-𝟸𝟸-

Die Tage zogen an mir vorbei, so monoton und farblos. Die Sonne wechselte den Mond ab, wie die Wolken, die Sterne. Mein Umfeld wurde erbaut aus Lug und Betrug. Ich versteckte mein Handy im Nachtschrank. Meine besten Freunde steckten mir im Ohr. Die Musik übertönte die Stimmen, die durch meine Gedanken spukten.
Wenn ich doch nur die Bilder auch noch vertreiben könnte...

Ich lenkte mich ab, vertiefte mich in die Materie, die mir am besten lag. Yvette erlaubte mir, meine Schichten aus Forschungszwecken in der Bibliothek zu verbringen. Dort sammelte ich alles, was mir interessant vorkam. Hauptsächlich ging es um Vampire, aber auch allgemeine Mythologie und sogar ein Reiseführer hatte sich unter die Literatur gemischt.

Die Bibliothek in Cesena sah von außen aus, wie ein kleiner Bürokomplex mit den vielen Fenstern, welche die drei Stockwerke umrandeten. Auch im Inneren strömte es keine wirkliche Harmonie aus. Dafür strahlten die runden weißen Leuchten an der Decke ein viel zu kaltes Licht aus. Es war viel zu hell, woran die weißen Regale auch nichts änderten. Das einzig Positive an der Bücherei waren die Sitzmöglichkeiten. Ich saß auf einer mit Kissen bedeckten Bank in einer Fensternische. Ohne Schuhe und mit Blick über die Stadt, ließ es sich dann doch aushalten.

Wahrscheinlich hätte ich mich überall wohler gefühlt, als an den Orten, wo ich meinte geliebt zu werden. An dem Ort, wo sie mich verletzten, konnte ich nicht heilen. Die Wunden rissen auf, wenn ich die aufgehängten Polaroids an meinem Spiegel sah. Es tat weh, wenn ich Antos Schminke in meinen Schubladen entdeckte und mich daran erinnerte, wie sie kläglich versuchte, eine Barbie aus mir zu machen.

Guardiano neben mir, legte seinen Kopf auf der Fensterbank ab. Ihm gefiel es hier auch nicht.
Leider konnte er sich auch nicht die Zeit mit Lesen vertreiben. Ich tätschelte seinen Kopf.
„Wir powern uns gleich auf dem Heimweg so richtig aus, ja?" Er starrte mich aus seinen großen braunen Knopfaugen von unten herab an. Der typische Hundeblick, der mir wohl sagen wollte, dass ich mich beeilen sollte.

Ich klappte das Buch mit der Aufschrift 'Mythos oder Kult' zu und überlegte, ob ich lieber meinen Eltern im Restaurant helfen, oder trainieren gehen sollte. Montags war das Bellissimo Verde allerdings geschlossen und so hatte ich keine Wahl mehr. Wir hatten einen kleinen Trainingsraum im Keller des Reviers errichten lassen, gleich neben der Zelle für Untersuchungshaft. Diese wurde ohnehin nur circa einmal im Jahr zur Ausnüchterung irgendwelcher Touristen genutzt. Die Spätschicht ging um zehn, jetzt war es acht, prüfte ich auf meiner Uhr. Bis ich mit Guardiano zuhause ankommen würde, mich umgezogen hätte, wäre die Spätschicht überbrückt. Eigentlich zerbrach ich mir umsonst den Kopf. Kayden und Jesse ignorierten mich sowieso.

Nur Anto schrieb mir munter weiter und auch wenn ich mein Handy nicht bei mir hatte, so zeigte es mir diese blöde Uhr an. Eben waren es schon drei Nachrichten. Ardian und ihre Wenigkeit hatten nicht mitbekommen, dass ich es gesehen hatte. Sie log mir eine heile Welt vor, als wäre es in Ordnung. Dabei vergiftete sie meinen Bruder. Ich hatte ihr immer beigestanden, wenn sie gehänselt wurde und andererseits wusste sie, was für einen Schatten Ardians Sucht über die ganze Familie warf. Wir litten, tag täglich. Meine Mutter weinte sich in den Schlaf, ich stand des Öfteren Wache und Papà distanzierte sich, seit ihm einmal die Hand gegenüber Ardian ausgerutscht war. Hinter den schönen grünen Augen der Shehu-Rossis, dem Familienpoträt, welches bei uns im Lokal aushing, versteckte sich ein unlösbares Drama. Und sie kippte das Öl ins Feuer, während sie mit mir lachte, mich umarmte und küsste. Ich spielte vor Zorn mit dem Gedanken, Anto auf frischer Tat zu ertappen und anzuzeigen.

