2 Treffen mit Jason
Den Rest des Tages stehe ich irgendwie neben mir.
Ich habe verlernt etwas zu tun, was nur für mich ist. Ich stehe vor dem Fenster in Mias Zimmer. Schaue hinaus. Sehe den Blättern beim Wehen zu und halte diese Untätigkeit beinahe nicht aus. Seit dem Unfall habe ich jeden Tag im Krankenhaus verbracht. Und wenn Page mir nicht gedroht hätte, mich eigens dort weg zu schleifen und mir die Schlüssel zu meinem Auto und Motorrad weg zunehmen, wenn ich nicht an den Abbiprüfungen teilnehme, wäre ich wohl tatsächlich dort sitzen geblieben.
Zeit zum Lernen hatte ich genug, nur Mia wollte ich nicht allein lassen, doch so habe ich in diesen eineinhalb Wochen im Krankenhaus gelernt und bin dann spät abends nach Hause und morgens ins Internat gefahren um an den Prüfungen Teilzunehmen.
Inzwischen lagen sie jetzt schon eine Weile hinter mir, doch das Studium würde in einer Woche beginnen und wenn ich es nicht verschieben wollte, würde ich mich wohl oder übel von Mia verabschieden müssen. Zumindest Zeitweise.
Ob ich das konnte, geschweige denn wollte, darüber mochte ich gar nicht nachdenken.
"Ian?"
Es klopft an der Tür und Pascale steckt seinen Kopf herein. Langsam drehe ich mich zu ihm um und sehe ihn fragend an.
"Mara lässt fragen, ob du zum Essen kommst.", fragt er mich und unterbricht damit mein angestrengtes nichts tun.
"Ja. Sicher. Ich komme.", sage ich ratlos und folge ihm. Nicht, weil ich hunger hätte, sondern einfach, weil es besser ist, als hier allein herum zu stehen und nachzudenken.
Langsam folge ich ihm die Treppe nach unten und lasse dabei meinen Blick über die Bilder gleiten, die an der Wand hängen. Nur zu deutlich erinnere ich mich an den Tag, als ich mit Mia zusammen auf dem Sessel bei mir zu Hause gesessen habe, als Mara sie ihr gegeben hat. An den Tag, als sie ihr erzählt haben, was mit ihren leiblichen Eltern passiert ist. Sie war so aufgewühlt. Verwirrt und wütend. An diesem Tag, hat sie mir gesagt, dass sie mich nicht lieben kann. Nicht lieben, weil sie jemand anderen auch liebte und sie für sich herausfinden musste, wer ihr mehr bedeutete.
Wenn ich heute darüber nachdenke, kann ich beinahe nicht nachvollziehen, warum ich nicht sauer auf sie war.
Ich hätte sie anschreien sollen, ihr die Pistole auf die Brust setzten sollen und sie zu einer Antwort drängen sollen, doch das hatte ich nicht.
Ich hatte gesagt, ich würde es verstehen. Im Grunde tat ich es sogar, aber dieser Schmerz, den ich empfand, war mindestens so schlimm, wie der, den ich jetzt verspürte.
Ich verzweifelte beinahe bei dem Gedanken daran, dass ich sie schon wieder verloren hatte. Und nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass es wieder ein Happyend geben würde.
Sie erinnerte sich nicht an meine Liebe. Und was viel schlimmer war, sie erinnerte sich nicht einmal an ihre Liebe zu mir, wenn sie denn vorhanden gewesen war.
Vielleicht sollte ich daran zweifeln, wo sie mich doch so verbissen los werden wollte, doch wenn ich das tun würde, würde ich verrückt werden! Ich durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Nicht aufhören, daran zu glauben, dass alles was ich mit ihr erlebt hatte nur gespielt war.
Und unsere gemeinsame Nacht hatte ich mir ja nun auch nicht eingebildet. Wir hatten definitiv miteinander Geschlafen und ich würde diese Eine, diese ganz besondere Nacht mit ihr niemals vergessen.
Für sie und auch für mich selbst, würde ich diese Erinnerung bewahren, um sie ihr zu erzählen, wenn sie eines Tages soweit war, mich danach zu fragen.
"Ian? Ian.", verwirrt tauche ich aus meinen Gedanken aus und hebe den Blick. Sehe, das Mara mich ansieht, ihre Hand auf meinem Arm. In der Hand halte ich die Gabel, doch ist mein Essen noch immer unberührt.
