-𝟷𝟼-

Mir liefen stumm die Tränen, als ich meine Beretta unter dem Bett ertastete und auch das restliche Chaos beseitigte. Vor einer Woche kämpfte ich noch gegen Ängste, ohne die Quelle zu kennen. Meine Freunde lenkten mich ab und das einzige Problem, welches ich kannte, war das Drogenproblem meines Bruder. Seitdem ich wusste, was meine Panikattacken auslöste, ging alles Berg ab, dabei sollte es doch anders sein. Ich verlor nach und nach die Menschen, die ich liebte und es versetzte mein Herz in einen genauso ungesunden Rhythmus, wie die Furcht zuvor. Vielleicht hatte Kayden Recht und ich hätte lieber in einer Welt ohne Vampire leben sollen, dafür aber mit meinen Freunden und Kollegen. Es war so unfair. Sie hatten mich belogen, dann sollten sie doch leiden. Wieso wurde für mich alles schlimmer?

Ich warf die benutzte Mülltüte in die nächste Ecke. Mir reichte es, mich zu schämen, weil sie in mir ein kleines Mädchen sahen. Yvette hatte allen am Revier verboten mich aufzuklären und mich damit dezimiert. Kayden meinte, ich würde meine Entscheidung bereuen. Jeder Kuss widerte mich an. Er irrte sich. Er lebte, wie ein kleiner Junge in seiner Fantasie und wir würden es beide bereuen, keine Freunde mehr zu sein.

Der Stress nagte an meinen Nerven. Meine Schläfen pulsierten. Die leise Musik, die aus dem Lokal unter mir erklang, lenkte mich ein wenig ab. Leise und heimlich summte ich 'Ti amo' von Alberto Tozzi mit. Es wurde beinahe von dem Gejaule der angetrunkenen Gäste übertönt. Meine armen Eltern. Seit heute Mittag herrschte die Hölle im Lokal. Das lag wohl an der wöchentlichen Aktion, die es diesen Freitag gab. Alle Gerichte und Getränke, die Amaretto beinhalteten, gingen auf's Haus und mein Papà war bekannt für seinen Amaretto- Eiskaffee, oder Kirschlikör.

Die Schürze vom letzten Freitag hing noch über meinem Stuhl. Bevor ich hier noch in Selbstmitleid versank, ging ich lieber meinen Eltern helfen. Ich band mir den weißen Stoff um und schnaufte. Wie wohl andere zwanzig-jährige ihren Freitag Abend vebrachten? Bestimmt nicht so. Anto verachtete Partys genauso sehr, wie ich. Sie startete üblicherweise einen Netflix-Serienmarathon, von dem sie mir dann in der folgenden Woche genaustens berichten würde. Wegen ihr kannte ich wahrscheinlich jede Serie, die der Streamingdienst zu bieten hatte, ohne auch nur eine gesehen zu haben.

Gerade als ich mir einen Zopf flocht, blendete mich das kleine Fläschchen. Mein kleines Reiseparfüm, welches ich heute auf den Namen 'Gift to go' taufte. Es konnte nicht schaden, es bei mir zu tragen. Ich steckte es in die kleine Tasche meiner Schürze, wo noch der Notizblock für die Bestellungen und ein Flaschenöffner von letzter Woche warteten, wieder benutzt zu werden.

Unten angekommen, starrte ich auf mehr Menschen, als unser Restaurant Stühle zu bieten hatte. Sie lachten und grölten gegen Gloria Gynors 'I will survive'. Gut, dachte ich mir nur, ohne den Hauch einer Ahnung, wo ich anfangen sollte.
„Mamma? Ich lös dich ab. Geh zu Papà an die Bar." Ich erwischte meine Mutter beim Vorbeirennen. Sie hätte mich in ihrer Geschwindigkeit nicht einmal erkannt, wenn sie in meine Richtung geschaut hätte.
„Anima mia!" Dazu drückte sie mir einen Schmatzer auf den Scheitel. Wenigstens versagte ich nicht darin, eine gute Tochter zu sein.

