-𝟸𝟼-
Mein letztes Stündchen hatte geschlagen. Dieses Industriegebiet schrie nach Folterung und Verdammnis. Keiner würde mich jemals wieder finden.
Roel wurde von Wachleuten durch ein hohes Tor gelassen. Der Pförtner wirkte allerdings recht menschlich und unbegeistert, was mich wiederum einen Millimeter beruhigte.
„Ich höre dein Herz lauter schlagen als meins." In meinen Ohr vernahm ich nur das Adrenalin rauschen. Der Vampir neben mir, parkte das Auto mitten auf dem offenen Gelände.
Um uns herum ragten dutzende Lagerhallen in die Höhe und gemauerte Gebäude, aus denen hohe Säulen bis in den Himmel reichten. Aus ihnen trat dunkler Qualm aus.
Ich wollte gar nicht wissen, was sie in der Firma verbrannten.
In welche Richtung ich aus sah, ich fand kein Ende. Dieses Grundstück umfasste sicherlich die Größe einer Kleinstadt.
Mir wurde schlagartig schlecht. Kaum standen die Räder des Mercedes still, fiel ich beinahe aus dem tiefgelegten Wagen. Lediglich das eiserne Fahrgestell stützte meine wackeligen Knie. Ich hangelte mich bis zum Kofferraum, den Roel mir gnädiger Weise öffnete. Wie einem Schulkind, zog er mir meinen Rucksack über. „Hast du was aus unserem Training letztens mitgenommen?"
Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen. „Diese Frage beruhigt mich nicht wirklich", gab ich ihm zu verstehen. Ich fühlte mich alles andere als bereit für den möglichen Ernstfall.
„Das war auch nicht meine Absicht." Seine braunen Augen verzogen sich zu schmalen Schlitzen, so herzlich lachte er. Na wenigsten gab es für einen Grund zur Freude.
Wir liefen auf ein vergilbtes Gebäude mit Blechdach zu. Roel drückte die dunkelblaue Metalltür einfach auf. Ich registrierte Überwachungskameras vor und hinter der Tür. Mich erschlug der Gestank von Essig gemischt mit Zitrone. Schon vor der Tür roch ich es, doch der Wind draußen, vertrieb die giftigen Gase. „Die billigen Lüftungsanlagen ziehen mehr Luft rein, als sie rauslassen können", erklärte Roel beiläufig. Ich hielt mir ein Stück meiner Kapuze vor die Nase, bevor ich noch umkippte.
Das kleine Gebäude bestand nur aus einem breiten Gang, von dem drei eiserne Türen abgingen. Die Wände wurden allesamt mit Wellblech verkleidet. „Das ist nur das Verwaltungshaus. Rosi und Vera kümmern sich hier um die Papiere." Es bekam langsam Züge einer Firmenführung. Wahrscheinlich war ich die erste, die in den Geschmack kam, MedicoSMart hinter den Kulissen kennenzulernen.
Wir liefen auf die Tür geradeaus zu. Sie verbarg die erste riesige Halle. Emsige Arbeiter mit blauen Schutzhelmen bedienten die Maschinen, prüften Fläschchen, oder schleppten Kisten. Die meisten beachteten uns gar nicht. Durch das offene Tor am Ende der Halle strömte frische Luft hinein und doch nicht genug, um frei atmen zu können. Roel und ich gingen auf genau dieses Ende zu. Ich erhaschte einen kurzen Blick nach draußen, wo weitere unzählige Hallen sich aneinander reihten. Vermutlich sah es in ihnen ähnlich aus. Hätte ich keinerlei Hintergrundwissen, dann hätte ich den Ort für eine normale riesige Industrie gehalten.
Ich suchte nach Auffälligkeiten, doch fand keine.
