-𝟻𝟸-
Ich war die Hauptstraße entlang gerannt. Die Lichter wurden mehr, desto näher ich an die Stadt kam, die wie in die Berge eingelassen wirkte.
Mir war klar, dass ich den Charme von Sibenik nicht kennenlernen würde. Es galt nur, von hier zu verschwinden.
Ich brauchte etwas, dass ich benennen konnte und da war es.
Hinter dem Schaufenster eines Ladens leuchtete Licht. Als ich näher heran trat, beobachtete ich zwei Frauen dabei, wie sie fleißig räumten und wischten. Es musste sich um einen Imbiss, oder eine Bäckerei handeln.
Ich kniff meine Augen zusammen, um das Metallschild über mir an der Wand klarer zu sehen. Mit Mühe entzifferte ich die verblassten Buchstaben auf dem hellen, aber nicht extra beleuchteten Hintergrund. 'Pekara Slatkisi'.
Dann ging alles ganz schnell.
Die Zeit flog an mir vorbei und am Ende eines schwarzen Tunnels, registrierte ich nur noch Jesse.
Das Taxi, welches ich rief, der Rückflug, alles zog unbemerkt an mir vorbei.
Ich hatte Jesse angerufen, noch bevor ich ins Flugzeug gestiegen war und er hatte versprochen, mich am Flughafen in Empfang zu nehmen.
Verloren hatte ich einen Fuß vor den anderen gesetzt, während die anderen Passagiere zu ihren Koffern eilten. Mich plagte die Angst aufzusehen und etwas zu erkennen. Etwas, was mich an eine Heimat ohne Antonella darin, erinnern könnte.
Hinter den Gates stand Jesse.
Die Hände in die Hüften gestützt, musterte er die Menschenmassen. Dabei trug er seine Uniform und verunsicherte damit manch einen Tourist, oder Heimkehrer.
Einzelne blonde Strähnen klebten ihm wild auf der Stirn.
Nie wieder würde ich erleben, wie Jesse und Antonella sich gegenseitig neckten. Nie wieder würde er sie Barbie nennen.
Aber ich war auch nicht mehr alleine mit meinem Verlust.
Als er mich sah, weiteten sich seine ohnehin kugelrunden Augen noch einmal. Er prüfte die Stellen links und rechts von mir, die keine Fußabdrücke mehr hinterließen. Nein, ich hatte Anto nicht mehr dabei und ich schämte mich dafür.
Ich hatte nicht gut genug auf sie aufgepasst.
„Oh mein Gott, Shehu." Es tat so gut seine Stimme zu hören. Mein Nachname aus seinem Mund war ein Stück Tradition, ein bisschen gewohnte Sicherheit. Meine Arme hatte ich um seinen schmalen Rumpf geschlossen. Ich genoss die warmen Küsse, die er quer über meinem Kopf verteilte.
„Was hast du nur durchmachen müssen, Kleine." Jesse traf es auf den Punkt. So fühlte ich mich, klein wie eine Maus.
„Jetzt bist du wieder da. Zusammen schaffen wir das." Er flüsterte mir diesen Satz, wie ein Mantra, immer wieder ins Ohr und ganz langsam fand ich Halt in seinen Armen.
„Leontes hat sich um ihren Leichnam gekümmert. In ein paar Tagen wird uns die Nachricht ereilen, dass eine junge Frau aus Italien bei einem Hausbrand in der Schweiz tragisch um's Leben gekommen ist", beendete ich die grausame Geschichte, als wir uns draußen auf den Bürgersteig gesetzt hatten. Jesses Arm lag noch immer über meinen Schultern.
„Ich kann es irgendwie nicht glauben." Dabei schüttelte er seinen Kopf. Die Realität hatte ich auch noch nicht ganz verstanden. Es schien, wie ein nicht enden wollender Alptraum.
„Gib dir nur auf keinen Fall die Schuld. Anto wollte unbedingt mit. Für unsere verrückte Barbie war das eine Art Actionfilm."
Wer war dann schuldig?
Jesse antwortete, ohne die Frage gehört zu haben.
„Du warst alleine dort, gegen einen Haufen Blutsauger... Aber ich schwöre dir, ich werde diese rothaarige Bitch finden und sie mit meinen eigenen Fingern erwürgen."
Fiamma hatte es auf mich abgesehen. Es hätte mich treffen müssen.
Jesse ließ von mir ab und machte in der Luft vor, wie er Fiamma erledigen würde, dann wischte er sich schnell über die Augen. Sie waren gerötet. Jesse versuchte die Wut über die Trauer zu schieben, doch es gelang ihm genau so wenig, wie mir.