Und Ardian, dieser Idiot, reichte es ihm nicht, dass er mir die ganze Kindheit erschwert hatte, indem er unsere Eltern voll beanspruchte? Musste er mir jetzt noch meine beste Freundin nehmen, weil es sonst keine anderen Dealer auf dieser Welt gab?
Ich spürte Guardianos feuchte Nase an meiner Hand. Er stupste mich, nicht gerade zärtlich. Mein Finger blutete, ausgehend von der gerissenen Nagelhaut. Vor Aufregung hatte ich wohl wieder herum gepult.

„Na komm", unterbrach ich die Qualen, stellte die Bücher zurück und sprintete mit meinem Begleiter durch unsere Felder. Der mittlerweile große Welpe legte sich Zuhause erledigt in sein Körbchen und ich fuhr mit meinen Plänen fort.

Ich durfte nicht schwach werden, nur weil mir Steine in den Weg gelegt wurden. Die anderen Übeltätet schliefen nicht, nur weil ich mich in meinem Leid suhlte.
Leontes hatte wirklich nie geschlafen. Seine in Silber gehüllte Gestalt erschien in meinem Kopf. Ich hatte mich dazu entschlossen, ihm keine Chance zu geben, keinem Verräter jemals wieder eine Chance zu geben.

Ich joggte zum Revier, mein Zählerstand auf der Uhr lag bei fast zwanzigtausend Schritten.
Gerade rechtzeitig, schloss ich die schwere Tür auf. Über mir hatten sich die Wolken zusammen gezogen.
Ohne Umschweife, oder Licht stolzierte ich gleich die Treppen hinunter. Es musste keiner mitbekommen, was ich so spät am Abend noch trieb. Erst im Keller angekommen, tätigte ich den Lichtschalter. Die Paneele blitzten ein paar mal auf, bis sich der Raum konstant erhellte.
Yvette genehmigte den Fitnessraum, nachdem die Jungs jahrelang gebettelt hatten. Er bot genügend Platz für einen Boxsack, zwei Laufbänder und einer Kraftstation. Im letzten Jahr war noch ein Flachbildfernseher an der unverputzten Wand hinzu gekommen.

Ich schaltete einen Musiksender ein, ehe es mich instinktiv zum Boxsack trieb. Normalerweise übte ich anhand von Tutorials eine bestimmte Abfolge an Schlägen und Schritten, doch diesmal dienten meine Fäuste nur dem Frustablass. Die Handschuhe blieben am Haken hängen. Das Foltern meines Körpers, heilte meine Seele. Meine pochenden Hände verdrängten ihre Gesichter und ihre Taten. Meine Sicht verschwamm teilweise vom Schweiß, den selbst meine dichten Augenbrauen nicht mehr zurück halten konnten.

Als ich mir über die Stirn rieb, huschte ein schwarzer Schatten hinter dem dunkelblauen Boxsack vorbei. Es konnte auch nur eine Einbildung gewesen sein, da das spärliche Gerät hin und her schaukelte. Ich drehte mich einmal um meine Achse, nur um Gewissheit zu erhalten, dass nur ich anwesend war. Doch als ich mich nach vorne wandte, entfloh meiner Kehle ein spitzer Schrei. Da stand jemand hinter dem Sandsack. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück, während meine Finger bereits nach dem Rizin getränkten Klappmesser in den Bauchtaschen meines Kapuzenpullovers tasteten.

