17 Party mit Folgen
Pünktlich um fünf vor Zehn klingelt es an meiner Tür. Und als hätte ich es mir nicht denken können, winkt Jason mit einem Kasten Bier vor der Kamera herum.
"Mach auf Alter! Das Teil ist schwer!"
"Mach selber auf!", feixe ich und drücke auf den Summer, dann öffne ich auch meine Wohnungstür.
Das Klirren der Flaschen ist schon von weitem zu hören und so zerre ich schon mal ein paar Pakete Fleisch aus dem Kühlschrank um Platz zu schaffen.
"Warum muss es eigentlich das oberste Stockwerk sein?", keucht Jason kurzatmig und lässt gleich 2 Kisten Bier auf den Boden knallen.
"Weil wir sonst nicht auf dem Dach deine dumme Einweihungsparty feiern könnten. Deshalb.", sage ich grinsend und sehe dann zur Tür, doch von Mel fehlt jede Spur.
"Wo ist denn Melanie?", frage ich verwirrt und verstaue die erste Kiste Gerstensaft im Kühlschrank. Eine bunte Mischung von Becks Bieren. Da sollte dann auch wirklich was für jeden dabei sein.
"Die ist unten und passt auf, dass keiner die Cola klaut.", gibt er lässig wieder, dann schleift er die Bierkiste zurück in den Vorraum, wo er sie vor den Einbauschrank stellt.
"Die kannst du jetzt aber hoch schleppen! Ich pass solange auf den Grill auf. Der brennt hoffentlich schon?!"
Ich sehe ihn mit einem Blick an, der so viel heißt, wie, für wie blöd hältst du mich eigentlich. Denn natürlich brennt das Teil schon seit fast einer viertel Stunde. Außerdem habe ich einen riesen Kohldampf, was mein knurrender Magen gleich mal lautstark verkündet. Doch ehe ich protestieren kann...er könnte ja auch selbst die Cola rauf schleppen, nimmt er sich schon eine Flasche Bier und geht nach draußen.
"Toller Freund bist du!", rufe ich ihm hinterher, während ich mir die Schuhe anziehe, "Erst lädst du dich zu einer Grillparty ein und dann soll man auch noch die Getränke selber schleppen!"
"Klar! Einen besseren Kumpel wirst du niemals finden!", ertönt seine Stimme von draußen. Er klingt ziemlich selbstgefällig, doch lasse ich ihm seine Ruhe und laufe die Treppe nach unten. Was ich dort jedoch zu sehen bekomme verschlägt mir den Atem.
Mia anscheinend auch, als sie mich sieht.
"Was machst du denn hier?!", stößt sie mit großen Augen aus. Auch ich kann nicht anders als fast das gleiche zu Mel zu sagen, die mich freudestrahlend angrinst.
"Was macht sie denn hier?!"
"Wir haben sie aus dem Krankenhaus entführt!", grinst sie mich an. Gibt mir einen kleinen Begrüßungskuss auf die Wange und flüstert mir leise zu: "Alles Gute zur neuen Wohnung!"
"Das ist ein schlechter Witz Mel!", schiebe ich sie energisch an den Schultern zurück und sehe ihr böse in die Augen.
"Nö.", sagt sie locker, "Ich finde die Idee eigentlich sehr gelungen."
"Aber Marie sollte im Krankenhaus sein!"
"Melanie! Was hat das zu bedeuten?!", will jetzt auch Mia wissen, "Ich dachte wir gehen zu einem Freund von dir?"
"Sind wir doch. Ian ist mein Freund. Und deiner im Übrigen auch. Du erinnerst dich nur nicht mehr. Aber das wird schon. Wirst schon sehen. Wir sehen uns oben!", Mel will sich aus dem Staub machen, doch halte ich sie energisch am Arm auf.
"Ihr bringt sie zurück!", verlange ich düster, doch Mel guckt mich nur mit einem Blick an, der mich für bescheuert erklärt, dann macht sie sich von mir los.
"Nö.", sagt sie knapp und ist schon im nächsten Moment verschwunden. Seufzend sehe ich ihr nach und fahre mir frustriert durch die Haare, dann drehe ich mich zu Mia um, die recht wackelig auf ihren Krücken vor meiner Haustür steht.
"Ich hole meinen Autoschlüssel. Dann fahre ich dich zurück!", sage ich resigniert und will Melanie folgen, als Mia mir doch tatsächlich wiederspricht.
"Du hast mir gar nichts zu befehlen!", sagt sie stur und humpelt einen Schritt auf mich zu.
"Marie, das ist doch lächerlich! Du solltest nicht hier sein! Das gibt richtig Ärger, wenn die merken, dass du weg bist. Wer hat Nachtdienst? Monika? Oder ist Christian wieder da?"
Angestrengt versuche ich mich an den Dienstplan zu erinnern, den Monika mir Donnerstag gezeigt hat, doch kann ich mich nicht an die Namen erinnern. Warum sollte ich auch. Der Plan hat mich jetzt nicht besonders interessiert.
"Ist mir egal, wer Dienst hat. Außerdem bin ich jetzt schon mal hier und du hast nicht über mich zu bestimmen!", gibt sie bockig wieder und macht einen weiteren Schritt, doch stelle ich mich ihr demonstrativ in den Weg.
"Vergiss es! Du gehst wieder zurück ins Krankenhaus!"
"Nein!", bleibt sie stur. Doch frage ich mich, warum sie eigentlich so unbedingt hier bleiben will.
"Was willst du hier Marie? Du kennst doch niemanden. Außerdem solltest du nicht so viel stehen. Das ist nicht gut.", versuche ich sie zur Vernunft zu bringen.
Ihr unnachgiebiger Blick, der mich geradezu wahnsinnig macht, bohrt sich in meine Augen und lässt mein Herz erstarren.
