8 Unschlüssig

Noch während meine Wut mal wieder überhandnimmt, kommt Jason aus dem Black Angels und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Alles klar Alter?", will er wissen, was ihm von mir ein sarkastisches Schnauben einbringt.

"Was war denn das da gerade?"

"Hast du doch gehört! Mikes kleiner Wachhund meint sich in Dinge einmischen zu müssen, die ihn nichts angehen.", fauche ich und sehe ihn drohend an. Doch um Jason damit zu beeindrucken kennen wir uns einfach schon zu lange.

"Aber deshalb haut er dir doch keine rein!"

Jason klingt erstaunt, doch ich kann über ihn nur den Kopf schütteln, während ein leichter Wind aufkommt und eine leere Dose vor meine Füße weht.

"Hast du doch gesehen!", ich deute auf meine schmerzende Wange und versetzte der Dose einen ärgerlichen Tritt, der diese mit einem lauten Scheppern über den Asphalt hüpfen lässt.

"Und was meinte er mit 'Mia will dich nicht sehen!'? Warst du deshalb die Woche weg?", fragt er mich aus, was mich genervt mit den Augen rollen lässt.

"Ganz freiwillig bin ich jedenfalls nicht abgehauen. Hab dir doch erzählt, dass Mia sich nicht mehr an mich erinnert."

"Ja und? Deshalb brauchst du doch nicht nach Hause fahren. Oder hab ich da was verpasst?", fragt Jason verwirrt und kratzt sich nachdenklich am Kopf.

Es sieht beinahe lustig aus, wie er sich krampfhaft an unseren Abend zu erinnern versucht, als wir uns so haben voll laufen lassen heben, doch scheint ihm wie mir ein Teil zu fehlen.

Mit knappen Worten kläre ich ihn auf und höre mir dann erst einmal sein ratloses Schweigen an. Als er schließlich seine Sprache wiederfindet und sich für seine Freunde entschuldigt, winke ich gleichgültig ab.

"Lass stecken, man! Ich kann nur hoffen, dass sie irgendwann wieder zur Vernunft kommt. Bis dahin...", ratlos zucke ich mit den Achseln und fahre mir anschließend durch die Haare. Das Gespräch mit Jason hat mir die Wut fürs erste wieder genommen, meine innere Unruhe jedoch nicht.

"Kommst noch wieder mit rein? Oder soll ich dich nach Hause fahren?", will er schließlich wissen, doch ist mir die Lust aufs Tanzen, oder Trinken vergangen. Außerdem ist es ohnehin schon so spät, dass sich langsam aber sicher die Sonne wieder aus ihrem Schlaf erhebt.

"Weder noch.", lehne ich daher ab. "Ich werde laufen. Den Kopf frei kriegen. Weißt schon."

"Wenn du meinst. Meld dich, wenn was ist.", bietet er mir noch an, dann schlagen wir ein. Doch bevor ich mich auf den Heimweg mache, kehre ich noch mal ins Gebäude zurück um meine Jacke zu holen.

Grübelnd setzte ich einen Fuß vor den anderen. Sehe der Sonne beim Aufgehen zu. Lasse mir die frische Luft um die Nase wehen und stelle irgendwann verwundert fest, dass ich mich ohne es zu wollen dem Klinikgelände nähere.

Unschlüssig bleibe ich stehen, schaue die lange Straße hinter den Schranken entlang und weiß nicht, was ich machen soll.

Sicher. Ich wollte zu ihr gehen. War mir sogar sicher, dass mich nichts davon abhalten könnte, doch jetzt...

Sie will dich nicht sehen, Ian! Kommt mir immer wieder in den Sinn. Sie hat es dir doch ganz deutlich gesagt! Und scheinbar hat sie sogar mit Mike darüber geredet. Diesem Scheißkerl! Aber ich war seit einer Woche nicht hier. Ob sie ihre Meinung wohl geändert hat? Vielleicht war sie aber auch froh, dass ich nicht wiedergekommen bin. Und was wenn nicht? Wenn sie sich tief in ihrem Inneren gewünscht hat, dass ich doch wiederkomme? Und sich seither immer fragt, wann ich wieder auftauche?

Ja und wenn nicht? Wenn sie einfach nur froh ist, das ich endlich weg bin?!

Unschlüssig stehe ich da. Eine Rose aus dem Krankenhauskiosk in der Hand. Ich weiß nicht, wie oft ich schon versucht habe in den Aufzug zu steigen, doch ohne Erfolg.

