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Roel hatte mich bis vor mein Zimmer begleitet. Ich stand neben der Spur. Das Blut, welches ich sah, die Schmerzen, die ich fühlte, das Leid der anderen, es reichte an Eindrücken für ein ganzes Jahr. Wenn ich es noch schaffen würde, Anto zu befreien, müsste ich mich gleich in die Rente verabschieden dürfen. Mein Blick driftete ständig zur Uhr ab. Um acht Uhr morgens sollte das Treffen mit Feliz stattfinden. In jeder Sekunde bestand die Möglichkeit, dass er von dem Vorfall erfuhr. Zwar hatte Roel im Nachhinein noch die Körper der Wachmänner in den Flammen verschwinden lassen, doch das änderte nichts daran, dass die Feuerwehr kurze Zeit später auftauchte. Wahrscheinlich wusste Feliz bereits, dass ich dafür verantwortlich war, so gut, wie das Gelände überwacht wurde. Und was stellte er in den darauf folgenden Minuten mit Anto an, um sich an mir zu rächen?

Mein Kopf fuhr Achterbahn. Ich fand keine Ruhe. Manchmal setzte ich mich auf das Bett, drückte mir kurz den Teddy an die Brust und sprang dann wieder auf. Meine Dämonen jagten mich quer durch das Zimmer. Um mich abzulenken, schminkte ich mich ab und zog mir einen bequemen Jogginganzug über. 

Gegen fünf Uhr morgens reichte es mir. Ich legte keinen Wert auf Feliz Terminplan und begab mich in den Wartebereich vor seinem Büro. Zu meiner Erleichterung, drang weder unter der Tür zu Herrn Zovko, noch von der offenen Rezeption Licht in den Flur. Ich setzte mich auf einen der bequemen Sessel im dunkelgrünen Überzug aus Samt. 

Roel benahm sich für sein gewöhnliches Verhalten seltsam leise. Nachdem er Leontes in den Müll warf, sprach er kaum noch ein Wort. Kurz bevor er gegangen war, verabschiedete er sich nur mit den Worten, dass er es regeln würde. Ich konnte nur hoffen, dass er einen ähnlichen Einfluss auf seinen Chef hatte, wie dieser auf ihn.
Mir schossen die Bilder unseres Beinahe-Kusses in den Kopf. Sie ließen sich nicht aus meinem Gedächtnis radieren. Komischerweise blieb dieses Kribbeln aus. Es existierte nur das Verlangen nach seiner Nähe. In diesem kurzen Moment, den wir teilten, vergaß ich meine Probleme. Er war mir so verbunden, dass er zu einem Teil von mir wurde. Einem Teil, welches ich suchte, welches mich kurz glücklich machte. 

In meiner Erinnerung sah ich ihm noch immer in die vom Nachthimmel geküssten Augen. Die Realität drückte meine Lider nieder. Ich schlief tatsächlich auf diesem bequemen Stuhl ein. 

„Guten Morgen, kleine Hexe", weckte mich eine ruhige Stimme, doch Feliz bösartiges Grinsen, wirkte wie ein Eimer eiskaltes Wasser. Ich sprang regelrecht auf die Beine, als er einen Schritt von mir zurück wich.
„Du kannst mir gleich ins Büro folgen." Er drehte sich um und lief vor. Noch nicht ganz im Geschehen angekommen, schaute ich mich um. Der Mann war alleine.
Signora Esposito nippte an einem heißen Getränk, während sie mich über den Tassenrand hinweg, argwöhnisch beobachtete. 

Zögerlich folgte ich dem Mann, der heute nur ein weinrotes Hemd, ohne Jackett darüber, trug. Die Sonne flutete das Büro durch die bodentiefe Fensterfront. Sie schien so hell, dass die Industrie im Hintergrund im Gold verblasste. „Wenn die Tage so beginnen, weiß ich, dass der Tag von Erfolg gekrönt sein wird", sprach er, meinem Blick nach draußen folgend. Einst schenkte schönes Wetter auch mir Zuversicht, doch in mir herrschten auch weiter die Schatten.

„Dürfen meine Freundin und ich nun gehen?", sprang ich gleich zu dem Thema, das mir keine Ruhe ließ. „Natürlich. Ich halte mein Wort", wiederholte er Roels Aussage, nur dass ich sie ihm nicht abkaufte.
„Setz dich aber erstmal." Feliz zeigte auf den Stuhl gegenüber, während er auf seinem Platz nahm. 

