Der dümmste Job der Welt

In diesen Semesterferien nahm ich an einer Verkehrszählung teil, was bedeutet, ich stand stundenlang an Bahnstationen herum oder fuhr mit dem Bus durch die Gegend, um die Passagiere zu zählen. Klingt wahnsinnig spannend und das ist es auch ;p. Trotzdem war dieser Job nicht ansatzweise so dumm, wie ich es erwartet hätte und die Erfahrung allemal wert. Ich habe das Gefühl, ich lernte in den letzten Wochen, soviel mehr über das Leben und die Gesellschaft, als in vier Semestern meines Studiums. Schon in der ersten Woche sind mir Dinge aufgefallen, die ich sonst nie wahrgenommen habe, weil ich mich höchstens mal zehn Minuten an einer Station aufhielt.

Aber, wenn du den ganzen Tag dort herumstehst,  dann gibt es ein paar Dinge vor denen du plötzlich nicht mehr die Augen verschließen kannst. Und- welch eine Überleitung- um eine Sache davon soll es heute gehen.

Flaschensammler. 

Mir ist zum ersten Mal bewusst geworden wie unfassbar viele Flaschensammler es gibt. Es ist keine Übertreibung, wenn ich schreibe, dass mindestens alle 20 Minuten jemand im Mülleimer neben dem ich mich positionierte, seinen Arm vergrub, um dort nach Flaschen zu suchen. Mindestens alle 20 Minuten, wenn nicht sogar eher 10 und das nicht nur am Hauptbahnhof. Klar habe ich auch vorher schon Flaschensammler gesehen und gewusst, dass es diese gibt. Aber ihnen quasi den ganzen Tag zuzusehen, ist dann doch nochmal etwas anderes. Nach ein paar Tagen wurde ich richtig wütend, weil ich es unglaublich finde, dass genau das tagtäglich passiert und kein Politiker das zu einem großen Thema macht. Klar soziale Gerechtigkeit, blabla. Aber mal ganz ehrlich, all die Politiker haben Flaschensammler doch gar nicht auf dem Schirm. Die existieren in deren Universum, in deren Filterblase aus Anzugmenschen und Luxusautos gar nicht, wenn selbst ich, die ich gerne mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, diesen Missstand kaum wahrgenommen habe.

Es macht mich noch immer sauer, wenn ich nur daran denke. Allein die Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die das aus dem Mülleimer holen, was andere wegschmeißen, weil es für sie so wenig wert ist, dass sie sich gar nicht die Mühe machen, es zurückzubringen und gegen Pfand einzutauschen. Für die einen sind leere Flaschen Abfall, genauso wie vollgerotzte Taschentücher oder ausgekaute Kaugummis und die anderen sind so arm, dass sie diese Flaschen aus dem Müll herauskramen, zwischen Bakterien, Essensresten und Körperflüssigkeiten, um daraus den letzten Cent herauszuschlagen.

Ich habe Menschen gesehen, mit Sauerstofftanks auf dem Rücken oder wacklig auf den Beinen mit !Rollator! durch die Bahnhöfe schlurfen, um im Müll nach Verwertbarem zu suchen.

Das ist nicht normal, Leute! Wo leben wir denn? Doch nicht in Äthiopien.

Warum akzeptieren wir das einfach? Wie kann sowas zur Normalität werden. Wie kann sowas so akzeptiert sein, dass man es gar nicht mehr wahrnimmt, wenn man nicht gezwungen ist, den ganzen Tag an einer Stelle zu stehen und gar nicht anders kann, als hinzusehen.

Generell ist das etwas, das mich immer wieder verwundert hat. Diese Gesellschaftsschichten, die in Großstädten häufig aufeinanderprallen und sich gegenseitig kaum wahrnehmen, lösen in mir ein seltsames Gefühl aus. Ich finde es merkwürdig, unangenehm ein Schulkind an der Bushaltestelle warten zu sehen und keine 100 Meter entfernt davon werden Drogendeals abgewickelt und Obdachlose oder Drogenjunkies liegen im Gras. 

Gut, ich muss dazu sagen, ich bin ein Dorfkind und vielleicht habe ich mich manchmal an den absolut schlimmsten Orten aufgehalten, weil ich mich einfach nicht auskenne und nicht weiß, welche Stellen man besser meidet. Aber das Stadtkind mit dem rosa Schulranzen tut das ja auch nicht. Die wurde da hineingeboren. Für sie ist es vollkommen normal all das zu sehen, was mich naives Mädel noch immer verwundert. Aber ich will auch gar nicht, dass das normal für mich wird, denn das ist es nicht. Es ist die Realität, aber es ist nicht wie es sein sollte und ich glaube immernoch, dass es nicht ist, wie es sein muss.

Klar, ich weiß nicht warum all diese Menschen das machen, was sie dazu bringt und warum sie sich keinen anderen Job suchen. Im Grunde genommen, für so einen Verkehrszählerjob muss man nichts können, außer zählen und das kann sicherlich jeder. Man muss keine Zeugnisse abgeben, Qualifikationen nachweisen oder sonst irgendwas, was bestimmte Menschen davon ausschließen würde. Aber ist es nicht ein bisschen überheblich zu denken, es gäbe keinen Grund Flaschen zu sammeln, weil jeder etwas anderes arbeiten könnte? Nur, weil ich deren Gründe nicht kenne, heißt das nicht, dass sie keine haben.



