch wohl noch immer nicht genug getrieben von dem Wunsch jemanden kennenzulernen mit dem ich möglicherweise eines Tages mein Leben teilen könnte. Als ich 20 war, war da ein Kerl, den ich näher kennenlernte und traf. Zuerst dachte ich, ich mochte ihn einfach nicht genug und beendete deshalb irgendwann die ganze Geschichte. Daraufhin war ich wirklich traurig, vermisste ihn und man kann schon sagen, dass ich etwas Liebeskummer hatte. Ich war gänzlich verwirrt, denn ich mochte seine Nähe nicht. Es war mir total unangenehm von ihm umarmt zu werden und selbst wenn er nur neben mir saß und sein Arm meinen berührte, mochte ich das nicht. Ich empfand es regelrecht als abstoßend, sodass ich schlussendlich daraus schloss, ich hätte einfach keine Gefühle für ihn. Als er dann aber weg war, wurde mir klar, dass da doch etwas war. Vielleicht nicht Liebe, aber ein Mögen, das über eine oberflächliche Freundschaft hinausgeht auf jeden Fall.
Nach ihm dachte ich darüber nach, ob ich nicht doch asexuell sein könnte. Schließlich wäre es eine Erklärung für mein seltsames Empfinden. Ich mochte ihn, aber körperliche Nähe nicht und schließlich hatte ich noch nie Sex und auch noch nie das Bedürfnis dazu welchen zu haben.
Erst als ich später nochmal einen anderen Mann kennenlernte, bei dem das plötzlich alles klarging und ich körperliche Nähe sogar genoss, wurde mir einiges klarer. Es hat nichts damit zu tun, dass ich generell asexuell bin, sondern mit Nähe an sich. Emotionaler Nähe. Die vorhanden sein muss, damit ich überhaupt alles andere will und zulassen kann. Ich konnte mir zum ersten mal vorstellen Sex zu haben und da wurde mir erst bewusst, dass es nicht normal ist, dass ich dieses Empfinden nicht ständig habe, in meiner gesamten Teenagerzeit nie hatte – selbst dann nicht, wenn ich mich in jemanden verguckt hatte.
Ich hatte auch noch nie einen Celebrity Crush und erinnere mich, als meine damalige beste Freundin in der 8. oder 9.Klasse aus mir herauszukriegen versuchte, welchen Spieler der Nationalmannschaft ich am attraktivsten fand. Ich habe mich schon damals gewundert, was sie damit immer wollte und warum man ausgerechnet fremde Männer, die man höchstens aus dem Fernsehen kennt und weiß wie gut sie Fußball spielen, attraktiv finden sollte. Wie jemand aussieht war für mich nie ein Kriterium dafür, ob ich Interesse gewann. Für mich wurden Jungs eher dann anziehend, nachdem sie eine Runde interessanten Deeptalk mit mir geführt hatten. Oder zwei oder drei oder achtundsiebzig. Und selbst dann denke ich nicht unbedingt an Sex. Die Wahrscheinlichkeit wird mit der Zeit jedoch deutlich höher, dass ich mir das vorstellen kann und irgendwann auch will.
Also war es für mich jedes Mal aufs Neue unangenehm, wenn ein Typ von sich aus auf mich zukam und aus mir herauszulesen versuchte, was ich von ihm hielt und, ob da vielleicht eines Tages etwas gehen könnte. Fast Fremde waren für mich nie interessant. Es verunsicherte mich, dass ich einfach kein Kriterium hatte, woran ich festmachen sollte, ob jemand nun attraktiv für mich war oder nicht. Ich wusste gar nicht genau, was das überhaupt sein soll.
Attraktiv.
Oder gar hot.
Wenn Freundinnen darüber sprachen, dass Kerl XY so hot sei oder sie auf Männer in Uniformen stünden, sorgte das jedes Mal für Fragezeichen in meinem Kopf. Woher wussten die das und was sollte das heißen?
Schließlich möchten die meisten ja trotzdem nicht direkt mit jemandem schlafen, nur weil sie ihn als hot wahrnehmen. Auch wenn für mich irgendwie niemand hot ist, zumindest kein Fremder, der mir auf dem Gehweg entgegenkam und auch nicht Rapper XY.
Jetzt könnte man sagen, dann lerne die Typen doch erst mal kennen und dann siehst du schon, ob sie dich über eine Freundschaft hinausgehend interessieren. Und ja, das ist natürlich richtig. Aber jemanden monatelang zu daten, der von vornherein auf dich steht und deshalb einfach nicht „nur" Freundschaft will; um ihm dann nach nem halben Jahr oder noch später zu sagen, dass das leider nichts wird und die Typen dadurch - die man dann ja doch irgendwie ins Herz geschlossen hat - jedes Mal wieder zu verlieren ist echt nicht so schön.
