9 Trostlos
Den Rest des Samstags verbringe ich im Bett. Ich ignoriere das aufdringliche Klingeln meines Telefons und gegen Abend sogar das der Tür. Ich esse lediglich eine trockene Scheibe Brot mit Käse. Dazu irgendwann einen Apfel. Und wenn ich nicht gerade schlafe, schaue ich gelangweilt Fernsehen oder lese eines der vielen Bücher über Medizin, die ich mir schon vor einigen Wochen besorgt habe. Es geht größtenteils um Frakturen, den Aufbau der Knochen, Muskeln, Sehnen, Gelenke und all so'n Scheiß. Immerhin wollte ich alles in meiner Macht stehende für Mia tun können, sollte sie je wieder aus dem Koma erwachen. Und genau das war jetzt das Problem!
MIA! Sie war erwacht, doch tun konnte ich trotzdem nichts! Bücher hin oder her!
Genervt pfeffere ich das Teil, das ich vergeblich seit einer Stunde zu studieren versuche beiseite und stehe wütend auf.
Mein Vorsatz nicht mehr an sie zu denken, ist schwerer einzuhalten, als ich gedacht habe, doch muss ich mich wohl einfach noch mehr ablenken. Und so ziehe ich mir meine Sportsachen an und mache mich auf den Weg in den Park.
Die Idee ist vielleicht nicht die beste, doch so würde ich die Nacht über wenigstens nicht ununterbrochen grübeln. Aber schon nach wenigen Minuten, die ich am See entlanglaufe, komme ich an der Bank vorbei, auf der ich mit ihr gesessen habe. Mit ihr und Charlie. Und die kleine Maus ist gerade nur wenige Minuten von mir entfernt. Und damit auch die Gedanken an das Mädchen, dass mich nicht mehr sehen will!
Gereizt beschleunige ich mein Tempo. Versuche mich auf nichts anderes zu konzentrieren, als auf meinen Atem, der schon jetzt schmerzhaft durch meine Lungen rauscht. Ich renne mir im wahrsten Sinne des Wortes die Lunge aus dem Leib. So sehr treibe ich mich an.
Doch habe ich wohl irgendwie vergessen, meinen Haustürschlüssel einzustecken, denn als ich mit schmerzenden Beinen vor meinem Haus ankomme muss ich seufzend feststellen, dass er nicht da ist.
Na super. Und so mache ich auf dem Absatz kehrt und laufe noch einmal in den Park. Inzwischen ist die Sonne schon nicht mehr zu sehen und nur das fahle Licht des Mondes erhellt meinen Weg. Es ist Sommer und warm. Der leichte Wind, der mein schweißgetränktes T-Shirt trocknet, kühlt angenehm und macht auch das Laufen einfacher. Aber wirklich kalt ist es nicht.
So locker wie möglich bringe ich die Strecke hinter mich und komme schließlich bei dem Haus an, in dem ich die letzten Monate gewohnt habe. Unschlüssig stehe ich da. Schaue auf das hübsche Bild, das Mia auf das Garagentor gemalt hat und spüre erneut diesen Stich, den mir ihre Ablehnung zugefügt hat.
Ich kann von Glück reden, dass es schon so dunkel ist und das Bild nicht übermäßig gut zu erkennen, sonst wäre ich wohl ohne Schlüssel wieder zurückgelaufen. Doch so schleiche ich mich leise ins Haus. Einen Schlüssel finde ich wie immer unter der kleinen Figur, die vor der Haustür steht. Das Glück, dass mir draußen jedoch noch hold war, verlässt mich, kaum dass ich die Tür hinter mir schließe.
"Ian?", höre ich Mara's Stimme aus dem Wohnzimmer zu mir dringen. Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrt machen, doch ehe ich mich auch nur umdrehen kann steht sie vor mir in der Wohnzimmertür. Als sie mich sieht reißt sie vor Schreck die Augen auf.
"Um Himmelswillen!", ruft sie aus und kommt eilig auf mich zu, "Was ist denn mit dir passiert?!"
"Nichts. Alles bestens. Hab nur meinen Schlüssel vergessen.", sage ich abwehrend und trete einen kleinen Schritt zurück, bevor ich versuche das Thema zu wechseln, "Wo ist denn Charlie?"
"Das sieht mir aber nicht nach 'Nichts' aus. Wer war das Ian?", übergeht sie meine Frage und schleift mich kurzerhand in die Küche, wo es heller ist.
"Mara! Bitte!", ich weiche ihren forschenden Händen aus, mit denen sie mein Gesicht untersuchen will und nehme ihre Hände sanft in meine. "Es ist wirklich nicht der Rede wert. Nur ein blauer Fleck."
"Blauer Fleck?! BLAUER FLECK?! IAN! Das ist ein ausgewachsenes Hämatom! Du kannst froh sein, wenn da nichts gebrochen ist!", sagt sie aufgebracht.
Sie übertreibt maßlos, aber was soll ich machen. Beruhigend versuche ich mich an einem Lächeln, das in einer leicht schmerzverzerrten Grimmasse endet, als meine aufgeplatzte Lippe etwas einreißt.
"Beruhige dich, Mara. Das heilt wieder. Ich sah schon schlimmer aus. Wirklich!", sage ich zuversichtlich und wende mich dann dem Wohnzimmer zu.
"Ist Charlie noch wach?", will ich wissen und sehe mich nach der Kleinen um. Wenn ich jetzt schon mal hier bin, kann ich auch nach ihr sehen, doch...
