11 Uni in allen Facetten
Die Vorlesung zieht sich endlos in die Länge, doch scheinbar hat unser Prof oder die Uhr an der Wand schließlich doch ein einsehen und verkündet stillschweigend, dass die Stunde beendet ist.
Seufzend atme ich auf, und lasse mich in meinen Stuhl zurücksinken. Anders als Ricardo, der wie von der Tarantel gestochen aufspringt und sich eilig an mir vorbeiquetscht.
Ein genuscheltes "Tschüß.", kommt bei mir an...also ich glaube zumindest etwas gehört zu haben... und so rufe ich ihm ein entrücktes: "Tschüß!", hinterher.
"Na? Hatte es dein Haustier eilig?", dringt die herablassende Stimme meines Hintermannes zu mir, doch würdige ich ihn nur eines ebensolchen Blickes, bevor ich mir meinen Rucksack über die Schulter werfe und nach draußen schlendere.
"Endlich geschafft!", höre ich die tiefe, recht weiche Stimme von Liandra, kaum dass ich draußen bin. Doch meinte sie wohl nicht mich, denn gleich darauf höre ich die anzüglichen Worte von Kiran.
Schmeichelnd scheint er auf sie einzureden: "Und was ist jetzt? Darf ich dich mitnehmen? Komm schon. Ich bin auch ganz brav."
Liandra schweigt einen Moment, wirft mir im vorbeigehen einen einladenden Blick zu, dem ich folge und schenkt dem Charmeur neben sich dann einen fixierenden Blick.
"BRAV?!", fragt sie mit nicht geringer Skepsis in der Stimme "Ausgerechnet DU?", sie lacht nicht wenig erheitert auf, was in mir den Eindruck erweckt, dass in den vergangenen eineinhalb Stunden irgendwas zwischen den Beiden vorgefallen sein muss. Und da Kiran sie neckisch mit der Schulter anstößt und ihr grinsend zuzwinkert verhärtet sich mein Verdacht.
"Hey! Was denn...komm schon Honey... ein bisschen Spaß muss doch sein! Der Stoff im Unterricht war doch wirklich trocken genug!", an ihr vorbei sieht er mich an. Fragt mich mit Blicken, ob ich ihm zustimme, doch ehe ich mehr als ein grinsen zustande bekomme, wendet sich Liandra mit gerunzelter Stirn an mich.
"Was meinst du? Soll ich mit ihm fahren?", will sie wissen und bleibt stehen. Wendet sich mir zu, wobei ihr Blick an meiner blauen Gesichtshälfte hängen bleibt.
Hinter ihrem Rücken nickt Kiran energisch und formt mit den Lippen ein unübersehbares "JA!", das mich zum Grinsen bringt.
Belustigt über sein Verhalten verdrehe ich die Augen und beginne schließlich zu nicken. "Klar. Wenn er dich entführt, melde ich dich morgen als vermisst. Versprochen!", sage ich belustigt woraufhin sie nun auch die Augen verdreht.
"War ja klar, das ihr Männer mal wieder zusammenhaltet!", seufzt sie gespielt, bevor sie hinzufügt, "Und ich hatte gehofft, DU würdest mich mitnehmen. Wobei...", wieder mustert sie mich eingehend und fügt dann mit erhobener Augenbraue hinzu, "...wenn ich dich so ansehe ist Kiran vielleicht doch die bessere Wahl."
"Sag ich doch!", grinsend Legt Kiran Liandra den Arm um die Schultern, den diese jedoch mit einem empörten Lachen abstreift.
"Hey! Du hast gesagt, du bist brav!", sie betont das 'brav' zynisch und schubst ihn fest, was ihn zwar zum Schwanken bringt, ihn aber anderweitig nicht beeindruckt.
"Bin ich doch!", sagt er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, bevor er mich in ihre Kabbelei mit einbezieht. "Auf jeden Fall lieber als er.", deutet er in meine Richtung, "Ich hab nämlich nicht an der Freundin eines Anderen herumgefummelt.", prustet er mit Blick auf mein Veilchen.
Schmerzhaft meldet sich das Loch in meiner Brust, dass ich jedoch gekonnt ignoriere. "Ich auch nicht.", versichere ich den Beiden, "Bin gegen eine Wand gerannt.", gleichgültig verdrehe ich die Wahrheit, die mir ohnehin keiner abnimmt.