Ich krallte mich in die Armlehnen, als seine braunen Augen nach meiner Seele suchten. 
„Inka Huaman besaß für das 18. Jahrhundert ein recht unübliches Wissen. Er sprach Aymara, Angelsächsisch und lernte noch Altdeutsch, aber viel wichtiger war seine Vorliebe für die Wissenschaft. Weil man sich seine Taten nicht erklären konnte, sagte man, er praktizierte schwarze Magie. Mit seinen Anhängern forschte er schon damals an einem Mittel. Es sollte die Zellen der Menschen so verändern, dass sie sich an jegliche Krankheiten anpassen könnten. Selbst das Altern dürfte ihnen nichts mehr ausmachen.
Seine Magier konnten natürlich nicht zaubern, das kann keiner. Aber sie sahen in die Zukunft, spürten Dinge, die sonst keiner spürte. Doch ihre Vorhersagen waren ungenau. Sie übten an Leichen und irgendwann schufen sie den ersten Vampir. In ihren Augen erschufen sie damit eine Krankheit, die über die Welt herfallen würde. Aus Schreck löste sich die Gruppierung rund um Inka Huaman auf. Er alleine, reiste mit seinen Unterlagen nach Europa. Unter seinen Notizen war ein einziges Bild." Wie gebannt, hing ich an seinen Lippen, bis er eine Mappe aus seiner Schublade kramte. 
Ich hielt den Atem an, als er sie öffnete. 

Die selben Stacheln zierten den Stängel, bis hin zu den Blättern. Doch es war nicht meine Zeichnung. Ich hatte Löcher in das Papier geritzt und jenes, welches vor mir lag, sah steinalt aus. Es wirkte, wie aus Holz. Die Enden der Fasern waren gerissen und durchlöchert. Lediglich die Folie, in die es eingeschweißt wurde, hielt die Fetzen noch zusammen.

„Meine Theorie ist, dass Inka Huaman sich von einem Vampir hat beißen lassen, um genug Zeit zu erhalten, seine Vision zu verwirklichen. Er ging in die Schweiz, verbündete sich mit einem Einheimischen, fand diese Blume, gab sein Blut und kreierte die Unendlichkeit.
Signora Lefebre hat den Abschiedsbrief des ersten Weltenwandlers und dich. Du bist von viel größerem Wert. Leontes hat mir deine Zeichnung gezeigt. Ich werde dir nichts antun, aber will dich bei mir wissen, Nivia. Ich werde zum Inka Huaman unserer Zeit und du wirst meine Magie." Mir entfloh ein Lacher. Niemals würde ich ihm helfen. Wieso wollte er zukünftig Menschen zur Unendlichkeit verhelfen, wenn er ihr Leben in der Gegenwart vorzeitig beendete? Er schätzte kein Lebewesen wert, dann brauchte er sich auch nicht mehr zu erhoffen. Vor allem nicht von mir. 

„Ich weiß, was du getan hast Nivia und es wird Konsequenzen geben.
Du musst wissen, dass du mich nicht als Feind haben möchtest."
Meine Sorge galt sofort Antonella.
„Ist in Ordnung, aber bringen Sie mir bitte meine Freundin zurück!", bat ich ihn. Auch wenn ich ihn niemals unterstützen würde, so hätte ich in diesem Moment alles gesagt, um sie wieder zu sehen. 

Der Mann vor mir, rieb sich nachdenklich über sein glatt rasiertes Kinn. „Ich war gestern aufgewühlt und wütend. Es war eine Kurzschlussreaktion", versuchte ich den Angriff auf seine Machenschaften zu rechtfertigen. „Du verachtest, was ich tue, aber in Wirklichkeit, verstehst du es nur nicht. Ist dir bewusst, dass Signora Lefebre, oder allgemein, das gesamte Rechtssystem darüber informiert ist, was in meinen Produktionshallen stattfindet? Die Menschheit ist schon immer über Leichen für die Forschung gegangen." Der Sauerstoff hing mir irgendwo in den Lungenflügel fest. Meine Atmung stockte. Ich wehrte mich dagegen, es zu glauben, doch es war zu spät. Yvette selbst hatte den Samen des Misstrauen gesät, Feliz Zovko bewässerte ihn nur.

Seine Pupillen zuckten, als Lärm aus dem Wartebereich erklang. Mir drangen schnelle Schritte ins Gehör, nachdem etwas aus Glas, oder Porzellan zu Boden ging. Ich widmete mich der Tür, die im selben Augenblick gegen die Wand knallte. „Die Zeit ist um. Ich soll sie doch nach Hause fahren." Roels Blick lag auf mir. „Mein liebster Sohn, habe ich dir nicht beigebracht, zu klopfen", wies er ihn auf sein Verhalten hin, doch die Pupillen seines Schützlings hüpften über meinen Körper.
„Ebenso, wie 'fünf Minuten vor der Zeit, ist die rechte Pünktlichkeit."

Ich drehte mich wieder zu Feliz, gespannt darauf, wie er mit der frechen Art umging. 
Der Chef der zwielichtigen Pharmaindustrie schaute zwischen uns hin und her.
„Roel, du weißt, was sie getan hat? Natürlich weißt du es. Du warst ja dabei." Er lächelte ihn dabei an, doch alles andere als freundlich.
„Genau genommen, war ich nicht dabei. Ich habe sie auf die Idee gebracht. Ohne diese Hand, wäre sie doch gar nicht reingekommen."
Ich wandte mich wieder an Roel,
der Feliz mit der besagten Hand zuwinkte.
Er war nicht vorlaut. Er war mutig. Für mich. Nach allem, was er auch gesehen hatte, wagte er sich für mich ins Feuer. 
Von Kayden hieß es immer, ich müsse die Verantwortung für meine eigenen Fehler übernehmen, wenn auf dem Revier mal was schief lief.
Auch Ardian freute sich, mit dem Finger auf mich zeigen zu dürfen. Was Roel eben für mich tat, hatte noch nie jemand für mich getan.