"Dann lass mich endlich vorbei! Wenn ich bei Melanie bin, kann ich mich ja hinsetzten.", erwidert sie trocken und fällt fast von ihren Stelzen, weshalb ich ihr kurz unter die Arme greife. Beinahe bekomme ich einen Herzkasper, als sich ihr schlanker Körper an meinen schmiegt. Sich ihr sinnlicher Duft in meiner Nase ausbreitet und mit den Atem raubt. Doch viel schlimmer ist die Wärme, die sich in meinen Händen und meiner Brust, an den Stellen ausbreitet, wo wir uns berühren. Kurz hebt sie den Blick. Treffen sich unsere Augen. Kann ich die Sehnsucht, die mich nach ihr verzehrt nicht verbergen. Doch so schnell, wie sie in meine Arme gestolpert ist, so schnell löst sie sich auch wieder von mir.
"Also? Wohin jetzt?", will sie aufmüpfig wissen und humpelt mühsam an mir vorbei. Seufzend verdrehe ich die Augen, brauche einen kurzen Moment mich zu sammeln, und murmele dann ein gereiztes "Vierter Stock!" hinter ihr her.
Ein letzter Blick zeigt mir, dass hier unten definitiv KEINE Kiste mit Cola auf mich wartet, und so drehe ich mich, mit mühsam unterdrückter Wut, um und gehe Mia hinterher.
Allerdingt ist sie noch nicht mal bis zur ersten Stufe gekommen. Na das kann dauern.
Und wie das dauert! Es sind bestimmt schon fast zehn Minuten vergangen, als wir im ersten Stock ankommen. Schweigend wohl gemerkt. Dabei würde ich sie mir am liebsten über die Schulter werfen und ins Krankenhaus zurückbringen. Oder sie sanft auf den Arm nehmen und bis in den Himmel tragen, doch weder das eine noch das andere würde wohl besonders gut bei ihr ankommen.
Doch hat sie sich auch damals im Wald gegen mich gewehrt. Erfolglos wohlgemerkt, bis sie schließlich nachgegeben hatte. Vielleicht sollte ich es auch diesmal wieder so machen? Denke ich gerade, als ich höre, wie unter uns die Tür auf und zu geht. Nur Sekunden später stehen Kiran, Ricardo, Liandra und drei weitere Männer um uns herum, die ich nicht kenne.
"Brauchst du Hilfe!", will Kiran grinsend wissen und lässt seinen Blick zwischen mir und Mia hin und her schweifen. Auch mein Blick schweift, voller Unglaube von ihm zu Rico.
"Was ist mit deinen Haaren passiert?!", will ich überrascht wissen und deute auf Kirans Glatze ohne auf seine Frage einzugehen. Die Veränderung ist so krass, dass mir Ricos schwarze Haare beinahe nicht auffallen. Doch Kirans schwarzes Tattoo ist jetzt nur zu deutlich zu erkennen.
"Ach!", winkt er lachend ab, "Mir war mal nach ein bisschen Veränderung."
Dann beugt er sich zu Mia nach unten, die sich erschöpft auf die Stufen gesetzt hat. Die drei Jungs sind nach einem kurzen "Moin!", weiter nach oben verschwunden. Getränkeflaschen und Pappbecher unter dem Arm.
"Ich bin Kiran! Aber du kannst auch Schatzi zu mir sagen!", grinst er sie schief an und mustert dann missbilligend ihre Krücken nachdem sie sich vorgestellt hat. Wohlgemerkt mit einem belustigten Grinsen im Gesicht.
"Ian! Echt jetzt! Was bist du für ein Gentleman?! Lässt das Mäuschen sich hier abmühen! Hast du etwa nicht genug Muckies sie nach oben zu tragen?"
"Er soll mich nicht tragen!"
"Sie will sicher nicht, dass ich sie trage!", sagen wir fast zeitgleich und sehen uns kurz erstaunt an. Liandras seltsamer Blick entgeht mir, doch was mir nicht entgeht ist, dass sie Kiran bei der Hand, Mia die Krücken abnimmt und Rico einen Stups gibt, der ihn vorwärtstreibt.
"Ganz oben, wenn ich mich recht entsinne?", fragt sie nach, geht aber schon los. Ihr gemurmeltes: "Die machen das schon!", nehme ich nur flüchtig wahr bevor ich mich Mia zuwende, die mich leicht überwältigt von dem Gewusel anschaut.
"Na? Doch zurück ins Krankenhaus?", frage ich skeptisch, als ich sehe, wie sie nach unten zur Tür blickt, doch verhärtet sich schließlich ihre Mine und sie schüttelt energisch den Kopf.
"Melanie hat mich zu einer Party eingeladen. Und außerdem kommt ein Freund von mir. Ich geh da hoch!", deutet sie nach oben und zieht sich umständlich am Geländer hoch. Aber mir verschlagen ihre Worte den Atem.
Ein Freund! Schießen mir ihre Worte siedendheiß in den Magen und setzen ihn in Brand. Ich könnte Mel und Jason den Hals umdrehen! Oder meint sie ihn vielleicht nicht? Könnte es sein, dass sie von jemand anderem Redet? Ob ich sie nach diesem Freund fragen soll? Und will ich wirklich wissen, wie er heißt? Wohl eher nicht. Trotzdem frage ich sie nach dem Namen, der dann auch prompt "Mike!" lautet.
Also, jetzt reichts! Wollen die mich alle verarschen oder was! Ohne
ihr noch einen weiteren Blick zu schenken sprinte ich die Treppe nach oben und stelle Mel und Jason im Schlafzimmer zur Rede.
"Was soll der Scheiß!", brülle ich die beiden an, "Warum habt ihr sie hier her gebracht?! Wenn Mike hier auftaucht, dann fliegen hier die Fetzen!"
"Beruhige dich man!", sagt Jason beschwichtigend, "Mike hat keine Ahnung, dass sie hier ist."
"Wir wollten dir nur einen Gefallen tun.", fügt Mel etwas kleinlaut hinzu.