„Was auch immer du dabei hast, lass es stecken. Du weißt doch schon, wie das endet, Dashuri." Er hätte seinen Kopf nicht zur Seite neigen müssen, damit ich erkannte, wer vor mir stand.
„Das ist jetzt schon die zweite Kriegserklärung. Kein Vampir darf ein Revier ohne Erlaubnis betreten", zitierte ich aus dem Regelbuch der 066. „Man nennt mich nicht umsonst den verlorenen Engel. Regeln interessieren mich nicht."
Dabei grinste er zuckersüß.
Von mir aus. Eigentlich machte ich mir auch nicht viel aus den inoffiziellen Regeln. Dazu hatte ich dank meinen Kollegen zu wenig Bezug.

Ich tat so, als sei der freche Vampir mit seinen seidig schwarzen Locken gar nicht da und entfernte den Verband von meinen Knöcheln.
„Meinst du das, was du eben veranstaltet hast, bringt dich weiter?"
Gegen Reflexe wie seine? Höchstwahrscheinlich nicht.
Mich abreagieren? Das hatte funktioniert und somit war mein Ziel erreicht.
Schweigend musterte ich meine geschwollenen Knöchel.

„Willst du eine Runde den Ernstfall trainieren?", bot er sich mit geöffneten Armen an. Er weckte meine Neugierde. Wie würde ich abschneiden, wenn mich ein Vampir wirklich angriff? Ich tippte auf den Gewinn des Blutsaugers und das ärgerte mich wiederum.
„Na komm schon, oder hast du Angst? Ich kann auch ganz zärtlich sein." Seine Fingerkuppen streichelten, wie eine Feder, die Kontur meines Schlüsselbeines nach. Was dachte er, wer er ist? Fast schon instinktiv schlug ich nach seiner Hand, nur damit er sie fangen und in seiner behalten konnte.

Roel lachte als ich versuchte, sie zurück zu reißen. Wenn die Gelenke eines Vampires sich um deine Gliedmaßen schlossen, befandest du dich in der Falle. Er ließ keine Bewegung mehr zu.
Ich holte mit dem anderen Arm aus, unter den er sich galant weg duckte. „Schneller, meine Schöne." Ich traute mich nicht recht, mich mit ihm anzulegen, noch nicht.

„Sag mal, stimmt das Gerücht, dass du dich von Graf Dracosta flachlegen lassen hast?" Roel lachte unentwegt, ohne dabei außer Atem zu kommen. Seine Schritte glitten kaum hörbar über den Boden, dafür trampelte ich, wie eine Kuh, die Löcher in die Luft schlug.

Er beendete den Kontakt und trat ein paar Schritte zurück.
„Wie ist es, eine von Tausend in seiner Reihe zu sein?"
Ich sah in ihm nur noch ein rotes Tuch, auf das ich zustürmte, doch wieder verschwand er und verpasste mir zusätzlich einen Stoß gegen die Wand. Meine zu hohe Stirn knallte gegen den kalten Beton. Stöhnend rieb ich über die kleine Beule, die sofort zu wachsen begann.
„Das tut mir ja fast schon leid. Soll ich einen Gang zurückschalten?"
Seine Unterlippe hing mitleidig hervor. Seine endlosen Provokationen reichten mir.

Ich fokussierte ihn an, von seinen glänzenden Locken über seine braunen Augen, bis hin zu dem dunklen Bart, der sein Gesicht einrahmte. Das weiße Shirt legte sich über seinen angespannten Muskeln in Wellen. Roel hob abwehrend seine Hände. Der Sandsack schwang unheilvoll zwischen uns beiden hin und her.
„Du vergisst, dass du wegen mir von Bord gegangen bist", fing ich nun auch an, an seinen Nerven zu zupfen, doch scheinbar hatte ich jemanden gefunden, der noch weniger Geduld besaß als ich. Der Mann vor mir schleuderte das schwere Gerät mit seiner ganzen Masse gegen mich.
Ehe ich mich versah, lag ich flach auf dem Boden.
Ich sagte doch, gegen einen Vampir schien ein lebender Organismus nichts anhaben zu können.
Eine Weile verweilte ich auf den weißen Fliesen und bewunderte die Decke dabei, wie sie sich drehte.

„Scheiße, du bist schwächer, als ich dachte", stellte er bei meinem kläglichen Anblick fest.
Jap, das selbe dachte ich gerade auch, deswegen wehrte ich mich erst gar nicht. Außerdem fehlte mir sämtliche Energie. Sein Kopf verdreifachte sich in meinem verschobenen Sichtfeld.