Zusammen erklommen wir eine metallische Wendetreppe. Von hier oben, überblickte ich die ganzen Maschinen und Menschen. Die Arbeiter nutzten dieses Montage-Podest, um an die höher liegende Technik zu kommen. Ein paar von ihnen, drängelten sich an uns vorbei. Ich schmiegte mich an Roel, um an sein Ohr zu kommen. "Sind das alles Vampire?", fragte ich ihn möglichst leise. "Nein. Das sind einfache Produktionsmitarbeiter, Mechaniker, Elektriker und so." In seiner Stimme lag Verwunderung. Woher sollte ich denn wissen, wo und für was Vampire hier eingesetzt wurden? „Der spannende Teil kommt noch", versprach er mir, gekrönt von einem Zwinkern. Für mein Empfinden war das schon spannend genug.
Am oberen Absatz der Treppe wurde ich das erste Mal neugierig. Während das ganze Werk veraltet schien, führte der schmale Gang vor uns, zu einer elektrischen Schiebetür. Fast hätte ich sie, durch die zwei Godzillas, die davor standen, nicht entdeckt. Roel riss an meinem Arm, doch ich stockte. Es zog mich, fast schon magisch, dort hin. Die glatzköpfigen Männer erinnert mich durch ihre stattliche Figur und Frisur an Kayden. Alles in dieser Halle rostete, nur nicht diese schwarze matte Tür. An der Wand hing eine Art Bildschirm. Ich vermutete, dass sich das schwere Metall nur zur Seite schob, wenn das richtige Gesicht, oder die passende Hand, die Sicherheitsvorkehrung berührte. „Wo geht's dahin?", sprach ich meinen Begleiter auf das offensichtliche Geheimnis an.
„Keine Ahnung. Das sind Feliz Räume. Sie werden streng überwacht. Jeder, der versucht hat, da rein zu kommen, ist verschwunden." Mein Kopf wandte sich ruckartig zu ihm. Diesmal durchforstete ich sein Gesicht vergeblich nach Schelm. Er wirkte ernst und selbst hypnotisiert von der schwarzen Tür. Doch wahrscheinlich lernte er Folgsamkeit besser als ich. Letztendlich riss es mich doch weiter.
Unser Weg setzte sich in einer geschlossenen Brücke fort. Es erinnerte mich an die Gänge, die man passierte, um in ein Flugzeug zu gelangen. Wir steuerten über die Dächer hinweg, auf ein weiteres großes Gebäude zu. Dieses ähnelte einem modernen Krankenhaus.
Ich betrat neuen Boden, ausgelegt mit Teppich in royalem Blau. Besser gesagt, ich betrat eine neue Welt, im Vergleich zu dem, was ich zuvor zusehen bekam. Hochgewachsene Pflanzen zierten beige Wände. Die Deckenleuchten strahlten in einem warmen Ton. Es duftete, ähnlich, wie in unserem Büro nach frischen Kaffeebohnen. Roel klopfte gegen eine Tür, vermutlich aus echtem Holz. Innerlich sank ich fast in die Knie. Ich dachte, wir hätten den König dieser Industrie erreicht. „Das ist mein Büro, falls du mich mal besuchen möchtest." Er versuchte ein Schmunzeln zu unterdrücken, doch ich kannte ihn schon so genau, um sagen zu können, dass er das mit voller Absicht getan hatte. „Irgendwann bist du dran!" Ich tippte nach jedem Wort energisch auf seine Brust. „Ich kann's kaum erwarten."
Wir ließen den halbdunklen Korridor hinter uns und erreichten eine offene Rezeption.
Die junge Blondine hinter dem Tresen empfing vor allem Roel mit strahlenden Augen.
„Guten Tag Signor Ademi, soll ich Sie bei Herrn Zovko ankündigen?" Ihre Tonart verklebte mein Gehör, wie süßer Honig. „Signora Esposito, schön Sie zu sehen. Richten Sie Herrn Zovko bitte aus, dass er Signora Shehu nun in Empfang nehmen kann." Als die nette Dame sich dem Telefon widmete, verzog ich mein Gesicht zu einer Grimasse und äffte deren übertrieben höfliche Floskeln nach. „Nicht eifersüchtig sein, Dashuri."