"Wie hieß denn die Wand?", fragt Kiran grinsend, "Loverboy?!" und bricht in grölendes Lachen aus, das mich, als auch Liandra, grinsend die Augen verdrehen lässt.
"Tut es sehr weh?", will sie neugierig wissen und wirft der Verfärbung einen interessierten Blick zu, der Kiran das Lachen vermiest.
"Ach was! Sicher hat er sich extra eine Verpassen lassen, um Mitleid zu ernten."
Er macht ein beleidigtes Gesicht, dass wir ihm jedoch nicht abkaufen. Ich nehme seine Worte und sein gespieltes, gekränkt sein, ohnehin nicht ab und gehe einfach weiter Richtung der Parkplätze, auf denen unsere Autos stehen.
Kiran bleibt neben einem alten Golf stehen, der auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat und steckt seinen Schlüssel ins Schloss der Beifahrertür.
"Ich habs gleich.", versichert er nach fasst einer Minute des herum Probierens als plötzlich die Tür nachgibt, "HA! Sag ich doch!", freut er sich und lässt Liandra einsteigen. Sie wirft mir einen skeptischen Blick zu, den sie mit zweifelnden Worten unterstreicht: "Wenn ich morgen nicht wieder auftauche, durchforste die Zeitungen nach Unfallmeldungen. Oder ob irgendwo ein Auto auf der Straße auseinandergefallen ist.", fordert sie von mir, was ihr von Kiran ein empörtes: "Hey! Läster nicht über Rosa herum! Das hört mein Baby gar nicht gerne!"
"ROSA?!", kichert Liandra gerade noch hörbar, bevor Kiran ihr die Tür vor der Nase zuschlägt.
"Weiber!", beschwert er sich bei mir, "Keine Ahnung von Autos!"
Dann geht er auf die Fahrerseite und will gerade einsteigen, als ihm einfällt: "Willst du auch mit?"
"Ne. Lass mal. Ich bin auch mit dem Auto hier.", gleichgültig nicke ich zu meinem blauen Wagen hinüber, was Kiran's Augen immer größer werden lässt.
"Ähm...Ja!", ist alles was er sagt, bevor er einsteigt. Ich kann ihm nicht mal sagen, dass ich seinen Wagen wirklich 'Super' finde, da hat er auch schon die Tür hinter sich geschlossen und ein unwilliges Jaulen dringt unter der Motorhaube hervor.
Wieder und wieder streikt der Anlasser, oder was auch immer, bevor der Motor dann doch zum Leben erwacht und Kiran mit quietschendem Keilriemen den Parkplatz verlässt.
Sein Wagen hätte mal eine Generalüberholung nötig denke ich grinsend bei mir, als ich zu meinem Auto hinüber gehe und den beiden in gemütlichem Tempo folge.
Eigentlich müsste ich ehrlicherweise...in zögerlichem Tempo... sagen, denn die Richtung, in die ich fahre liegt mir gerade gar nicht. Mia sei Dank!
Als ich jedoch an der Bushaltestelle vor dem Unigelände vorbeikomme sehe ich gerade noch Ricardo, wie er in den Bus steigt.
Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihm angeboten bei mir mitzufahren, aber da er es ja so eilig hatte...
Egal.
Die Fahrt zum Krankenhaus vergeht viel zu schnell. Und obwohl ich extra getrödelt habe fehlt von den beiden Turteltäubchen jede Spur.
An der Info erkundige ich mich nach Station G3 und melde mich dann bei der Stationsschwester an.
"Was kann ich für sie tun?", fragt mich diese mit forschendem Blick. Ihre Haltung ist streng. Ihr Blick fest, sowie ihre Körperspannung, die geradezu militärisch ist.
"Ich komme von Professor Sontner.", teile ich ihr mit, was sie die Augenbrauen bis unter ihren fusseligen Pony heben lässt.
"Dann sind sie Ricardo Assmuss?", fragt sie skeptisch und fordert mich auf in das Schwersternzimmer zu kommen.
"Nein." ich folge ihr und nehme an dem Tisch im Raum Platz, während sie in ihren Unterlagen wühlt. "Ich heiße Jähn. Ian Jähn. Ich habe mit Herrn Assmuss getauscht."
