-𝟷𝟺-

Wenigstens hielt Yvette sich daran, Kayden und mich in verschiedene Schichten zu stecken.
Noch nie zuvor packte ich so schnell meine Unterlagen zusammen, fuhr den Computer runter und schloss meine Fächer ab. Die Spätschicht würde bald zur Dienstübergabe erscheinen. Das durfte gerne ohne mich stattfinden.

Als ich hinaus trat, atmete ich erleichtert durch. Cesena duftete im späten Frühling von Tag zu Tag mehr nach Urlaub. Die Restaurants öffneten ohne Pausen und die letzten Blüten schlüpften.
„Shehu, warte doch mal!", Oh nein, oh nein, nein, nein nein! Ich seufzte der mir bevorstehenden Unterhaltung entgegen. Wenigstens rief mir kein bestimmter Jemand das Wort 'Muffin' hinterher.
„Was willst du, Williams?"
Meine Hände umfassten die Jeansjacke in meinen Armen noch fester, als ich mich wieder dem Revier zuwandte. Jesse hielt die Tür offen, während er im Rahmen stehen blieb. Seine langen blonden Haare hingen ihm strähnig hinter den Ohren.

„Du bist wieder da. Ich wollte dich nur sehen." Es hätte mir leid getan, wenn ich nicht gewusst hätte, weshalb ich schon wieder da war. „Nachdem ich eine neue Spezies Krimineller treffen durfte, verging mir die Lust auf Reisen."
Er betrachtete mich, ohne zu blinzeln. Worauf wartete er? Dass sich meine Stimmung von wütend auf freudig ändern würde?
„Also ich finde, du übertreibst. Wenn du Kayden siehst, dann mach ihm bitte keine Hoffnungen mehr. Dieses Hin und Her zerstört ihn. Das wollte ich dir auch noch mitteilen."
Wow. Das entlockte mir doch ein Schmunzeln. Ich übertrieb, wenn ich von Monstern erzählte und Kayden, dem Unschuldigen brach das Herz. Meines Erachtens nach sendete ich ihm genug Signale, die eindeutig gegen eine Beziehung sprachen.

„Dann sag du deinem Freund, dass er mir nicht so auf die Pelle rücken soll! Und überhaupt, was hast du eigentlich gegen mich? Sag es ruhig. Jetzt, wo wir alle miteinander ehrlich sprechen können." Jesse schüttelte seine wilde Mähne, als ob er nichts mehr verstehen würde, doch ich erinnerte mich daran, wie er am Lagerfeuer, bei meinem Abschied vom Frauen aufreißen sprach. Das war nicht der einzige Vorfall. Er nutzte jede Krise von Kayden und mir, um Öl ins Feuer zu gießen. Nur aus Liebe unserer aller Freundschaft gegenüber, hatte ich ihn nie angesprochen. Ich hatte mir sogar eingeredet, dass ich es mir nur einbildete. Nun vertraute ich jedoch meinem Bauchgefühl und niemand anderem mehr.

„Meinst du, ich hätte nicht die Eier, dir zu sagen, wenn mich was stört?" Scheinbar nicht.
„Ach komm schon, findest du nicht, ich wurde genug hintergangen?" Meine Jeansjacke kaschierte die Nägel, die sich in meine Unterarme bohrten. Seitdem Leontes nicht mehr an meiner Seite war, verschlimmerten sich die Angewohnheiten wieder.

Jesse lehnte seinen Kopf gegen den Türrahmen.
„Shehu... Ich habe nichts gegen dich persönlich. Es wäre alles nur viel einfacher, wenn du nicht da wärst. Ich hasse es hier und will zurück, aber nicht ohne Kayden. Diese ganzen unfreundlichen Italiener, überall Tomaten im Essen und die Kälte im Winter. Das bringt mich zum Kotzen." Und mich kotzten unehrliche und dazu noch rassistische Menschen an.
„Das Leben ist eben kein Wunschkonzert", erklärte ich ihm die eine harte Tatsache, so dass er auch mal auf dem Boden der Realität ankommen würde.

So ließ ich ihn stehen und fuhr auf meinem Fahrrad zu unserer Farm. Das einzige was mir wirklich daran gefiel, war der Weg dorthin. Für Minuten verlor ich mich in meinen Träumen, indessen der Wind eine Illusion der Schwerelosigkeit erschuf. Die Felder, die bis in die Berge reichten, ließen mich auf eine Endlosigkeit zusteuern.

