Der moderne Mensch macht Yoga
Zuerst scherte ich mich diesen Text zu schreiben, fand es lächerlich etwas auszuformulieren, was ohnehin jeder wissen sollte und selbstverständlicherweise auch umsetzt. Viele Menschen tun das wahrscheinlich, haben das in ihrer charakterlichen Natur verankert und müssen sich nicht darum kümmern. Aber ich habe das nicht und ich vermute ich bin nicht der einzige Mensch auf dieser Welt, in dieser Zeit, der in eine solche Situation geraten könnte, aufgrund des erhöhten Tempos in dem alles passiert.
Im meinem studentischen Leben muss alles schnell schnell gehen. Eine Klausur nach der anderen, Hausarbeiten, Studentenjobs und am Ende sollte man natürlich gute Noten schreiben. Schließlich hast du dir das Fach selbst ausgesucht. Da kann man doch erwarten, dass du nun gute Leistungen erbringst. Und überhaupt, mit einem Durchschnitt der keine eins vor dem Komma trägt, kannst du ohnehin deine Sachen packen und dich beim Arbeitsamt melden. Und jetzt wo du studierst kann man doch davon ausgehen, dass er dir später einmal gut gehen wird. Du wirst viel verdienen, keine Geldsorgen haben und selbstverständlich die Karriereleiter nach oben klettern.
Nach außen hin schön auf heile Welt tun und dankbar sein für das, was du alles machen kannst. Für die Bildung, die dir geboten wird. Schließlich ist das in anderen Ländern nicht möglich. Sogar ohne Studiengebühren. Das musst du doch wohl zu schätzen wissen.
Die Kombination aus allen diesen Faktoren führt dazu, dass unfassbar viel Druck auf uns lastet und wir gar nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht. Und dann kommt noch oben drauf, dass wir nicht verstehen, warum es uns nicht gut geht und warum wir es denn nicht schaffen dankbar zu sein. Dieser Zwang der Erwartung glücklich, zufrieden und dankbar sein zu müssen belastet uns zusätzlich, kommt noch obendrauf auf den ganzen anderen Kladderadatsch, wie gute Leistungen erbringen zu müssen- in welcher Form auch immer dies geschieht.
Und während ich das schreibe, denke ich die ganze Zeit, ob das nicht zu abgehoben ist, was denn eigentlich mein Problem ist, denn ich habe schließlich alles, das ich zum Leben brauche. Doch genau da liegt ja der Knackpunkt. Wenn man dauernd einem übermäßigen Druck ausgesetzt ist, dann geht es einem nicht gut, ganz unabhängig davon in welchem Kontext man lebt. Und durch zwanghaftes Glauben, dass man sich eigentlich gut fühlen müsste, verstärkt sich das alles nur noch.
Dennoch habe ich Bilder äthiopischer, abgemagerter Kinder im Kopf, die alles für ein Leben wie meines geben würden, wenn ich diesen Gedanken ausführe. Wieso, weiß ich das, was ich habe nicht zu schätzen und jammere ständig herum und bemäkle alles, das mir nicht in den Kram passt?
Doch man sollte nicht vergessen, wie sehr ein solcher Vergleich hinkt. Nicht alles ist vergleichbar. Leid ist nicht vergleichbar. Das Leben besteht aus guten und schlechten Tagen, guten und schlechten Gefühlen, ganz unabhängig von Wohlstand, Freiheit und Sicherheit. Klar, wenn man wählen kann zwischen einem Leben im Kriegsgebiet und dem eines Familienvaters, der Chef eines mittelständischen Unternehmens ist, wird man sicherlich Zweiteres aussuchen. Ganz logisch, da brauchen wir nicht darüber zu diskutieren. Aber vielleicht vergessen wir manchmal, dass das menschliche Sein niemals nur gut oder nur schlecht ist. Wenn man näher hinzoomt erkennt man möglicherweise, dass die Firma des Familienvaters kurz vor dem Ruin steht, seine Frau fremdgeht und die pubertierende Tochter nur noch Sorgen bereitet. Geht es diesem Charakter wirklich gut? Auch wenn Menschen aus sehr schlechten Verhältnissen auf der Stelle mit ihm tauschen würden und sich gar nicht vorstellen können, dass ein solcher Mensch auch noch Probleme hat.
Hätten wir nicht trotzdem Verständnis für ihn, obwohl es Kinder in Afrika gibt, die...? Warum haben wir dieses Verständnis dann nicht auch für uns selbst?