Ich marschierte durch die Reihen mit dem bereits eingeübten Lächeln.
„Wie schön, dass ihr ins Bellissimo Verde gefunden habt. Wurde eure Bestellung schon aufgenommen?", fragte ich eine Gruppe, ohne Essen, oder Trinken auf dem Tisch. Die vier Frauen etwa Mitte dreißig bestellten ein paar Getränke und so ging es reihum, bis ich fünf weitere kulinarische Wünsche notiert hatte.

Da riss ich gerade auf dem Weg zur Bar den Zettel ab, als sich Finger, wie ein Schraubstock um meinen Arm legten. Mit einem Ruck wurde ich zum Sitzen gebracht. „Was soll..." Mir blieben die Worte im Rachen stecken und ich erstickte fast daran. Er war in Cesena, so nah an meiner Familie... Mir stockte der Atem, während meine Augen drohten aus ihren Höhlen zu fallen. Freude und Angst kämpften um die Oberhand. Roel lebte, aber er suchte mich auch. Für was nur, nachdem ich dafür verantwortlich war, dass er aus einer schwindelerregenden Höhe ins Wasser fiel?

„Man sieht sich immer drei mal im Leben." Roel erinnerte sich also auch. Noch bevor meine eigene Hand die Narbe fand, legte sich seine über die immer noch taube Stelle an meiner Wange. Ich spürte die Vibration, die von mir ausging in seiner Handfläche. „Pshhht", deutete er an, ich solle mich beruhigen und ich atmete wieder. Nur der Rest meines Körpers erstarrte, wie betäubt.

„Dashuri? Wo sind die Bestellungen?" Mein Vater! Ich wandte schnell den Kopf aus der Berührung des Blutsaugers. Roel durfte nicht hier sein, nicht so nah bei den Menschen, die mir wirklich die Welt bedeuteten.
„Da sind sie ja. Kind, du musst uns doch sagen, wenn du nicht helfen kannst." Babi lehnte sich über den Tisch und schnappte sich die Notiz, indessen ich jede auch nur kleinste Bewegung von Roel beobachtete. Sollte er auch nur zucken, würde ich auf ihn losgehen.

„Me vjen keq. Ky ishte faji im."
Mein Vater stoppte in seinem Handeln. Mir klappte nur der Mund auf. „Shqiptaret?" Das verstand sogar ich. Wo sollte er denn sonst herkommen, wenn er albanisch sprach. „Vijne nga Kosova. Nena ime eshte shqiptare." Naja, ich war nah dran. Aus den Fetzen, die ich noch nachvollziehen konnte, entnahm ich, dass er aus dem Kosovo stammte, aber seine Mutter aus Albanien kam. Was ging hier gerade überhaupt ab? Ich befand mich wort-wörtlich im falschen Film. „Wir unterhalten uns später", verabschiedete Babi sich zügig von seinem Landsmann, da die Kundschaft ihm im Nacken saß. Mir tätschelte er noch kurz die Schulter.

Ich brauchte ein paar Sekunden, um zurecht zu kommen. Die Furcht wich dafür der Verwunderung.
„So viel gute Gene hätte ich dir gar nicht zugetraut." Damit erinnerte er mich an seine Anwesenheit als Vampir, der dazu noch eine unergründliche Abneigung gegen mich hegte.
Er starrte mich an mit dem giftigen Blick einer Natter. Das bemerkte ich nur, wenn ich es wagte, nicht mehr die Fettflecken auf dem Tischdeckchen zu zählen.
Ich mochte es schon nicht, wenn menschliche Gesprächspartner unendlichen Blickkontakt hielten, doch er setzte noch einen oben drauf.