"Gefallen? Gefallen! Was ist das bitte für ein Gefallen? Wisst ihr eigentlich, wie scheiße weh das tut? Sie zu sehen! Zu wissen, dass sie mich eigentlich gar nicht sehen will! Dass sie nur hier ist, weil sie glaubt er würde hier her kommen!", lasse ich meiner Wut freien Lauf und knalle mit der Hand volle Kante gegen die Wand. Es ist mir scheiß egal, dass alle mitbekommen, was hier los ist. Das alle hören, wie ich herumbrülle. Und ich brülle wirklich viel und auch extrem laut.
Das kann Verdammt noch mal nicht deren Ernst sein!
"Ich blas die Party ab!", gebe ich gereizt schnaufend, nach bestimmt einer Ewigkeit, zum Besten, "Packt eure Sachen zusammen und macht, dass ihr wegkommt! Und nehmt Mia wieder mit! Sie sollte nicht hier sein!", verkünde ich unheilvoll und reiße die Tür zum Wohnzimmer auf.
Erneut bleibe ich wie erstarrt stehen, als ich lediglich Mia und Liandra auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzen sehe. Den Rest kann ich draußen auf dem Balkon hören. Es müssen noch mehr Leute gekommen sein. Und einer von ihnen muss wohl eine Musikanlage mitgebracht haben, denn von draußen tönt laute Musik zu uns herein.
Mia sieht aus, als hätte sie geweint, oder wäre kurz davor es zu tun. Liandra hat den Arm um sie gelegt und streichelt ihr tröstend über den Rücken.
Kurz treffen sich unsere Blicke. Ihrer betrübt. Meiner noch immer wütend. Ob sie wohl gehört hat, was ich gesagt habe? Schießt es mir kurz durch den Sinn, doch kann es mir egal sein.
"Sollen wir gehen Ian?", fragt mich Mel und legt mir eine Hand auf den Arm, Ihr Blick ist auf mich gerichtet, doch nimmt sie auch die Mädchen auf dem Sofa zur Kenntnis, weshalb ich unschlüssig: "Ach macht doch was ihr wollt!", fauche und mit wütenden Schritten auf den Kühlschrank zusteure. Aggressiv reiße ich die Tür auf und nehme mir ein Bier, dann stürme ich beinahe auf den Balkon, ohne Mia noch eines Blickes zu würdigen.
Draußen hat schon jemand Fleisch auf den Grill gelegt und die ersten Würstchen sind schon fertig. Sicher war es Jason, doch jetzt steht Kiran grinsend da und wedelt mit der Grillzange vor meiner Nase herum.
"Na! Doch schlapp gemacht!", sagt er feixend und deutet auf die gläserne Wohnzimmertür, dann verkündet er für alle hörbar, "Ich hab deine Freundin dann mal frei Haus geliefert."
"Sie ist nicht meine Freundin!", knurre ich angespannt und nehme mir mit bloßen Fingern eine Wurst vom Grill.
"Sie ist eine Patientin.", fügt Rico erklärend hinzu, wofür ich ihm einen tödlichen Blick zuwerfe.
"Und da schleppst du sie hier an. Ian! Das gibt bestimmt ärger!", prophezeit Kiran belehrend, schlägt mir dann aber begeistert auf den Rücken und lässt mich für meine "Genialität" hoch leben.
So viel gute Laune kann ich im Moment wirklich nicht ertragen, weshalb ich noch immer vor Wut kochend wieder nach drinnen stürme.
In der Terrassentür pralle ich dann auch prompt mit Mia zusammen, die gerade in Begleitung von Mel nach draußen tritt.
"Ian...ich...", beginnt sie stockend, als ich sie wieder loslasse, doch verstummt sie, als sie meinen finsteren Blick bemerkt.
"Vergiss es Engelchen! Viel Spaß auf der Party! Ach...", füge ich dann noch böse hinzu, "...und damit dein Freund auch wirklich kommt, solltest du ihn vielleicht einladen, denn er hat nämlich keine Ahnung das du heute hier bist!", knalle ich ihr an den Kopf. Bedenke Mel mit einem tödlichen Blick und ziehe mich dann in mein Schlafzimmer zurück, wo ich mit einem lauten Knall hinter mir die Tür ins Schloss werfe.
Wie ein Tiger im Käfig renne ich auf und ab und weiß nicht wohin mit mir. Die Tür zur Terrasse ist verschlossen, doch lasse ich auch noch das Rollo herunter, damit niemand reinschauen kann, dann setzte ich mich auf mein Bett und stürze das inzwischen schon leicht warme Bier hinunter.
Ich weiß nicht, ob es richtig war, ihr zu sagen, dass sie Mike anrufen soll. Ich weiß auch nicht, ob es richtig war, sie so mies zu behandeln, aber es war mit Sicherheit richtig ihr die Wahrheit zu sagen. So hat sie jetzt wenigstens eine ehrliche Möglichkeit zu entscheiden, was sie machen will und ob sie nicht doch lieber in die Klinik zurückfährt.
Nach der ersten Flasche hole ich mir noch drei weitere, die ich in meinem Zimmer vernichte, doch als ich mir die vierte holen will, steht neben dem Kühlschrank nicht nur Bella, sondern auch eine Flasche Baccardi und auf dem Boden eine Kiste Softdrinks.
Jemand hat weitere Pappbecher mitgebracht und auch ansonsten ist es recht voll geworden. Überall stehen Menschen herum. Von Mike ist jedoch weit und breit nichts zu sehen und zu hören. Von Mia jedoch auch nicht.
"Hey!", grüßt mich Bella über den Krach hinweg und hält mir ihren Becher hin, "Willst du? Hab ich gerade erst eingefüllt!"
Wortlos nehme ich ihn ihr ab und kippe das starke Gebräu in einem hinunter.
"Hey! Hey! Nicht so hastig!", erstaunt sieht sie mich an und nimmt mir den Becher wieder ab, "Was ist denn mit dir passiert?"
"Nichts! Alles bestens!", sage ich gereizt, greife an ihr vorbei nach der Flasche Rum und will in meinem Zimmer verschwinden, als sie mir folgt.
"Ja..ist klar! Alles Bestens..hm...", sie nickt zu der Flasche in meiner Hand und nimmt sie mir ab. Setzt sich neben mich auf mein Bett und sieht mich abwartend an.