„Na dann, kümmert ihr euch zusammen um das Problem."
Ehe ich begriff, was Feliz meinte, betrat meine Freundin, links und rechts gehalten von zwei großen Männern, das Büro. Sie trug noch das weiße Poloshirt mit dem Logo ihrer Arbeitsstätte auf der Brust. Das blau eingestickte Auge war überlaufen von Blut. Ich stützte mich am Stuhl auf, bereit sie in die Arme zu nehmen.
Ihre blonden Haare hingen ihr, wie ein geschlossener Vorhang vor dem Gesicht. Was hatte er ihr angetan? Kraftlos hing ihr Oberkörper in den Armen der Männer.

„Anto?", flüsterte ich aus Angst, sie hätten sie bereits ermordet.
„Du willst sie retten, diese unschuldigen Wesen, nicht wahr? Dann lass mich dich vom Gegenteil überzeugen", redete Feliz hinter meinem Rücken. Die Männer sahen ihn an, bevor sie von meiner Freundin abließen. Sie fiel einfach auf ihre Knie. „Ab dem Moment, in dem ihr Herz das erste Mal aufhört zu schlagen, sind sie mehr Tier als Mensch. Ein Hund kann noch so liebenswert und treu sein, in ihm werden immer die Instinkte eines Wolfes schlummern."

Er faselte nur vor sich hin, wie er es schon die ganze Zeit tat. Diese schlauen Sprüche bedeuteten nichts!
Meine Beine trugen mich zu meiner Freundin. Ich wollte sie nehmen und mit ihr diese verdammte Hölle verlassen. Einfach, nie wieder zurückschauen, nahm ich mir vor.
Doch Roel baute sich vor mir auf, wie eine undurchdringliche Mauer.
An seinem schwarzen Kapuzenpullover gab es kein vorbei kommen.

„Was soll der Scheiß? Du hast es versprochen!", schimpfte er seinen Boss, indessen seine Wangen sich rot verfärbten. So wütend sah ich ihn noch nie, doch es war mir egal. Ich versuchte, mich zu Anto vorzudrängeln. Er wehrte mich allerdings ab, ohne mich dabei überhaupt ansehen zu müssen.

Plötzlich stieß er mich zurück, so dass ich wieder auf dem Stuhl landete. Er wirbelte herum und ich vernahm ein Knacken, bevor Antos Körper, vor seinen Füßen, leblos zusammen sackte.

Nun hielt mich gar nichts mehr. Ich kniete mich hin und krabbelte zu meiner besten Freundin. "Was hast du getan?", schrie ich hinauf, an Roel gerichtet. Antonella lief sofort gräulich an. Um mein Herz zog sich ein Strick. Mein Brustkorb wurde enger und kleiner. Ich drückte Antos Kopf an meine Brust, streichelte die rote Farbe aus ihren blonden Strähnen. „Es wird alles gut, Anto", versprach ich ihr, auch wenn sie es nicht mitbekam.

„Ihr dürft gehen", lauschte ich der strengen Stimme im Hintergrund, doch ich blieb auf den kalten Marmorfliesen sitzen. Mein Körper zeigte keine Regung. Er war vom Schmerz, wie betäubt. Ich wollte es nicht wahrhaben.

Antos Körper wurde mir mit Gewalt entrissen. Roel schmiss sie sich über die Schulter, als sei sie ein belangloser Gegenstand. „Nein, warte. Was ist jetzt mit ihr? Wir müssen sie wecken und schauen, ob alles in Ordnung ist. Er muss sich darum kümmern." Ich riss am Arm des Vampires herum und starrte dabei zu Feliz. Was hatte er meiner Anto nur angetan?
„Nivia, du weißt, was Sache ist. Sie ist ein Vampir. Wir müssen uns jetzt beeilen, okay? Um alles andere, kümmern wir uns später. Anto ist doch jetzt das Wichtigste, oder?"
Der letzte Satz hatte mich überzeugt und was sollte ich von Feliz erwarten? Roel konnte ich wenigstens vertrauen.

Er nahm mich an der Hand und führte mich hinaus. Einmal musste ich mich noch umdrehen. Ich hielt mich am Türrahmen, damit der Mann, der meine Hand drückte, mich nicht weiter davon zerren konnte. Meine Augen suchten den Feind.
Feliz grinste uns hinterher. Ich merkte mir jedes widerliche Detail seiner Fratze, auf das ich niemals vergessen würde, welche Motive mich von nun an, voran treiben würden.

„Du wirst es bereuen", quetschte ich aus meinem zusammen gebissenen Zähnen.


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