Ich stand auf, stellte mich neben ihn und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. So starrten wir eine Weile auf die Grünfläche vor uns.
Autos fuhren an uns vorbei, Ankömmlinge stiegen ein und begannen ihre Reise, andere hatten ihr Zuhause erreicht. Auf mich traf beides und nichts zu.
Mir fehlte etwas, oder besser gesagt jemand. Die Hölle begann, wo ich sein Gesicht nicht mehr sehen durfte und ich trotzte dagegen noch eine weitere Person in dieser Zeit zu verlieren.
Manchen Menschen bewies der Schmerz, dass sie noch lebten, mir hatte er bewiesen, dass ich ihn trotz allem noch liebte. Ich redete mir ein, schwach sein zu dürfen, nach den letzten Nächten und Tagen.
„Jesse, kannst du mich bitte zu Roel bringen?" Allein seine hellen, aber dichten Augenbrauen, die nicht weiter hätten nach unten sinken können, verrieten mir schon seine Meinung über mein Vorhaben.
„Das ist die abgefuckteste Idee, die du jemals hattest! Dir ist schon klar, dass wegen dieser Ratte, Feliz an die Informationen gekommen ist und durch ihn letzten Endes auch Leontes und seine kaltblütige Freundin?!"
Die Situation war relativ schnell eskaliert.
Jesse reckte sein Kinn, während ich meine Arme vor der Brust verschränkte.
„Es war bestimmt nicht seine Absicht gewesen, dass es so endet. Roel denkt, er tut das Richtige. Eigentlich will er niemandem weh tun. Ihm geht's nur sehr schlecht." Ihn ständig zu verteidigen, bereitete mir langsam Bauchschmerzen.
Jesse beugte seinen Oberkörper zu mir runter, dabei stützte er sich mit beiden Händen an meinen Schultern ab. Seine blauen Augen waren so hell, wie der Himmel, der von hauchdünnen Wolken benetzt wurde. „Nivia, uns geht's gerade auch mehr als beschissen. Haben wir das Bedürfnis anderen Menschen die Kehle raus zu reißen? Nein."
Dazu schüttelte er demonstrativ seinen Kopf.
„Du hattest es eben noch vor!", schrie ich zurück. Ich schüttelte seine Hände ab.
„Fiamma hat es verdient!
Aber dein Psycho-Freund saugt wehrlose Frauen aus, weil er schlechte Laune hat."
Roel war im Geiste wie ein Kleinkind, nicht fähig seine Emotionen zu kontrollieren. Doch er steckte im Körper eines Wolfes.
Mit Hass erzog man jedoch keine Kinder, man liebte sie eben dann, wenn sie es am wenigsten verdienten. Vielleicht war dies aber auch nur eine billige Ausrede dafür, dass ich ihn schlichtweg nicht gehen lassen wollte.
„Du konntest Kayden nicht vor seiner Vergangenheit retten, nur ablenken und du wirst auch Roel nicht retten können." Zum ersten Mal hörte ich Jesse schlecht über seinen besten Freund reden. Ich dachte immer,
für ihn bin ich die Böse in der Beziehung gewesen. Die Frau, die ihn von seinem besten Freund trennte. Die Frau, wegen der sie ihre Heimat verlassen mussten. Die Frau, wegen der er fortan Pasta und Pizza essen musste, obwohl er triefende Burger bevorzugte.
„Ich war nie eifersüchtig auf dich gewesen. Für mich hieß es nie, dass ich Kayden mit dir teilen müsste.
Dich Kennenzulernen war eine Bereicherung, aber Kayden hat sich in deiner Gegenwart nicht zum Besseren gewandelt, Nivia. Ich hatte Angst meinen besten Freund zu verlieren, weil er sich bei dir, wie ein Arschloch verhalten hat. Allen war es unangenehm mit anzusehen, wie er dich mit seiner Präsenz erdrückt hat, wie er dich berührt und geküsst hat, obwohl du es nicht wolltest.
In Amerika war Kayden nur der Typ mit Aggressionsproblemen, der aber versucht hat an sich zu arbeiten. Manchmal sind ein paar Gegenstände unter seinen Fäusten zerbrochen, aber keine Menschen. Vielleicht hast du seinen Drang nach Gewalt gestillt, aber er hat sich an deiner Seele ausgelassen."
Ich starrte Jesse entgeistert an.
Seine Worte trafen mich,
oder besser gesagt die Jugendliche, die unter Kayden zerbrach und plötzlich erwachsen wurde.