"Hm?", mache ich fragend und spürte dieses ungewohnte Gefühl eines Lächelns auf meinem Gesicht.
"Denk nicht so viel nach.", sagt sie seufzend, "Iss lieber. Du brauchst deine Kraft."
"Tut mir leid, Mara. Aber ich habe keinen Hunger. Bist du mir böse, wenn ich später esse?", frage ich entschuldigend und lege die Gabel auf den Tisch zurück.
"Nein. Schon gut.", sie klingt enttäuscht. Wirft Pascale einen ratlosen Blick zu, den dieser mit einem zucken seiner Augenbraue beantwortet.
Ich verstehe nicht, wie sie so gelassen mit dieser Situation umgehen können. Bedeutet es ihnen denn gar nichts, wenn Mia sich nicht mehr an sie erinnert? Wenn sie nie wieder Klavier spielt?
Seufzend stehe ich auf. "Ich stell meinen Teller in den Kühlschrank und gehe noch mal raus. Wartet nicht auf mich.", sage ich mit einem kleinen, erzwungenen Lächeln, das mich eine Menge Kraft kostet. Anders als das eben, das mir meine Erinnerungen auf die Lippen gezaubert hat.
Jetzt ist diese schöne Erinnerung vergangen und mich holen die Ereignisse dieses Tages wieder ein.
Ihre Zurückweisung. Ihre Abneigung überhaupt in Betracht zu ziehen, mich jemals gemocht zu haben und wenn auch nur als Freund.
"Ist gut.", bekomme ich von Pascale zu hören. Dass er sich Sorgen macht ist nicht zu übersehen, doch er spricht es nicht aus, wofür ich ihm sehr dankbar bin und so stelle ich meinen Teller weg, ziehe mich an und nehme meinen Schlüssel und meinen Helm, um eine Runde um den Block zu fahren.
Doch auch nachdem ich mir eine Stunde lang den Wind um die Nase habe wehen lassen, fühle ich mich noch immer nicht besser.
Ich halte meine Maschine auf einem Bergrücken irgendwo auf dem Land an und schaue über die grünen Felder in die Ferne. Die Sonne ist schon fast untergegangen, doch schickt sie noch einige letzte Strahlen über den Rand der Erde und taucht die Landschaft in ihr graues Licht.
Der Himmel hängt voller Wolken, doch es regnet nicht. Was sich die Tage aber ändern könnte. Es ist fürchterlich heiß und stickig. Das richtige Wetter für ein Wärmegewitter, das mir nur zu gelegen käme.
Ein bisschen Abkühlung. Veränderung. Vielleicht ein paar einschlagende Blitze, die mir den rechten Weg zeigen könnten. Ein Donner, der mir die Trommelfelle zum zittern bringt und mir sagt, was ich tun soll.
Doch nichts dergleichen geschieht. Ich stehe einfach hier. An mein Motorrad gelehnt und sehe zu, wie die Sonne hinter den Wiesen versinkt und mich in dunkler Nacht zurück lässt.
Doch als ich hier so stehe, und mal wieder meinen Gedanken nachhänge, klingelt plötzlich mein Telefon und holt mich in die Wirklichkeit zurück.
"Jähn.", brumme ich ins Telefon ohne vorher drauf zuschauen, wer es ist.
"Hey Ian! Ich bin's. Was geht ab Alter?! Noch immer im Krankenhaus?", ertönt Jasons Stimme gutgelaunt aus dem Hörer.
Erst bin ich etwas erstaunt seine Stimme zu hören, doch habe ich mich schnell wieder gefasst. Wir haben uns fast drei Wochen nicht mehr gesprochen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er weiß, dass Mia wieder wach ist.
"Ne. Bin unterwegs.", sage ich leicht verwirrt und runzele die Stirn.
"Wie? Gar nicht bei deiner Süßen am Bett?", fragt er lachend, was mich angespannt Luft holen lässt.
"Nein.", sage ich knapp. Verschweige, dass sie mich nicht sehen will. Jason konnte Mia nicht sonderlich gut leiden, aber es wird besser. Was wohl mit seiner Freundin zusammenhängt. Melanie. Die, wie mir jetzt erst auf fällt, noch nicht weiß, dass Mia wach ist.
"Und du?", frage ich nach, "Allein, oder mit Mel zusammen?"