"Zierfisch!", beginne ich herablassend, "Geh zurück in deinen Teich und such dir einen anderen Hai, der dir von seinen Problemen erzählt!", weise ich sie recht rüde zurück, doch scheinen sie meine Worte nicht zu beeindrucken.
"Danke. Aber mit Haien hatte ich heute schon zu viel Kontakt. Ich nehme lieber das Zierfischfutter. Das ist friedlicher!"
"Ach?! Dann bin ich jetzt in der Hackordnung also noch weiter nach unten gerutscht? Ich bin echt das letzte was? Zu nichts zu gebrauchen oder?!", lasse ich meinem Frust freien Lauf, "Ich bin doch voll der Loser! An mich muss man sich ja auch nicht erinnern! Nur an alle anderen!", stoße ich verletzt aus. Ich meine!... Das sie Mel akzeptiert, kann ich ja noch verstehen, Mädchen halt, aber das sie auch Mike mit offenen Armen empfängt ist schon echt beschissen! Mich dann aber auch noch so abzuservieren ist echt das letzte!
Wütend greife ich nach meinem Kissen und pfeffere es ziellos durch den Raum. Leider hat es nicht den gewünschten Effekt.
Wobei ich nicht mal weiß, was oder ob ich mir davon überhaupt etwas versprochen habe. Meine Wut kühlt es auf jeden Fall nicht ab.
"Kleener, du hast echt Probleme! Woher all die Selbstzweifel? Und wer soll sich denn erinnern?", fragt sei erstaunt, was ihr von mir einen abweisenden Blick einbringt.
"Vergiss es einfach! Das geht dich nichts an!"
"Ja, ne...ist schon klar, aber sich hier zu verschanzen ist bestimmt eine total gute Lösung.", sagt sie sarkastisch, "Aber wenn du schon nicht mit mir reden willst, dann komm wenigstens mit raus. Tanzen kannst du doch oder?"
Ist das ihr ernst? Ich soll tanzen? Jetzt?! Hier?!
"Ich tanz nicht! Kannst du vergessen!", schnauze ich sie an.
"Du willst nicht? Oder du kannst nicht? Wobei...", musternd sieht sie mich an, öffnet ihren Pferdeschwanz und fährt sich durch ihre langen, blonden Haare. Ein süßlicher Duft weht zu mir herüber, der mich seufzen lässt.
"Hör mal...", beginne ich beherrscht, doch spricht sie einfach weiter, als hätte ich gar nichts gesagt.
"...jeder kann tanzen. Also gehe ich mal davon aus, dass du nicht willst. Aber...", sie wedelt mit ihrem Finger vor meiner Nase herum, hüpft dann vom Bett und zerrt an meiner Hand, "...das hier ist eine Party! Und auf Partys wird getanzt! Also los jetzt!"
Stur bleibe ich auf meinem Bett sitzen. Lasse sie zerren und werfe ihr nur einen eigensinnigen Blick zu, den sie drohend erwidert.
"Muss ich dir erst eine Reinhauen?! Du weißt ich kann...und ich werde! Also komm jetzt!", eisern ballt sie die Hand zur Faust, doch als ich nur die Arme vor der Brust verschränke schlägt sie doch tatsächlich zu.
"Sag mal spinnst du?!", fauche ich sie an und reibe mir über die schmerzende Schulter. Sie hat echt unwahrscheinlich viel Kraft, "Du kannst mir doch nicht einfach eine verpassen!"
"Doch kann ich! Siehst du doch! Und jetzt los! Du bekommst auch noch einen Drink.", versucht sie mich zu locken, was beinahe sogar funktioniert. Mir das Gehirn zuzudröhnen kommt mir im Moment noch am besten vor. Leider sieht der Zierfisch das anders, "Aber nur einen. Man kann dich ja schon kaum mehr verstehen."
Sie übertreibt maßlos, aber wenigstens füllt sie etwas Rum in ihren Pappbecher und hält ihn mir hin.
"Na los. Und dann haben wir ein bisschen Spaß zusammen. Kann ja nicht sein, dass ich hier in diesem Kabuff verrecken soll, wo draußen so coole Musik läuft."
Kaum habe ich den Becher gelehrt nimmt sie ihn mir aus der Hand. Stellt ihn und auch die Flasche energisch auf meinen Nachtschrank und zerrt dann wieder an mir. Doch diesmal gebe ich mich geschlagen.
Ganz unrecht hat sie ja nicht.
Ist ja nicht so, als hätte sich irgendwas verändert. Außer, das Mike inzwischen vielleicht eingetroffen ist.
Angespannt folge ich Bella durch mein Wohnzimmer, dass kaum mehr wiederzuerkennen ist. Überall liegen leere Becher herum. Oder es stehen volle auf der Arbeitsfläche oder unter dem Fernseher auf dem Sideboard. Gut das das Teil an der Wand hängt, so kann ihn wenigstens niemand runter schmeißen. Dafür breitet sich eine klebrige Lache auf dem Laminat aus.
Seufzend verdrehe ich die Augen und könnte Jason erwürgen, wobei vielleicht ist hier auch eher Kiran der Schuldige, denn einer der Jungs, die mit ihm gekommen sind, schwankt bedächtig an mir vorbei zum Klo.
"Hinsetzten!", brülle ich ihm hinterher, doch glaube ich nicht, dass er sich daran halten wird. Bella sieht mich grinsend an und schleift mich einfach weiter, durch die vielen Menschen, hinter sich her.
"Studentenpartys sind echt super!", versichert sie mir grinsend, bevor sie mich in eine Ecke meiner Terrasse zieht, die scheinbar zur Tanzfläche umfunktioniert wurde.
Einige der Tänzer kenne ich. Einige nicht. Wen ich jedoch gekonnt zu ignorieren versuche ist Mia, die auf einem der Liegestühle sitzt und ihre Beine hochgelegt hat.
Ich weiß nicht, ob sie mich bemerkt hat, doch wende ich ihr demonstrativ den Rücken zu und ziehe Bella in meine Arme.
