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Gerhard Weber, im Gegensatz zu Fiamma wirklich beim Sondereinsatzkommando in Deutschland, hat eine Vorliebe für Häppchen mit Lachs und das tiefe Dekolleté von Frau Mancini. Diese wiederum ist die Frau des Polizeihauptkommissars von Palermo, schrieb ich am Tresen der Bar auf ein loses Blatt. Ich tippte mit dem Kugelschreiber auf meiner Notiz herum und fragte mich, wie lange es noch dauern mochte, bis Mancini diesem Widerling auf die Füße treten würde. Yvette erzählte mir immer, so reizend und beherrscht sich der Hauptkommissar der Mafia-Hauptstadt auch präsentierte, sein Geduldsfaden war nur unter dem Mikroskop zu erkennen.
„Gibt es eine Zeit in der du nicht arbeitest?" Leontes lehnte plötzlich neben mir an der Bar. An seinem Arm klettete niemand anderes als die reizende Fiamma. Das rote Kleid konkurrierte mit den gleichfarbigen Haaren. Sie sah aus, wie der Teufel in Person. „Nun ja Leontes, ich glaube, das geht dich überhaupt nichts an." Dazu setzte ich mein liebliches Lächeln auf. Seine Freundin verdrehte die Augen. „Seit wann ist sie denn so kratzbürstig?", wollte sie von ihrem Göttergatten wissen. Ich packte indessen unbeeindruckt meinen weisen Zettel in die kleine Clutch.
„Zufällig, seitdem du hier erschienen bist", ließ ich im vorbeigehen ab.
Ich beschloss jegliche Konflikte zu vermeiden, nicht nur meine. Also drängelte ich mich durch die Grüppchen und gesellte mich zu Herrn Mancini, ehe dieser Herrn Weber die Augen auskratzen konnte. Sein marineblaues Jackett aus glänzendem Samt, fiel unter der hellen Beleuchtung des Kronleuchters besonders auf.
„Hallo Oberhauptkommissar Mancini, ich bin Nivia Shehu, Beamtin in Cesena. Ich soll Ihnen schöne Grüße von Yvette Lefebre ausrichten."
Er nahm meine Hand sofort mit einem charmanten Lächeln an. Die kurzen braunen Haare hatte er sorgfältig nach hinten gekämmt. Das Braun wirkte zu intensiv, um nicht gefärbt zu sein. Dennoch fand ich ihn für sein Alter sehr attraktiv. Selbst die Falten schafften interessante Konturen.
„Ach Yvette, ich hätte sie so gerne gesehen, aber es freut mich ihren Frischling kennenzulernen." Frischling... Er traf es auf den Punkt. Ich fiel durch meine zurückhaltende Art nicht sonderlich auf.
„Kein Wunder, dass sie ihren Besitz nicht alleine lassen möchte. Wie geht es ihr?" Ich spürte regelrecht, wie sich meine rechte Augenbraue vor Verwirrung auf mein Auge drückte. „Ganz gut, schätze ich." Mehr wusste ich auch nicht.
Mir fiel ein, dass auch Fiamma mich ahnungslos nannte. Jeder hier schien mehr zu wissen als ich. Yvette besaß etwas und ich würde meine Finger darauf verwetten, dass dieser mysteriöse Besitz sich in ihrem Safe befand. Vertraute meine Vorgesetzte mir nur so wenig, dass sie es jedem anderen erzählte, nur mir nicht? Ich hatte mich stets bemüht. Alle mir aufgetragenen Aufgaben mit Bravour erledigt. Nun fehlte mir die Wertschätzung und das zog unangenehm in meiner Magengegend.
„Shehu...", dachte Herr Mancini laut nach. „Kommst du ursprünglich aus Albanien?"
„Mein Vater. Meine Mutter ist eine Rossi", erklärte ich, worauf seine braunen Augen kugelrund wurden. „Die Rossis vom 'Bellissimo Verde'?" Er schien sich gut in seinem Land auszukennen.
Sizilien war so weit von uns entfernt, dass unsere Familie es als internationalen Urlaubsort ansah. Ich nickte. „Yvette und ich waren einige Male dort essen. Deine Eltern haben ein Meisterwerk erschaffen. Gute nationale Küche, ein freundlicher Service und der mediterrane
Charme fasst ganz Italien in einem Lokal zusammen", schwärmte er. Meine Eltern hatten Recht. Wahrscheinlich würde ich als Besitzerin dieses Restaurants erfolgreicher werden, als ich es als Beamtin jemals sein könnte.
„Ist es als Polizistin aber nicht unglaublich langweilig in einer Stadt, deren Kriminalitätsrate auf Null geht?" Sein zielstrebiger Blick durchlöcherte mich förmlich.