"Mensch Alter! Kriegst echt nicht viel mit im Moment was? Melanie ist seit über zwei Wochen mit ihren Eltern in Sizilien. Kommt erst nächste Woche wieder. Ist dir gar nicht aufgefallen, dass sie nicht mehr bei Mia war?", er lacht belustigt auf, doch höre ich die Sehnsucht in seiner Stimme, die ich nur zu gut verstehen kann.
"Ne. Ist mir irgendwie entgangen. Seit Mia wach ist, hab ich irgendwie andere Sachen im Kopf.", sage ich nachdenklich und reiße im nächsten Moment das Telefon vom Ohr, als Jason wie ein Irrer in den Hörer brüllt.
"FUCK! Alter! Und das sagst du erst jetzt?! Scheiße! Mel bringt mich um. Seit wann?", fährt er mich an.
"Seit wann was?", irgendwie stehe ich neben mir. Kann seinen Gedankengängen nicht folgen.
"Man! Seit wann ist sie wach?! Das muss ich Mel sagen. Die bringt mich um! Oder ihre Eltern, wenn ich Glück habe."
Freudlos lache ich auf. Fahre mir mit der Hand durch die Haare und balle sie dann zur Faust.
"Seit fast drei Wochen.", kläre ich ihn auf und wieder stößt er einen Fluch aus.
"Also war Mel gerade im Flieger, als Mia sich dazu entschlossen hat, aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwachen. Echt tolle Freundin, deine Freundin!", flucht er verhalten, was ihm von mir ein schnauben einbringt.
"Sie wäre eine tolle Freundin, wenn sie sich denn erinnern würde.", sage ich resigniert, was für einen Moment Stille erzeugt.
Ich höre ihn atmen, doch er sagt nichts.
"Jason? Bist du noch dran?", frage ich nach bestimmt über einer Minute des Schweigens nach.
"Ich...ja...bin dran. Sag mal...hast du Zeit? Wollen wir uns treffen? Das am Telefon zu besprechen ist echt scheiße.", sagt er irgendwie aufgelöst. Keine Ahnung, was ihn so erregt, doch eigentlich ist das keine schlechte Idee.
"Wo wollen wir uns denn Treffen?", frage ich nach und wieder schweigt er eine Weile, dann sagt er nachdenklich: "Kennst du den kleinen Pub in der Nähe vom Osiris?"
"Den, wo dieses Fass mit dem Pfeil über der Tür hängt?", frage ich nach und bekomme ein zustimmendes Brummen zu hören, "Ja, kenn ich. Ich kann in einer halben Stunde da sein.", teile ich ihm mit und drehe mich zu meinem Motorrad um.
"Halbe Stunde klingt gut. Bis gleich.", sagt er knapp und legt auf.
Auch ich stecke mein Telefon in die Tasche und nehme den Helm zur Hand. Schwinge mich in den Sattel und starte den Motor.
Vibrierend erwacht er zum Leben und erfüllt die Nacht mit seinem Röhren. Laut lasse ich den Motor aufheulen, bevor ich mit durchdrehenden Reifen über den Schotterweg zur Straße zurückfahre.
Mit hoher Geschwindigkeit heize ich die Straße entlang und gebe mich diesem Gefühl der Freiheit hin. Doch sie ist trügerisch. Immer wieder driften meine Gedanken ab. Ins Krankenhaus zu Mia. Zu dem Menschen, den ich mir von ganzem Herzen an meine Seite wünsche. Wie schön es wäre, wenn sie jetzt mit mir hier wäre. Wenn sie bei mir sein könnte und ich diese schöne Nacht mit ihr genießen könnte.
Doch was denke ich da?! Sie will mich ja nicht einmal sehen! Denke ich erbost und beschleunige noch ein bisschen mehr. Hole auf dem kurzen Stück Autobahn fast alles aus ihr heraus, was sie zu bieten hat.
Das ist alles einfach zum Verrückt werden! Ich raffs nicht! Wie kann sie einfach alles vergessen haben? Sie muss doch wenigstens etwas wissen. Und wenn es nur ein Gefühl ist, was sie für mich empfindet!
Doch nichts! ÜBERHAUPT NICHTS!
Erneut gerät meine Maschine ins Rutschen, als ich beinahe eine Vollbremsung vor dem kleinen Pub hinlege. Und dann sehe ich ihn auch schon. Lässig an die Wand gelehnt steht Jason da. Bereits eine Flasche Bier in der Hand.
"Hey Alter!", grüßen wir fast Zeitgleich und schlagen ein.