"Tut mir leid. Charlie schläft gerade. Und ich hoffe, dass sich das so schnell auch nicht ändert.", seufzt sie und lässt sich müde auf die Couch fallen. Bedeutet mir mich neben sie zu setzen.
"War sie sehr unruhig heute?", frage ich nach und bekomme von ihr ein sarkastisches Schnauben zu hören.
"Heute?! Seit dem du weg bist ist die Kleine eigentlich nur noch am jammern. Du fehlst ihr. Uns allen.", sagt Mara eindringlich und legt ihre Hand auf meinen Unterarm. Leicht drückt sie mich, bevor sie sich wieder in die Kissen sinken lässt.
"Warum bist du einfach gegangen Ian?", will sie leise wissen. Die Traurigkeit in ihrer Stimme macht mich fertig. Ich weiß, dass sie nicht wegen sich, oder Charlie traurig ist. Ich weiß, dass sie wegen Mia traurig ist und das schnürt mir die Kehle zu.
"Du weißt warum.", weise ich sie recht unsanft zurück und streiche mir in einer hilflosen Geste durch die Haare. Das Loch in meiner Brust schmerzt und macht mich erneut wahnsinnig. Ich wusste, dass es keine gute Idee war hier her zu kommen. Und so stehe ich recht hektisch auf. Wandere unruhig im Zimmer auf und ab.
"Du weißt, dass Mia nicht sie selbst ist und...", setzt Mara mit tröstlicher Stimme an, doch ertrage ich ihr Mitleid derzeit einfach nicht.
"Ich hab eigentlich nicht viel Zeit. Ich wollte nur schnell den Zweitschlüssel holen. Ist er im Schlüsselkasten?", unterbreche ich sie abrupt und wende mich schon dem Flur zu. Ich höre, wie Mara seufzt. Höre, das quietschen des Sofas, als sie sich erhebt und hinter mir her kommt. Im Türrahmen bleibt sie stehen, lehnt sich an das Holz und beobachtet mich, wie ich nach dem Schlüssel suche. Lange brauche ich nicht. Es gibt nur einen neuen. Einen, den ich noch nicht kenne und an dem ein kleiner Engel hängt.
Beherrscht greife ich nach dem Anhänger und schließe ihn fest in meine Hand ein.
"Danke. Ich bringe ihn morgen wieder.", sage ich mit dem Rücken zu ihr. Ich schaffe es nicht mehr mich umzudrehen, sie anzusehen und gehe einfach auf die Tür zu. Die Hand schon auf der Klinke hält Mara mich noch einmal auf.
"Danke, dass du mit ihr geredet hast. Was auch immer du gesagt hast, es hat geholfen.", sagt sie leise und ich höre die Erleichterung in ihrer Stimme, doch will ich den Erfolg nicht für mich verbuchen, weshalb ich beim Öffnen der Tür korrigierend: "Das ist nicht mein verdienst.", sage, "Ich habe Mike gebeten mit ihr zu reden. Scheinbar hat er es getan."
Mara klingt erstaunt und ich bin sicher, dass sie die Augen zu kleinen Scheinwerfern aufgerissen hat, trotzdem trete ich in die frische Nachtluft hinaus, als sie sagt: "Vielleicht sollte ich mich dann auch bei ihm bedanken."
"Ja. Warum nicht.", murmel ich in mich hinein und füge dann ein beherrschtes: "Bis morgen.", hinzu, bevor ich die Tür hinter mir schließe.
Angespannt atme ich die frische, sommerliche Luft ein und ringe um meine Selbstbeherrschung. Ich kann den Gedanken beinahe nicht ertragen. Mara und Mia zusammen, auf Mikes Seite zu wissen. Vielleicht auch noch Charlie auf seinem Schoß. Der Kleinen könnte ich nicht einmal einen Vorwurf machen. Sie ist nur ein Kind. Sie würde ihn wohl mit offenen Armen empfangen, sobald sie ihre erste Scheu abgelegt hat. Doch hoffe ich, dass...
Ach verdammt! Es ist doch völlig egal, was ich hoffe! Was ich denke!
Mia ist Geschichte! Ende und AUS!" Ich muss endlich aufhören, mir über sie Gedanken zu machen!
Mal wieder geladen wie ein Stromreaktor stapfe ich durch die Dunkelheit am See entlang. Der leichte Wind raschelt in den Bäumen und unter meinen Füßen knirscht der Kies bei jedem Schritt. Mein Bauch rumort und meine Ohren rauschen. Mein Kopf qualmt und in meine Hand bohrt sich schmerzhaft der kleine Anhänger, der sich an dem Schlüssel befindet.
Ich mag gar nicht daran denken, was mir dieser Anhänger bedeutet hat. Noch immer bedeutet. Und so verdränge ich den Gedanken an ihn. Verdränge den Gedanken an alles und jeden. Wünsche mir, dass aus der Dunkelheit, dem Lichtleeren Raum um mich herum etwas auf mich zukommen würde, das mich auf andere Gedanken bringen würde. Doch außer dem Gefühl, dass mich zerreißt, bin ich allein. Niemand ist da um mich abzulenken. Niemand ist da, um meine Trüben Gedanken zu vertreiben. Herzschmerz ist echt scheiße! Liebeskummer der größte Mist, den es gibt! Kann es nicht einfach vorbei sein?! Vorbei und vergessen?
