-𝟷-

Liebe hält die Zeit an und lässt die Ewigkeit beginnen zitierte ich Chuck Spezzano, nur mit dem Ergebnis, dass ich es nicht fühlte, ja nicht mal annähernd verstand.

Der weiße Hocker unter mir knarzte. Ich trug gerade den Labello auf, doch mein Blick wich von meinem Spiegelbild ab und wanderte zu den kleinen Polaroid-Aufnahmen. Diese eine Nacht war schon Jahre her... Seither ging es aber nur noch um Regeln, Sicherheit und Struktur.

Es hingen einige Bilder an meinem Spiegel, aufgeklebt mit süßem Klebeband. Die kleinen Herzchen erinnerten mich an eine Leichtigkeit, die mich längst verlassen hatte. Meine Augen blieben an einer Aufnahme von Kayden und mir hängen. Er lächelte verschmitzt in die Kamera, während ich meine Arme von hinten um seinen Hals legte.

Als wir noch Freunde waren, empfand ich Glück und jetzt schien es seltsam, wenn wir uns trafen. Wieso musste er derartige Gefühle entwickeln? Sah er denn nicht, dass diese so genannte Liebe sich wie eine Ratte durch unsere Bindung nagen würde, bis es keine mehr gab? Es ärgerte mich immer noch. Allerdings konnte ich nichts außer mir selbst kontrollieren und dies musste ich akzeptieren. Deswegen würde ich die Zügel in die Hand nehmen und mich trennen. So nahm ich es mir oft vor, doch letzten Endes zögerte ich, immer. Weil ich ihn eben nicht als Freund verlieren wollte. Er hatte mich im Revier vorgestellt und mir zu meiner Stelle verholfen, mich belehrt und mit mir gelacht. Ach ja, die vielen Nächte am Strand... Die Zweifel schoben sich wieder wie ein Schloss vor mein Vorhaben.
Ich schüttelte mich und presste die Lider zusammen. Heute ist es soweit! Du bist ihm nichts schuldig!, sprach die kühne Logik aus mir. Diesem Teil an mir traute ich am meisten.

Meine braunen Haare fanden sich in einem lockeren Dutt zusammen. Ich fühlte mich am wohlsten, wenn ich nicht auffiel. Deswegen beherbergte mein Schrank keine Farben, sondern alles zwischen Schwarz und Weiß. Als ich mich ein letztes mal in der Spieglung am lackierten Kleiderschrank prüfte, empfand ich den Kontrast meines übergroßen hellgrauen T-Shirts zu der tiefschwarzen Leggins als zu viel. Doch es fühlte sich bequem an und für mein Vorhaben brauchte ich absolutes Wohlbefinden.

Ich stieg die Treppen hinunter, sagte dabei Texte auf, die so klangen als hätte ich sie für die Schule auswendig gelernt. Lieber Kayden, ich denke unsere Beziehung ist ein Fehler. Als Freunde funktionieren wir besser...oder? Und hier hatten wir nur ein miserables Beispiel von vielen.

Neben den gebrechlichen Stufen, drangen auch Stimmen in mein Ohr. Kaydens raue Oktaven mischten sich mit dem glockenhellen Lachen meiner Mutter. Sie brachten mich ins Stocken.

Meine Eltern liebten diesen Mann. Kayden war als einfacher Polizist im mittleren Dienst aus den vereinigten Staaten zu uns gekommen, um mehr über das Rechtssystem in Europa zu erfahren und Mamma und Papà feierten ihn, wie einen Held. Mein Freund wusste es auch, sie mit seinen höflichen Floskeln und der strammen Haltung um den Finger zu wickeln. Wenn ich so recht darüber nachdachte, trugen sie mit Schuld an meinem Fiasko. Eigentlich sollten sie sich für mich von ihm trennen.

Ich wollte etwas gut machen, weil ich mich gegen deren Willen für eine Ausbildung bei der Polizei entschlossen hatte. Sie lebten gläubig und konventionell. In deren Vorstellung würde ich irgendwann das Landhaus übernehmen, natürlich gemeinsam mit meinem Ehemann und den Kindern. Allein bei der Vorstellung, fuhr mein Magen Karussell. Ich selbst sah mich als unabhängige Frau, die Karriere macht, von A nach B reist und den Schurken dieser Welt das Blut in den Adern gefrieren lässt. Daraus bestand vielleicht noch die einzige kindliche Fantasie, die mir noch blieb. Mit meinem Ziel vor Augen, hüpfte ich fast schon die letzten Stufen hinab.

