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In mir verankerte sich die Taubheit. Meine Schritte liefen parallel zu Roels. Der Kopf meiner Freundin schaukelte über seinem Rücken hin und her, fast schon hypnotisierend. Theoretisch war sie tot und praktisch?
Ich hatte meine Freundin verloren, auch wenn sie noch existierte, in einer anderen Version, die ich noch nicht kannte. Aber meine alte beste Freundin hatte ich verloren.

Wegen mir geriet sie in Feliz Visier. Weil er mich sehen wollte. Weil ich eine unschuldige Blume gezeichnet hatte.

Roel öffnete mir die Beifahrertür, ehe er Anto in den Kofferraum stopfte, wie andere ihren Einkauf verstauten. Dann saß er neben mir. Er atmete tief ein und geräuschvoll wieder aus, ehe er den Motor startete.

„Wir können sie nicht nach Hause bringen. In den ersten Tagen wird sie alles angreifen, was sich ihr in den Weg stellt. Hast du eine Idee, wo wir sie abliefern können?" Ich dachte nach. Praktisch zu denken, war doch das einzige, was mir lag und ich musste auch nicht lange nach einer Lösung suchen.
„Bring sie auf unser Revier. Wir haben eine freie Zelle."
Ich funktionierte, mehr nicht.

Meine müden Augen folgten dem Straßenverlauf, der vierspurigen Autobahn. Die anderen Autos blendete ich aus. Ich zählte die weißen Abschnitte der Straßenmarkierungen. In mir herrschte Leere, ein großes Nichts, aus dem ich nicht herausfand, oder herausfinden wollte.
„Es ist nicht deine Schuld", erklang es von der Seite. Wessen dann? War es nicht ich, die Feliz provoziert hatte, das Leben anderer Vampire über das meiner Freundin gestellt hatte?
„Ein Herzschlag macht kein Leben aus, sondern die Seele und die besitzt deine Freundin noch. Ich habe auch eine, auch wenn man es mir manchmal nicht ansieht. Du hast gestern vielen die Freiheit geschenkt." Dadurch tat es trotzdem nicht weniger weh.

Viel zu schnell, neigte sich die Fahrt ihrem Ende zu. Wir fuhren zwischen den dicht besiedelten Gebäuden aus Backsteinen hindurch, mitten durch die Innenstadt von Cesena. Meine Heimat, die sich gar nicht mehr so bekannt anfühlte. Kaum zu glauben, dass ich hier eine fast unbeschwerte Kindheit genießen durfte. Es kam mir so vor, als wäre es schon hunderte von Jahren her.

Das Revier in seiner senfgelben Fassade baute sich bedrohlich vor uns auf. Ich empfand keine Euphorie mehr bei diesem Anblick, ja nicht mal einen Funken Freude. Dieser Ort passte immer weniger zu mir, doch war ich, ohne meinen sehnlichsten Wunsch? Wenn ich meiner Bestimmung nicht mehr nachgehen konnte, wohin sollte mein Ziel mich dann führen? Wo war der Sinn?

„Nivia, es ist nicht deine Schuld!", zerschnitt Roels strenge Tonart die Stille. Ich zuckte zusammen, als sich unsere Augen das erste mal wieder trafen. In seiner Dunkelheit schlummerte solch eine Schönheit. Das spürte ich. Er hob seine Hand. Seine Finger wanderten sanft von meiner Stirn, bis zu meinen Schläfen. „Deine Augen sind leerer, als die jedes Vampires", wisperte er vor sich hin.
Ich wandte mich beschämt ab.
Mein Inneres schien sich nach außen durchzukämpfen.

Neben der Leere, kehrte als erstes greifbares Gefühl die Angst zurück.
Ich hatte versagt und würde nun mein erstes Opfer mitbringen, einen unschuldigen Menschen, den ich nicht beschützen konnte.
Roel stieg aus und öffnete zunächst mir die Tür, bevor er Antonella wieder auf seine Schulter packte.
Es ging um sie und darauf versuchte ich mich zu konzentrieren.
Mein Blick wich in keiner Sekunde von dem bewusstlosen Blondschopf. Wir gingen hinein, ignorierten die schockierten Ausrufe, oder deren Gesichter.

Gemeinsam bogen wir um die Ecke, hinunter Richtung Trainingsraum und Untersuchungshaft.
„Nivia, was ist hier los? Was ist mit Antonella passiert?" Jesse.
„Was hat dieser Typ hier zu suchen?" Kayden.
Sie gehörten nicht zu meiner Blase, die ich mit Mühe aufrecht erhielt.
Ich nahm meine Schlüssel zur Hand und schloss die Zelle auf. Schon durch das kleine Fenster, erhaschte ich einen Eindruck, was Anto von nun erwarten würde. Hinter der Tür wurde es noch düsterer. Nur das künstliche, weiße Licht erleuchtete den Raum. Auf dem Bettgestell lag keine Matratze. Es gab nur eine eiserne Toilettenschüssel und ein Waschbecken. Auch wenn die selbe Temperatur herrschte, fröstelte ich in diesen von aller Liebe verlassenen vier Wänden. Und hier musste ich die Frau zurücklassen, wegen der ich so viel lachte und Freude empfand.