"Komm. Lass uns rein gehen. Du kannst sicher einen Drink gebrauchen.", sagt er bestimmt und geht mir voraus die Treppe hinunter in das kleine Lokal, in dem uns leise, irische Musik empfängt.
"Zu einem Bier würde ich nicht nein sagen."
"Wusste ich's doch. Nach der ganzen Zeit in diesem sterilen Zimmer, bist du bestimmt voll ausgetrocknet."
"Ganz so schlimm war es auch nicht, aber in letzter Zeit...", kopfschüttelnd breche ich ab. Nehme das Bier entgegen, das Jason mir reicht und setzte mich dann an einen der freien Tische und drehe die Flasche in Händen.
"Los. Erzähl schon. Irgendwas ist doch. Sonst würdest du nicht wie 'n nasser Sack in der Ecke hängen. Was ist los bei euch.", hakt er nach und nimmt einen Schluck von seinem Bier. Sieht mich fragend an.
"Nichts ist los. Das ist es ja.", beginne ich schließlich, "Ich meine, dass sie nach der langen Zeit viel nachzuholen hat, damit hatte ich ja gerechnet, aber sie erinnert sich an nichts. Verstehst du? Rein gar nichts!"
"Du meinst, auch nicht an dich? Nicht an ihre Eltern. Mel?", fragt er verblüfft und macht ein brummiges Gesicht als ich nicke.
"Sie weiß wie man spricht. Isst. Trinkt. Läuft. Auch wenn sie es erst wieder lernen muss. Theoretisch weiß sie wie es geht. Ihr fehlen nur die Muskeln, aber alles andere...futsch! Als wäre es nie da gewesen!", sage ich verzweifelt und raufe mir mal wieder die Haare, wie so oft in letzter Zeit. Nur das ich meistens dabei allein war.
"Scheiße!", rutscht es Jason heraus und ich stimme ihm von ganzem Herzen zu.
"Kannst du laut sagen!"
"Und jetzt? Wie geht's weiter?"
Ratlos zucke ich mit den Schultern. "Wenn ich das wüsste, ging es mir besser. Wir haben alles versucht. Alles, was uns die Ärzte empfohlen haben, aber bisher hat es nichts gebracht. Wir müssen abwarten."
"Ich glaube, ich würde verrückt werden, wenn Mel sich nicht mehr an mich erinnern würde. Wenn ich sie nicht mehr küssen könnte. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie mir fehlt, dabei ist sie erst seit zwei Wochen weg!", flucht Jason beinahe, doch dann sieht er mich etwas zerknirscht an.
"Tut mir Leid, Alter ich..."
"Lass gut sein.", unterbreche ich ihn grinsend, "Ich versteh schon. Und ich weiß sehr gut, wie du dich fühlst."
"Ja. Eben. Ich..."
"Lass gut sein! Hab ich gesagt. Lass uns lieber über was anderes Reden. Was macht der Job? Bist noch immer in der Autowerkstatt? Oder hat dich dein Vater inzwischen rausgeworfen?", frage ich feixend und locke damit ein erstes Grinsen aus ihm hervor.
An diesem Abend Reden wir lange und viel. Trinken mindestens genauso viel. Auf jeden Fall zu viel, um noch mit dem Motorrad nach Hause zu fahren. Auch Jason ist so blau, dass er seinen gelben Jeep lieber stehen lässt.
Gemeinsam torkeln wir die Straße entlang und gestehen uns immer wieder unsere Liebe ein...Ja ich weiß...das ist voll daneben, aber wir kennen uns schon ewig und irgendwie machen uns unsere Mädels gerade fertig, weshalb wir uns schließlich heulend in den Armen liegen.
"Gott! Wir sind so erbärmlich!", sage ich lallend und wische mir über die tränenverschmierten Wangen.
"Aber sowas von!", schluchzt Jason beinahe und will einen weiteren Schluck aus seiner Flasche nehmen, doch scheint sie leer zu sein.
"Hier kannst meins nehmen.", halte ich ihm meine Flasche hin, die er auch sogleich an die Lippen setzte.
"Willst mich verarschen?!", fährt er mich an, "Da is ja nur Luft drin!"
"Wa? Nee...Zeig mal!", nehme ich ihm die Flasche ab. Doch muss ich ihm recht geben. Sie ist leer.
Und jetzt?