Warum muss einen dieser Schmerz verfolgen? Stunden lang! Tagelang! Wochenlang! Wer weiß? Vielleicht werde ich ja sogar noch in einem Jahr um sie trauern...
Ich bin regelrecht verzweifelt, als ich im Haus die Treppe hinaufgehe und mal wieder im zweiten Stock mit jemandem kollidiere.
"Na hast du es wieder eilig?", lacht mich die junge Frau an und schließt die Tür zu ihrer Wohnung, "Ich bin übrigens Bella.", stellt sie sich vor und zieht scharf die Luft ein, als ich den Kopf hebe und in ihr eben noch lachendes Gesicht schaue. Die große Tasche die sie in der Hand hält fällt mit einem Rums zu Boden.
"Scheiße! Wer hat dich denn so zugerichtet?", fragt sie entsetzt und fasst doch tatsächlich nach meinem Kinn. Dreht es hin und her und betrachtet eingehend die Verfärbung. "Sieht aus, als hätte der Typ einen ordentlichen Treffer gelandet."
Schmunzelnd lässt sie mich wieder los. Ihre anfängliche Überraschung hat sich schnell gelegt und inzwischen grinst sich mich wieder belustigt an.
Ihre unerschütterliche Ruhe, lässt mich etwas leichter Atmen, auch wenn mir noch immer ein unangenehmer Druck auf der Brust liegt.
"Hatte da so ne Begegnung mit einem Gorilla.", sage ich scherzhaft, was sie zum Lachen bringt.
"Hast du ihm wenigstens die Banane weggenommen? Oder hat er die auch bekommen?", will sie grinsend wissen, während ich an ihr vorbeigehe. Oder sie vorbeilasse. Ganz wie man es sieht. Doch da sie so locker mit meiner Verletzung umgeht, kann ich ihr genauso locker antworten.
"Ich fürchte, du überschätzt mich. Der Gorilla hat seine Banane erfolgreich verteidigt und mich mit einem gezielten Schlag ausgeknockt.", sage ich achselzuckend, was sie mit einem missbilligenden Schnauben quittiert.
"Wenn du Nachhilfe im Affen dressieren brauchst, kannst du mich gerne begleiten.", sie deutet auf ihre Sporttasche und greift danach. Wirft sie sich schwungvoll über die Schulter und mustert mich eingehend. "Potential ist auf jeden Fall vorhanden.", verkündet sie mit einem musternden Blick auf mich. Leicht verwirrt runzele ich die Stirn und sehe sie fragend an. Auf meine stumme Frage geht sie jedoch nicht ein.
Lediglich ihre grünen Augen funkel begeistert, als sie schwungvoll die blonden Haare über die Schulter wirft und die ersten Stufen hinunter geht.
"Kannst es dir ja überlegen. Ich trainiere immer Samstags und Donnerstags.", sagt sie übermütig und tänzelt schon die erste Treppe nach unten, ehe ich noch die Möglichkeit habe auf ihr Angebot zu reagieren.
"Ich komm drauf zurück.", rufe ich ihr nach und füge dann für sie unhörbar hinzu, "Vielleicht.", doch kommt von unten ein: "Super! Dann bis Donnerstag. Ich komm um neunzehn Uhr und hol dich ab!"
Mitten in der Bewegung bleibe ich stehen und starre ungläubig vor mich hin. Da unten aber bereits die Tür zu hören ist, werde ich ihr wohl an einem anderen Tag sagen müssen, dass ich nicht wirklich vor habe sie, zu welchem Training auch immer, zu begleiten. Nachher macht sie noch Bauchtanz oder so etwas. Wobei ich nicht weiß, was ich damit anfangen soll. Ganz unabhängig von dem Affen, der mir das Veilchen verpasst hat.
Zurück in meiner Wohnung schmeiße ich den Schlüssel zu meinem eigenen in die kleine Schale auf dem Sideboard und streife mir die Laufschuhe von den Füßen. Im Bad landen meine verschwitzen Sachen direkt im Wäschekorb. Dann verdrehe ich genervt die Augen, als mir klar wird, das ich noch immer keine Handtücher habe und da morgen Sonntag ist, kann ich nicht einmal welche besorgen. Das Mara mir sicher welche seihen würde, ist mir klar. Also...vorausgesetzt ich geh hin. Doch wirklich begeistert von der Idee bin ich nicht. Ich will nur schnell den Schlüssel abgeben und dann wieder weg.
Das Glück, dass sie nicht da sein werden habe ich bestimmt nicht. Aber falls doch, werde ich mir schnell welche aus dem Schrank nehmen und ihr eine Nachricht hinterlassen.
Böse wird sie mir schon nicht sein. Höchstens, dass ich mich rein geschlichen habe, ohne mich bei ihr zu melden.
Da das alles jedoch nur wilde Spekulationen sind, ziehe ich mir nach dem Duschen einfach eine frische Boxershorts an und lasse mich auf dem Balkon von der Sommerbriese trockenpusten. Mit einer Flasche Wasser sitze ich auf einem der Stühle und lausche der Stille. Es ist nicht einmal ein Auto zu hören. Alles ist ruhig. Fast wie bei uns zu Hause. Nur das dort hin und wieder ein Pferd gewiehert hat. Oder die Zwillinge laut durchs Haus geturnt sind. Wenn ich es mir recht überlege, ist es mir beinahe ZU still hier. Ich bin den Trubel gewöhnt. Die Lauten stimmen der Mädchen und von Felix. Und selbst im Internat war eigentlich immer Aktion. Nur hier ist es Still.