Oft ließ ich mich deshalb von vornherein gar nicht erst auf irgendwen ein, wich Männern generell aus und traue mich bis heute häufig nicht, männliche Freunde zu fragen, ob man sich nicht mal treffen könnte, obwohl ich das echt gerne würde. Weil ich einfach so müde davon bin, dass irgendwas falsch verstanden wird und am Ende der ganze Kontakt abbricht oder zumindest alles komisch und kompliziert wird.
In Wahrheit sind Menschen, die das Interesse an dir verlieren, wenn du keine Beziehung mit ihnen führen willst und nicht mit ihnen in die Kiste hüpfen willst, sowieso Menschen, die nicht an dir als Person interessiert sind – zumindest oft. Manche können auch einfach nicht damit umgehen, mit jemandem eine Freundschaft zu führen, in den sie sich auf eine romantische Weise verliebt haben.
Warum ich nun körperliche Nähe bei manchen Kerlen als abstoßend empfinde und bei anderen wiederum nicht, bleibt eine Frage in meinem Kopf. Vermutlich muss ich jemanden einfach sehr mögen, damit ich überhaupt Körperkontakt will und wenn ich ihn habe, obwohl ich ihn (noch) nicht will, reagiert mein Körper wohl mit einem abstoßenden Gefühl.
Ich dachte auch immer, ich wäre eine Person, die kein Problem mit Körperkontakt hat. Dabei habe ich ihn wohl eher über mich ergehen lassen und unangenehme Gefühle unterdrückt. Ich habe es überhaupt nie hinterfragt, ob ich eine Umarmung oder eine Hand um die Schulter mag oder nicht. Denn es ist eben normal, Menschen berühren sich. Aber wenn ich ganz tief in mich hineinhöre finde ich das – je nach dem von wem es kommt - doch teilweise unangenehm.
Dazu muss ich jedoch sagen, dass ich generell sehr empfindsam bin, was alle Sinneswahrnehmungen angeht. (Auch bei Geräuschen und Gerüchen ist das so, was nochmal ein ganz anderes Thema wäre.) Es kommt dann jedenfalls auch auf so kleine Details an, wie, ob jemand einfach grob seinen Arm auf meine Schulter klatscht in einem Kontext indem es überhaupt nicht gewöhnlich ist oder mich ganz lang und fest umarmt, als würde man sich bereits sehr nahe stehen, obwohl man sich gar nicht so lange kennt. Wobei das vermutlich normal ist. Ich meine wer mag das schon?
Warum ich nun kein Empfinden für hot oder nicht hot habe, weiß ich nicht. Es mag in Verbindung zu dem konservativen Umfeld stehen, in dem ich aufwuchs. Allerdings gibt es sehr viele Menschen, die so aufwachsen und trotzdem ihr erstes Mal mit 14 haben und kein seltsames Verhalten wie ich an den Tag legen.
Ich denke, meine Sexualität ist einfach nur sehr sehr stark mit emotionaler Nähe verbunden und mit dieser tue ich mich wiederum auch schwer. Die ist schließlich nicht so schnell da, wie rein oberflächliche Anziehung es sein muss. Fühlt man sich bereits zu jemandem hingezogen, einfach nur, weil er ins Beuteschema passt und gut aussieht, hat man natürlich schneller Lust auf Sex, als wenn man erst dann überhaupt auf die Idee kommt, wenn man sich bereits monatelang kennengelernt, die privatesten Dinge ausgetauscht und gemeinsam über den Sinn des Lebens philosophiert hat.
Asexuell bin ich wohl nicht, aber in dieser übersexualisierten Gesellschaft fühle ich mich auch nicht zu 100% sexuell. Wenn es jemanden gibt, mit dem ich mir Sex vorstellen kann, einen special someone, dann habe ich auch gerne Geschlechtsverkehr. Wenn es so jemanden nicht gibt, bin ich jedoch auch gerne sexfrei ohne etwas zu vermissen.
Und an sich ist das ja gar nicht so verkehrt. Da läuft man nicht Gefahr sich von Oberflächlichkeiten lenken zu lassen oder den durchschnittlich gutausehenden Typen mit dem wunderbaren Charakter neben dem charakterlosen Badboy mit Modelaussehen zu übersehen. Wenn es nur nicht so schwer wäre jemanden zu finden, der bereit ist dich über Monate kennenzulernen, ohne dass du ihm direkt seine Anziehung erwiderst. Aber so ist das nunmal.
Und was lernen wir nun daraus?
1. Habe keinen Sex, wenn du nicht das Bedürfnis dazu hast
2. Du bist nicht gleich asexuell, nur weil du mit 13,16,18,20,25,35... noch nicht losgelegt hast
3. Du bist nicht gleich asexuell, nur weil du George Clooney von der Bettkante stoßen würdest
Heutiger Musiktipp „girl in red" mit „bad idea"
Danke fürs Lesen und bis zum nächsten Mal :)
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