"Hast du zu Hause noch was?", will ich wissen, doch schüttelt er den Kopf.
"Du?", gibt er die Frage zurück, doch auch ich schüttel den Kopf.
"Tanke?", will ich wissen und er nickt.
"Jup!", stimmt er zu und schon torkeln wir weiter die Straße entlang. Bis zur Tankstelle ist es nicht weit und auch von dort zu Jasons neuer, kleinen Zweizimmerwohnung brauchen wir höchstens eine halbe Stunde.
Seufzend lasse ich mich aufs Sofa fallen und lege die Füße auf den kleinen Couchtisch. Jason organisiert noch eine Flasche Cola und zwei Gläser und lässt sich dann neben mich in die Polster fallen.
"Mach ma auf, die Buttel.", nickt er zu der Flasche Baccardi, die wir uns geholt haben und hält mir die Gläser hin.
Den Schuss, den ich in diese gieße kommt mir etwas mächtig vor, aber so genau kann ich das gar nicht mehr sagen.
Zu viel kann es jedenfalls nicht gewesen sein, denn Cola passt auch noch dazu. Also...
Ich habe keine Ahnung, wie lange wir reden. Wir lachen. Heulen und labern eine Menge scheiße zusammen. Ganz wie in alten Zeiten und als ich am Morgen mit heftigen Kopfschmerzen aufwache, liegt Jasons Kopf auf meinen Beinen. Meine Füße liegen noch immer auf dem Tisch. Gleich daneben die leere Flasche Baccardi. Ein Glas liegt auf dem Boden und das andere kann ich nirgends entdecken.
Mir geht's so richtig dreckig.
Mir ist kotz übel. Mein Kopf brummt und mein Nacken ist steif. Selbst mein Rücken knackt verächtlich als ich Jason beiseiteschiebe und ziemlich benommen zur Toilette wanke.
Doch ich habe die Porzellanabteilung kaum betreten, als sich mir schon der Magen umdreht.
"Ey!", poltert Jason laut, so dass mir die Ohren klingeln, "Versau mir nicht den Teppich! Der ist von meiner Oma!"
"Ach! Fick dich!", würge ich in die Toilette und richte mich dann erschöpft auf. Knalle die Tür zu, was ich schon im nächsten Moment bereue, weil das Rumsen meinen Kopf zu spalten scheint.
"Scheiße ist mir schlecht!", grummele ich vor mich hin, als ich den Abzug betätige und anschließend in die Toilette pisse.
Mit geschlossenen Augen stehe ich da und versuche die Übelkeit in Zaum zu halten, als hinter mir die Tür aufgerissen wird.
"Kann man nicht mal in Ruhe aufs Klo gehen oder was!", fauche ich Jason an, der selbst leicht grünlich um die Nase ist.
"Mach hinne! Ich muss mal!", drängt er mich beiseite, kaum dass ich fertig bin.
Kopfschüttelnd wasche ich mir die Hände, dann kehre ich ins Wohnzimmer zurück, wo mein Blick auf die Uhr an der Wand fällt.
"Scheiße!", stoße ich entsetzt aus und suche schon unter dem Sofa nach meinen Schuhen, um mich anzuziehen.
"Was n los, Alter?", fragt Jason tiefenentspannt und wankt zum Sofa zurück, auf dass er sich fallen lässt.
"Ich muss ins Krankenhaus. Mia wartet.", sage fluchend schlüpfe hektisch in meinen zweiten Turnschuh. Auf dem Weg zur Tür ruft Jason mir nach: "So wie du stinkst solltest du erst mal nach Hause! Duschen. Außerdem bist du zu Fuß! Schon vergessen?!"
Wie erstarrt bleibe ich stehen, als mir der Abend erst so richtig bewusst wird, auch das Mara und Pascal sich sicher Sorgen machen und wieder rutscht ein saftiger Fluch aus meinem Mund.
Hektisch krame ich in meiner Tasche nach meinem Handy und rufe Mara an.
"Ian.", sie klingt erleichtert, als ich ihre Stimme höre.
"Tut mir leid dass ich mich nicht gemeldet habe Mara. Ich habe einen Freund getroffen und die Zeit vergessen. Sag mal...", beginne ich verlegen, nachdem sie mir versichert hat, dass das schon in Ordnung geht. Ich wäre ja immerhin erwachsen, "...könntest du mich wohl abholen? Mein Motorrad steht irgendwo rum. Außerdem bin ich immer noch betrunken und will nicht fahren."