Überrascht über meinen plötzlichen Sinneswandel sieht sie mich an, dann zieht sich ein breites Grinsen über ihr Gesicht und sie lässt sich in meine Arme sinken. Gekonnt wirbele ich sie herum. Tanzen ist ja jetzt nicht unbedingt das, was ich noch lernen muss. Ganz im Gegenteil. Es hat mir immer einen Heiden Spaß gemacht.
Mit Mia am meisten, aber auch Bella fühlt sich in meinen Armen recht angenehm an. Ich lasse die Musik in mein leicht benebeltes Gehirn dringen und gebe mich ihrem Rhythmus hin. Bewege mich mit geschlossenen Augen und schiebe jeden Gedanken beiseite.
Was mir vielleicht nur deshalb gelingt, weil von Mike noch immer jede Spur fehlt.
Dafür erhasche ich einen flüchtigen Blick auf Mia als ich mich mit Bella herumwirbele. Dicht presse ich mich an ihren Rücken. Halte Mias Blick für eine Sekunde fest und tue das wohl dümmste, was mir gerade in den Sinn kommt.
Ich vergrabe meine Nase in Bellas Haaren und gebe ihr einen Kuss direkt unter das Ohr. Ich spüre diesen leichten Ruck, der durch ihren Körper geht, doch schon im nächsten Moment tanzt sie genauso innig weiter wie bisher. Nur Mia schaut demonstrativ in eine andere Richtung.
Ja! Was sie kann, kann ich auch! Denke ich böse und treibe mein Spiel noch ein bisschen weiter. Drehe Bella in meinen Armen herum und lasse meine Hände zu ihrem Hintern wandern. Dicht presse ich sie an mich und bin fast erstaunt, dass sie es mit sich machen lässt. Verlangen steigt in mir auf. Zumal mir der Alkohol in den Kopf steigt. Bellas süßlicher Duft in die Nase.
Doch als ich einen blonden Typen mit gerunzelter Stirn am Geländer stehen sehe, durchzuckt mich ein schlechtes Gewissen.
Krümel beobachtet uns mit Argusaugen. Keine Ahnung, ob er schon die ganze Zeit hier gewesen ist, doch wird mir klar, dass er sicher nicht erfreut darüber sein wird, wie ich mich an seine Freundin ranmache.
"Ich brauche was zu trinken!", sage ich abrupt und wende mich von Bella ab. Verlasse diesen Ort. Hole mir aus der Küche ein Bier und will gerade wieder in meinem Zimmer verschwinden, als Jason neben mir auftaucht.
"Du bist ein riesen Idiot! Ich hoffe, das weißt du.", er steht im Türrahmen angelehnt und hält auffordernd die Hand auf, weshalb ich ihm ein Becks hineindrücke.
"Und wenn schon!", sage ich abweisend, "Ich kann doch machen, was ich will. Wen störts schon!"
"Dich!", sagt der Idiot doch einfach schlicht und lässt mich stehen. schnappt sich auf dem Weg auf die Terrasse seine Freundin und gibt ihr einen Kuss auf die Wange, bevor sie meinen Blicken entschwinden. Doch mich holt er mit diesem einfachen, dämlichen, bescheuerten Wort, auf den Boden zurück!
Denn er hat recht! Ich fühle mich beinahe so, als würde ich Mia betrügen. Nur das ich sie gar nicht betrügen kann. Also nicht wirklich zumindest, weil wir genaugenommen nicht mehr zusammen sind.
Nur eines habe ich bei dem Ganzen irgendwie übersehen.
Mike!
Denn wie es aussieht hat sie ihn nicht angerufen und herbeordert. Und ins Krankenhaus ist sie auch nicht zurückgefahren.
Seufzend fahre ich mir durch die Haare, reibe mir in einem Anfall von Verzweiflung energisch die Stirn und nehme dann eine kleine Flasche Wasser und ein Bier und gehe nach draußen. Noch immer sitzt Mia auf dem Stuhl und sieht etwas verloren aus.
Mel und Jason tanzen innig. Selbst Bella tanzt mit Krümel und die kleine Rike mit einem braungebrannten Surfertyp mit schulterlangen gewellten Haaren. Und noch weitere Menschen stehen dicht gedrängt um den Grill oder den Tisch herum. Ricardo sitzt bei Mia, redet aber nicht mit ihr. Stiert nur Löcher in die Luft, die vermutlich voller Medizinischer Daten stecken.
"Na Rico? Amüsierst du dich?", will ich wissen und halte Mia Wortlos das Wasser hin, doch nimmt sie stattdessen ebenso wortlos das Bier aus meiner Hand.
"Ricardo?", frage ich erneut, als er nicht auf meine Worte reagiert.
"Der ist schon die ganze Zeit so komisch.", wendet Mia tatsächlich ein, "Stiert vor sich hin und sagt kein Wort." sie wirft ihm einen komischen Blick zu, der mich stutzig macht.
Ich komme mir etwas komisch vor, als ich ihm mit der Hand vor dem Gesicht herum wedele, doch reagiert er nicht mal darauf. Weshalb wird mir schon im nächsten Moment klar, als ich ihm in die Augen schaue.
"Hast du was geraucht man?!", frage ich aufgebracht und rüttele ihn fest an der Schulter. Keine Reaktion. "Kiran!", rufe ich laut und winke ihn zu mir.
"Was habt ihr ihm gegeben?", will ich wissen, doch sieht er mich nur verständnislos an, dann schaut er zu Ricardo hinunter und kratzt sich dann nachdenklich am Kopf.
Ein weiterer Ruf. Ein weiterer Kerl und schon sind wir schlauer.
"Hey!", sagt Kirans Kumpel mit schleppender Stimme, "War nur ganz milde das Zeug. Dem fehlt nichts."
"Man! Ecko! Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst deinen Scheiß nicht an Kinder verticken. Sieht er etwa so aus, als wäre er Okay?", will Kiran sauer wissen und wedelt nun auch mit der Hand vor Ricos Gesicht herum. Diesmal reagiert er aber. Langsam hebt er den Blick, dann verdreht er plötzlich die Augen und übergibt sich.