Roel legte sie vorsichtig auf der harten Liege ab. Mein Herz begann wieder zu schlagen, als sie so friedlich dort lag, ganz so, als müsste sie sich einfach nur ausschlafen, um wieder die Alte zu werden.
Das Stimmengewirr blendete ich vollends aus. Ich kniete mich vor ihren Kopf, als ihr meine erste Träne über die Wange tropfte. Meine Finger streichelten ihr die wirren Haare hinters Ohr und ich küsste ihre warme Stirn. Sie duftete noch immer, wie meine Anto.

„Nivia, du musst gehen. Sie wacht bald auf. Lass ihr die Zeit, die sie jetzt braucht und lass dir die Zeit."
Eine große Hand legte sich um meine Schulter. Ich erkannte Roel an seinen Tätowierungen. Meine zittrigen Finger, tasteten nach seinen und er half mir hoch. Er führte mich aus der Zelle, die ich wieder abschloss, beinahe ohne mein Blick von ihm zu lösen.
Er war doch nicht der Roel, der mich im Wald verletzte. Ein Mann, der mir an den Haaren zog, mich biss und zum Sterben zurückließ.
Der, der mich zu Feliz brachte...
Wieso war er so und so, kaum einschätzbar, fast schlimmer als Leontes?
Wieso suchte ich bei jedem unserer Treffen nach dem Bösen in seinen Augen und fand es nie?

„Du siehst mehr in den Vampiren. Bleib unser Licht." Ich hörte nur,
was Roel mir sagte. So als hätte ich Kopfhörer auf und die Lautstärke voll aufgedreht. Die anderen verstummten.
„Wenn du Blutbeutel brauchst, oder was anderes, dann melde dich.
Meine Nummer hast du", betonte er noch einmal, als sich ein Fremdkörper zwischen uns schob.

„Wenn du nochmal hier aufkreuzt, dann kommst du hier nicht mehr lebend raus. Verlorene haben keinen Zutritt in öffentliche Gebäude!"
Wie absurd und schrecklich.
Mir wurde klar, wieso Roel und wahrscheinlich viele andere Vampire nichts von der 066 und den Menschen hielten. Diese Regeln waren mehr als nur ungerecht. Kayden schubste den Vampir zurück, als sei er Dreck vor seinen Füßen.

Roel wehrte sich nicht. Stattdessen starrte er mich weiter an, ganz so, wie ich ihn zuvor, auf dem Industriegelände. Seine Blicke schrien, genauso wie meine, doch wie sollten wir zur Vernunft kommen,
in einer Welt, bei der scheinbar alle von ihren Sinnen verlassen wurden. Ich gehörte weder richtig zur Polizei, noch zur 066, doch er würde jetzt wieder zu Feliz zurückkehren.
Wir gehörten beide nicht dorthin,
wo wir uns befanden. Für ihn, kämpfte ich auf der falschen Seite. Für mich, tat er selbiges.

Der Vampir wandte uns den Rücken zu. Sie hatten ihn rausgeschmissen, obwohl er geholfen hatte.
Jeder Schritt, mit dem er sich entfernte, fühlte sich an, wie ein Fehler. Erst als ich ihn nicht mehr sah, machte ich mir ein Bild von den anderen. Jesse und Kayden standen um mich herum, schüttelten ihre rot angelaufenen Köpfe.
„Ich erkenne keinen von euch wieder. Sollte es hier nicht um Gerechtigkeit gehen? Wieso wart ihr so scheiße zu ihm? Wegen diesen Regeln? Er hat mir geholfen! Roel hat Anto geholfen!"

Kayden fuhr sich über die Nasenwurzel, während Jesse nach der Besagten schaute, indessen ein "Da sieht man ja, wo diese Hilfe hinführt", seinen Lippen entfuhr.
Kayden umgriff plötzlich meine Arme mit seinen Händen. „Nivia, es ist kein Monat her, da hat er dich gebissen, einfach so. Du wärst fast gestorben. Deswegen dürfen sie nicht in die Öffentlichkeit. Sie gefährden die Sicherheit. Als Polizistin müsstest du das doch verstehen!"
Roel versuchte nur das Richtige zu tun. In seinen Augen waren wir der Feind. Wir unterstützten immerhin die Machenschaften von Feliz, wenn dieses Monster tatsächlich die Wahrheit sprach.
Alle warnten mich vor Signor Zovko, doch wenn es um dieses Lebenselixier ging, dann unterstützten sie seine Pläne und Wege.

Hinter uns knallte es gewaltig.
Jesse stolperte von der verschlossenen Tür weg. Mein Blut sackte mir in die Füße, bei dem, was sich vor mir abspielte. Antos Augen färbten sich in eine unendliche Dunkelheit. Sie schlug ihre Fäuste an der kleinen Glasscheibe blutig.
„Es ist alles deine Schuld!", schrie sie mir entgegen. Ich erkannte ihre Stimme nicht. Sie klang so verzerrt, wie die eines Dämons. „Was hast du mir angetan?" Mir klappte der Mund auf, doch ich schaffte es nicht mal einen Atemzug zu nehmen, geschweige denn etwas zu antworten.

„Fuck, Shehu... Sag uns endlich, was passiert ist. Ich glaube, ich drehe gleich durch..." Jesse schaffte es nur mit Mühe seine Augen von Anto zu lösen, doch er kam nicht über das hinweg, was er zu sehen bekam, auch nicht, als er mich mit seinen kugelrunden Augäpfeln löcherte.

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