„Nun ja, ich habe gerade erst meine Ausbildung abgeschlossen, aber in Zukunft möchte ich andere Städte und Länder bereisen. Ich will nicht im mittleren Dienst bleiben", gab ich ehrlich zu. Bei der Vorstellung international zu arbeiten, Fälle zu haben, welche die ganze Welt erschüttern, klopfte mein Herz schneller. Herr Mancini fummelte in der Innenseite seines Jacketts herum. „Du gefällst mir, Nivia und ich weiß, Yvette stellt keine Idioten ein. Wenn du Interesse an Palermo hast, dann melde dich." Er streckte mir seine Visitenkarte hin, die ich unter angehaltenem Atem ergriff.
„Du siehst so herrlich unschuldig aus. Wir wissen beide, dass das die gefährlichste Sorte von Menschen ist."
Von mir ging keine Gefahr aus. Ich wurde einmal angegriffen und hatte mich nicht gewehrt. Das Zeichen meiner Feigheit trug ich auf Ewig in meinem Gesicht. „Es kommt vor, auch wenn nur selten, das Menschen genau das sind, was sie zu sein scheinen." Darauf nickte Herr Mancini nur.
„Na dann Signora Shehu, ich muss Herrn Weber noch auf seine gewachsene Wampe hinweisen, bevor er das gleiche über die Brüste meiner Frau denken kann." Ich kicherte bei seiner Bemerkung. Und letztendlich blieb ich mitten im Saal alleine unter diesen Grüppchen von Bekannten stehen, doch das machte nichts. Mein Grinsen reichte vom einen bis zum anderen Ohr, weil dieses Kärtchen zwischen meinen Fingern steckte.
„Endlich machst du was Normales, sammelst Nummern von gut gestellten Männern." Leontes stand wieder neben mir. Als ich ihn ansah und mein Gesicht sich zu einer wutentbrennten Grimasse verzog, schaute er noch dem Oberkommissar Palermos hinterher. „Mancini lässt seine Leute für sich bluten. Er macht sich nie die Hände dreckig. Da bist du bei Yvette besser dran", erzählte er, ohne mich anzusehen.
Mein Blick wanderte bei seinen Worten zu Boden. Ich musterte die edle Kunst unter meinen Füßen. Über das Holz schlängelten sich eingeschliffene Blätter um zarte Blumen. Sie glänzten sanft in Gold. „Er ist nicht der einzige, der so wirkt, Herr Ogliastra", bemerkte ich mit einem Hauch von Ironie.
Ich steckte die Karte ein und machte einen Schritt vor.
„Vergiss nicht, bald zu gehen!"
Wie bitte?! Darauf beschleunigte ich meinen Gang.
Gott, es tat mir ja sowas von kein bisschen Leid diesen hochmütigen Schönling mit meiner Anwesenheit zu stören. Ohne ihm weiter Beachtung zu schenken, setzte ich mich wieder auf den Hocker an der Bar und bestellte mir ein Glas des lieblichen Weines. Leontes sollte ruhig sehen, dass ich es mir gemütlich machte und nicht einen Gedanken daran verschwendete diesen Ballsaal zu verlassen. Ich hätte aus tausend anderen Gründen gehen können, doch nicht wegen ihm. Zum Beispiel, weil ich nicht hierher passte mit meinem weißen Kleidchen von heute Mittag und den Sandalen, während die anderen hier, ihre edelsten Gewänder und Smokings auspackten. Oder weil sich jeder zu kennen schien und keiner mich eines Blickes würdigte.
Ich hatte mein Ziel für heute erreicht und war stolz auf mich und das durfte dieser aufgeblasene Typ mir nicht nehmen. Meinen Rachen überströmte die süße Flüssigkeit.
Tatsächlich entspannte ich mich wieder. Meine Beine schaukelten langsam im Takt der Musik, die von Piano auf italienische Alltime-Klassiker gewechselt war. 'Felicità' sang ich sogar leise mit. Nach dem zweiten Glas Wein grunzte ich sogar, wenn ich beobachtete, wie manch taktlose Männer zu tanzen begannen. Herr Weber war erst Frau Mancini auf die Füße getrampelt, dann stieß seine kräftige Hüfte eine Kellnerin von ihren Füßen. Sie waren gerade dabei das Desaster aufzuräumen.
Die helle Beleuchtung wurde gegen buntes Partylicht getauscht. Es änderte gleich die ganze Atmosphäre. Die edle Kunst des Saals war nicht mehr als ein Geheimnis in der Dunkelheit.