Wie irre beginnt dieser 'Ecko' zu lachen und deutet auf den kleinen, der womöglich noch blasser ist als sonst, doch mir reißt in diesem Moment der Geduldsfaden.
"Hau ab!", erregt springe ich auf und fasse Kirans Freund am Kragen. Stoße ihn zurück. "Mit deinen scheiß Drogen will ich nichts zu tun haben! Und nimm deine beiden besoffenen Kumpels gleich mit!", schnauze ich ihn an und deute auf die Schnapsleiche, die gleich neben der Terrassentür an die Wand gelehnt liegt.
"Komm schon! Stell dich nicht so an!", murmelt Ecko beschwichtigend, "Dem geht's doch gut."
Er deutet auf Ricardo, dem es tatsächlich etwas besser zu gehen scheint, doch hatte ich noch nie etwas für Drogen übrig. Weder für Hasch noch anderes Zeugs, denn entgegen der weitläufigen Meinung, ein Joint ab und an schadet nicht, sehe ich das anders.
Jeder Joint ist ein Joint zu viel!
"Lass mal Ian. Ich mach das schon.", versichert Kiran beschwichtigend, bevor er auf Rico deutet, "Kümmerst du dich um ihn?"
"Sie zu, dass diese Hurenböcke von hier verschwinden!", sage ich beherrscht und ziehe Rico auf die Beine. Da er nicht gerade groß ist und auch nicht viel wiegt werfe ich ihn mir einfach über die Schulter und schleppe ihn nach drinnen, wo ich ihn fürs erste auf meinem Sofa deponiere.
Er sieht mich grinsend an. Murmelt irgendwas leise vor sich hin und schließt dann die Augen. Ein leises Schnarchen dringt aus seinem Mund, doch dann ist er still. Nur seine Brust hebt sich in beruhigendem Tempo auf und ab.
Doch ich könnte Kiran für die Drecksäcke den Hals umdrehen, die er hier angeschleppt hat.
Mit reumütigem Gesicht kommt er nach einigen Minuten wieder und beginnt sich zu entschuldigen, doch fahre ich ihm über den Mund und lasse ihn dann allein, nachdem er mir versichert hat, dass er sich um Rico kümmern würde.
Inzwischen sind auch einige andere gegangen und gerade als ich auf die Terrasse hinaustreten will kommen mir Bella und Krümel entgegen.
"Wir gehen jetzt." sie nimmt mich flüchtig in den Arm und selbst Krümel schlägt kurz mit mir ein, was mich verwundert.
"Nette Party!", gibt er einsilbig wieder und geht dann einfach weiter. Auch der Zierfisch winkt nur noch einmal kurz, bevor sie meine Wohnung verlässt.
Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, doch sitzt Mia noch immer auf dem Stuhl und sieht etwas verloren aus. Das Bier steht inzwischen auf dem Boden neben ihr.
"Willst du noch was trinken?", erkundige ich mich bei ihr. Ich meine, wenn Mel sich schon nicht um sie kümmert...irgendwer muss ja.
"Nein.", lehnt sie leise ab und vermeidet jeden Blick in meine Richtung, dann fügt sie noch ein "Danke.", hinzu, bevor sie einen sehnsüchtigen Blick zu den wenigen, verbliebenen Tänzern wirft.
Jemand hat die Musik etwas leiser gedreht und ein etwas ruhigeres Lied erfüllt die Nacht mit ihrer Melodie.
Ich sehe Mia an. Sehe den traurigen Zug um ihre Augen und wie sie mit den Fingern auf der Lehne ihres Stuhls herum trippelt, als würde sie Klavier spielen. Sehe, wie sie im Takt zur Musik die Beine bewegt und höre mich plötzlich fragen:
"Willst du auch tanzen?"
Erstaunt huscht ihr Blick zu mir. Gleitet ihr Blick flüchtig über meine Brust, die Arme und wieder zurück zu meinem Gesicht, dann schüttelt sie den Kopf.
"Du willst nicht? Oder du kannst nicht?", spreche ich Bellas Worte nach, die mich zum Schmunzeln bringen.
"Ich kann nicht.", sie deutet auf ihre Beine. Von dort zu den Krücken, die neben ihr auf dem Boden liegen.
"Ach papperlapapp! Jeder kann tanzen!", mit einem Satz bin ich auf den Beinen und fasse nach ihren Händen, "Und das hier ist eine Party! Und da wird getanzt!"
Ich hebe ihre Beine von der Liege und ziehe sie hoch lege ihr einen Arm um die Taille und trage sie mehr, als das sie geht zur Tanzfläche.
Mia protestiert energisch, doch nur mit Worten. Ihre Bewegungen streben aber lediglich halbherzig in die falsche Richtung, weshalb ich sie einfach vorwärts schiebe.
"Die Hand hier.", weise ich sie mit weicher Stimme an und lege sie mir um den Hals, "Und die Andere auch. Dann kannst du dich an mir festhalten." Unbehaglich tut sie was ich sage, doch als sich unsere Blicke verhaken, sehe ich die röte, die sich auf ihre Wangen legt.
"Ich sollte wirklich nicht...", beginnt sie zögerlich, doch unterbreche ich sie.
"Stimmt. Du hättest im Krankenhaus bleiben sollen, aber jetzt bist du hier."
Hier bei mir. Denke ich noch, bevor ich sie dicht an mich ziehe und ihr Halt gebe. Mich langsam mit ihr auf der Stell zu bewegen beginne. Es ist eine Qual und doch fühlt es sich unbeschreiblich an. Sie zu halten. Ihre Wärme zu spüren. Ihre Arme an meinem Hals. Sie hat sie nur locker um mich gelegt und auch eher zögerlich, doch für mich ist es der schönste Augenblick in den letzten Monaten. Wenn ich die Augen schließe, ist es fast so wie damals. Als sie mich noch bei sich haben wollte. Oder ich bei ihr sein durfte. Als ich geglaubt habe, sie würde mich lieben. Als ich noch nicht an ihren Gefühlen gezweifelt habe. Ich fühle mich, als könnte ich schweben. In diesem einen Moment. Mit ihr in meinen Armen, ihrem schlanken, warmen Körper an meiner Brust, ihren sanften Händen in meinem Nacken, kann ich fast vergessen, wie sie mich angeschnauzt hat. Wie sie von mir verlangt hat zu gehen und nicht wiederzukommen.
