-𝟼-

Der fein drapierte weiße Stoff legte sich in wohl geformten Falten über meine Brust und gab auch ein wenig meiner Schultern frei. Ich hatte eben noch dezenten Goldschmuck angelegt und eine gleichfarbige Spange locker in meine Haare gesteckt. Damit war ich auch zufrieden, wenn mir nicht Antos vorwurfsvolle Stimme in den Ohren klingeln würde. Dann fand ich auch noch den weißen Nagellack, den meine Freundin irgendwie in meine Tasche geschmuggelt hatte. Man könne doch nicht mit nackten Fußnägeln in offene Sandalen schlüpfen, predigte sie. Also streckte ich mich über meine Knie und färbte sie in dem mitgelieferten Weiß.

Mein Handy vibrierte gerade als ich fertig wurde. Wenn man vom Teufel sprach, sei es auch nur in Gedanken... »Hello lieblings Officer, wie ist es so auf dem Schiff? Hoffe, du feierst keine wilden Partys ohne mich. Hier ist alles scheiße!! Kayden trauert, als wärst du schon im Mittelmeer versunken und Jesse ist deswegen total genervt. Meine Eltern streiten sich. Paps beschimpft Mama als Alkoholikerin. Ups...«
Ich schmunzelte bei der Idee, wie Anto alleine in ihrem Zimmer sitzen musste und sich beim Tippen dieser Nachricht eine Haarsträhne um den Finger wickelte. So, als sei sie absolut unschuldig.
»Haha, ich habe dir doch gesagt, bring die Flasche zurück. :D Die Kollegen hier sind Kröten! Hast du vielleicht auch jemanden aus meiner Familie gesehen? Vermisse euch alle«, antwortete ich ihr und schoss noch ein Foto von meinen pedikürten Nägeln mit dem Kommentar »hab's getan.«

Diese Wilkommensfeier nervte mich jetzt schon, doch ich stand auf der Gästeliste. Ein ausgelassener Abend könnte mich auch wichtigen Persönlichkeiten näher bringen. Hoffentlich waren diese netter, als diese, die ich bereits kennenlernen durfte.

Ich legte mein Handy auf dem Bett ab und kletterte selbst darauf. Nur so konnte ich das gesamte Outfit beurteilen. Der Volant flatterte locker über meinen Knien. Ich war keine Fiamma, die unbedingt zeigen musste, was sie hatte und manchmal beneidete ich Frauen für ihre offene Art. Es war nicht so, dass ich mich nicht hübsch fand, nur konnte ich noch nie mit zu viel Aufmerksamkeit umgehen. Wenn zu viele hinsahen, lief einfach alles schief. Yvette sagte immer, dass ich an meiner Erscheinung arbeiten sollte, wenn ich mir als Polizistin Respekt verdienen wollte. Es fiel mir schwerer, als ich dachte, vor allem hier draußen, ganz alleine unter Fremden.
Ich lehnte mich an eine der Luken und starrte auf das Wasser. Die stetig selben Bewegungen, das unendliche Blau, entfernten mich von meinen Sorgen. Sie trieben kurzzeitig davon, bis ein Klopfen mich aus der Trance riss.

Vorsichtig trat ich auf dem Boden auf, darauf bedacht, nicht den Nagellack zu verschmieren.
Ich erwartete den Zimmerservice, eine verirrte Person, doch niemals Leontes Ogliastra.
Bei seinem Anblick, gaben die Muskeln in meinen Beinen nach und ich war gezwungen, mich an der Tür zu stützen. „Signora Shehu, mein Verhalten Ihnen gegenüber war mehr als unangemessen. Ich muss mich entschuldigen", begann er zu faseln, ohne zu warten, dass ich wieder zur Besinnung kommen würde. Ich hing an seinem Mund, fuhr die abgerundeten Spitzen seiner Lippenbögen nach.
„Wissen Sie, wie viele Frauen mich am Tag ansprechen? Es ist nervenaufreibend", gab er zu.
Ein Teil von mir empfand diese Offenbarung als so ziemlich eingebildet, ein anderer verstand es. Er sah gut aus, leitete eine Organisation und besaß dem Anschein nach Geld. Das mochte einige Personen anziehen, vor allem diese, die man nicht brauchte.

„Sie sagen nichts, das heißt wohl, Sie sind noch wütend. Ich biete Ihnen einen Handel an. Verzeihen Sie mir und ich gehe mit Ihnen spazieren und beantworte all Ihre Fragen von heute Morgen."

Die Wut war schon längst verflogen. Herr Ogliastra interpretierte mein Schweigen ganz falsch. Die Situation kam mir immer noch so surreal vor. Der Mann, den ich für unantastbar hielt, machte sich die Mühe mein Zimmer aufzusuchen, um sich zu entschuldigen.