Äthiopien und Deutschland sind soweit voneinander entfernt, wie Äpfel und Atomkraftwerke. (Und ich spreche hier natürlich nicht über die geografische Lage.) Ist ein Vergleich also wirklich sinnvoll? Ich kann Äpfel und Birnen vergleichen. Obst und Gemüse. Autos und Flugzeuge. Aber zwei verschiedene Lebenskontexte, die so gar nichts gemeinsam haben, außer, dass verschiedene Menschen in ihnen leben?
Habe ich die Pflicht glücklich zu sein, weil ich privilegiert bin?
Wohl eher die Pflicht, mein Privileg so gut zu nutzen, wie es geht und es schätzen zu wissen. Doch geht das, in diesem Kreislauf aus Schule, Uni, Arbeit, Rente, Tot. Kann man da sein Privileg überhaupt nutzen, wenn man mitspielt? Wer hat etwas davon, wenn ich in einem Wirtschaftsunternehmen arbeite, in einem Job, der mich unglücklich macht?
Ich glaube ich persönlich nutze mein Privileg, indem ich schreibe, denn das erfüllt mich und mehr als meine eigene Erfüllung kann mir ein Privileg nicht geben, oder?
Aber ich kann doch nicht die ganze Zeit Dinge tun, die ich hasse und, die keinen Sinn ergeben und dann erwarten, glücklich zu sein. Und sich zur Zufriedenheit zwingen, das funktioniert nunmal auch nicht.
Jetzt, wo ich das hier so ausformuliert habe, klingt es plötzlich alles ganz logisch. Der Druck ist nicht berechtigt, also mache ihn dir nicht mehr. Wenn das nur so leicht wäre...
Warum stecken wir da alle so sehr drin in diesem Strudel an Druck und noch-mehr-Druck?
Wie kommt man da heraus ohne gänzlich auszusteigen und sich von der Gesellschaft abzuwenden?
Ich weiß es leider nicht.
Im Grunde denke ich sollte man sich nicht in den Strudel unserer überindustrialisierten Erde hineinziehen lassen, statt bei den Folgen anzusetzen und zu sehen wie man in dieser Maschinerie leben kann.
Das ist woran ich eigentlich appelliere. Mein Ideal, meine Wunschvorstellung, für mich und für jeden anderen.
Yoga, Meditation, Entschleunigung. Nichts als Ergebnistrends unserer hochkapitalisierten Leistungsgesellschaft. Lachhafte Konzepte des modernen Menschen der Tatsache entgegenzuwirken, dass sie all der Druck und die Leistungserwartungen psychisch belasten und sogar krank machen können.
Jedoch muss ich mir immer wieder eingestehen, dass man sich dem nicht so leicht entziehen kann. Ich schaffe das jedenfalls nicht. Ich bin da mittendrin, ganz vorne auf dem höchsten Treppchen.
Manchmal lebe ich wie ein Zombie, stehe morgens auf, setze mich an den Schreibtisch und lerne, bis abends. Natürlich esse ich zwischendrin, gehe für kleine Mädchen und bin auch nicht in jeder Sekunde produktiv wie ein Computer. Doch in meinen schlimmsten Phasen ist Lernen mein größter, ja fast mein einziger Lebensinhalt. Was schon Mal problematisch klingt und ist. Zudem neige ich dazu in solchen Zeiten , alles aufzugeben, was mich eigentlich ablenken und mir damit helfen würde.
Deshalb möchte ich nun ein paar Dinge festhalten, die ich mir besser mal hinter die Löffel schreiben sollte.
1.Angst ist nicht der richtige Treiber. Ganz oft stelle ich fest, dass meine Angst, das Einzige ist, das mich antreibt. Ich lerne, um nicht zu versagen. Ich habe Angst vor der Situation dort zu sitzen und nervös zu werden, wenn ich etwas nicht weiß.
Aber Angst ist nicht der richtige Treiber, denn Angst kann dein Leben zur Hölle machen. Angst bestimmt, wie du dich fühlst, sie bestimmt über dich, wenn du ihr den Vortritt lässt und nur wegen ihr kämpfst. Du solltest kämpfen, für deine Ziele, für das Positive nicht aus Angst vor dem Negativen, vor dem Versagen. Denn das ist, was bestimmt, wie du dich fühlst, wie es dir geht. Und du willst schließlich nicht dein Leben lang damit verbringen Angst zu haben, nicht wahr?