Über mir ist der Himmel sternenklar. Kaum eine Wolke ist zu sehen. Und selbst der Mond strahlt beinahe in seiner ganzen Pracht auf mich hinunter. Im Hintergrund läuft inzwischen leise Musik, weil ich die Stille nicht ertrage, doch stehe ich schließlich auf und stelle mich an den Rand der Dachterrasse und schaue linkerhand auf den Park.
Von hier ist der See nur zu deutlich zu sehen. Auf der glatten Wasseroberfläche spiegelt sich das Licht des Mondes und fesselt meinen unsteten Blick. Wie festgenagelt starre ich darauf und denke an alles Mögliche. Nur diesen einen Gedanken, lasse ich nicht zu.
Es gibt auch wirklich genug anderes, an das man denken kann. Die Uni zum Beispiel. Ich freue mich schon sehr auf die Kurse. Und bin wirklich gespannt, ob wir gleich am ersten Tag loslegen. Vorstellen kann ich es mir eigentlich nicht. Sicher werden wir fürs erste allen möglichen Papierkram erhalten. Dazu Bücherlisten oder...ach was weiß denn ich!
Außerdem müsste ich mir eigentlich einen Job suchen. Einfach, um das Gefühl zu haben, kein Schnorrer zu sein. Auf eigenen Beinen zu stehen. Selbstständig zu sein. Das erste Mal bin ich wirklich auf mich gestellt. Niemand kocht für mich. Niemand wäscht meine Wäsche oder räumt für mich auf. Oder nimmt mir sonst irgendwas ab.
Umso länger ich daran denke, desto komischer kommt es mir vor. Warum ist mir nicht so ganz klar, doch ist es tatsächlich das erste Mal, das...
Gott! Was bin ich nur für ein Hans Wurst! So weltbewegend ist das nun auch nicht, dass ich nun in meiner eigenen Wohnung stehe!
Genervt verdrehe ich die Augen und wende mich von der Brüstung ab. Mit energischen Schritten kehre ich in meine Wohnung zurück und gehe direkt ins Bett.
Bei geöffneter Tür starre ich noch eine Weile an die Decke, doch fallen mir schließlich die Augen zu.
Auch den Sonntag verbringe ich größtenteils im Bett. Hänge absolut faul auf der Couch herum und tue gar nichts. Zwischendurch schmeiße ich mir eine Pizza in den Ofen und telefoniere mit Jason.
Gott sei Dank labert er mich nicht voll. Zumindest nicht über Mel, die endlich wieder da ist. Er sagt auch nicht, dass sie bei Mia war, doch weiß ich auch so, dass sie direkt ins Krankenhaus gefahren sein muss, kaum dass sie zurück war.
Dafür reden wir über seinen Dad. Die Werkstatt und die Arbeit. Alles, was mit Mädchen absolut nichts zu tun hat.
Irgendwann gegen Nachmittag bringe ich den Schlüssel zurück, doch schmeiße ich ihn lediglich in den Briefkasten und trolle mich wieder. Mir ist bewusst, dass Mara es nicht gut heißen wird, doch weiß ich auch, dass sie es verstehen wird.
Und dann habe ich auch diesen Tag des Nichtstuns endlich geschafft. Die Nacht ist unruhig. Meine Gedanken kreisen. Meine Träume sind wirr und treiben mich viel zu früh aus dem Bett. Was bringt es mir auch, mich an Träume zu klammern? Träume, die nie wieder Wirklichkeit werden, werden. Träume, die mich quälen. Die mein Herz zum Rasen und zum Bluten bringen. Träume, die es reparieren und in Stücke reißen. Wieder und wieder. Und so versuche ich gar nicht erst wieder einzuschlafen, als ich mit flatterndem Herzen erwache. Mias berauschenden Duft noch in der Nase und steige unter die Dusche.
Die Zeit während ich mich Rasiere und mir die Haare mit Gel zerzause reicht gerade so, um nicht mehr klitsch nass zu sein, doch das kurzärmelige, blau-weißkarierte Hemd und die kurze schwarze Cargohose erledigen beinahe den Rest.
Auf dem Weg zur Uni halte ich kurzerhand bei einem Bäcker und organisiere mir ein belegtes Brötchen. Ich habe ausreichend Zeit, doch das diese recht schnell verfliegt, als ich suchend über das Unigelände tigere wird mir immer bewusster.
Wo ist nur dieses verdammte Gebäude M23?! Frage ich mich und schaue inzwischen recht nervös zwischen Haus M22 und M24 hin und her.
Welcher hirnrissige Architekt, Bürokrat oder gehirnamputierte Bürojunkie hat bitte das Haus M23 an eine andere Stelle gebaut las seine Brüder und Schwestern.
Ratlos raufe ich mir die Haare und bin schon kurz davor im Büro anzurufen, als doch tatsächlich ein Mensch aus Haus M22 herauskommt.
Erleichtert laufe ich auf den Typen zu, der mich leicht skeptisch mustert. Man sollte ja meinen, dass es in einer Uni von Studenten nur so wimmelt, doch entweder, sie sind schon alle drinnen, sie kommen noch später als ich oder es gibt einen Geheimgang, von dem ich noch nichts weiß.
In meiner derzeitigen Umnachtung bin ich tatsächlich für Punkt drei. Ich denke nämlich nicht, dass zu spät kommen hier an der Tagesordnung liegt. Na und dass alle so überpünktlich sind kann ich mir auch nicht vorstellen. Und so bin ich für mein Gegenüber durchaus dankbar.