„Signora...", begann er, doch ich stoppte ihn. „Nivia, Beamte im mittleren Dienst, stationiert in Cesena." Wieso hatte ich diesen stocksteifen Text nur auswendig gelernt? Ich streckte ihm meine zittrige Hand entgegen. Er versuchte sein schiefes Grinsen zu verbergen und konzentrierte sich stattdessen auf meine Hand. „Leontes, kein Beamter, ein einfacher Mann, der trotzdem was bewirken will." Die Beschreibung passte nicht zu ihm. Seine aufwendige Bekleidung allein hatte nichts Einfaches an sich. Er brauchte gewiss Stunden vor dem Spiegel.

Leontes nahm meine Hand fest in seine. Mein Körper hing nur noch mehr am Holz, je mehr meine untere Muskulatur nachgab. Er umschloss nur einen kleinen Part von mir und doch spürte ich seine Präsenz überall. Ich war gebannt von diesem Gefühl, wie von einem Blitz getroffen worden zu sein. Die Elektrizität strömte durch meine Adern.
„Willst du vielleicht noch Schuhe anziehen?", bemerkte er bei einem Blick auf meine nackten Füße. „Ja!" Viel zu schnell, entfernte ich mich und klatschte ihm die Tür vor der Nase zu.

Was zur Hölle war los mit mir?! Ich raufte meine Haare, zerpflückte dabei die halbwegs anständige Frisur. Die emanzipierte Frau in mir, warnte mich vor diesem Teufel. In seiner Gegenwart fiel ich bodenlos, abhängig davon, ob er mich rettete.

Ich zog mir die mit Steinchen besetzten Sandalen über und ermahnte mich zur Vernunft.
„Er ist sowas, wie ein Geschäftspartner. Beherrsch dich, Mädchen!" Dazu tippte ich auf mein eigenes Spiegelbild und doch sprühte ich Sekunden später, jeden Zentimeter an mir mit meinem besten Parfüm ein.

Vor der Tür schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Möge das Libre von Yves Saint Laurent mich in die starke und unabhängige Frau aus der Werbung verwandeln.

„Wir können los", beschloss ich lauthals im selben Zuge, wie ich die Tür wieder aufriss.
„So soll es sein." Er stieß sich mit seinem Bein von der Wand ab.
„Das hinterlässt Flecken", stellte ich tadelnd fest, ohne meine Worte zu bedenken. „Eine blöde Angewohnheit", gab er mir Recht, bevor ich es bereuen konnte.
Leontes bat mir seinen Ellenbogen an, doch ich lief ihm voraus.
Seine Entschuldigung,
meine Bedingungen, auch wenn ich diese nur mit Mühe durchsetzte. Dieser Mann zog mich magisch an. Und obwohl ich an seinem Körper hängen wollte, wie eine Fliege im Spinnennetz, blitzte auch ein Kayden in Form eines schlechten Gewissens ständig in meinem Kopf auf.

Es trieb mich sofort nach draußen auf das Deck. Wir liefen schweigend nebeneinander her,
während die Sonne erbarmungslos unsere Haut verbrannte. Ich hatte vergessen Sonnencreme aufzutragen und ich wusste, ich würde es bereuen.
„Was ist die Vereinigung 066?", wiederholte ich meine erste Frage.

Er steckte seine Hände lässig in die Hosentaschen. „Eine Vereinigung unabhängiger Mitglieder, die der Polizei Unterstützung bieten. Da es viele von uns gibt, dienen wir meist als Informanten aus allen Kreisen", erklärte er, was stimmig klang, doch nicht komplett. „Die 066 steht bei der Polizei für die Blutentnahme. Gibt es dazu auch einen Bezug?" Meine Neugierde war geweckt.
Leontes lachte ein raues Lachen, welches mir durch Mark und Knochen ging und mich für's Erste stumm stimmte. Ich zog die Zügel meiner Tasche noch höher über meine Schulter, um mich ein wenig vor seiner Präsenz einzuhüllen.
„Da hat jemand seine Aufgaben erledigt. Wir haben bestimmt Spender unter uns, aber das ist mehr eine private Entscheidung als eine Pflicht. Also nein, kein mir bekannter Zusammenhang."

Eine Weile schlenderten wir schweigend, bis ich mich an eine Wand lehnte, die im Schatten lag.
Ich wollte nicht nach zwei Tagen an einem Sonnenstich sterben. Meine Kraft, ihm standzuhalten, stieß auch an ihre Grenzen. Mir war, als müsste ich meine Luft anhalten, um sein herbes Parfum nicht zu inhalieren. In jeder Minute mied ich seinen Anblick und ich wollte nichts mehr wissen, wenn ich so dem Tenor in seiner Stimme entfliehen konnte. Doch er bemerkte mein Schweigen und drehte den Spieß um.