2. Dein Kopf wird durch Bewegung entlastet. Aufzuhören Sport zu treiben, während der Prüfungsphase, ist ungefähr das Falscheste, was man tun kann, wenn man- bedingt durch geistige Arbeit- Stress hat. Wenn du den ganzen Tag an deinem Tisch sitzt und dir die Birne mit Formeln und Definitionen zuballerst, belastest du ausschließlich deinen Kopf.
Wenn du dann noch so durchgeknallt bist, wie ich und keine vernünftigen Pausen machst, kann das nicht gut sein. Und es hilft auch nicht, am Abend zu lesen oder fern zu sehen, denn auch das ist geistige Belastung. Du wirst es nicht glauben, aber ich verrate es dir trotzdem mal: Das kann zu Migräne führen.
Um das zu verhindern brauchst du Bewegung. Wenn du dich bewegst kehrt das Gleichgewicht zwischen Körper und Kopf, brain and body, wieder zurück und allein aus Effizienzgründen ist das notwendig. Sonst gerät man früher oder später an einen Punkt, bei dem man jeden Satz zwanzig Mal liest und trotzdem nicht weiß, was man da gerade gelesen hat.
3. Genauso wie mit der Angst, sollte man sich nicht von Selbsthass antreiben lassen, weil man zu spät angefangen hat, sich nicht gut genug konzentrieren kann, zu langsam ist oder sich zu blöd anstellt. Sei genauso nett zu dir, wie du zu deinen Freunden bist und vergiss nicht, dass die Welt nicht untergeht, wenn du nicht schaffst, was du dir vorgenommen hast.
Man sollte sich anstrengen und manchmal ist es gut sich zu sagen, dass man sich zusammenreißen soll, denn manche Dinge müssen erledigt werden, ob wir nun Lust haben oder nicht. Aber es sollte niemals diese selbstverachtenden Züge annehmen. Wenn man sich schämt, weil man sich abends mit einer Freundin getroffen hat oder den Geburtstag vom besten Kumpel nicht ausgelassen hat, dann ist man zu streng mit sich.
4. Es kommt nicht darauf an, wie viel Zeit du investierst, sondern wie effektiv du lernst.
In meinen schlechtesten Phasen waren es im Durchschnitt acht Stunden am Tag, einschließlich Wochenende. Da kann man sich ja denken, dass das nicht gut geht, auf Dauer. Doch ich musste es wohl erst lernen.. Miss Genius.
Besser man lernt- selbst wenn es nur drei oder vier Stunden am Tag sind, in dieser Zeit wirklich konzentriert vor sich hin, als dreimal so lang und halbherzig.
5. Essen. Meine Erfahrung sagt mir, dass ich in Stresssituationen generell dazu neige weniger zu essen und zu unterschätzen, dass auch geistige Arbeit jede Menge Energie verbraucht und es mir besser bekommt, mehr zu essen oder zumindest stärker auf mein Hungergefühl zu achten, statt einfach irgendwas schnell zu essen, weil ich ja keine Zeit habe und es doch nicht so wichtig ist.
6. Frische Luft. Fenster auf und raus mit dir. Also nicht durch das Fenster springen, aber rausgehen durch die Haustür und Sauerstoff einatmen.
7. Teile deine Sorgen. Rede mit den Menschen, die dasselbe durchmachen, die diesselben Klausuren schreiben oder was auch immer dich stresst. Den meisten geht es doch ähnlich wie dir und du fühlst dich direkt besser, wenn du weißt, du bist nicht allein damit und alle anderen liegen auch nicht entspannt am Strand, weil sie sowieso alles können. :D
Du bist nicht die Einzige mit Motivationsproblemen.
Du bist nicht die Einzige, die es nicht schafft durchgehend konzentriert zu sein.
Du bist nicht die Einzige, die dieses und jenes nicht so gut kann.
Und du bist nicht die Einzige, die nebenher auch noch ganz gerne leben würde.
8. Don't let the crybaby- deine Emilia- win. Es sind nur Prüfung und es gibt wirklich Wichtigeres. Du entscheidest nicht über den Weltfrieden, mit einer verpatzen Klausur und- um mit diesen Worten zu enden-
wenn man es nicht ganz so ernst nimmt, macht es doch alles ein kleines bisschen schöner.
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Parkway Drive- "Wishing Wells" ist meine heutige Musikempfehlung für euch. Viel Freude beim Hören!
Danke fürs Lesen und bis zum Nächsten Mal. ☻
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