-𝟸𝟿-
„Ich kannte ihn nicht. Wir wurden aber zur selben Zeit hier her gebracht. Norvid war ein guter Mensch", erzählte Amari. „Mein Auto steht gleich hier vorne. Ich fahre dich raus, dann musst du dich alleine orientieren. Nivia, warte bitte hier auf mich." Wo sollte ich auch sonst hin? Anto diesem Psychopathen überlassen? Eine Flucht war mir unmöglich, obwohl mir so sehr danach war, nach allem, was ich gesehen hatte.
Es war mir auch unangenehm, mich so kurz angebunden von Amari zu verabschieden. Das Risiko stieg jedoch, dass man sie wieder einfing.
„Pass auf dich auf", rief ich ihnen hinterher.
Die beiden gingen davon und ich rutschte an der kalten Wand hinunter, bis mein Gesäß den Boden berührte.
Hatte ich einen Fehler begangen?
Es fühlte sich nicht so an.
Nur, was würde jetzt aus Anto, oder mir werden? Vielleicht endeten wir noch heute gemeinsam in so einer Zelle.
Und Roel zog ich auch noch mit rein. Aus Verzweiflung rieb ich über meine feuchte Stirn.
Nach nur wenigen Minuten stand Roel vor mir. Seine eleganten Lackschuhe reflektierten das grelle Licht der Straßenlaternen.
„Hier, das soll ich dir geben."
Roel reichte mir eine Serviette mit einer Nummer darauf, während er sich zu mir, nach unten gesellte.
Amari hatte mir ihre Nummer hinterlassen mit einem 'Dankeschön' dazu. Eine Weile betrachtete ich die Zahlen und Buchstaben und fragte mich, ob ich jemals die Gelegenheit erhalten würde, Kontakt zu ihr aufzunehmen.
„Feliz nennt uns Monster und das wir das akzeptieren müssen, aber heute war ich ein Mensch, dank dir."
Sein Mundwinkel hob sich kurz, doch die Last, die er mit sich trug, wog zu viel.
„Ich hatte Angst vor dem Mann, der im Dunkeln lungerte und meinem Bruder Drogen verkaufte, nicht vor einem Monster. Ich hatte niemals Angst vor dir", stellte ich ein für allemal klar. Roel musterte mich. Seine Augen sprangen von meinen, hinunter zu meinem Mund und wieder zurück. Er prüfte, ob ich die Wahrheit sagte und das tat ich. Es wunderte mich auch nicht, dass er mir nicht traute.
„Mein Leben besteht nur aus Fehlern. Ich habe das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben. Angefangen bei meinem Ex-Freund. Jahrelang habe ich diese Beziehung gegen meinen Willen geduldet und mit dem Lügen angefangen. Er hat es nur fortgesetzt. Es tut mir leid, dass ich dir Pfefferspray ins Gesicht gesprüht habe, anstatt das Gespräch zu suchen. Und ständig verzeihe ich diesem Leontes, obwohl er mir nie einen Grund gegeben hat, gut zu ihm zu sein. Tief in mir wusste ich, dass ich ihm nicht trauen sollte. Jetzt ist Anto weg und ich hätte sie retten müssen, die Füße still halten sollen. Nein, ich gehe auf die Jagd und provoziere diesen Feliz. Ich zerstöre mich und alle um mich herum." Mein Herz erleichterte sich und doch kam keine Befriedigung auf. Die Fehler waren vollendet und die Konsequenzen würden noch folgen.
„Ich werde mit Feliz reden. Er wird es verstehen und euch gehen lassen. Das hat er mir versprochen." Das war doch nicht sein verdammter ernst! Meine Glieder vibrierten vor aufkommender Wut. Hatte er nicht das selbe gesehen, wie ich? Was brauchte es noch, um ihn zur Vernunft zu bringen?
„Wie dumm bist du eigentlich? Roel hast du gesehen, was er mit Unschuldigen Wesen anstellt? Er ist ein Monster! Sieh es doch, bitte! Er wird kein Verständnis aufbringen. Sowas besitzt er nicht."
Roel klimperte, wie ein unschuldiges Reh mit den Wimpern, ohne eine Reaktion zu zeigen. Ich fühlte mich ja fast schon, wie eine Irre, die ihm eben erzählt hatte, dass es den Weihnachtsmann wirklich geben würde. Langsam glaubte ich, dass Feliz ihm irgendwas eingeflößt haben muss.
Er lauschte aufmerksam, als er mich plötzlich an den Armen packte und mich auf meine nackten Füße zog. Hand in Hand rannten wir auf Zehenspitzen um die Ecke der Halle. Gerade wollte ich ihn fragen, was das sollte, doch da drückte er mich an die Wand und presste mir seine Finger vor den Mund. Seine eigene Atmung reduzierte er auf ein Minimum.
Kein Blatt hätte zwischen uns gepasst. Seine Haut rieb an meiner. Nur die dünne Schicht unserer Kleidung befand sich zwischen uns. Warm und hart schmiegten sich seine Muskeln an mich.
Während er sich konzentrierte, wie ein Raubtier, sah ich ihn, nur ihn. Roel war so naiv, wie verzweifelt und gleichzeitig bildhübsch. Das dunkle Haar und die fast schwarzen Augen standen im Kontrast zur hellen Haut. Die schwarzen Wimpern, der Bart, sie rahmten seine Schönheit ein. Sie nannten ihn nicht nur den gefallenen Engel, er war einer.