„Was ich noch sagen wollte, bevor dein liebreizender Vater hier ankam. Ich bereue es zu tiefst, dass ich die Glasflasche damals nicht in deinem zarten Hals versenkt habe." Meine ineinander verknoteten Hände schwitzten, obwohl ich fror. Sein in Leder gepackter Arm schwebte über den Tisch zu mir herüber. Seine Fingerspitzen fuhren die Kontur meines Kiefers nach, bis zu meinem Kinn und meinen Hals hinunter. Sämtliche Härchen, die ich an meinem Körper besaß, stellten sich unter der Gänsehaut auf. Mein Rücken drückte sich schmerzhaft in die Stuhllehne. Und wieder wehrte ich mich nicht. Lag es an den Vampiren, oder war ich in der Tat ein Schwächling?
„Pack aus, was du in deiner Tasche hast, oder ich zerquetsche deine Luftröhre, noch bevor du auf die Idee kommst zu schreien."

Der Bass dröhnte so laut, die Stimmen ertönten so wirr, dass mein Schrei sogar klanglos untergehen würde. Mit seiner Hand an meinem Hals, folgte ich seinem Befehl. Der Notizblock landete geräuschlos auf dem Holz, während der Flaschenöffner und mein Rizin-Parfüm einen dumpfen Knall erzeugten. Er inspizierte die Gegenstände, ohne Eile zu verspüren, mich gehen zu lassen. Frei von seinem Blick, schlug ich seine Hand weg. „Ganz ruhig Dashuri, ich will doch nur nicht wieder Pfefferspray in die Fresse bekommen." Aus seinem Mund stimmte mich der Kosename, den mein Vater mir aus reiner Liebe schenkte, wütend. Für Roel schien ich nur eine gewaltige Witzfigur zu sein. Er legte seinen Kopf schief und grinste mich von oben herab an.

Auf andere, die ihm gerade nicht gegenüber saßen, musste er sympathisch wirken. Die Sommersprossen, die ich jetzt erst bemerkte, zauberten seiner sonst durchaus männlichen Erscheinung, jungenhafte Merkmale ins Gesicht. Seine schwarzen Locken bedeckten die vermutlich typisch hohe Stirn eines Albaners. Irgendwie versuchte ich sein hübsches Äußeres, dem hässlichen Inneren anzupassen, doch es fiel mir schwer bei der glänzenden Seide von Haaren.

Seine tätowierten Finger wanderten direkt zum Parfum. Ich zwang mich dazu, normal weiter zu atmen, das Pokerface einer Polizistin aufzusetzen. Er öffnete die Kappe und nahm einen tiefen Zug, wobei seine Augen wieder auf meine trafen. Für kaum eine Sekunde zuckte ich zusammen. Das Gefühlt ertappt worden zu sein, schlug mir in die Magengrube. Kalter Schweiß setzte sich bereits auf meiner Stirn ab. Ihm entfloh ein Geräusch zwischen Seufzen und Knurren, welches mir direkt ins Knochenmark fuhr. Ich versank in seinen braunen Iriden. Da gab es nichts, woran ich mich festhalten konnte, nur dieses tiefe Braun, ohne einzigartige Muster, oder Sprenkel.

Roel sprühte sich die Flüssigkeit nah vor seiner spitzen Nase ans Handgelenk. Für mich blieb die Zeit stehen. Er zog sein Gesicht zusammen, begann zu husten und in mir stieg eine Rakete auf. Zum ersten Mal, kletterten meine Mundwinkel nach oben. Es funktionierte! Ich fühlte mich, wie Albert Einstein mit einem legendären Einfall, der vielleicht noch unausgeklügelt, klein und fein daher kam, aber er verfehlte sein Ziel nicht.