„Hallo, alle zusammen!" Meine eigene Stimme klang künstlich. Ich stand da wie eine Irre mit einem starren Lächeln im Gesicht, in mitten des leergefegten Lokals. Die hölzernen Tische glänzten, die rosafarbenen Blüten quilten aus den Einmachgläsern. Meine unruhigen Finger machten sich wieder an der Nagelhaut zu schaffen. Wir nutzten immer die Mittagspausen, um gemeinsam als Familie zu essen. Ich musste zugeben, Kayden zu dieser Zeit an unserem Stammtisch zu sehen, passte mir nicht ins Bild.

Der glatzköpfige Mann stand sofort auf, um mir einen wohlplatzierten Kuss auf die Wange zu drücken.
„Ich konnte nicht mehr bis heute Abend warten, Muffin", flüsterte er mir zu, während das Blau seiner Augen aufleuchtete.
Es klebte so schleimig, wie ein vom Speichel zersetztes Kaugummi in meinem Ohr. Ein Blick auf die schlichte Uhr über dem Tresen, offenbarte mir, dass seine Schicht vor gerade mal einer halben Stunde beendet war. „Du musst ja hier her gerannt sein. Das ist doch nicht nötig gewesen." Das war es wirklich nicht. „Doch, weil ich dir was sagen muss!", widersprach er so, dass es jeder hören konnte, außer mein Vater. „Taulant, komm schnell!", rief meine Mutter fast schon hysterisch.

An jenem Mittag schien alles seltsam, fast wie in einem Theaterstück, bei dem ich nicht wusste, um was es ging. Normalerweise saßen wir jetzt schon am Tisch, Ardian stürzte sich auf das Essen, wie eine ausgehungerte Hyäne und wir quatschten über belanglose Dinge. Diese Routine schätzte ich.

Mein Vater spazierte mit meinem Bruder aus der Küche, er kam auf meine Mutter zu, während Ardian hinter dem Tresen stehen blieb. Papà legte seine Hände auf Mammas Schultern ab, die am Tisch saß. Plötzlich fühlte ich mich, wie die Hauptdarstellerin in diesem Drama.

„Mein kleiner Muffin, wir kennen uns nun seit drei Jahren", säuselte Kayden vor sich hin und Gott, so fingen die schlimmsten Offenbarungen an. Ich wollte ihm meine Hand auf die Lippen drücken, doch er nahm sie in seine und ich schwieg, spielte reglos meine mir aufgezwungene Rolle.
„Und es waren die besten drei Jahre meines Lebens. Ich glaube, ich habe mich schon in dich verliebt, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Wie du dort ganz vorne im Hörsaal gesessen und mich unentwegt mit deinen grünen Augen beobachtet hast." Sowas nannte man auch aufmerksames Zuhören, aber was solls. Kaydens zwei Meter schrumpften zur Hälfte, als er sich vor mir auf einem Knie platzierte und einen Ring aus seiner Jeans zauberte.

Mir stand kalter Schweiß auf der Stirn. Ich suchte nach Erlösung aus den Reihen der Zuschauer. Meine Eltern belächelten uns, wie ein hübsches Gemälde im Louvre. Ardian steckte sich einen Finger in den Hals und da wusste ich es. Nicht ich war die Irre. Nein, ich befand mich in einem Irrenhaus.

„Willst du mich heiraten, Muffin?"

Dunkelheit blitzte in meinen Gedanken auf. Kleine kalte Tropfen benetzten meine Haut. Der Umriss eines Gesichts drängte sich mir auf, doch es verschwand und übrig blieb die Angst, die ungefiltert durch meine Venen floss.
Dann war ich wieder in der Realität, in meiner sicheren Zone, unter all diesen Leuten, die ich kannte.

Sekunden der puren Erwartung folgten. Der Druck schob den Boden unter meinen Füßen zur Seite, doch leider verschwand ich dadurch nicht im Erdreich.
„Okay."
Hatten sie jemals eine glückliche Verlobte mit 'okay' antworten gehört? Doch meine Eltern schauten gar nicht zu mir, lieber fielen sie sich gegenseitig in die Arme.
Der Muffin in mir sprach dieses Wort aus, nicht die Nivia, die gerade verschwinden wollte, ohne jemals zurück zu blicken.

„Dio mio... Sag mal stört der Stock in deinem Arsch nicht beim Hinknien?" Da kam mir doch einmal das lose Mundwerk meines Bruder zur Rettung. Ardian stieß sich vom Tresen ab und marschierte auf den Ausgang zu. Ein lauter Knall folgte und er war weg.
Meine Gelegenheit, das Weite zu suchen, dachte ich mir still und heimlich. Mit den Worten „Ich werde nach ihm schauen", verabschiedete ich mich, glücklich über den noch ledigen Zustand meines Ringfingers.