Zerknirscht fahre ich mir durch die Haare und atme erleichtert auf, als sie wie selbstverständlich zustimmt.
Während ich nach unten gehe, um auf sie zu warten, streckt sich Jason wieder auf dem Sofa aus um weiter zu schlafen. Ich würde auch gerne noch eine Weile pennen, doch Mia wartet. Das hoffe ich zumindest.
Als ich zu Mara ins Auto steige scheinen eine Menge Emotionen über ihr Gesicht zu flimmern. Von Erleichterung über Missbilligung und Freude ist wohl alles zu finden. Doch lächelt sie mich lediglich an. Na ja, zumindest fast, denn während sich leicht ihre Lippen verziehen murmelt sie irgendwas von... 'Gut das du mal was mit Freunden gemacht hast.'
Ich gehe auf ihre Worte nicht ein. Bedanke mich nur, dass sie mich abholt und lehne mich, mit geschlossenen Augen in den Sitzt zurück. Erst als wir vor dem Haus ankommen und sie ausstiegt ohne sich um Charlie zu kümmern fällt mir auf, dass das Mädchen gar nicht mit ist.
Verwirrt runzele ich die Stirn, doch kaum betreten wir das Haus klärt sich das Mysteriöse Verschwinden der Kleinen auf.
"Gut das ihr kommt.", begrüßt uns Pascale erleichtert und drückt mir das brüllende Baby in die Arme. Bei dem Lärm scheint mein Kopf immer weiter anzuschwellen und ich habe das Gefühl, als würde er gleich platzen.
"Zähne?", frage ich murmelnd und verziehe schmerzhaft das Gesicht.
"Ja. Schon die ganze Nacht.", erklärt Mara seufzend und nimmt mir die Kleine ab, "Geh ins Bett Ian. Du siehst echt scheiße aus."
Freudlos lache ich auf, doch ist der leise Laut bei Charlies lautem Gebrüll nicht zu hören.
"Vielen Dank, Mara.", sage ich belustigt, "So fühle ich mich auch. Aber ich kann nicht. Mia wartet.", füge ich erschöpft hinzu und will nach oben unter die Dusche verschwinden, als sie mich aufhält.
"Nichts da! Mia kann ruhig mal ein bisschen allein sein. Das schadet ihr nicht.", sagt sie bestimmt und schaukelt Charlie beruhigend hin und her, was das Mädchen zumindest kurzfristig ruhig stellt.
Dankbar lächele ich die Kleine an und streiche ihr über die gerötete Wange.
"Ich kann sie doch nicht den ganzen Tag allein lassen.", will ich wiedersprechen, doch Mara nickt bekräftigend.
"Doch Ian.", sagt sie bestimmt, "Genau das kannst du. Und das solltest du. Du hast seit drei Monaten nichts anderes gemacht, als an ihrem Bett zu hocken. Damit muss jetzt Schluss sein. Außerdem ist sie nicht allein. Wir waren heute Morgen schon da. Und dann sind da auch immer noch die Ärzte, Schwestern, die anderen Patienten und ihre Therapeuten, mit denen sie sich beschäftigen kann. Glaub mir. Ihr wird sicher nicht langweilig."
"Aber...", will ich weiterhin wiedersprechen, breche jedoch ab, als ich ihrem unnachgiebigem Blick begegne. "Also schön.", gebe ich mich geschlagen, "Aber heute Abend fahre ich noch mal bei ihr vorbei.", füge ich noch schnell hinzu, bevor sie mich wieder unterbrechen kann.
Sie kneift bedrohlich die Augen zusammen, doch sieht sie so süß dabei aus, dass ich gar nicht anders kann, als ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.
"Danke!", flüstere ich ihr zu, dann trete ich eilig den Rückzug an, weil Charlie wieder lautstark ihre Aufmerksamkeit fordert und mein empfindliches Gehör malträtiert.
Nach der Dusche fühle ich mich schon besser und obwohl ich ein schlechtes Gewissen habe, lege ich mich tatsächlich noch mal hin, um zu schlafen.
Vielleicht hat Mara ja recht und ich hänge tatsächlich zu viel bei Mia herum. Vielleicht sollte ich ihr etwas mehr Freiraum lassen, um in Ruhe über alles nachzudenken.
Vielleicht... wenn sie mir nur nicht so sehr fehlen würde!
-------------------
3616 Worte
30.5.17
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top