Als ich ebenfalls die Schritte vernahm, welche die stille Nacht störten, schreckte ich auf. Ich wandte mich aus Roels Griff und warf selbst ein Blick um die Ecke. Wie ein Held mit erhobenen Haupt spazierte Leontes galant in Richtung Ausgang. Seine Selbstverherrlichung spürte ich bis zu mir.
Sie ließ mir mein Herz vor Wut aus der Brust springen. Wegen ihm, war ich hier gelandet. Wegen ihm, wollte Feliz mich sehen und hatte Anto entführen lassen. Selbst die bösartigste Gestalt brachte mich hierher, um mich von seinem Verrat zu überzeugen. Mein Beileid galt Daria, die Zuhause auf ihren ach so liebenswerten Onkel wartete.
Ich packte Roel am Kragen und wechselte mit ihm die Position. Er stand an der Wand und ich war frei. Die Schritte verstummten.
Leontes Vampirinstinkte verpassten kein Geräusch.
Meine Verbrecherinstinkte verpassten keinen Täter. Ich zwängte mich zwischen Roels Beine, versteckte mich in seiner männlichen Statur hinter der Wand. Meine Finger glitten über mein nacktes Bein. Unter einem Strumpfband steckte mein letzter Ass, eingesteckt für den größten Notfall. Das kalte Metall der Beretta klemmte zwischen meinen Fingern.
Roels Hand wanderte über den unteren Teil meines Rückens.
Er hinterließ ein Prickeln an den Stellen, die er so sanft streichelte.
Sein Gesicht rückte näher an meines. Sein Atem wurde zu meinem und meiner zu seinem. Der Mann vor mir, fixierte sich auf meine Lippen, doch ich wandte mich ab.
Ich gab der Wut nach, nicht der Wärme, die sich so plötzlich in meinem Bauchraum verteilte.
So schnell, dass es selbst Roel nicht zu realisieren schien, beugte ich meinen Körper aus der Deckung heraus. Ich sah mein Ziel, wie ein Stier, das rote Tuch und schoss. Und weil ich nur seine Schulter traf, korrigierte ich meine Haltung und drückte noch ein zweites Mal ab. Der zweite Fleck färbte sein Jackett zwischen den Schulterblättern in ein sattes Rot.
Ich erstarrte, hörte nur, wie Leontes Körper auf dem Boden aufschlug.
Roel löste sich von mir. Auch er entfernte sich aus unserem Versteck. Die Nacht schien noch stummer als zuvor. Wir starrten zusammen den leblosen Haufen an.
„Dashuri, ich habe dich für eine langweilige Frau gehalten, aber du bist eine verdammte Naturkatastrophe." Ja, das war ich wohl, eine absolute Katastrophe.
Wir gingen langsam auf Leontes zu. Ganz vorsichtig tippte Roel ihn mit seinem Fuß an. Der schlaffe Körper fiel von der Seite auf den Rücken. Die eine Kugel steckte ihm vermutlich noch in der Schulter. Bei seiner Brust gelang mir allerdings ein glatter Durchschuss. Das Hemd saugte immer mehr Blut an dieser Stelle auf.
„Noch nie, hat sich jemand gewagt, diesem Arschgesicht ein Haar zu krümmen." Arschgesicht? Das Gesicht dieses griechischen Gottes wirkte zum ersten Mal friedlich. Ganz so, als würde er schlafen und genau genommen, tat er das auch.
Ich wusste, dass Rizin einem Vampir niemals etwas Schlimmeres anhaben könnte. Es machte nur genau das, was ich brauchte. In diesem Fall, verpasste es ihm einen Dämpfer.
„Wieso? Ist er so stark?", wollte ich wissen. Er schien ja, in der Tat, ein höchst respektierter Mann in seiner Branche zu sein. „Das weiß keiner. Man muss ja erst an seinem Schatz vorbei kommen, bevor man ihm an die Gurgel kann." Ich wusste sofort, wen er meinte. Fiammas roten Haare flatterten durch meine Gedanken, wie ein Feuer im Winde.
„Fiamma?", überzeugte ich mich, nachdem Roel nickte. „Die Verrückte nimmt einen Laden von zweihundert Mann in fünf Minuten auseinander. Leontes hat sich schon immer gute Freunde ausgesucht. Darin liegt das ganze Geheimnis seines Erfolges." Und bei der Erwähnung seines Namens, trat er ihm noch einmal gegen den Arm. Roel genoss es, diesen Mann so wehrlos vor sich zu sehen.
„Ich bringe ihn dahin, wo er hingehört", verkündete mein Komplize stolz. Mir war ohnehin egal, was er vor hatte. Er packte den Mann und schmiss ihn sich über die Schulter. Ich folgte ihm nur stumm, bis wir bei den Abfallcontainern ankamen. Dort landete Leontes tief versunken im Müll der Industrie.
Der ganze Abend war doch nur ein schlechter Scherz. Ich schüttelte den Kopf, als Roel ein paar mal gegen den Container schlug. „Schlaf gut, Leonti", wünschte er dem anderen Vampir noch eine schöne Nacht.
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