Ich rannte dem wilden Braunschopf hinterher, dessen Haarsträhnen in der Sonne rötlich schimmerten. Ardian tätigte Schritte, die wahrscheinlich so groß waren, wie ich selbst.
„Jetzt warte doch!", zischte ich, während ich ihm über den Kiesweg hinweg folgte. Das hohe Feld links und rechts von uns bäumte sich im Wind bedrohlich auf. Die Grashalme tanzten im Einklang, wie die Wellen im Meer und mein schlaksiger Retter in seiner zerrissenen Hose betrat das ungezähmte Gefilde.

Etwa hundert Meter vom Weg entfernt legte er sich einfach hin. Ardian verschwand regelrecht im Grün. So skurril es aussehen mochte, ich tat es ihm gleich und so lagen wir nebeneinander auf der kühlen Wiese. Ich genoss es für eine Weile, mich gleichzeitig versteckt, aber auch vogelfrei zu fühlen. Über uns zogen die Wolken friedlich über die bergige Landschaft.

„Du liebst ihn doch gar nicht", behauptete mein Bruder und wieso sollte ich widersprechen, wenn es doch der Wahrheit entsprach. Es gab einerseits meinen Ärger darüber, dass Kayden diese Gefühle entwickelt hatte und auf der anderen Seite meine eigene Verzweiflung, weil ich es nicht schaffte, seine Liebe zu erwidern. Unsere Freundschaft war für mich zu einem Kampf geworden, der immer mehr an meinen Kräften zehrte. So wollte ich doch auch gar nicht sein, eher das Gegenteil.
Eine starke Frau... Nur worin bestand meine Stärke, wenn ich zustimmte, obwohl ich es nicht wollte.

In meine Nase stieg der beißende Geruch von Kräutern gemischt mit Rauch. Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Ardian sich eben einen Joint angezündet hatte. Genervt, verdrehte ich meine Augen. Meine Finger pflückten an den Halmen herum und zähmten so die Wut.
„Du liegst neben einer verdammten Polizistin!", erinnerte ich ihn an die Tatsache, dass ich ihn dafür ohne Probleme anzeigen könnte, doch er lachte nur. „Und meiner Schwester, die gerade den beschissensten Antrag überhaupt angenommen hat. Tut mir leid, wenn ich dich nicht ernst nehmen kann." Selbst als der Filter zwischen seinen Zähnen steckte, konnte er sein Grinsen nicht unterdrücken. „Du hättest dein Blick sehen sollen. Als würdest du gleich von einem Müllwagen überfahren werden", machte er sich weiter lustig.

Auch wenn meine Situation gerade keineswegs einer Komödie ähnelte, schmunzelte auch ich bei der Vorstellung. Allerdings wurde in dieser Kayden und nicht ich überfahren.
Ich entspannte wieder. In mein Sichtfeld rückte ein Flugzeug. Wo es wohl hinflog?
„Kayden wird es vergessen. Du weißt doch sicherlich noch, dass ich übermorgen eine Reise antrete? In diesen sechs Wochen wird sich bestimmt einiges ändern."
Zumindest hoffte ich es.
„Ohne Scheiß, ich werde dich bestimmt vermissen." Und ich ihn, ganz bestimmt sogar.

Ich wandte mein Gesicht zu ihm. Ardian wirkte so kaputt und jung zugleich. Seine markanten Kiefer- und Wangenknochen traten durch sein geringes Gewicht besonders hervor. Den Kragen seines Kapuzenpullovers zierten noch immer die Fettflecken vom letzten Abendessen. Er machte nichts aus sich, oder seinem Leben. Warum hatte ihn dieser Abend nicht so verändert, wie mich? Ich wollte nur noch mein Leben in der Hand haben und mich nie wieder so schutzlos fühlen.

Die Frage beantwortete ich mir selbst. Ardian hatte es nicht gesehen, weil er mit mir beschäftigt war. Außerdem wusste ich ja selbst nicht mehr, was mich so verschreckte. Zumindest unterließ mein Bruder von da an seine nächtlichen Treffen und beschränkte seinen Drogenkonsum auf Cannabis.

„Du wirst doch nicht wieder diese Typen aufsuchen, wenn ich weg bin? Versprich mir, dass du auf dich, Mamma und Papà aufpassen wirst!", verlangte ich von ihm, weil mich plötzlich schwere Zweifel wegen dieser Reise plagten. „Nein, Mann." Na gut. Dann versuchte ich diesem 'Nein, Mann' Glauben zu schenken.

Diese Fortbildung, ich betitelte sie gerne mit Auslandseinsatz, war mir unheimlich wichtig. Ich bekam die Gelegenheit wichtige Beamte kennenzulernen und sie mich. Und wer wusste es schon, vielleicht würde diese Kreuzfahrt quer über das Mittelmeer ja wirklich mein Leben nochmal verändern.

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