"Hey! Entschuldige! Kennst du dich hier aus?", spreche ich ihn an, als er nur noch wenige Schritte von mir entfernt ist.
Er wirkt etwas eingeschüchtert. Sein Blick ist gesenkt. Die Hände hat er in den Taschen vergraben und er hebt nur flüchtig den Blick, mit dem er mir extrem helle, wässrige graue Augen präsentiert. Von der Farbe fasziniert, die sich im Übrigen mit seinen hellen, grünlichen Haaren wirklich gut versteht, bin ich einen Moment sprachlos, doch kommt mir der Gedanke, das er wohl mindestens so unwissend ist wie ich.
"Nein. Also vielleicht. Wo willst du denn hin?", sagt er unsicher und rückt seine große Tasche zurecht. Sie sieht unheimlich schwer aus. Beinahe zu schwer für diese zierliche Person vor mir. Er ist fast einen Kopf kleiner als ich und durch seine gebeugte Haltung wirkt er womöglich noch kleiner, als er es in Wirklichkeit ist.
In meinem Gehirn beginnt es ansatzweise zu rattern und ich beginne mich zu fragen, was ein "Jüngling" wie er hier eigentlich macht. Seinem Aussehen nach kann er gerade mal 18 sein. Aber vielleicht täuscht das auch. Wobei ich sein Alter eher nach unten korrigieren würde, anstatt nach oben. Da ich jedoch weder Zeit, noch eine andere Alternative als den kleinen vor mir habe, frage ich ihn trotzdem.
"Ich suche Haus M23. Du weißt auch nicht wo das ist?", ich klinge zwar Fragend, doch eigentlich bin ich mir sicher, das ich recht habe. Zu Unrecht, denn er sieht regelrecht erleichtert aus, als er wiedererwarten nickt.
"Da hinten.", deutet er in eine Richtung, die jeder Logik wiederspricht.
"Echt?!", rutscht es mir skeptisch heraus. Will der mich verarschen? "Was soll das denn da?"
Gleichgültig zuckt er mit den Schultern und lässt mich dann einfach stehen. Ja...okay...gut seis drum...
"Danke!", sage ich trotzdem und bleibe verwirrt stehen. Sehe ihm nach, wie er in die angedeutete Richtung geht ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Merkwürdiger Typ, doch frage ich mich, ob er mir die Wahrheit gesagt hat. Vielleicht sollte ich doch in Haus M22 nachfragen.
Unschlüssig wandert mein Blick von dem Haus neben mir in die Richtung, in die der Junge gegangen ist, dann sprinte ich beinahe los. Der Junge biegt gerade hinter einem der Häuser um die Ecke und verschwindet meinem Blick.
Eilig laufe ich ihm nach. Komme an der Stelle an, an der er verschwunden ist und bleibe erstaunt stehen.
Da ist es! Haus M23. Was macht das denn hier? Doch das WAS ist mir gerade echt egal. Vor allem komme ich mir inzwischen echt dämlich vor, dass ich mir darüber Gedanken mache und so betrete ich eilig das Gebäude.
Im inneren ist es ziemlich ruhig. Ein großer, heller Eingangsbereich empfängt mich. Doch das ich hier richtig bin, daran habe ich keinen Zweifel. Zum einen Steht mitten im Weg eine "Aufgeschnittener Mensch", der Freizügig seine Innereien präsentiert und außerdem hängen an den Wänden Bilder von Organen. Bilder von Ärzten. Bilder von allem Möglichen, was mit der Medizin zu tun hat.
Tja...also das Haus habe ich gefunden. Jetzt noch der Raum. Wollen mal hoffen, dass sich der Wenigstens dort befindet, wo er sein sollte. Nicht dass die Ungeraden Zahlen alle im rechten Flügel sind und die Geraden im Linken.
Doch wie durch ein Wunder Befindet sich Raum Nummer L626 tatsächlich im sechsten Stock. Gleich zwischen Raum L625 und L627.
Erstaunlich!
Zögerlich klopfe ich an und trete ein. Meine Verspätung hält sich gerade noch im Rahmen, doch wirft mir der Prof einen angesäuerten Blick zu.
"Sie sind zu spät!", weist er mich auch gleich auf diese Tatsache hin, die ich nur mit einem, "Ich weiß. Tut mir leid.", kommentiere. Das ich durchaus in der Lage bin, die Uhr zu lesen, sage ich ihm jetzt nicht. Auch dass ich nichts dafür kann, wird ihn wohl nicht sonderlich interessieren, denn er weist auf die Treppenförmig angelegten Plätze vor sich, auf denen sich eine Menge Schüler...oder eher Studenten, tummeln. Auch der Junge grünhaarige, den ich draußen getroffen habe.
Verwundert steige ich in die dritte Reihe hinauf und setze mich dann auf einen freien Platz, gleich neben eine dunkelhäutige Frau mit kurzen, schwarzen Zöpfen auf dem Kopf. Ihre fast schwarzen Augen fliegen kurz über mich hinweg. Nehmen mich mit einem Lächeln zur Kenntnis, nur um sich dann wieder dem alten Mann zuzuwenden, der vor der Klasse steht und sich wieder seiner Einleitungsrede zuwendet.
Viel kann ich nicht verpasst haben, denn er schreibt erst jetzt seinen Namen an die Tafel.