Solange dieser Großkotz mit seinen Schmerzen beschäftigt war, griff ich nach meiner neuen Waffe.
Die Rechnung machte ich allerdings ohne die Reflexe eines Vampires. Ich hielt das Fläschchen zwar zwischen den Fingern, doch ließ es im gleichen Moment wieder fallen. Seine Hand schloss sich um meine und drückte herzlich meine Fingerknöchel zusammen. Ich zischte vor Schmerzen.
Das Vampire ein anderes Niveau an Kraft besaßen, erfuhr ich nun am eigenen Leib.
„Du hast mir ins Gesicht geschnitten und ich habe dich mit Pfefferspray besprüht. Wir sind Quitt! Geh doch bitte einfach", flehte ich.
Seine Netzhaut färbte sich, als hätte man ihm schwarze Tinte injiziert. „Bitte", flüsterte ich, erstarrt beim Anblick des Reißzähne, die sich unter dem geschwungenen Herzbogen seiner Lippen präsentierten. Ich riss meinen Arm vergeblich zurück. Mein ganzer Körpereinsatz, brachte ihn kein Stück in Bewegung.

Die Angst fraß sich durch meine Gefäße und verwandelte sie in Eis. Wie in einem Alptraum, verlor ich die Kontrolle über die Situation. Meine Beine fühlten sich an, wie tonnenschwere Sandsäcke. Das Wummern meines Herzens, überstimmte die Musik. Ich war kurz davor meinen Babi zu rufen, doch mir entfloh nur ein stummes Wimmern. Lediglich die Wärme einer Träne erinnerte mich an mein Dasein.

Roel bohrte seine Zähne in mein Handgelenk. Seltsamerweise verschwand der anfängliche Schmerz. Ich drückte meine Lider zusammen, doch nicht aus Furcht, sondern Genuss. Das Adrenalin pumpte plötzlich pure Lebensenergie durch meine Adern. Anstatt mir etwas zu entnehmen, flutete der Biss meine Blutbahnen mit Endorphinen. Seine Finger, sie befanden sich nicht mehr nur an meinem Handgelenk. Mein Körper explodierte vor Ekstase. Ich meinte, ihm meine Hand weiter entgegen gestreckt zu haben, während ich die Finger der anderen, in meinen Oberschenkel krallte.

Es hörte zu schnell auf und schlagartig war ich wieder der Mensch, der auf dem harten Boden landete. Langsam verwandelte sich mein Keuchen wieder in ein gleichmäßiges Atmen und ich hob den Kopf, den ich zuvor scheinbar in den Nacken geworfen hatte. Das restliche Blut schwappte mir in die Beine. Vor Schwindel fiel es mir schwer, gerade auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Ich begegnete seinem diabolischem Grinsen. Roel wischte sich mit einer Serviette über die rot gefärbten Lippen. Das Blut klebte an seinem Shirt, verschmutzte die Tischdecke und fand seinen Ursprung an den zwei pochenden Einstichstellen in meinem Handgelenk.
„Exquisit. Ich gebe dem Laden hier fünf Sterne auf Google", faselte er vor sich hin, indessen ich noch immer an diesen zwei Löchern hing.

Als ich das nächste mal auf schaute, war der Platz mir gegenüber frei. Meine Gehirnzellen verließen nach und nach wieder ihren Standby-Modus und ich verfluchte mich dafür. Auch wenn es bisher niemanden interessierte, was hier geschah, schnappte ich mir schnell die Serviette, um meine Verletzung abzudecken. Der Biss eines Vampires endete tödlich, außer der Vampir, der dich gebissen hatte, gab dir sein eigenes Blut als Heilmittel. So hatte Leontes es mir gepredigt.

Ich stützte mich am Tisch hinauf, doch schwankte. Mit jedem Schritt kollidierte ich mit Gästen.
Unter den ganzen Betrunkenen fiel mein ungeschickter Slalom nicht auf. Egal wohin ich irrte, selbst draußen an der frischen Luft, Roel war nicht mehr aufzufinden. Mein Leben lag in seinen Händen, wenn Leontes nicht gelogen hatte.


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