Es gelang mir, nur die schlechten Seiten an Leontes auszublenden. Ich sah uns Hand in Hand über die Felder rennen und ohrfeigte mich innerlich gleichzeitig für die kitschige Szene. Für eine Weile tat es mir jedoch gut, den Tag im Nationalpark, in meiner Fantasie zu wiederholen.

Ich ging nur kurz rein und wieder raus. Meine Eltern begnügten sich mit der Erklärung, dass ich aus dienstlichen Gründen zurückkehren musste. Sie hassten die Idee dieser Reise ohnehin von vornherein. Wir begrüßten uns kurzangebunden, da im Lokal viele hungrige Gäste saßen. Guardiano rannte mir schon entgegen. Er sprang mir fast bis zum Bauch hinauf. „Na du Pups, hast du mich vermisst?" Ich küsste die Stelle zwischen seinen Ohren, bevor ich die Leine befestigte.

Draußen herrschte wieder angenehme Ruhe. Allein wegen des Geräuschpegels könnte ich das Lokal niemals übernehmen. Dafür liebte ich die Ruhe zu sehr, beziehungsweise die natürliche Geräuschkulisse, wie das Rauschen der hohen Gräser, wenn Luftzüge ihren Weg durch sie hindurch suchten, oder das Zirpen der Zikaden. „Du lernst gleich eine Verrückte mit großem Herzen kennen", versprach ich Guardiano. Die runden braunen Augen schauten kurz zu mir hinauf, ehe der Welpe wieder anfing Insekten zu fangen.

Die Einwohner Cesenas schlossen Guardiano schnell in ihre Herzen. Er bekam unzählige Leckereien von unterschiedlichen Restaurants, bis wir bei unserem Ziel ankamen. Anto saß bereits draußen an dem Tisch, direkt neben dem weißen Zaun. Unser Stammplatz, seit Kindesalter an. Als sie mich entdeckte, sprang sie jedoch auf. Ich fürchtete die Wucht, mit der sie mich gleich treffen würde, doch in dem Moment, in dem auch ich meine Arme um sie schloss, vergaß ich die Furcht. Mir stieg der Duft von floralem Parfum gemischt mit Haarspray in die Nase.

„Oh mein Gott, wer bist du denn? Ich lackiere dir die Nägel und kaufe dir hübsche Kleidchen!" Zwei Sekunden vergingen und der erste irre Einfall schoss aus ihrem Mundwerk.
„Anto, er ist kein Chihuahua", stoppte ich sie in ihrem Versuch der Tierquälerei. „Na und, ich bin auch kein Model und trage einen Minirock." Ich schüttelte den Kopf bei ihrem Vergleich. Anto packte sich die Leine und mich bei der Hand und führte uns zu unserem Stammtisch. „Ich habe dir schonmal einen Eiskaffee mit Karamell geordert und für dich bestell ich gleich noch eine Kugel Vanilleeis, kleiner Schatz, du." Dabei kniete sie sich neben ihrem Stuhl auf den Boden und knuddelte den Vierbeiner, bis sich dieser hechelnd auf den Rücken warf. Wenn es einen gut traf, dann Guardiano.

Anto setzte sich erst zu mir, als unsere Getränke ankamen. „Du glaubst gar nicht, wie froh ich darüber bin, dass auf deiner Reise irgendwas schief gelaufen ist." Wenn sie nur wüsste... Ich biss mir auf die Lippe, weil ich es ihr nicht sagen durfte. Damit tat ich das, was die anderen mir jahrelang antaten. So unlogisch es klang, so empfand ich die Gefahr für meine Freundin erst als echt, wenn ich es aussprechen würde. In ihrer Welt gab es noch keine Vampire und ich wäre dankbar gewesen, wenn es sie in meiner auch nicht geben würde. Schon seltsam, dass ich Leontes immer noch zu den Menschen zählte. Ich vergaß jedes mal, was ich auf dem Bildschirm gesehen hatte, wenn ich es mir nicht bewusst ins Gedächtnis rief.

„Erde an Nivia, was ist passiert?"
Die grauen Augen wechselten zu den blauen von Anto.
„Ich habe jemanden kennengelernt." Sie blinzelte einige Male, doch die Verwirrung wich nicht von ihren Gesichtszügen. Meine Antwort passte auch noch nicht zu der Frage, die sie mir stellte.
„Wir haben beschlossen, das Kreuzfahrtschiff gemeinsam zu verlassen." Ihr Mund klappte auf.
„In Kroatien. Wir sind wandern gegangen, haben geredet und gelacht. Er hat mir den Hund für zwanzigtausend Euro ersteigert und dadurch wahrscheinlich für eine Scheidung gesorgt." Allein bei der Erinnerung zuckten meine Mundwinkel.
„Gott, du bist so verschossen, Süße", schlussfolgerte sie, wobei mir ein kalter Schauer über den Rücken zog. So ein Quatsch, dachte ich nur und schüttelte mich dazu.