"Also schön. Das bin ich!", deutet er auf den Schriftzug, bevor er ihn wieder verschwinden lässt. Mir bleibt kaum ihn zu lesen. Geschweige denn ihn mir zu notieren.
Wenn das so weitergeht, könnte das hier wirklich anstrengend werden. Eilig krame ich einen Block aus meiner Tasche und schreibe auf, was ich entziffern konnte, doch scheinbar habe ich falsch gelesen, denn meine Nachbarin beugt sich zu mir und deutet auf den Schriftzug.
"Nicht Sonner. Er heißt Sontner.", flüstert sie leise. Doch nicht leise genug, denn im nächsten Moment landet klackernd ein Stück Kreide zwischen uns auf dem kleinen Tisch.
"Hey!", blafft uns Prof. Sontner an. Sein Blick ist so stechend, dass mir schnell klar wird, dass mit diesem Kerl sicher nicht gut Kirschen essen ist. "In meinem Kurs halten sie die Klappe! Oder haben sie etwas bahnbrechendes hinzuzufügen Herr...?", fragend sieht er mich an, so dass ich seufzend, aber deutlich vernehmbar meinen Namen preisgebe. Bleibt mir ja schlecht was anderes übrig.
"Jähn.", na das kann ja lustig werden. Schon am ersten Tag, beim ersten Professor habe ich mich gleich unbeliebt gemacht. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich diese Zeit meines Lebens inzwischen hinter mir gelassen habe. Doch weit gefehlt.
"Nun Herr Jähn. Was genau haben sie uns denn nun so wichtiges mitzuteilen, dass sie dafür schon in den ersten fünf Minuten gleich zwei Mal unangenehm auffallen?!", sagt er harsch und beugt sich über seinen Tisch. Die Hände auf die Tischplatte gestemmt.
"Nichts Sir. Ich habe nur ihren Namen falsch notiert.", versuche ich mich zu erklären, doch macht das die Sache nicht wirklich besser.
"Ach! Lesen können sie also auch nicht! Was genau wollen sie dann hier?", bellt er mich an. Am liebsten würde ich dem Mädchen neben mir einen genervten Blick zu werfen, doch möchte ich nicht, dass Prof Puter, denn inzwischen ist sein Kopf so rot wie der Kragen dieses Tieres, auf das Mädchen los geht, welches mit einem entschuldigenden Lächeln neben mir sitzt. "Als Medizinstudent werden sie die nächsten Jahre nichts anderes tun, als zu lesen. Es sei denn, sie wollen der nächste werden, der dieses Semester nicht besteht.", fährt er laut fort und wendet sich dann wieder der Klasse zu. "Lassen sie mich schon jetzt eines klarstellen!", sagt er klar und deutlich, kommt hinter dem Tisch hervor und beginnt vor uns hin und her zu patrouillieren, "Schule war gestern! Das die lieben, kleinen Lehrer ihnen den Arsch abgewischt haben, ist vorbei! Entweder, sie passen hier auf und saugen jeden Fetzten auf, den ich ihnen hinwerfe, ODER...", jetzt fixiert er mich wieder mit strengem Blick, "...oder sie sind hier schneller raus, als sie "Medizin" sagen können! Ist das klar?!"
Beeindrucktes schweigen beherrscht den Raum, doch frage ich mich langsam, wie lange dieser Professor wohl noch durchhalten wird, wenn er sich schon jetzt so dermaßen aufregt. Sein Kopf ist bereits hochrot und er sieht aus, als würde er jeden Moment einen Herzinfarkt erleiden, doch fährt er schließlich unbeirrt fort.
Allerdings bleiben ihm nur wenige Minuten, bis es erneut an der Tür klopft. Ich mache mir ernsthaft um seine Gesundheit sorgen, als ein Student grinsend den Raum betritt.
"Ach ne!", fährt Professor Sontner den Neuankömmling an, "Sie schon wieder?! Ich dachte, ich wäre sie endlich los!"
Der Typ grinst breit in die Runde. Betritt locker den Raum und wagt es doch tatsächlich vor Professor Sontner Aufstellung zu nehmen. Er sieht nicht herablassend aus, aber auch nicht im geringsten von dem Strengen Ton des alten Mannes beeindruckt. Er macht eine abwinkende Geste, bevor er mit belustigter Stimme zu Sprechen beginnt.
"Aber Professorchen, geben sie es zu. Sie wissen doch gar nicht, was sie ohne mich anfangen sollen. Es wäre doch geradezu langweilig, wenn ich ihnen nicht auch noch dieses Jahr auf die Nerven gehen würde.", sagt er grinsend und legt dem alten Mann freundschaftlich den Arm um die Schultern.
"Ob sie es glauben oder nicht, HERR WAGNER...", antwortet dieser kalt und befreit sich Resolut von dem Arm auf seiner Schulter, "...aber sie haben gerade einen Konkurrenten bekommen. Was ihre Anwesenheit in diesem Jahr durchaus entbehrlich macht!"
"Was?! Wen?", erstaunt sieht sich der junge Mann nach uns um und mustert uns Neulinge eingehend. Er bleibt an meiner Reihe hängen und ein breites Grinsen zieht sich über sein Gesicht. Warum ist mir jedoch ein Rätsel. Ich sehe sicher nicht aus, wie der Störenfried, als den Herr Sontner mich gerade hinstellen will, doch..."Der da!", deutet der Professor direkt auf mich und fordert den Neuen dann auf sich zu mir zu setzten. "So habe ich sie gleich im Blick. Und sie können Herrn Jähn schon mal mit den Gegebenheiten vertraut machen, wenn man durch die Prüfung fällt! Und jetzt Herr Wagner...Klappe halten!"