"Ach! Und wer hat ihnen erlaubt einfach so zu tauschen?!", herrscht sie mich mit strenger Stimme an, die mich innerlich zum Seufzen bringt.
Oh man! Das kann ja heiter werden! Warum muss die Stationsleitung hier nur so ein Drache sein? Die Armen Eltern!
"Niemand. Ich hätte auch nicht gedacht, dass wir dafür eine Erlaubnis brauchen.", sage ich um Ausgeglichenheit bemüht, doch ist der Blick, den mir die Schwerster zuwirft knapp unterhalb von tödlich einzustufen.
"Na schön!", schnauft sie, "Ich hab jetzt wirklich keinen Nerv, mich wegen so einer Scheiße aufzuregen! Erstens!", sagt sie kratzbürstig und wedelt mit dem Finger vor meiner Nase herum während sie ihren ausladenden Hintern auf einen Stuhl mir gegenüber fallen lässt, "Sie kommen gleich morgen pünktlich um drei auf Station. Und zweitens!", ihre Stimme wird eine Spur tiefer, ihre Haltung bedrohlicher, wobei ihr Blick auf dem Veilchen in meinem Gesicht ruht, "Wenn sie glauben, sie können mir hier auf der Nase herumtanzen, dann haben sie sich geschnitten! Ist das klar?!"
"Ja Mam.", sage ich respektvoll, kann mich aber nur knapp davon abhalten mit den Augen zu rollen.
"Worauf warten sie noch? Verschwinden sie!", scheucht sie mich weg, während ich noch darauf warte, ob sie mir noch etwas zu sagen hat, doch erst, als ich schon an der Tür stehe brüllt sie mir beinahe hinterher: "Arbeitskleidung holen sie sich in der Kleiderkammer. Die ist im Keller! Falls sie das nicht wissen! Und besorgen sie sich ein Gesundheitszeugnis!"
Schon jetzt von dieser "Frau"...Furie würde sie wohl eher beschreiben...genervt, balle ich die Hand zur Faust und gebe ein freundliches: "Danke. Mach ich.", von mir und verlasse auf kürzestem Weg die Station. Schon jetzt bereue ich es, mit Ricardo getauscht zu haben, doch um in den letzten Minuten noch einen Rückzieher zu machen, ist es wohl zu spät.
Und so gehe ich seufzend, und mit den Gedanken in mich gekehrt zum Fahrstuhl, der nur wenige Augenblicke nachdem ich den Taster betätigt habe mit einem Rumpeln bei mir hält.
Langsam gleiten die Türen auf und ich trete ein.
Im inneren stehen gleich mehrere Menschen, die höflich beiseite rücken, um mir Platz zu machen. Im Hintergrund sehe ich einen Rollstuhl, der mein Herz zum stocken bringt, doch schon als ich dem Insassen einen Blick zuwerfe, wird mir bewusst, dass es nicht Mia ist. Es ist nicht einmal eine Frau, sondern ein Mann, der mit einer Aktenmappe auf dem Schoß, darin sitzt. Dafür stupst mich jemand in die Seite und fordert damit meine Aufmerksamkeit ein.
"Wo hängst du denn schon wieder mit deinen Gedanken?", will Liandra grinsend wissen. Sie strahlt mich gutgelaunt an, was mich von den trüben Gedanken, an Mia und auch den Drachen in der Höhle, die von nun an mein "zweites" Zuhause wird, ablenkt.
"Ach nicht so wichtig.", winke ich ab und frage sie nach ihrem Arbeitsplatz.
"Keine Ahnung!", gibt sie schnaubend wieder. Rückt etwas dichter an mich heran, um den Rollifahrer vorbeizulassen und fügt dann kopfschüttelnd hinzu, "Kiran's 'Rosa' ist auf dem Weg hierher verreckt und wir sind erst vor wenigen Minuten angekommen. Und jetzt bin ich irgendwie auf der falschen Station gelandet.", verlegen kratzt sie sich am Kopf und schenkt mir ein kleines Lächeln. "Und bei dir?", will sie dann wissen, weshalb ich mit verdrehten Augen den Kopf schüttele.
"Frag nicht!", seufze ich, "Die Stationsschwerster ist die reinste Furie! Ich hoffe, sie frisst mich morgen nicht auf!"