Ich bin bestimmt schon zwanzig Mal wieder umgedreht, nur um dann doch nicht zu gehen. Anfangs habe ich mir gesagt, dass es noch zu früh ist. Nicht vom Tag her, sie hatte immerhin eine Woche, doch von der Uhrzeit her. Aber inzwischen ist es schon fast 11 Uhr und ich stehe bestimmt schon seit vier Stunden hier herum. Manchmal sitze ich auch auf den Stühlen. Wie vor drei Monaten, als ich darauf gewartet habe, dass Mia aufwacht, doch da wusste ich, worauf ich warte. Diesmal weiß ich es nicht. Und solange ich hier sitze, werde ich wohl auch nicht schlauer werden.

Ich werde nicht wissen, ob sie mich sehen will oder nicht. Ob sie sich freuen wird oder nicht. Oder ob sie mich einfach davonjagen wird.

Und ich muss gestehen, dass ich es eigentlich nicht herausfinden will. Was, Wenn Mike recht hat? Und sie ihm wirklich gesagt hat, dass ich sie belästige? Dass sie froh ist, das ich nicht wiedergekommen bin. Vielleicht sollte ich einfach wieder gehen. Noch habe ich den Fehler nicht gemacht und bin zu ihr gegangen. Sicher war das gut.

Ja! Ganz sicher sogar! Ich sollte ihr noch mehr Zeit geben. Vielleicht noch ein oder Zwei Tage. Wochen? Energisch drehe ich mich um. Gehe zielstrebig auf den Ausgang zu und drücke einem mir entgegenkommenden Mann die Rose in die Hand.

Seine Reaktion bekomme ich nur am Rande mit, doch ruft er mir schließlich ein verwirrtes: "Danke!", hinterher.

Ich erwidere Nichts. Gehe einfach weiter. Lasse die Schiebetüren hinter mir und stapfe Blindwütig vor mich hin. Ich bin Müde. Habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Sicher habe ich ein dickes Veilchen im Gesicht. Zumindest schließe ich das aus den seltsamen Blicken, die ich hin und wieder von Menschen mitbekomme, die mich ansehen.

Manche wirken Schockiert. Andere mitleidig. Und dann sind da die, die die Straßenseite wechseln. Ich muss ja ganz schön angsteinflößend wirken. Doch als ich mich mal wieder der Schranke nähere, die das Krankenhausgelände von der Außenwelt abschirmt, sind meine Schritte schon so zögerlich, dass man es eigentlich nicht mehr gehen bezeichnen kann. Was ich tue ist eigentlich aktives auf der Stelle treten.

Ich bin ihr so nah. Schießt es mir immer wieder in den Kopf. So nah war ich ihr seit einer Woche nicht mehr. Es kann doch nicht schaden, wenn ich nur mal kurz "Hallo.", sage. Oder? Ich muss ja nicht lange bleiben. Nur schnell reingehen und sie ansehen. Und wenn sie mich wieder wegschickt, dann habe ich sie wenigstens gesehen. Ihre Stimme gehört. Vielleicht ihren Duft eingeatmet. Ich...vielleicht freut sie sich ja doch.

Wie von allein scheinen meine Beine sich zu bewegen. Ich merke eigentlich nicht, dass ich gehe. Ich weiß bewusst nicht einmal, wohin ich gehe, doch unbewusst setzte ich einen Fuß vor den anderen. Werde wie magisch von dem Menschen angezogen, der mir mehr als alle anderen bedeutet.

Die Fahrstuhltüren öffnen sich. Und ich stehe plötzlich vor ihrer Tür. Das Schwerster Bea mich erfreut begrüßt, nehme ich nur am Rande war und gebe lediglich ein leises, erwiderndes Brummen von mir.

Meine Hände sind ganz schwitzig, als ich sie auf die Klinke lege. In meiner Brust vollführt mein Herz einen Trommelwirbel und schlägt einen Salto nach dem anderen.

Jetzt fehlt nicht mehr viel. Nur noch den Griff runter drücken. Die Tür öffnen und hineingehen. Dann werde ich sie sehen. Werde in ihren weichen, braunen Augen versinken und ihre sanfte Stimme hören. Ich werde auf sie zugehen. Werde sie einfach nur ansehen, dabei würde ich sie so gerne küssen. Sie halten. In den Armen. In meinem Herzen, dort wo sie für immer ihren Platz haben wird. Ich würde ihr so gern von allem erzählen, was sie vergessen hat. Würde gerne einfach mit ihr reden. So wie früher. Über Gott und die Welt. Nicht nur darüber, was war. Nein auch darüber, was es neues gibt. Über die Fohlen auf dem Hof. Über Charlie, die letzte Woche die ersten unsicher Schritte auf allen vieren geschafft hat. Und ich möchte von ihr hören, was sie neues gelernt hat. Neues, was sie zwar schon mal konnte, aber was für sie trotzdem neu ist. Laufen zum Beispiel. Oder sie könnte mir erzählen, was sie gerne isst. Was sie draußen gesehen hat. Und ich möchte wissen, was sie denkt. Alles möchte ich von ihr wissen. Alles über sie erfahren. Wie damals. Wie zu dem Zeitpunkt, als ich sie noch nicht kannte.