Weiße Hemden, sowie mein Kleid leuchtete auf im blauen Schwarzlicht. Die wenigen Menschen, die ich kannte, auch wenn nur vom Hören und Sehen, verließen den Saal. Ich verstand nur nicht, wieso der Raum sich dennoch füllte. Vermutlich entschieden nun die Touristen ihren Urlaub auf Hochtouren zu bringen.
„Kann ich bitte noch einen Wein haben?", bat ich den Barkeeper, der diesmal den Kopf schüttelte. Mein rundliches Gesicht machte scheinbar den Eindruck, ich dürfte nicht mehr als zwei Gläser trinken. „Ab jetzt gibt es nur noch Bloody Marys", erklärte er gegen die Lautstärke der Musik. Was war das denn für eine blöde Reglung, schoss es mir durch den Kopf. „Von mir aus", gab ich zurück und er machte sich an eine blutrote Mischung aus verschiedenen Getränken.
Es wurde hübsch angerichtet mit einem Olivenspieß durch die Mitte des Glases und Limetten am Rand. Mir stieg gleich der frische Duft der Säure in die Nase, doch es bestellt zu haben, bereute ich gleich nach dem ersten Schluck. Der Vodka brannte sich durch meinen Rachen, während eine salzige Tomate meine Zunge benetzte.
Der Barkeeper schaute noch immer zu mir und ich wollte keinem zu nahe treten, also trank ich dieses Gesöff auf ex. Mir stiegen Tränen in die Augen und mein Kopf drehte sich, noch bevor der Alkohol wirken durfte. Genug! Ich stieg auf wackeligen Beinen vom Stuhl, bereit diese Feier zu verlassen. Die Musik nahm ohnehin Bässe an, die ich kaum noch ertrug.
Es gestaltete sich schwerer als gedacht, sich durch die schwitzenden Körper zu drängeln.
Sie bewegten sich im Einklang, vollkommen abwesend. Plötzlich spürte ich eine Hand nach meiner greifen und dann war sie weg. Die blonde Frau gegenüber lächelte mich an. Hüften drückten sich gegen meine, sie zwangen mich in den Beat. Ich wurde eingeladen, ich gehörte dazu. Wie von selbst hüpfte ich zu der elektrischen Musik. Meine Arme flogen durch die Luft, versuchten die bunten Lichtstrahlen einzufangen. Die Leute hier waren wie das Wasser auf dem wir schwammen. Sie umschlossen mich und ich schwebte mit den Wellen. Ich ließ mich fallen, ohne zu sinken.
Als ich meine Augen öffnete, sah ich, wie sie alle noch näher zusammen gerutscht waren. Ich erkannte kaum noch, wo eine Person anfing und die andere endete. Ihre Lippen klebten überall, an Hälsen, an Armen und Schultern. Alles drehte sich, bis es das nicht mehr tat. Wenn ich eben noch auf dem Wasser schwebte, dann zog mich jetzt etwas in die Tiefe. Meine Lunge füllte sich mit Wasser, umgeben von Dunkelheit.
Seine Augen hatten sich verändert und doch weckten sie in mir das Gleiche, wie vor Jahren. Angst und Schmerz in Eisen gegossen. Ein Käfig, aus dem ich niemals entfliehen konnte.
Das Bild flimmerte, mal sah ich ihn in diesem Saal, mal vor diesem Waldstück an der Autobahn. Beide Versionen erschienen in einer hochaufgelösten Schärfe. Er war es.
Und er hatte mich ebenfalls bemerkt.
Schweiß rannte mir von der Stirn, als er seine Fangzähne aus der blonden Frau zog, die mich eben noch zum Tanzen brachte. Die weißen Todesinstrumente trieften vor Blut.
Meine Welt brach zusammen. Alles, was ich glaubte, was ich meinte zu kennen, verlor an Wert.
Er starrte zurück. Die eben noch schwarze Lederhaut, färbte sich zurück in ein menschliches Weiß. So nah lagen Lüge und Wahrheit bei einander und doch trennten sie Welten. Mein Körper zitterte, wie im Winde der Antarktis, während ein Lauffeuer meine inneren Organe eroberte.
Ich wurde herum gewirbelt, unentschlossen, ob ich dankbar, oder verzweifelt darüber war. Jemand zog mich durch die Hölle, in einer Geschwindigkeit, in der ich kaum folgen konnte. Diesmal verging die Vergangenheit nicht. Meine Erinnerung gewährte mir vollen Zugriff. Diese Zähne bissen sich nicht in meine Haut, aber dafür in meine Seele. Ich war keine Polizistin unter normalen Verbrechern, nichtmal ein Mensch unter Menschen.
„Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, Nivia", tadelte mein Ritter in silbernem Anzug.
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