„Wieso hast du dich für eine Laufbahn bei der Polizei entschieden, Nivia?" Mein Name tanzte leidenschaftlichen Tango auf seiner Zunge. „Was kann eine starke Frau besseres in ihrem Leben machen? Es bedeutet für mich, immer wieder neue Grenzen zu übersteigen, meine Stärken zu nutzen, um zu helfen und an meinen Schwächen zu arbeiten", beschrieb ich kurz, wieso ich es liebte Polizistin zu sein. Es passte zu allem, was meinen Charakter ausmachte. Außerdem beschützte ich mich so vor meinen eigenen Ängsten, vor allem nach dieser Nacht.

„Wo kommt die Narbe her?" Erst jetzt begriff ich, wie meine Hand unbewusst zu meiner Wange hinauf gewandert war. „Eine kleine Auseinandersetzung mit meinem Bruder, als wir noch kleiner waren", log ich eine halbe Lüge, sowie zeitgleich eine halbe Wahrheit. Leontes beobachtete mich. Seine Stirn verzog sich zu feinen Linien. Er suchte nach der Hälfte, die an meiner Geschichte stimmte, doch er würde sie niemals finden. Keiner, außer Ardian und mir wussten Bescheid.

„Fiamma hatte mir erzählt, du kannst wunderschön zeichnen", warf er aus dem Kontext gerissen ein, so als müsste er sich selbst aufhalten, weiter nach zu bohren. Er wandte sich von mir ab und stellte sich an die Rehling, unter die pralle Sonne. In der Helligkeit erkannte ich das zurückhaltende Karomuster seines schwarzen Anzugs. Silberne Fäden schlängelten sich durch den festen Stoff.

Fiamma... Innerlich würgte ich. Ich ließ ein verächtliches Zischen von mir, während ich auf ihn zuging und mich neben ihn an die Rehling lehnte. „Deine Freundin hat einen Hang zum Übertreiben." Allein der Gedanke daran, wie sie ihre Haare nach hinten warf, reichte, und meine Augen verdrehten sich von selbst.

„Das scheint nur so, eigentlich ist sie sehr realistisch."
Ich merkte, wie er mich von der Seite musterte und an der Tonart, dass er dabei schmunzelte.
Leontes schöpfte vermutlich den Verdacht, ich sei eifersüchtig.
Fiamma kotzte mich an! Realistisch? Sie war eine Heuchlerin, ein verlogener Fuchs.

„Bitte zeig mir deine Zeichnung" bat er. Seine Haltung untermalte die Dringlichkeit. Er wandte sich mir ganz zu. Ich zählte die Knöpfe seines schwarzen Hemdes, um mich davon abzulenken, wie es wohl darunter aussah.
„Es ist nur eine Blume mit vielen Dornen", beschrieb ich, was keiner unbedingt sehen musste und zuckte nur mit den Schultern. „Zeig sie mir", forderte er diesmal strenger. Ich streckte meine Finger in die Tasche und packte das Papier. Es war doch nichts dran, also wieso stellte ich mich so an? Obwohl so, wie er mir den Notizblock aus den Händen raubte, glaubte ich mir selbst kaum noch. Sein Grau zuckte von links nach rechts. Leontes wirkte so wissbegierig. Er saugte förmlich das Blei aus dem Papier. Jedes noch so kleine Detail würde zu einem Foto in seinem Gedächtnis werden. Mich überkam das Gefühl, er wäre so besessen danach, dass er ganz vergas, dass ich neben ihm stand.

Erst die Vibration meines Handys brachte ihn wieder zurück. Es handelte sich um meines, stellte ich fest.
Ein Blick darauf reichte, um Kayden an seiner Glatze zu erkennen. Ich schluckte. Darauf hatte ich jetzt sowas von keine Lust. Auch wenn es mir nicht leicht fiel, ich drückte ihn weg. Jetzt musste ich mich auf mich konzentrieren. „Ein unerwünschter Verehrer?" Dabei streckte Leontes mir meinen Block entgegen. Ich nahm ihn an mich und gemeinsam mit dem Handy, landete er in der Tasche. „Nein", brachte ich nur Zustande. Kayden war mehr und das durfte ich nach jahrelanger Freundschaft nicht leugnen.

„Leider ruft die Arbeit, aber ich hatte einen sehr interessanten Spaziergang mit dir, Nivia. Hättest du Lust, meine Begleitung für den heutigen Empfang zu sein?" Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. Sein innerer König wusste, dass ich liebend gerne zugesagt hätte. Ein Teil von mir war ihm verfallen, wie die Frauen, die er loswerden wollte. Ich strebte mich dagegen, ihm die Zeichnung zu zeigen und doch tat ich es. Kayden wurde unterdrückt, damit er mir drei Sekunden mehr vor der Netzhaut posieren durfte. Meine innere Königin unterwarf sich in seiner Gegenwart. Egal, was dazu führte, hier endete es. Ich fühlte mich, wie eine Idiotin, wenn ich die letzten Stunden Revue passieren ließ.

„Danke, aber nein. Ich werde dort sein, aber nicht als dein Accessoire."


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top