Ich möchte die Mia kennenlernen, die sie jetzt ist. Nicht nur die, die sie war, bevor sie ihr Gedächtnis verloren hat, doch all das kann ich nur tun, wenn ich zu ihr gehe.

Und deshalb drücke ich die Klinke herunter. Und deshalb schiebe ich die Tür, mit einem euphorischen Lächeln, auf und gehe rein. Ich betrete das Zimmer und sehe...nichts! Sie ist nicht da.

"Mia?", frage ich recht leise. Immerhin ist es ja möglich, dass sie im Bad ist. Und weil sie mich da nicht so gut hört rufe ich einfach noch mal. Etwas lauter diesmal, doch wieder kommt keine Antwort von ihr. Also zumindest nicht aus dem Bad.

Langsam drehe ich mich zur Tür zurück, wo Mia mich aus ihrem Rollstuhl mit großen Augen ansieht.

Mein Herz macht einen unruhigen Satz. Bleibt stehen, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Ihre braunen Haare glänzen seidig. Und ihre großen, unschuldigen Augen scheinen zu glühen. Ihre rosigen Lippen bewegen sich, doch bin ich von ihrem Anblick wie verzaubert, so dass ich ihre Worte nicht verstehen kann.

Dafür nehmen ihre Wangen einen dunkleren Ton an, als sie langsam auf mich zukommt und direkt vor mir stehen bleibt.

Ich kann nicht anders als zu lächeln. Sie hat mir so gefehlt. Alles an ihr. Ihre zierliche Statur, ihr feuriges Temperament, ihr zügelloses Mundwerk, ihre Stimme. Ihr Duft, der mir verwirrend in die Nase steigt und meine Sinne betört.

Immer wieder bewegen sich ihr Lippen, doch erst, als sie mir schmerzhaft gegen das Schienbein tritt erwache ich aus meiner Starre und blicke mit gerunzelter Stirn auf sie hinunter.

"Was hast du gesagt?", frage ich mit schmerzverzerrtem Blick und will mich trotz allem zu ihr runter beugen um sie in den Arm zu nehmen, als mir klar wird, dass sie mich gerade getreten hat.

"Ich habe gefragt, was du hier machst! Verdammt!", faucht sie mich beinahe an.

Als hätte sie mir vor den Kopf geschlagen wanke ich einen Schritt zurück und sehe sie ungläubig an. Ihre Stimme ist so kühl, so abweisend, dass sie direkt in mein Herz schneidet und dieses sich in Qualen zusammen zieht.

"Ich...", beginne ich perplex und fahre mir seufzend durch die Haare. Meine Augen hängen an ihren. Ich kann mich ihnen nicht entziehen. Oder ich will es schlicht nicht. Wenn dies unser letztes Treffen sein sollte, muss ich alles in meinem Gedächtnis speichern. Ich weiß, dass ich mir damit nur selbst schade, aber ich kann nicht anders. Ich kann sie einfach nicht so ohne weiteres aufgeben. Nicht einmal, wenn sie es will, doch machen mich ihre Worte auch wütend. Sie hat nicht das Recht, mich so abweisend zu behandeln.

"Ich wollte eigentlich nur mal sehen, wie es dir geht, aber wenn dir meine Anteilnahme so zu wieder ist, kann ich ja wieder gehen!", schnauze ich sie beinahe an. Weiche aber nicht von der Stelle. Ich trinke ihren Anblick in mich hinein. Wie damals. In unserm Haus. In der Nacht. Im Dunkeln. Und wie damals dränge ich sie zurück, bis sie mit dem Rollstuhl an der Wand steht. Dicht beuge ich mich zu ihr herunter und sehe ihr drohend in die Augen. Meine Wut auf sie und Mike, auf diesen Unfall und ihren Gedächtnisverlust, auf ihre abweisende Haltung und diese Wut in ihrer Stimme, rauben mir den Verstand. So wie sie.