Ich werfe keine Taschentücher mehr in öffentliche Abfalleimer, weil ich immer an die Flaschensammler denken muss, die dort hineingreifen müssen, in meine Bakterienschleudern und dann wahrscheinlich krank werden, angesteckt von mir, dem Luxusgirl für die ein Mülleimer, nur ein Mülleimer ist. Nicht aus Mitleid zu den Menschen, sondern aus Respekt vor ihnen. Weil ich finde, dass es etwas Entwürdigendes hat im Müll graben zu müssen und wenn ich schon nicht verändern kann, dass es Menschen gibt, die das tun müssen, will ich wenigstens nicht dazu beitragen, es noch ekliger für sie zu machen.

Jetzt kann man natürlich sagen, ist doch super, dass diese Menschen für Ordnung sorgen, Mehrwegflaschen, ein weiteres Mal benutzt werden können und nicht im Altglascontainer landen oder im Gebüsch um die Ecke. Aber was würdest du sagen, wenn das der einzige Weg für dich wäre, Geld zu verdienen? Wenn die Umstände deines Lebens dazu führen, dass Flaschensammeln, der lukrativste Job für dich wäre. Möchtest du im Müll von Ratten gebissen werden? Möchtest du in den Abfall greifen, in den vor fünf Minuten jemand im Rausch hineingekotzt hat? Stellst du dir so deine Rente vor?

Ich weiß jetzt natürlich nicht, wie schnell man da ein paar Euro Pfand gefunden hat, aber mir ist aufgefallen, dass sehr selten, Flaschen aus dem Müll gezogen werden, was auch daran liegt, dass ständig jemand vorbeikommt und nachsieht. Wie viele Stunden ist man also unterwegs um ein bisschen was zusammen zu haben. Flaschenpfand liegt zwischen 0,08€ und 0,35€. Sagen wir mal, man findet an einem Tag 20 Flaschen mit einem durchschnittlichen Pfandwert von 20 Cent, so kommt man auf ganze 4€, am Tag. Und wenn ich so bedenke, wie leer die Taschen schienen, die die Flaschensammler (Wie ironisch, dass Wattpad das Wort Flaschensammler rot unterringelt ) mit sich herumtrugen, scheint ihre Beute nicht sonderlich groß zu sein. Wobei man bedenken muss, dass man bei Großereignissen, wie Fußballspielen o.ä. sicherlich in kürzester Zeit ne Menge Geld verdienen kann. Da gibt es auch Menschen, die nicht arm sind, die dies als zusätzliche Einnahmequelle nutzen und das ist natürlich okay. Wenn jemand Lust hat, Pfand zu sammeln, sein Gehalt damit aufbessert und dieses Geld solange spart, bis er sich den nächsten Urlaub leisten kann, dann ist das in Ordnung. Da gibt es sogar diesen Typen, der genau auf diese Weise 50.000€ verdiente und sich davon ein Wohnmobil leistete.

Aber die, die durch die Städte laufen, in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen, die machen das nicht, weil sie mehr Geld wollen. Die machen das, weil sie mehr Geld brauchen. Niemand kramt im Abfall für ein paar Cent herum, wenn es nicht unbedingt sein muss.

Schon gar nicht alte Menschen mit Rollator

Und gibt es wirklich keine Möglichkeit diesen Missstand zu ändern. Wenn es schon nicht möglich ist, dafür zu sorgen, dass niemand mehr Flaschen sammeln muss und man das Ganze einfach so akzeptiert und die Einstellung vertritt, dass das nunmal so ist, warum verändert man dann nicht wenigstens so kleine Sachen, wie z.B. dass man keine Mülleimer mehr anbringt, mit winzig kleiner Öffnung, die hinunter bis zum Boden reichen, sodass die Flaschensammler bis zur Schulter darin versinken müssen und nichtmal sehen können, wo sie hineingreifen. Wieso hängt man keine extra Mülleimer für Flaschen auf?

Ich sehe schon, das kostet wieder zu viel Geld, richtig?

Wie war das nochmal? „Die Würde des Menschen ist unantastbar"?

Oder eher: die Würde des Reichtums ist unantastbar?


Die Moral der heutigen Geschicht: 

1. Schmeiß deinen Müll zuhause weg

2. Pfand gehört daneben

3. Manchmal sind die Dinge am coolsten, auf die man eigentlich gar keine Lust hat. Ich hätte diesen Job niemals gemacht, wenn mich bestimmte Umstände nicht dazu gebracht hätten und jetzt sitze ich hier und möchte die ganzen Erfahrungen, die ich gesammelt habe und die ganzen Menschen, die ich kennengelernt habe, nicht missen. 

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Puh, das war mal wieder höchst idealistisch und emotional geladen, aber da müsst ihr jetzt durch. Es gibt noch mehr von diesem Job zu verarbeiten. :D

Heute empfehle ich euch die Band Equilibrium. Oben findet ihr das erste Lied des Albums "Armageddon" mit dem Namen "Sehnsucht".

Danke fürs Lesen, wie immer, und bis zum nächsten Mal. :-)

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