"Wie morgen?", fragt Liandra erstaunt, "Du fängst MORGEN schon an?"
"Ja.", seufzend zucke ich mit den Achseln, fahre mir mit der Hand durch die Haare und lehne mich an die Fahrstuhlwand, als dieser erneut hält und weitere Menschen aussteigen. Den Blick habe ich zu Boden gerichtet und kann es noch immer nicht fassen, das ich mal wieder so ein scheiß Pech mit meiner Vorgesetzten haben muss.
Zwei Schwestern treten zu uns in die Kabine. Beide wirken gestresst und beginnen leise ein erregtes Gespräch, dass ich aber nicht verfolge.
Liandra sei Dank, die beinahe ängstlich klingt, als sie mir zerknirscht erzählt, dass sie morgen keine Zeit hat.
"Ich drück dir die Daumen, dass du eine nettere Stationsleitung hast als ich. Aber auf der Kinderstation sollte man ja davon ausgehen, dass sie freundliches Personal haben.", versuche ich sie aufzumuntern, als sie schon an die Tür des Lifts tritt.
"Das hoffe ich!", sagt sie angespannt, "Bis morgen dann Ian.", verabschiedet sie sich und lässt mich mit den beiden Damen in ihrer weißen Tracht allein.
Bisher habe ich nicht darauf geachtet, in welche Richtung wir fahren, doch jetzt wird mir unbehaglich bewusst, dass wir statt nach unten, auf dem Weg nach oben sind. Derzeit im sechsten Stock. Und es ist nur noch einer, dann stehe ich vor Mia's Station.
Nervös beginnt mein Herz zu klopfen. Mal wieder. Doch unterdrücke ich resolut dieses Gefühl und wende meine Ohren den Schwestern zu um mich abzulenken.
"Schon wieder krank!", flüstert die eine der anderen vernehmlich zu, "Ob der überhaupt noch mal zur Arbeit kommt?"
"Weiß nicht. Aber um ehrlich zu sein...mir wär's lieber, er kommt nicht wieder.", gibt die andere leise zurück, bevor sie den Fahrstuhl auf Station 7 wieder verlassen. Die Türen gleiten auf und mein Herz rast. Ich drücke mich ganz nach hinten an die Wand, nur um nicht doch zufällig den Fahrstuhl zu verlassen. Oder zu sehen, wie das Mädchen, nach dem ich mich sehne über den Gang rollt. Beinahe flehe ich die Türen an sich zu schließen und beginne auf dem Knopf für das Erdgeschoss herumzudrücken.
"Jetzt mach schon!", murmele ich dem scheiß Teil zu, dass sich viel zu langsam bewegt. Zumindest für meinen Geschmack. Wie in Zeitlupe beginnen sich die Türen zu schließen. Stückchen für Stückchen. Es fehlen noch immer viel zu viele Zentimeter, als sich von draußen auch noch eine Hand, zwischen die sich schließenden Türen, schiebt.
Angespannt versuche ich den dicken Knoten in meinem Bauch zu ignorieren. Wieder gehen die Türen auf und ich bilde mir ein, ihr Lachen von draußen zu hören.
Der Schmerz in meiner Brust nimmt in einem Ausmaße zu, das an den Verlust eines Körperteils grenzt. Wie den Kopf. Oder zumindest ein Bein. Vielleicht rammt mir auch gerade jemand ein Messer in den Rücken. Auf jeden Fall tut es höllisch weh!
Mit schmerzverzerrtem Gesicht wende ich mich von der Tür ab. Ich schaue einfach nicht hin, als jemand herein kommt.
Mein Atem ist flach und angespannt. Meine Hände in den Handlauf hinter meinem Rücken gekrallt. Den Kopf habe ich zu Boden gesenkt, die Augen geschlossen. Na...zumindest fast.
Verstohlen werfe ich einen selbstzerstörerischen Blick auf die Person, die zu mir kommt. Und was soll ich sagen! Fast hörbar fällt mir ein Stein vom Herzen, als ich die Schuhe sehe. Die Füße. Die weiße Hose einer Schwersterntracht. Doch was viel wichtiger ist! Ich sehe keine Rollstuhlräder! Keine Krücken! Kein Mädchen, an das ich mein Herz verloren habe, sondern nur Schwester Bea. Sie lächelt mich an. Zum Glück sieht sie nicht gleich mein Veilchen, so dass mir eine erneute Frage danach erspart bleibt.