Von mir aus, sollte er ihr all die Zeit widmen, die er leider mit mir verbrachte.
„Signora Shehu kann zu ihm herein, alleine. Sie sind nicht erwünscht, Signor Ademi", leitete Signora Esposita an uns weiter.
Völlig entrüstet, wanderte mein Blick an Roels Lederjacke hinauf. So war das nicht geplant! Es schien ihm gleichgültig. Er flirtete lieber mit der Rezeptionistin. Das ich meine Finger im Saum seiner Jacke vergrub, merkte er erst, als er einen Schritt davon ging. Roel stoppte und drehte sich noch einmal um. Seine Hand legte sich um meine. Vorsichtig löste er meine Finger, jeden einzeln.
„Zeig's ihm, meine Schöne." Darauf drückte er mir seine warmen Lippen auf den Handrücken. „Verräter!", zischte ich ihm entgegen, unwillig seine Hand loszulassen.
Ich erwartete Mitleid am falschen Ort, bei den falschen Personen. Der Vampir ließ mich alleine zurück.
„Signora, das Büro von Signor Zovko befindet sich gleich hinter Ihnen" wies mich die junge Frau an, das Zimmer zu betreten. Einen Rückzug gab es nicht mehr und jeder Schritt nach vorne, brachte mich Anto näher.
Dies wiederholte ich, wie ein Mantra, indessen ich mich vor das massive Holz quälte. Es wurde von goldenen Leisten geschmückt. Das passte zu der vermeintlichen Gottheit in dem Raum.
Meine Eltern brachten mir bei, egal wie verkehrt sich eine Person benahm, man durfte nie seinen eigenen Anstand vergessen. Also klopfte ich höflich und wartete, bis mich jemand hinein zitierte.
Ich fuhr zusammen, als der Mann persönlich, mir seine Tore öffnete.
„Ahh, Signora Shehu. Sie haben mich warten lassen, aber kommen Sie doch rein." Verunsichert blieb ich stehen und analysierte jeden Zentimeter dieses Menschen. Glänzende Lackschuhe spiegelten meine Augenringe. Seine Kleidung saß so ordentlich an ihm, wie an einem Mannequin im Luxusladen. Als wären ihm meine Blicke aufgefallen, zupfte er sein rotes Jackett aus Samt zurecht.
Sein Stil erinnerte mich an den von Hugh Heffner, den einstigen Playboy-Vater.
Er sprühte Charme aus mit seiner offenen Körperhaltung. Die Fältchen, um seine schmalen, grün-braunen Augen, die entstanden, wenn er seine Mundwinkel hob, sahen gut an ihm aus. Wie eine Kobra, zog er mich in seinen Bann, so dass ich jeder seiner Bewegungen folgen musste. Das Grün seiner Iriden ließ sich nicht mit dem unserer Familie vergleichen. Es befleckte das dunkle Braun mit Gift.
Ich nahm meinen Mut zusammen und übertrat die Schwelle. Über mir schwebte eine Kamera. Der Mann achtete auf strenge Überwachung. Unser Revier war nichts dagegen.
Die Wand rechts von mir bestand aus einer Fensterfront. Dies durchflutete den Raum mit Licht, bot ihm aber auch eine Beschattung seiner Mitarbeiter.
Insgesamt verstärkte dieses Büro die Gänsehaut, die sich vor Kälte über meine Haut legte. Die anderen Wände waren weiß, die Möbel grau, der Boden marmoriert.
Hinter dem schwarzen Drehstuhl aus Leder, der gewiss ihm gehörte, hingen Auszeichnungen.