„Yvette sagt, er ist gefährlich und ich soll mich von ihm fernhalten."
Das waren die letzten Details, die ich ihr nennen konnte, ohne den Rest der Geschichte zu erwähnen.
„Wie? Woher kennt Yvette den Typen? Oh warte. Schon wieder ein Polizist?", mutmaßte Anto.
„Nein, kein Beamter, nur ein einfacher Mann, der trotzdem etwas bewirken will", flüsterte ich den genauen Wortklang nach. So hatte er sich bei mir vorgestellt, als er mich mit seinem plötzlichen Auftauchen vollkommen aus den Socken haute.

„Wie heißt er?" Anto schlürfte lauthals an ihrem Erdbeer-Milchshake, ohne mich dabei aus ihrer Sicht zu lassen. Liebesdramen waren ihr Hobby. Sie kannte jede Affäre jedes Prominenten.
„Leontes Ogliastra." Ihr Strohhalm ploppte zwischen ihren fülligen Lippen hervor. „Uhhh hört sich wirklich gefährlich an, wie so ein Mafioso." Wieso ich sie liebte? Weil mich jeder ihrer Kommentare zum Lachen brachte. Wie konnte ein Name sich gefährlich anhören?
„Du spinnst doch", warf ich ihr an den Kopf, doch sie bekam es vermutlich gar nicht mehr mit.
Dazu war sie viel zu sehr mit ihrem Handy beschäftigt. Der blonde Bob-Schnitt fiel vor, wie ein Vorhang, dadruch sah ich nicht mehr, was sie mit ihren weißen Nägeln tippte.

„Jetzt wundert mich nur noch, warum du nicht mit ihm in Kroatien geblieben bist. Gott, sieht der heiß aus." So oft, wie sie Gott benutzte, würde sie in der Hölle landen. Die Frau vor mir sabberte fast ihren Bildschirm voll. „Zeig mal!", forderte ich, worauf sie mir ihr Handy entgegen streckte.
Auf jedem dieser kleinen Bilder, wirkte er wieder wie geformter Beton, geschliffen bis zur Perfektion.
Doch ich meinte, mehr gesehen zu haben. Zum Beispiel das Herz, welches hinter dem Gestein schlug. Und das auch noch, nachdem ich erfuhr, dass alles, was er mir von sich erzählte, einer Fiktion entsprach.

„Ich freue mich ja für dich und so... aber ich meine, findest du nicht... Hast du es Kayden schon gebeichtet?", wagte sie es kaum, es auszusprechen, ganz so, als hätte ich ihn betrogen. Kayden war der einzige, der was zu beichten hatte. Bei dem Thema lehnte ich mich wieder zurück in den Stuhl und mied jeden Blick. „Da gibt es nichts zu beichten. Erstens, lief da nichts zwischen Leontes und mir. Er hat mich sogar abserviert, ohne sich zu verabschieden. Zweitens, du weißt genau, dass zwischen Kayden und mir genauso wenig läuft. Er bildet sich da was ein, obwohl ich alles tue, um ihn mir vom Hals zu halten."
Meine Freundin seufzte, beinahe genauso frustriert wie ich. Sie kannte mich vor Jahren schon so gut, dass sie mich damals vor dieser Beziehung gewarnt hatte. „Nivia, du musst es ihm nicht zeigen, sondern sagen, klipp und klar."

Anto hatte ja recht. Mir gefielen nur die Abende zusammen, die wir als ausgelassene Truppe am Strand verbrachten. Ich mochte es mit Kayden über komplizierte Fälle zu rätseln. Wir besaßen fast die selben Moralvorstellungen. Als wir noch Freunde waren, joggten wir gemeinsam. Dabei forderten wir uns gegenseitig heraus, verfolgten unsere Ziele und schossen gemeinsam darüber hinaus. Ein Teil von mir klammerte sich an unsere Freundschaft, die ich nicht gänzlich verlieren wollte.

„Ich werde mit ihm reden", beschloss ich ein für alle mal. Er hatte mich belogen und ich ihn. Wir schuldeten unserer Freundschaft das selbe. Die Wahrheit.

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