"Ach Hallo Ian!", grüßt sie mich erstaunt, "Willst du Marie besuchen?"
"Nein. Heute nicht." Ich versuche mich an einem entspannten Lächeln, dass mir sicherlich kläglich missglückt, doch sie scheint nichts zu bemerken.
"Sie ist auch gerade nicht da. Sie ist vor einer Weile runter gegangen."
Ihre Stimme ist beiläufig, doch frage ich mich, wie sie auf den Gedanken kommt, dass mich das gerade interessieren könnte. Dummerweise machen mir ihre Worte bewusst, dass damit die Gefahr ihr über den Weg zu laufen nicht vom Tisch ist.
"Ah...Okay. Schön für sie." Fahrig streiche ich mir durch die Haare versuche mich zu entspannen, während wir Stockwerk für Stockwerk nach unten gleiten. "Aber ich hab gar keine Zeit. Ich war nur hier, um mich auf G3 zu melden. Professor Sontner hat..." Weiter komme ich nicht, denn mit großen Augen unterbricht sie mich.
"Was?! Man! Tut mir leid! Soll ich mal mit unserer Stationsleitung sprechen? Du könntest vielleicht bei uns..." Eilig unterbreche ich sie, bevor sie ihr Angebot beenden kann. Scheinbar hält auch sie nicht viel vom Oberteufel der G3.
"Ne. Schon gut Bea. Das ist sicher nett gemeint, aber diese Station kenne ich ja schon. Auf der G3 Lerne ich sicher viel neues." versuche ich zuversichtlich von mir zu geben, doch schnaubt sie nur herablassend.
"Glaub mir Ian, bei Schwester Nicole lernst du nichts Gutes! Keine Ahnung, wie sie zu ihrem Nachnahmen gekommen ist.", sagt sie kopfschüttelnd und wiederholt ihr Angebot.
So höflich ich kann lehne ich erneut ab. Rein nach dem Motto, auch schlechte Erfahrungen müssen gemacht werden und erkundige mich dann nach dem Nachnamen der Hexe, die meine "Mutter Oberin" werden wird.
"Fröhlich!", gibt Bea kopfschüttelnd wieder, "Aber dem darfst du keine Beachtung schenken! Damit lockt sie nur Ahnungslose Menschen in die Falle, bevor sie ihnen den Kopf abreißt! Keine Ahnung mit was sie diese Stelle bekommen hat. Mit ihrem Einfühlungsvermögen ganz sicher nicht!". Sie seufzt. Und als der Fahrstuhl in der zweiten hält steigt sie aus. Wieder hält sie mit der Hand die Tür auf, während sie mich mit einem gutmütigen Lächeln anschaut.
"Wenn du es dir anders überlegst...komm hoch. Ich bin sicher, wir könnten dich auch woanders unterbringen.", bietet sie mir an, was ich mit dankbaren Worten quittiere.
Und dann bin ich endlich allein. Allein mit meinen Sorgen, Mia könnte mir auf den letzten Metern doch noch über den Weg laufen.
Es trennen mich nur noch wenige Stockwerke vom Ausgang. Zwei um genau zu sein. Wie, als würde ich durch Treibsand nach unten sinken, fährt der Fahrstuhl weiter. In der ersten Etage stockt er.
Hält an. Wie mein Herz. Die Türen gleiten auf und jemand tritt ein. Erneut erwacht der Fahrstuhl zum Leben, so wie mein Herz. Energisch versuche ich mich zu ermahnen, mich zusammen zu reißen. Nicht an sie zu denken, doch fällt es mir alles andere als leicht.
Für meinen Geschmack habe ich sie viel zu lange nicht mehr gesehen. Viel zu lange nicht mehr mit ihr gesprochen und mit jeder Minute, die vergeht, wird der Knoten in meinem Bauch unerträglicher. Kann dieses Gefühl nicht endlich verschwinden?! Es reicht doch langsam wirklich!
Mit dem festen Wunsch, den Schmerz zu verdrängen straffe ich die Schultern und stelle mich angriffslustig vor die Fahrstuhltüren und warte mit klopfendem Herzen darauf dass sie sich ein letztes Mal für heute öffnen.