Er zeigte Gnade und reichte mir seine Hand. Für Sekunden zählte ich seine Tattoos, die unter dem Saum seines Shirts verschwanden. Blumen, Flügel und Augen verschmolzen zu einem gesamten Werk.
Sein Arm entfachte aber noch ganz andere Instinkte in mir. Wenn meine anfänglichen Kampfsportversuche nichts brachten, dann aber ganz bestimmt meine Berufung.

Ich gab mir keine Mühe auf die Beine zu kommen, viel mehr ließ ich mich baumeln, um seinen Arm in eine möglichst durchgestreckte Position zu bringen. Meinen letzten Lebenssaft steckte ich darin seinen Arm um neunzig Grad zu verdrehen, während ich von selbst auf die Beine sprang, um ihm dann seinen Ellenbogen mit meiner anderen Hand durchzudrücken.
Das Keuchen, welches seinen Lippen entwischte, es klang wie ein liebliches Lied in meinem Gehör. Seine Haut schmiegte sich warm und feucht unter meine Finger. Für kaum eine Minute beugte ich ihn wehrlos vor mich. "Du bist immer noch viel zu leichtgläubig, wenn es um mich geht", wisperte ich dicht vor sein Ohr.
Und das war's dann. Ich wollte nicht kollabieren, also ließ ich ihn los. Meine Hände stützten sich erschöpft auf meinen Knien ab und ich musste zunächst einen regelmäßigen Rhythmus in meine Atemzüge bringen.

„Nicht schlecht, Dashuri", lobte er mich. Meine Trinkflasche flog mir entgegen und ich fing sie in letzter Sekunde. „Du kannst auch so ein bisschen was", gab ich zu. Mir fiel auf, dass ich seit Tagen wieder lächelte. Ich beendete die seltsame Situation abrupt, nachdem ich den Flaschenhals zwischen meine Lippen klemmte. Es hatte sich so plötzlich eine ausgelassene Stimmung entwickelt, dass ich damit nicht zurecht kam.
Roel war der Feind, oder nicht?
Von nun an ignorierte ich den hübschen Vampir. Ich zog mir meinen Rucksack über, er sich seine Lederjacke. Ungeachtet, ob er mir folgte, oder nicht, stürmte ich die Treppen hinauf.

Jede Stufe löste einen halben Krampf aus und mir stand noch der ganze Heimweg bevor.
Die kühle Luft lenkte mich jedoch ab. Genauso, wie der Mann, der eindeutig viel zu nah neben mir her lief.
„Eigentlich bin ich nicht zum Trainieren hergekommen", erklärte er. „Aha", tat ich so, als ob mich der wahre Grund nicht interessieren würde. „Feliz möchte dich gerne kennenlernen. Ich soll dich zu ihm bringen." Zu ihrer seelenlosen Gottheit, die Versuche an unschuldigen Vampiren durchführte? Nein, danke.

Weil ich keine Anstalten machte, stehen zu bleiben, oder ihm irgendwie zu antworten, stellte er sich mir in den Weg. Beinahe wäre ich gegen die dunkle Wand gelaufen, die er darstellte. Er duftete männlich und gleichzeitig süß, viel süßer als Leontes. Jetzt fing ich schon an andere mit ihm zu vergleichen. Das musste aufhören!

„Wenn du schon auf Vampire umgestiegen bist, dann probiere es doch mit einem richtigen. Naja, oder schreib einfach, wenn ich dich zu Feliz bringen soll." Zwischen seinen markanten Kiefern klebte wieder dieses selbstgefällige Grinsen und doch brachte er mich als erster aus der Fassung, noch bevor ich höflich ablehnen konnte. Seine kalten Fingerkuppen streiften über die empfindliche Haut oberhalb meines Beckenknochens. Ich spürte die scharfen Kanten des Papiers in meinen Bauch stechen.
Roel zwinkerte mir nur zu, bevor er mir seinen Rücken präsentierte.
Er wurde immer kleiner, die Dunkelheit ihn vollkommen verbarg.
Ich indessen, entschlüsselte die Zahlen, die er neben ein verformtes Herz auf dieses kleine Zettelchen gekritzelt hatte.


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