Vielleicht wollte ich nicht Polizistin werden, um Kriminelle zu jagen, vielleicht war es einfach nur ein weiterer Fluchtversuch vor ihm. Vielleicht wollte ich stark werden,
um mich selbst schützen zu können.
„Aber ich empfinde nicht im Ansatz das selbe für Kayden, wie ich es für Roel tue. Ich will zu ihm Jesse, ob mit, oder ohne dich."
Der blonde Mann vor mir, fuhr sich nervös durch die Haare, ehe er sie streng hinter seine Ohren klemmte. „Das Ergebnis wird das gleiche sein und das diesmal Gefühle involviert sind, macht es noch schlimmer", erklärte er in einem versöhnlicherem Ton und gab sich damit auch geschlagen.
Er ging vor, ich folgte ihm. Jesse war mit einem Dienstfahrzeug hergekommen. Wie in früheren Zeiten, schmiss ich mich neben ihn auf den Beifahrersitz, nur das er eine Uniform trug und ich nicht.
Irgendwann, nach einer stillen Fahrt, hielt er vor dem riesigen Tor, welches uns von dem Gelände der Pharmaindustrie trennte.
Der Pförtner musterte uns bereits neugierig.
„Ja alter Mann, bald nehmen wir diesen Laden auseinander", sprach mein Begleiter mehr zu sich, als zu mir, oder dem älteren Herren hinter der Glasscheibe, der ganz unschuldig in seinen Apfel biss.
„Ich gehe alleine rein", stellte ich klar.
„Und du bleibst zu erreichen und wenn du nach zwei Stunden nicht wieder draußen bist, dann schlage ich hier Alarm!", machte Jesse auch seinen Standpunkt klar. Ich nickte. Hauptsache ich konnte endlich rein.
Kaum war ich ausgestiegen, eilte ich zu dem Mann, in dessen dichtem Schnurrbart noch Stückchen vom Obst hingen. Lecker.
„Ich bin Nivia Shehu und ich möchte Roel..." Ich schaffte es nicht, meinen Satz zu beenden, da klingelte ein Telefon. Der Herr, der bald in Rente gehen dürfte, nahm ganz ungeniert den Hörer ab und ließ mich damit warten.
„In Ordnung", brummte er nach kurzer Zeit in die Leitung. Ein Mann der großen Worte, schien er nicht zu sein.
„Geh rein, du wirst erwartet", forderte er mich nach einem Knopfdruck auf.
Das Tor rollte über den Asphalt zur Seite. Mir fiel ein, das Roel die Videokameras überwachte. Er musste mich gesehen haben und wenn ich ganz großes Pech hatte, dann irrte ich mich gerade und Feliz selbst, würde mich gleich empfangen.
Ich rannte den Weg entlang, den Roel mir einst gezeigt hatte. Durch das kleine Verwaltungsgebäude und durch eine der Industriehallen.
Meine Lungen kamen mit ihrer Tätigkeit kaum noch hinterher,
so schnell war ich gerannt und die Treppen hinauf gestiegen.
Es stank wieder nach säurehaltigen Chemikalien. Ich erinnerte mich daran, wie Roel sich über die alten Lüftungsanlagen beschwerte.
Sie pumpten die Luft von außen gut rein, aber bekamen die verbrauchte kaum raus. Deswegen stank es hier auch noch zusätzlich nach dem Qualm von draußen. Es konnte auch am Filter liegen, ich war ja kein Fachmann.
Am oberen Absatz der Treppe angekommen, stand ich genau vor dem Gang, wo ich damals die beiden Wachleute angegriffen hatte. Den Raum dahinter hatte ich in Brand gesteckt und damit viele Vampire von ihrem Leid erlöst. Die Spuren hatte Feliz alle beseitigt. Da er die Sicherheitstür nicht mehr bewachen ließ, hegte ich die Hoffnung, dass auch seine schrecklichen Versuche ein Ende gefunden hatten.
Den Gedanken an die grausamen Bilder schüttelte ich wieder ab und begab mich auf die geschlossene Brücke, die zu dem moderneren Komplex führte.
Ich war bei der Hälfte angekommen, da sah ich ihn. Er rannte mir entgegen und ich ihm, wie von selbst. Ich konnte nichts daran ändern.
Roel sprengte die Ketten, die mich hielten. Als wir uns begegneten, schloss ich meine Arme um ihn, meine Beine wickelten sich um seine Hüften. Ich hätte ihn umreißen müssen, doch er stand sicher, wie ein tief verwurzelter Baum und drückte meinen Körper an seinen.