Endlich kann ich sie halten. Wie damals. Und aus welchem Grund auch immer, sie lässt es zu. Nicht ganz so willkommen, wie ich es mir wünschen würde, doch sie wehrt sich auch nicht gegen die Berührung. Ich bewege mich leicht mit ihr hin und her. Wiege sie von links nach rechts und kann mein dämliches Herz nicht davon abhalten, einen kleinen Stepptanz hinzulegen. Kann mich nicht zurückhalten, mich für Sekunden in ihren Augen zu verlieren, bevor sie sich abwendet. Doch allein diese wenigen Sekunden, frieren für mich die Zeit ein. Lassen sie stillstehen und mich wünschen, sie würden nie vergehen. Dieser Abend nie vergehen. Dieser Moment, der mich für den Bruchteil eines Augenblicks, für all den Schmerz entschädigt, den ich in all den Wochen empfunden habe.
Ich weiß, wie kostbar dieses Geschenk, was sie mir gerade, zugegeben, nicht ganz Freiwillig, in die Hände legt, ist, doch genieße ich jede einzelne Zehntelsekunde, die mir bleibt. Ich speichere sie in den tiefsten Tiefen meiner Synapsen, im sichersten Winkel meiner Seele und versuche nicht daran zu denken, wie vergänglich die Zeit ist, die mir mit ihr bleibt. Bevor sie mich wieder zurückweist. Sich wieder bewusst wird, dass sie diesen Kontakt, der gerade zwischen uns entsteht überhaupt nicht will. Doch so lange sie mich lässt, so lange sie ihn selbst aushält, dass sie ihn vielleicht sogar genießt, daran wage ich nicht einmal zu denken, so lange nehme ich, was ich bekommen kann.
Und erst als ich mich vergesse und meine Wange an ihre Schläfe lege, leise und doch genüsslich ihren Duft inhaliere, mir ihrer Nähe immer bewusster werde, unterbricht sie unsere, zumindest für mich, innige Berührung.
"Ich...Ian? Kannst du mich...Ich muss mich hinsetzten.", sagt sie leicht atemlos und ich sehe, wie sie mit gerunzelter Stirn das Gesicht verzieht. Und gerade noch rechtzeitig, bevor ihre Beine nachgeben, schließe ich meine Arme fester um sie und fange ich sie auf.
Nehme sie auf den Arm und sehe sie an. Ich sehe sie einfach nur an. Ich sage nichts. Und sie auch nicht. Ihre Stirn runzelt sich nur. Ihr Arm legt sich wie von selbst um meinen Hals, bevor ihre Stimme doch die vor Spannung geladene Luft, durchbricht.
"Ich bin viel zu schwer für dich.", sagt sie doch tatsächlich, was mich fast zum Lachen bringt, "Bitte setzt mich ab."
Gott! Wenn sie wüsste, das sie fast das gleiche schon mal zu mir gesagt hat, sicher würde sie auch lachen, doch diesmal bin nur ich derjenige, der sich über ihre Worte amüsiert, weshalb ich ihr auch das gleiche sage wie im Wald.
"Schwer ist nicht das richtige Wort für eine Feder, Engelchen", grinsend vergrabe ich meine Nase in ihren Haaren und trage sie jetzt aber doch zu dem Stuhl, wo ich sie absetzte. Mels strahlen bekomme ich nur am Rande mit auch Jasons in die Höhe gereckten Daumen.
Doch muss ich mich gehörig zusammenreißen Mia nicht auf meinen Schoß zu ziehen, sondern sie einfach abzusetzen. Dann wende ich mich einfach ab und dem Grill zu. Ich muss dringend was essen.
Mein Magen knurrt ungehalten und der viele Alkohol auf leeren Magen ist jetzt auch nicht unbedingt das, was mir besonders gut tut.
Mit einem Teller voller Wurst und Fleisch, dazu Kartoffelsalat...keine Ahnung, wo der her kommt... kehre ich zu Mia an den Tisch zurück.
"Willst du auch?", frage ich skeptisch. Sie war bisher ja nie der große Esser, doch überrascht sie mich.
"Wenn ich darf.", sagt sie zurückhaltend und nimmt mir den Teller ab, den ich ihr mit Freuden überlasse.
Wirklich erstaunt sehe ich ihr zu, wie sie hungrig drei Würstchen und den ganzen Salat vertilgt. Es ist wirklich erstaunlich, mit wie viel Begeisterung sie sich über das essen her macht.
"Entschuldige.", sagt sie plötzlich, als ihr mein Blick auffällt, "Jetzt habe ich dir alles weggegessen."
"Kein Problem Engelchen. Iss ruhig. Ich kann mir ja noch was holen.", versichere ich ihr und will ihr gerade eine Strähne aus der Stirn streichen, als mein Blick auf Jason fällt, der mich zu sich winkt.
"Bin gleich wieder da.", sage ich kurz und gehe zu Jason hinüber, der irgendwie Hektisch wirkt.
"Du...ähm...wir müssen ganz schnell los...Mels Mum...also sie..."
"Komm Jason.", Mel taucht nicht weniger zappelig neben ihm auf und schiebt ihre Hand in seine.
"Kannst du Mia zurückbringen. Das ist echt ein Notfall!", fragt Jason unbehaglich und lässt sich schon von Mel fort ziehen, bevor ich wiedersprechen kann.