"Jawoll Sir!", salutiert er belustigt, stiefelt zu uns nach oben und lässt sich lasziv auf den Stuhl neben mir fallen.
Er grinst mich breit an, enthält sich aber tatsächlich irgendwelcher Worte, die mich noch weiter in die Scheiße ziehen würden. Und so wende ich mich dem Mann im Vordergrund zu und lausche seiner langatmigen und recht langweiligen Einführung.
Stundenlang, so kommt es mir vor, hält er uns einen Vortrag darüber, für wie wahrscheinlich er es hält, dass auch nur einer von uns dieses Semester durchsteht. Doch als die Zeit sich langsam dem Ende nähert legt er eine Folie auf den Projektor, auf dem unsere Namen, gefolgt von irgendwelchen Zahlen, aufgelistet sind.
"Nun denn! Hier können sie entnehmen, auf welchen Stationen sie sich zu melden haben, sollten sie wirklich Interesse an diesem Studium haben. Und jetzt...", sagt er abschließend und zieht die Folie schon wieder herunter, "...auf nimmer wiedersehen!"
Regelrecht überfahren sitzen wir da. Also nicht nur ich. Irgendwie alle machen wir ein ratloses Gesicht und sehen uns durch den Raum an. Einer nach dem anderen erwidert meinen Blick nicht weniger verzweifelt. Nur sehr wenige notieren sich etwas auf ihrem Block. Selbst die Dunkelhäutige neben mir.
"Was für ein Monster? Oder?", lächelt sie mir zu, als sie die Zahlen auf ihren Block geschrieben hat, dann hält sie mir die Hand hin. Auf meiner anderen Seite sitzt noch immer Herr Wagner, dessen Vornamen ich nicht weiß. Ebenso wenig wie den des Mädchens, dass sich jedoch gerade bei mir vorstellt.
"Ich heiße Lia. Und du?"
"Ian.", sage ich noch immer ziemlich perplex und schüttele ihre Hand, doch kaum lasse ich ihre los, schießt eine weitere an mir vorbei und schüttelt ihre kräftig.
"Und ich bin Kiran. Langjähriger und erfahrener Unimitbewohner und Herrn Sontners Lieblingsstudent. Also noch...", fügt er grinsend hinzu, während sein Blick von Lia zu mir wandert, "Doch wenn ich den Alten richtig verstanden habe, dann habe ich dieses Jahr einen Konkurrenten bekommen.", er hebt skeptisch eine Augenbraue und sieht mich an. Dann hält er auch mir die Hand hin.
"Also Ian? Womit hast du den Alten so sehr von dir überzeugt? Zu spät gekommen? Oder dazwischen gequatscht. Oder sind deine Zeugnisse so unterirdisch, dass du ein Auslandsjahr eingeschoben hast? Wobei...", erneut mustert er mich, bevor er seine Meinung zum besten gibt. "Nein. Extrarunde wars nicht. Also zu spät?"
Zustimmend nicke ich und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Kiran's überschäumende Aktivität und sein anhaltender Redeschwall machen es leicht ihn zu mögen.
"Beides um Genau zu sein.", füge ich dann hinzu, "Ich war zu spät UND habe wohl dazwischen gequatscht. Und du? Was ist deine Ausrede?"
"Ich brauche keine. Er konnte mich von Anfang an nicht leiden.", lacht er belustigt, dann springt er förmlich von seinem Stuhl auf. "So ihr beiden Turteltäubchen. Ich werde jetzt mal schauen, in welcher Abteilung mich der Sklaventreiber dieses Jahr reingesteckt hat. Sicher in die Patologie oder so."
Schon hat er sich seine Tasche über die Schulter geschwungen und sprintet die Treppe nach unten, wobei er sich an einigen Studenten vorbeischlängelt, als seine Worte zu mir durchdringen.
"Hey!", rufe ich ihm nach, "Kiran! Wo kann ich denn das nachlesen?", will ich wissen und schöpfe ein kleines Bisschen Hoffnung. Denn Interesse an diesem Studium habe ich definitiv. Und das lasse ich mir von diesem Professor nicht so schnell kaputt machen.
"Sorry Lia.", sage ich entschuldigend und stopfe eilig meinen Block in die Tasche, "Aber ich muss los. Wir sehen uns dann im nächsten Kurs.", sage ich eilig und sprinte hinter Kiran her die Treppe nach unten. Im Flur steht er neben der Tür und grinst mich verschmitzt an.
"Hab ich doch richtig gehört, das du nach mir gerufen hast. Hast deinen Namen nicht gefunden auf der Liste. Was?"
"Man! So schnell kann doch kein Schwein lesen!", beschwere ich mich leicht und fasse neben ihm schritt. Er ist ungefähr so groß wie ich. Hat jedoch schwarze, lange Haare und strahlend blaue Augen, die einfach nicht echt sein können. Sicher trägt er Kontaktlinsen. Und selbst seine Haare müssen gefärbt sein, so wie die des Kleinen, der recht verloren vor uns im Gang steht. Seine grünlichen Haare hängen ihm in die Stirn. Den Blick hat er mal wieder zu Boden gesenkt und er scheint irgendwas in sich hinein zu murmeln.