Sie sieht mich erschreckt an. Sitzt wie erstarrt vor mir in ihrem Stuhl und atmet schnell. Ich weiß, dass auch meine Brust bebt, dass mein Atem, über ihre Lippen streicht, so wie der ihre über meine. Mein Herz platzt beinahe, so schnell hämmert es in meiner Brust und ich sehe die leichte Röte, die in ihre Wangen steigt.

"Du musst es nur sagen MARIE.", flüstere ich knurrend, "Sag dass du mich nie wieder sehen willst und ich werde gehen."

Zitternd schließt sie die Augen. Schluckt und als sie die Augen wieder öffnet sehe ich sie. Die Tränen, die in ihren großen, schimmernden, dunklen Tiefen verborgen sind. Die Trauer, die hinter der Fassade sitzt und mit der sie derzeit zu kämpfen hat. Sie sieht so verloren aus. Verloren in einer Welt ohne Erinnerungen. Ohne einen einzigen Menschen, der ihr vertraut ist. Den sie kennt. Dessen Reaktionen sie kennt. Dessen Gefühle sie kennt und einordnen kann. Doch ist mir das in diesem Moment egal. Es ist egal, wie ich mich verhalte. Wie ich sie behandle. Sie kennt mich nicht. Sie wird mich vielleicht nie wieder kennen. Vielleicht wird sie sich nie wieder an mich erinnern, aber sie kann mich immerhin wieder kennen lernen. Und wenn sie den Menschen, der ich dank ihr geworden bin nicht kennenlernen will, dann wird sie den kennenlernen, der ich war, bevor sie kam. Und der nimmt auf diesen kleinen Umstand, dass sie mich nicht wiedererkennt mit Sicherheit keine Rücksicht.

"Und?!", herrsche ich sie an, "Was ist jetzt? Soll ich gehen?!"

"Ian, bitte.", wimmert sie kläglich, "Bitte, du machst mir angst."

"Das ist mir scheiß egal Mia! Ich will eine Antwort von dir!", sage ich erregt und lasse meine Hand hinter ihr gegen die Wand knallen, was sie zusammenzucken lässt. Ihre Augen werden wenn möglich noch größer. Ihre Pupillen weiter. Ihr Blick dunkler. Ihr Atem flacher. Und das Verlangen in mir nach ihr steigt. Mein Blut kocht. Meine Lippen kribbeln, mit jedem Luftstoß, der über sie hinweg gleitet. Und alles in mir sehnt sich danach, sie zu küssen. Meine Lippen auf ihre zu legen. Ihre weiche Haut an meiner zu spüren. Selbst meine Finger kribbeln. Und das nicht nur, weil sich pochender Schmerz durch meine Knöchel zieht. Nein.

Ich will sie Spüren! Jeden Zentimeter ihrer Haut erkunden und ihren weichen, warmen Körper an meinem Spüren. Ich will endlich wieder das haben, was ich hatte, oder aber gar nichts mehr. Sie soll mir sagen, was sie will. Was sie denkt. Was sie glaubt, was das Richtige ist. Und entweder sie sagt mir jetzt und hier, dass ich gehen soll oder ich werde morgen wieder kommen. Ebenso übermorgen und überübermorgen. Jeden Tag der Woche, bis sie sich entweder an mich erinnert oder mich wieder kennen gelernt hat. Mich wieder lieben gelernt hat. So wie ich sie.

"Ich... es...", beginnt sie stammelnd, als sich nun doch eine vereinzelte Träne aus ihrem Auge wagt und über ihre Wange hinunterläuft. Ich beobachte ihren Weg. Sehe, wie sie am Rand der Lippe entlang gleitet und dann zu ihrem Kinn fließt.

"Es tut mir leid Ian. Bitte...bitte geh.", flüstert sie heiser und bricht mir nun endgültig das Herz. Es beginnt in sich zusammen zu fallen. Stück für Stück brechen kleine Splitter aus meiner Brust und fallen irgendwo hin. Das Loch, was sie hinterlassen fühlt sich so wund an, dass es mich auch Äußerlich zu zerreißen scheint.

Meine Stimme ist rau und doch bleibe ich unnachgiebig, doch schaffe ich es nicht, einfach so zu gehen. Ich muss sie berühren. Wenigstens noch ein Mal. Nur noch einmal ihre weiche Haut an meiner Spüren, ihr nur noch ein Mal nah sein. Wie von allein wandert meine Hand zu ihrer Wange. Streicht mein Daumen über die Spur der Träne und wischt sie beiseite. Fahre ich ihr über die Lippe, bevor ich mich mit einem Ruck aufrichte.