Sein unvergleichlicher Duft stieg mir in die Nase, süß wie eine Mischung aus Honig und Vanille, sowie würzig und frisch.
Auch er steckte seine Nase tief zwischen meine Haarsträhnen. „Dashuri", flüsterte er in mein Ohr und für Sekunden vergaß ich, was zwischen uns vorgefallen war.
Ich hatte gedacht, ich würde ihn nie wieder sehen.
Weil er Mist gebaut hatte!
Weil er immer zerstörte, was wir uns mühsam erbauten!
Ich sprang auf meine Beine und schlug gegen seine harte Brust.
„Du hast alles ruiniert und mein Leben noch dazu!"
- "Ist alles scheiß egal, solange du noch lebst", antwortete er nur.
Voller Sehnsucht presste er seine Lippen gegen meine.
Aus meinen Beinen schwand sämtliche Muskelmasse. Er hatte irgendwie Recht. Die Welt mit ihren Problemen sollte sich auch weiterhin abseits von uns drehen. So fühlte sich dieser verdammte Kuss an. Ich vergaß, ich schwebte.
„Das ist deine letzte Chance.
Lass diese Industrie hinter dir.
Lass Feliz hinter dir. Wir gehen hier weg, nur wir zwei und machen unser Ding. Wir vergessen, was wir hier erlebt haben."
Meine Atmung ging schnell, mein Herz raste. Ich suchte in seinen dunklen müden Augen nach Widerstand, doch stattdessen rieben sich unsere Nasenspitzen aneinander als er einfach nickte.
„Für dich würde ich alles tun", versprach er mir, als er bemerkte, wie sich meine Lider vor Verwunderung weiteten.
„Du bist das letzte Stück Seele, was von mir übrig geblieben ist", sprach er weiter. Seine Finger glitten durch meine offenen Haare, als er nachdenklich ins Leere starrte.
Ich zuckte zusammen, als er seine Hand plötzlich entfernte.
„Hast du den uralten Mann gefunden?" Ich nickte. Noch ehe sein Gemüt sich komplett erhellte, ergänzte ich die Fakten.
„Und Antonella verloren."
Sein anfängliches Lächeln war im Keim erstickt. „Sie ist tot?"
Roel blinzelte mehrmals.
Das Bild, welches sich ihm bot, würde sich jedoch nicht verändern. Langsam realisierte ich es ja selbst.
„War das dieser unendliche Mensch? Feliz hat mir versprochen, dass wir uns da nicht einmischen werden.
Er sagte, du würdest unversehrt und in Ruhe an das Fos-Zeug kommen. Wir würden dich erst konfrontieren, wenn du den Weltenmensch schon hast. Natürlich nur durch gutes Zusprechen." Natürlich.
Das glaubte er doch nicht wirklich.
„Nein. Jannis ist ein netter Arzt mit unendlich vielen Kindern. Er schafft Leben und rettet es. Niemals würde er jemand anderen verletzen, oder töten.
Dein Feliz tickt da anders...
Leontes war da und mit ihm seine Freundin. Sie hat..."
Meine Stimme brach und ich schimpfte mich erneut als zu schwach.
„Sie hat ihr das Herz heraus gerissen", beendete er das, was ich nicht schaffte, weil mein Kinn begann zu vibrieren und der Kloß in meinem Hals, meine Stimmbänder blockierte.
Er wirkte für Minuten wieder in seinen Gedanken verloren.
„Es ist seltsam. Wir wissen, wer Leontes Kontaktmann hier ist und wir lassen ihn bewusst Dinge wissen, damit er zu Leontes rennt. Feliz hat mir versprochen, dass keiner davon erfährt. Wieso hat er es Nijas erzählt?"
Ich schüttelte meinen Kopf. Roel war doch sonst so schlau und listig.
Meine Hände wischten über mein nasses Gesicht. Es war einfach nur noch eine Qual!
„Versteh es endlich! Feliz ist kein guter Mensch! Er ist nicht unser Freund. Seine Hoffnung war, dass Leontes und ich uns im Streit um das Fos Infinitum gegenseitig umbringen. Dann wäre er zwei Gegner losgeworden und hätte eventuell noch das Schlachtfeld mit dem Mittel verlassen können. Wann geht das endlich in deinen Schädel?!"
Mein Zeigefinger tippte gegen seine Stirn, in der Hoffnung, ich könnte ein paar Zellen aktivieren.
„Sieh an, sieh an, wer sich mir da auf dem Silbertablett anbietet.
Signorina Shehu, es ist mir eine Freude dich erneut in meinem Haus begrüßen zu dürfen."
Wenn man vom Teufel sprach...
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