-𝟺𝟿-
Als Antonella vor ein paar Wochen in einen Vampir verwandelt wurde, da hatte es sich gelohnt zu fragen, was passiert war und was man machen könnte. Sie war zwar klinisch tot, doch ich spürte ihre Anwesenheit. Nur ihr Körper hatte geschlummert, weil er sich verändern musste.
Diesmal ersparte ich mir die Fragen. Da war nichts mehr. Ganz so, als könne der nächste Windzug ihre Gestalt, wie Asche ins nirgendwo wehen. Und ich konnte nichts dagegen tun.
Meine Knie landeten neben ihrem Leichnam auf dem Boden. Ich spürte das Herz, welches ich sorgsam in beide Hände nahm nicht. Meine Sinne waren betäubt.
So durfte es nicht sein!
Sie hätte niemals auf so eine undankbare Weise sterben dürfen. Wenn Anto irgendwann gestorben wäre, dann hätte sie einen pinken Sarg bekommen. Anstelle von Blut, würde ein enganliegendes, schwarzes Kleid ihre Haut zieren. Und ich hätte ihr letztes Bett mit Lilien besetzt, weil sie ihren Duft so liebte. Doch anstatt der Blumen, drapierte ich nun ihr Herz wieder sorgfältig in ihrer Brust.
Es stellte mich nicht zufrieden. Überhaupt nicht. Ich sah ihr Blut auf ihrer Brust und das der anderen,
in welchem sie förmig badete.
Sie hatte sowas nicht verdient.
Meine Hand bedeckte das Loch, als könne ich es ungeschehen machen, wenn ich es nur nicht sehen müsste. Ihre Haare nahmen einen Graustich an. Ihr Leben verwelkte vor meinen Augen.
Von hinten schwebte etwas über mich. Dunkler Stoff, durchzogen von grauen Fäden legte sich über Antos Wunden. Leontes opferte sein Jackett. Grau war die Farbe des Todes, aber wenigstens nicht die des Mordes.
So zugedeckt wirkte meine Freundin friedlicher. Ich schnappte nach Luft, verfiel der Atemnot, als ich mich auf ihre Brust legte. Von unten herab betrachtete ich ihre langen Wimpern und streichelte über die weißen Wangen, die sonst so rosig strahlten. Sie war bei mir gewesen, bis zu ihrem letzten Atemzug und ich wünschte, es wäre andersrum gewesen.
Ich streichelte durch ihre seidigen Strähnen, die sie sich immer nach hinten warf, wenn sie sich selbst lobte, oder wenn sie vorgab eingebildet zu sein. Dabei war sie so bodenständig und einfach nur humorvoll, manchmal auch ein wenig unsicher. Doch das alles machte sie so liebenswert und so einzigartig.
So, dass ich die Hoffnung direkt aufgab, jemanden zu treffen, der nur annähernd das in mir auslösen konnte, was sie in mir auslöste.
Ein Gefühl von Zuhause, Kindheit und Vertrauen. Mit einem Schlag hatte ich alles verloren.
„Nivia... Ich werde nicht sagen, dass es mir leid tut. Das würde nichts wieder gut machen."
Ich hörte Leontes irgendwo hinter mir reden, so schwach, als hätte er selbst einen Krieg verloren. Allerdings schaffte ich nicht, darauf zu reagieren. Die Trauer legte sich über mich, wie eine viel zu schwere Decke. Der Körperkontakt zu Anto war das einzige, was mich bei Verstand hielt.
Ich malte mir nicht aus, was in den nächsten Minuten, oder Stunden passieren würde. Am liebsten hätte ich auf Ewigkeit so verweilt, damit ich niemals Abschied nehmen musste.
„Aber ich kann auch nicht alle Schuld von mir weisen. Die Situation ist außer Kontrolle geraten. Du musst mir glauben, dass ich nie etwas Böses im Sinn hatte. Ich wollte immer nur ein Leben retten."
Ich verfluchte ihn innerlich für seine Worte, die mir schwere Tränen entlockten. Er störte mich dabei, die Geschichte aus meinem Gedächtnis zu radieren. Meine Finger krallten sich in sein Jackett, doch ich fiel unendlich in die Tiefe, ohne Halt zu finden.
„Nivia... Wo ist der Arzt?... Roel und Feliz hatten dir die halbe Wahrheit gezeigt. Ich habe für ihn gearbeitet. Ja, ich habe das Fos Infinitum und danach den Weltenwandler für ihn gesucht. Feliz denkt, er hätte einen Weg gefunden, das Fos Infinitum aus dem Blut des Arztes zu filtern. Es sind nur noch zwei Tage bis zur Sonnenwende. Meine Nichte hat nur noch zwei Tage, um das Fos Infinitum zu bekommen, sonst waren all die Jahre voller Qualen umsonst. Nivia bitte hilf mir! Ich flehe dich an."
Leontes sah, was es anrichtete und doch war dieses Elixier noch immer sein einziges Ziel.
Antonella hatte sich so gefreut, als wir es gefunden hatten. In ihren himmelblauen Augen glänzten Tränen. Jedoch bestimmt nicht wegen der Flüssigkeit in diesem Fläschchen. Sie hatte sich für mich gefreut, weil ich endlich meinen Kindheitstraum erfüllen konnte. Endlich war mir etwas weltbewegendes gelungen und sie hatte sich für mich mehr gefreut, als ich mich selbst.
Sie war bei jedem Aufstieg und jedem Fall an meiner Seite.
Mein Oberkörper schoss unkontrolliert hinauf.
„Es ist nicht nur deine scheiß Geschichte, die wichtig ist. Es ist nicht nur das Leben deiner Nichte, welches wichtig ist. Schau dir das an. Sie ist tot, ich bin tot."
Leontes saß an die Wand gelehnt, die Knie angewinkelt, die Arme lagen kraftlos darauf. Seine Anmut war im Erdboden verschwunden, er leider nicht. Seine Augen bettelten, wie die eines hungrigen Hundes. Noch nie sah ich ihn so erbärmlich.
Da lagen Leichen, Körper ohne Herzen und eine Frau ohne Seele. Er sah die Trümmer von einstigem Glück und dachte dabei immer noch nur an sich. Ich lachte, weil ich nichts mehr zu verlieren hatte.
„Hier. Nimm das und flöße es dem Menschen ein, den du am meisten liebst. Vielleicht erstickst du den Krebs, aber das ist der Tod von allem, was menschlich sein bedeutet. Liebe bedeutet manchmal Abschied zu nehmen, weißt du? Und jetzt, lass mich meinen nehmen."
Alles war vorbei. Tränen lösten sich, als ich in die Tasche meiner Jeans griff. Ich rollte ihm das Fläschchen hinüber, bis es seine feine Schuhspitze aus Leder berührte.
Seine Finger griffen nach dem kalten Glas, so wie ich mich wieder auf meine Anto stürzte.
Ich hatte meine Augen vor einiger Zeit geschlossen, ausgeblendet, was um mich herum geschah. Antonella bewegte sich.
Das konnte doch nicht sein.
Meine Lider öffneten sich im Bruchteil einer Sekunde.
Eine silberne Mähne erschien vor mir. Leontes schob seine Arme unter Antonella und hob sie hoch.
Ich klammerte mich verzweifelt an sein Jackett, welches sie noch immer bedeckte.
„Was soll das Leontes? Lass sie gefälligst bei mir!", fauchte ich fast schon.
„Du sagtest, du willst Abschied nehmen. Nicht dort drinnen. Ich bin ihr und dir einen gebührenden Abschied schuldig."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top