Ein letztes Mal, bevor ich dieses Gebäude verlasse. Das Gelände verlasse und damit auch die Gefahr, ihr ungewollt über den Weg zu laufen.
Ruckelnd kommt der Fahrstuhl zum Stehen. Die Türen gleiten auf und...nichts! Ein schneller Blick nach links und rechts. Noch immer nichts!
Vor Erleichterung wird mir ganz warm und diese innere Anspannung, die mich die ganze Zeit gefangen hält, fällt von mir ab.
Mit leichten Schritten trete ich auf den Flur hinaus. Gehe durch die weitläufige Halle Richtung Ausgang. Draußen scheint gerade die Sonne. Hier drinnen grelles Neonlicht, das die Menschen, die mir zu Fuß, in Rollstühlen, mit Taschen oder Blumen entgegen kommen, noch bleicher aussehen lässt.
An der Information sehe ich eine Frau. Ein Taschentuch in der Hand. Ihre Stimme klingt so erstickt, dass ich mir sicher bin, dass sie weint. Ich verstehe nicht, was sie sagt. Ich achte auch nicht drauf. Nur auf den Weg, der vor mir liegt. Auf die Menschen, die mir entgegen kommen und auch auf die, die in dieselbe Richtung gehen wie ich. Zügig setzte ich einen Fuß vor den Anderen. Versuche so schnell es geht, diesen Ort zu verlassen. Zumindest heute will ich ihr nicht begegnen. Sie nicht sehen! Nicht ihre Stimme hören. Nicht ihr Lachen. Doch bilde ich mir ein, eben dieses zu hören.
Es tönt hell und strahlend durch die Halle. Wie ihre Stimme. Sie klingt leicht und unbeschwert und wenn ich nicht gerade den Verstand verliere, dann kann ich sogar ihr Parfum riechen. Ich möchte mich nach ihr umdrehen. Sie ansehen. In ihre warmen, braunen Augen sehen, nur um zu sehen, ob ich sie darin finden kann. Meine Mia. Mein Engelchen. Doch gehe ich einfach weiter. Ich ignoriere, was ich zu hören und zu riechen glaube. Ignoriere diese Einbildung, denn nichts anderes kann es sein. Ich ignoriere es einfach!
Genau! Einfach nicht umdrehen. Nicht anhalten. Nicht hinsehen! Nicht hinhören! Nicht hin riechen! Sie einfach ignorieren. Genau! Einfach weiter....
Ach Scheiße! Jetzt habe ich doch hingesehen! Wie erstarrt starre ich durch die Halle. Und was sehe ich? Nichts! Rein gar nichts! Also zumindest nicht Mia.
Nur all die Menschen, die ich auch vorher schon gesehen habe. Männer und Frauen. Patienten und Besucher. Alles. Nur Mia nicht.
Wenn das so weitergeht, werde ich wirklich noch verrück!
Mit einem Ruck wende ich mich wieder der Tür zu und verlasse mit energischen schritten das Gebäude. Ich steige in meinen Sportwagen und verlasse das Gelände. Mit jedem Meter, den ich mich vom Krankenhau entferne, wird der Knoten in meinem Bauch kleiner. Doch wird mir auch das Herz schwerer.
Denn auch wenn ich den heutigen Tag hinter mir habe, der morgige kommt bestimmt und dann werde ich gleich drei Stunden in diesem Haus verbringen.
Drei Stunden, und das nur vier Stockwerke unter ihr. Einzig der Gedanke, dass ich mich mit dem Teufel persönlich herumschlagen muss, lässt mich eine gewisse Erleichterung verspüren.
Wenn ich mich mit Schwester Nicole herumschlagen muss, habe ich sicher keine Zeit an Mia zu denken.
Krankenhaus hin oder her.
Auf dem Heimweg halte ich kurz bei Karstadt und besorge mir ein paar Handtücher. Damit ist dann auch mein Duschproblem erledigt.
Und schließlich lasse ich mich mit einer Flasche Becks Gold auf mein Sofa fallen und lasse den Tag Revue passieren.
Nur ein Thema schiebe ich resolut beiseite!
MIA!
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3364 Worte
1.7.17
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