"Keine Bange. Du kannst alles im Sekretariat erfragen. Selbst Unterrichtsunterlagen kopieren sie dir dort. Komm. Ich zeig dir wo das ist.", plappert Kiran selbstbewusst, während er wild mit den Armen gestikuliert, doch würde ich mich gerne bei dem Jüngling erkenntlich zeigen, der mir vorhin aus der Klemme geholfen hat.
"Warte mal kurz.", wende ich mich kurzerhand an ihn und gehe dann zu dem grünhaarigen Jungen, dessen Gesicht durchaus Ähnlichkeit mit dem eines Frosches hat. Er trägt eine dicke, kreisrunde Brille, die seinen Augen einen gewissen glubschigen Ausdruck verleihen. Selbst seine Nase ist bei genauerem Hinsehen etwas Platt und der Mund ziemlich breit. Doch die Sommersprossen, die seine helle Haut zieren verleihen ihm einen gutmütigen Touch.
"Hey!", spreche ich ihn freundlich an, "Ich wollte noch mal danke sagen. Wegen vorhin."
Langsam hebt er den Blick. Sieht mich regelrecht verpeilt an, als hätte er mich noch nie gesehen, doch fällt der Groschen recht schnell.
"Kein Problem.", sagt er knapp, weshalb ich dann einfach mit der Tür ins Haus falle.
"Hast du deinen Namen auf der Liste zum Schluss finden können?", will ich wissen, doch kommt von ihm keine Reaktion, weshalb ich weiterspreche, "Also ich nicht, aber Kiran...", ich nicke zu ihm hinüber und verdrehe belustigt die Augen, als ich sehe, wie er hinter ein paar Mädchen irgendwelche Faxen macht. "...also er weiß, wo wir..."
"Ich weiß, wohin ich soll. Du nicht?", unterbricht mich der Frosch und sieht mich erstaunt an.
"Wirklich?!", frage ich erstaunt, "Ich konnte den Zettel nicht so schnell lesen."
"Du heißt Jähn? Oder? Ian Jähn. Du sollst auf Station 4b und er auf Station U2. Hilft das weiter?", gleichgültig zuckt er mit den Schultern und lässt mich sprachlos stehen. Er wendet sich einfach ab und geht.
"Hey! Warte doch mal!", laufe ich ihm nach, "Woher weißt du das?", frage ich verwirrt und greife nach seinem Arm um ihn aufzuhalten. Sein Blick wandert von meiner Hand zu meinem Gesicht. Er sieht mich verständnislos an, bevor er mit gerunzelter Stirn sagt: "Stand da doch."
"Ähm...", er wirkt auch mich recht verpeilt, doch denke ich nicht, dass er unterbelichtet ist, sonst wäre er wohl nicht hier, aber er kommt mir vor, als würde in seinem Oberstübchen etwas nicht ganz richtig ticken. Trotzdem fahre ich fort. "...aber so schnell kann man doch nicht alles lesen. Und woher weißt du, wer ich bin?"
Langsam wendet er sich mir zu. Meine Hand habe ich inzwischen von seinem Arm genommen, doch sieht er mich mit einem Blick an, der mir geradezu unheimlich ist. Seine wässrigen Augen wirken so hell, dass er beinahe aussieht, als hätte er keine Iris. Und da das Licht der hellen Deckenlampen seine Pupillen verengen wirken seine Augen noch heller als vorher.
"Ich kann so schnell lesen.", beginnt er leise und ziemlich emotionslos, "Und ich kenne deinen Namen. Und seinen. Professor Sontner hat ihn gesagt. Jähn.", er hebt sein Kinn in meine Richtung, dann die Hand in Kirans, der sich uns ungeduldig genähert hat. "Und das ist Wagner."
Okay. Hexerei ist das nicht, da hat er schon Recht. Immerhin hat der Prof unsere Namen genannt, doch das er tatsächlich so schnell diesen Zettel mit den über dreißig Namen und Zahlen gelesen haben soll, kommt mir sehr unrealistisch vor.
"Komm schon man!", unterbricht Kiran mich, "Wir haben nicht viel Zeit. Der nächste Kurs beginnt in zehn Minuten. Und auch wenn Frau Winkler jetzt kein Sontner ist, kann sie es auch nicht ausstehen, wenn man zu spät kommt."
"Ja ist gut. Ich komme.", wende ich mich meinem Leidensgenossen zu. Dass wir uns womöglich den Weg sparen können behalte ich fürs erste für mich und bedanke mich mal wieder bei dem Froschgesicht für seine Hilfe.
Beim Weggehen, kommt mir in den Sinn, dass ich ihn bei Zeiten mal nach seinem Namen fragen sollte. Immerhin werden wir uns wohl die nächsten Jahre immer mal wieder über den Weg laufen, doch jetzt hetzte ich mit Kiran über den Campus zum Sekretariat und staune nicht schlecht, als ich sehe, für welche Station ich eingeteilt bin.
"Du bist 4b.", deutet Kiran auf meinen Namen, gleitet dann bis ans Ende der Liste, wo hinter seinem Namen U2 steht.
Ungläubig starre ich auf den Zettel und kann mir nicht erklären, wie der Kleine sich die Daten so schnell gemerkt hat.
Doch um mir darüber lange den Kopf zu zerbrechen fehlt uns die Zeit. Im Stechschritt eilen wir ist Gebäude M23 zurück, wo uns eine weitere Unterrichtseinheit erwartet.
Doch diesmal sind wir wenigstens pünktlich.
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5980 Worte
18.06.17
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