"Ich kann nicht mehr fahren!", rufe ich ihm nach, doch geht er nicht auf meine Worte ein. Lässt mich einfach mit einem Problem mehr allein. Ist ja nicht so, als würde nicht ohnehin schon ein zugekiffter Frosch auf meinem Sofa pennen. Gleich daneben ein Glatzkopf, der sich auf meinem Teppich zusammengerollt hat und auch sonst gleicht meine Wohnung einem Schlachtfeld. Und irgendwie ist mir entgangen, dass sich alle klammheimlich verdrückt haben.
Das war dann wohl meine Einweihungsparty! Schießt es mir durch den Kopf, als ich mich umsehe. Halb fünf verkündet die Küchenuhr. Definitiv ziemlich spät. Doch wie kommt Mia jetzt nach Hause? Beziehungsweise ins Krankenhaus?
"Jason!", murmele ich fluchend und fahre mir mal wieder voller Verzweiflung durch die Haare. Und jetzt?
Langsam gehe ich zu Mia auf die Terrasse. Gähnend hält sie sich die Hand vor den Mund und sieht mich mit fragendem Blick an.
"Weißt du wo Mel ist?", will sie auch prompt wissen, "Ich glaube, ich sollte langsam mal zurück, bevor die Frühschicht wiederkommt."
Anscheinend kommen ihr jetzt wohl selbst Bedenken, doch kann ich nur resigniert seufzen.
"Ich fürchte, sie haben dich hier gerade zurückgelassen. Irgendein Notfall mit ihrer Mum oder so." Müde lasse ich mich neben sie auf einen Stuhl sinken und sehe ihr entschuldigend in ihr geschocktes Gesicht.
"Aber...wie komme ich denn jetzt zurück?!", stößt sie empört aus und rauft sich jetzt selbst die Haare, "Sie können mich doch nicht einfach hier lassen!"
"Ich fürchte, dass haben sie bereits getan, denn sie sind eben los.", ratlos zucke ich mit den Achseln. "Aber wenn du willst, kannst du hier schlafen. Mein Bett ist noch frei."
"Was?! Nein!", stößt sie voller Empörung aus, bevor sie etwas zerknirscht, "Ich muss doch zurück.", sagt.
"Kannst du mich nicht fahren. Ich meine...ich würde ja laufen...oder mit dem Bus...aber...", sie deutet auf ihre Beine und die Krücken.
"Ich kann nicht."
"Du kannst oder du willst nicht?", fragt sie leicht gereizt, was mich schmunzeln lässt.
"Ich kann nicht Engelchen.", sage ich fest und greife demonstrativ nach einem Bier, dass ungeöffnet auf dem Boden steht und schlage den Verschluss an einer Kante unter dem Tisch auf.
"Ich habe definitiv zu viel getrunken. Und ich werde für dich nicht meinen Führerschein riskieren.", lässig lehne ich mich in meinen Stuhl zurück und nehme einen tiefen Zug.
Genieße ihren empörten Protest, mit dem sie sich über meine Dreistigkeit Beschwert. Mal wieder bockig die Arme verschränkt und mir dann erklärt, das sie niemals in meinem Bett schlafen würde.
"Wie du willst. Ich bring dir dann eine Decke raus.", sage ich gleichgültig, bevor ich einen weiteren Schluck von meinem Bier nehme.
Doch so unbeteiligt ich auch tue, sie hier in meiner Nähe zu haben, zu wissen, dass sie auf mich angewiesen ist, macht mich irgendwie glücklich. Dass sie meine Hilfe im Augenblick nicht annehmen will, ist mir gleich. Sie wird schon noch zur Vernunft kommen. Zumindest hoffe ich das. Ob diese Hoffnung jedoch, auch nur ansatzweise Früchte tragen könnte, sei bei ihrem Dickschädel mal dahingestellt.
Der Abend ist einfach herrlich. Und ich genieße ihn in vollen Zügen, jetzt wo hier wieder Ruhe eingekehrt ist. Die leichten Wirbel, die meine Sinne betäuben sind mehr als angenehm und Mias hauchfeiner Duft, der mir hin und wieder in die Nase steigt zum dahin schmelzen. Schweigend sitzen wir einfach da. Ich genießend. Mia wohl eher angestrengt schmollend, doch schließlich stößt sie gereizt die Luft aus, während ich einen Schluck von meinem Bier nehme.
"Na gut! Na gut! Ich nehm das Bett, aber nur, wenn du nicht drin liegst." Müde werfe ich ihr einen Blick zu, dann stehe ich wortlos auf. Nehme sie auf den Arm und trage sie in mein Schlafzimmer, wo ich sie schwungvoll in mein Bett schmeiße. Ihren erstaunten Blick und ihren unerheblichen Protest ignoriere ich schlicht. Doch fällt es mir schwer, nicht zu schmunzeln, als ich kühl, nicht eisig, eher so wie ein frischer Gletscherbach, entgegne:
"Keine Angst. Ich hatte nicht vor, dich gegen deinen Willen zu bedrängen. Also bleib locker." Ich werfe ihr noch eins meiner T-Shirts hin, mache die Bolkontür auf kipp und sage knapp: "Wenn was ist; Schrei. Das kannst du doch so gut.", und lasse sie mit empörtem Gesichtsausdruck zurück.
Tja...und wo schlafe ich jetzt? Frage ich mich flüchtig. Und plötzlich kommt mir der Platz neben Mia in dem großen Bett sehr verlockend vor.
Doch gehe ich mal schwer davon aus, dass sie damit wohl nicht einverstanden wäre und so hole ich mir eine Jacke von der Garderobe, die Decke liegt nämlich unter Rico, und mache es mir auf dem Liegestuhl bequem.
Dumm nur, dass die Polster noch immer Mias Geruch an sich tragen und mir einen unruhigen Schlaf bereiten.
Noch immer frage ich mich, warum sie Mike nicht angerufen hat. Oder ob sie es vielleicht doch gemacht hat, aber er sich geweigert hat zu kommen. Oder ob er wohl keine Zeit hatte?
Wie dem auch sei.
Mir ist es recht so, wie es gekommen ist, denn jetzt liegt mein ganz persönlicher Trum in meinem Bett und schläft hoffentlich tief und fest.
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6138 Worte
20.07.17
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