"Du hast es so gewollt! Leb wohl!", es fällt mir unheimlich schwer zu gehen. Und das, obwohl ich noch immer wütend bin. Wütend auf all die Umstände, die uns in diese Situation gebracht haben. Die sie mir genommen haben. Die mich in den Wahnsinn treiben. Wütend auf sie machen.

Mit schweren Schritten gehe ich auf die Tür zu und mit jedem Schritt, den ich tue, wird mein Herz schwerer. Scheint es mehr zu zerbröseln. Das Loch in meiner Brust größer zu werden. Sicher lasse ich eine rot leuchtende Spur auf dem Boden ihres Zimmers zurück. Anders kann es gar nicht sein, doch bleibe ich noch einmal stehen, bevor ich ihr Zimmer verlasse. Die Hand schon auf der Klinke der Tür. Ihren Duft noch immer in der Nase und ihren leisen Atem im Ohr.

"Tust du mir einen Gefallen?", wage ich zu fragen, doch kommt von ihr keine Antwort. Im Grunde erwarte ich auch keine und so fahre ich mit hängendem Kopf fort. "Stoß deine Tante bitte nicht weg. Du bist alles, was sie noch hat.", sage ich heiser. Meine Gefühle drohen mich zu überwältigen, weshalb ich mich vernehmlich räuspere. Ich kann es nicht verhindern. Ich muss die Worte, die mir auf der Zunge liegen einfach sagen. Ob sie sie nun hören will oder nicht. Ob sie sich nun an mich erinnert oder nicht. Aber ich kann nicht gehen, ohne sie ihr gesagt zu haben.

Und so verkrampfe ich meine Hand um den Griff der Tür atme tief ein und presse dann beinahe verzweifelt hervor: "Ich liebe dich Engelchen. Immer."

Dann verlasse ich beinahe fluchtartig das Zimmer. Ich knalle beinahe die Tür hinter mir ins Schloss und stürme den Gang entlang.

Mein Herz, das zerschlagen auf dem Boden vor Mias Rollstuhl liegt, schreit. Es schmerzt und lässt auch meine Augen Schmerzen. Meine Hände zittern, meinen Atem Stocken. Der Druck hinter meinen Liedern steigt, sowie das Wasser, dass sich unbedingt seinen Weg nach draußen Suchen will. Ich kann es mir nur damit erklären, dass ich die ganze Nacht kein Auge zugemacht habe. Dass ich ein Bier zu viel getrunken habe, dabei ist das Letzte fast schon acht Stunden her. Doch dass ich einfach am Boden zerstört bin, das will ich nicht begreifen. Ich werde einfach weiter machen. Von einem Tag auf den anderen Leben. Ich werde einfach weitermachen, als wäre nichts gewesen. Als hätte es Mia, meinen Engel, nicht gegeben.

Ich renne durch die gläsernen Schiebetüren nach draußen. Renne beinahe einen älteren Herren um, der mir mit seinen Krücken in den Weg schaukelt und ignoriere sein erschrecktes: "Oh! Entschuldigung!" Renne auch an den rot-weißgestreiften Schranken vorbei und verlasse jetzt endgültig das Gelände.

Ich lasse einfach alles hinter mir. Muss einfach alles hinter mir lassen. Sie wollte, dass ich gehe. Was soll ich machen?! Sie will mich nicht sehen und ich werde mich ihr mit Sicherheit nicht aufdrängen. Wenn sie mich nicht sehen will, dann eben nicht! Aber dann soll sie auch nicht angeschissen kommen, wenn sie sich wieder an mich erinnert! Ich werde ihr definitiv nicht aus dem Weg gehen, doch wird es ohnehin nicht viele Situationen geben, in denen ich ihr über den Weg laufen kann. Sie ist hier und ich nicht. Dann wird sie dort sein und ich hier. Das Internat ist weit weg. Und an den Wochenenden wird sie hoffentlich zu Hause sein und ich werde auch zu Hause sein. Also keine Gefahr ihr über den Weg zu laufen.

Genau! Ich gehe ihr nicht aus dem Weg, aber hinter ihr herlaufen werde ich definitiv auch nicht.

Dafür laufe ich die vielen Straßen entlang. Die, die zu mir nach Hause führen. In mein neues Zuhause, dass nur wenige Minuten von ihrem entfernt ist. Wir werden uns nicht sehen und ich werde auch nicht mehr an sie denken.

Das ist mein letztes Wort!

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3171 Worte
14.06.17

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