„Nehmen Sie doch Platz", bot er mir den Stuhl, sich gegenüber an, während er selbst, auf dem Drehstuhl Platz nahm. Er stützte seine Ellenbogen auf den grau lackierten Tisch und tippte seine Finger nachdenklich, oder auch ungeduldig aneinander. Ich wich seinem prüfenden Starren aus. Meine Augen wanderten über seine Arbeitsfläche. Da stand das Schnurtelefon mit welchem er mich hinein riefen ließ und gleich daneben ein kleiner Kaktus. Auf der anderen Seite strahlte ihm sein eigenes Ich auf einem Foto entgegen. Tatsächlich empfing mich hier ein scheinbar liebender Familienvater. Auf dem Foto schaute eine hübsche Frau ihn verliebt an. Sie standen nebeneinander und legten ihre Arme über die Schultern von zwei Jungs, beide im selben Kindesalter und kaum von einander zu unterscheiden.
„Mir ist zu Ohren gekommen, Sie hätten die Kooperation mit der 066 aufgenommen." Leider. Ich nickte, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. „Ich lade jeden Frischling ein, um in Erfahrung zu bringen, wie unsere ehrenwerte Gesetzeshüter zu den Verlorenen stehen. Meine untoten Kinder, wie ich sie gerne nenne, sind mir ungeheuer wichtig." In meinen Gedanken blitzte nur Roel auf und welche grausamen Geschichten er ihm schon von mir erzählt haben musste. Wahrscheinlich stellte er sich als Oper dar, dass wegen mir und Leontes kenterte.
„Ich respektiere alle Lebewesen, die mir nicht in die Quere kommen", ließ ich ihn wissen. Meine Stimme klang dabei strenger als beabsichtigt. Im Kontrast dazu, beschwichtigten mich die Klänge leiser, klassischer Musik, die ganz dezent, die Umgebung bereicherten.
„So, so. Und wie kommen Sie voran mit Ihrer Arbeit als Rechtsvertreterin? Gefällt sie Ihnen noch genauso gut, wie vor der Bekanntschaft mit den Untoten?"
Ich fragte mich, welche Schlüsse er aus seinem kleinen Interview ziehen wollte.
„Im Prinzip hat sich nichts verändert. Es gibt immer noch gute und böse Gestalten auf dieser Welt. Ich bin nach, wie vor hinter Letzterem her."
Sein Grinsen ließ mich frösteln.
Allein seine Anwesenheit reichte, um mich in die Antarktis zu versetzen. Ich sehnte mich, wie noch nie, nach frischer Luft und warmen Sonnenstrahlen.
„Der Mensch und seine ewigen Moralvorstellungen, die ihm erlauben, sich für den Überlegenen zu halten. Dabei kann er sich nichtmal an seine eigene Moral halten." Warum erzählte er mir das? Dem galt er doch als perfektes Beispiel. Ich schaffte es nicht mehr, mich zu beherrschen. Immerhin reiste ich nur aus einem Grund hier an. „Wie zum Beispiel, dass wir Menschen suchen, die einst vom Menschen selbst entführt wurden?", spielte ich auf Antonella an.
„Du bist ein schlaues Köpfchen, Nivia." Nun nahm er sich auch noch die Unverschämtheit, mich beim Vornamen zu nennen.
„Signor Zovko, mich interessiert weder Ihre Meinung, noch Ihr Geschäft. Ich bin nur wegen meiner Freundin hier. Wo ist sie?" Ich konnte nicht einschätzen, wo sich seine Grenzen befanden. Eventuell brachte ich mich durch meine vorlaute Art in eine gefährliche Sackgasse.
Auf meiner Stirn bildeten sich feine Schweißperlen. Der Mann vor mir, strahlte Ruhe aus. Die Ruhe vor dem Sturm. „Roel meinte, du würdest dich wohler fühlen, in der Anwesenheit einer geliebten Person und ich vertraue meinem liebsten Schützling."
Und ich sollte überdenken, diesem liebsten Schützling mein Vertrauen zu schenken.
„Ich will dir was zeigen. Du musst nur hier bleiben und es auf dich wirken lassen. Morgen lass ich dich mit deiner Freundin direkt vor euer trautes Heim fahren. Unversehrt und mit geöffneten Augen. Ist das ein Angebot?", bat er um meine Zusage.
„Ein Angebot, welches ich annehme", bejahte ich, ohne den blassesten Schimmer, was mich erwarten würde.
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