-𝟷𝟹-
Was für ein Rollenwechsel. Wie eine kriminelle in meinem eigenen Haus, schlich ich durch den Flur, wie es sonst eigentlich Ardian tat. Kein Wunder, dass er mich erwischte.
„Ist was passiert? Warum bist du schon zurück?" Wie süß, ich freute mich auch ihn wieder zu sehen. Doch anstatt ihm irgendwas zu erklären, log ich nur, dass ich schon zur Arbeit musste. Mein Körper quetschte sich an seiner zierlichen Gestalt vorbei.
Die Sonne schaffte es noch nicht über die Häuser hinaus zu wachsen, als ich um sechs Uhr morgens mein Fahrrad durch die friedlichen Gässchen Cesenas schob. Ein Zuhause verdiente seinen Titel nicht mehr, wenn sich alle Menschen im Umfeld veränderten. Ich fühlte mich bis vor Kurzem auch an der Arbeit wie daheim. Nun fiel mir allein der Weg dorthin so schwer. Andere Personen könnten mir ein Lied davon singen, doch bis zu einer gewissen Kreuzfahrt hatte ich meinen Beruf geliebt.
Mein Handy vibrierte. Ein gelegener Grund, um stehen zu bleiben.
»Ahhhh, ich flippe aus!! Wann sehen wir uns?« Wenigstens Anto freute sich ausnahmslos. Ich hatte ihr gleich nach meiner Ankunft geschrieben, sie solle raten, wer wieder in der Stadt ist. »Um vier im Dolce Gusto?« Sie blieb eine stabile Variable in meiner zerrütteten Welt. Anto erhellte gerade mein Gemüt, ohne tatsächlich anwesend zu sein. Es brauchte nur die Vorstellung, wie sie gerade wohl jubelnd durch ihr Zimmer tanzte und dabei Haarspray im Raum verteilte, wie eine kleine Fee ihren Feenstaub.
Eigentlich begann meine Schicht erst um sieben, doch ich erhoffte mir, dass ich früher gehen durfte, wenn ich jetzt schon da war. Somit konnte ich absolut sichergehen, dass ich meinem Ex nicht über den Weg lief.
Ich betrat das Gebäude mehr wie ein unauffälliger Besucher, als eine Mitarbeiterin. Normalerweise schneite ich immer lauthals ins Büro und grüßte jeden. Manchmal brachte ich meinen lieblings Kollegen sogar einen Kaffee mit, doch darauf würden sie verzichten müssen. Die liebe kleine Nivia, die sie durch eine Lüge beschützen mussten, gab es nicht mehr.
Es war noch keiner da. Ich hatte mir also unbegründet Sorgen gemacht. Ganz entspannt setzte ich den Kaffee auf, bevor ich mir eine Tasse mit an meinen Schreibtisch des Großraumbüros nahm. In mir keimte der Wunsch auf, sie würden sich heute alle krank schreiben lassen, anstatt mich mit ihren neugierigen Blicken zu belästigen. Was hatte Yvette ihrem Personal diesmal aufgetragen? Darüber zu schweigen, dass ich nun über das Bescheid wusste, worüber ich keine Ahnung haben sollte. Sie hatten mich damit aus dem Team gedrängt. So fühlte es sich an.
Der Bildschirm des uralten Computers flackerte auf. In meinen Schubladen befanden sich noch einige Protokolle, die darauf warteten, abgetippt zu werden. 'Alberto Romano, zweiundfünfzig Jahre alt, wurde von der Sonne geblendet und fuhr daraufhin gegen eine Straßenlaterne. Er ist unverletzt. Gutachten der Sachbeschädigung steht noch aus.'
Wie langweilig mir diese Fälle plötzlich vorkamen. Nicht nur das, es erschien im Vergleich zu den Vampirzähnen, die ich kennenlernen durfte, fast schon unwichtig.
Meine Finger über der Tastatur kribbelten vor Tatendrang. Allerdings wollte ich Dinge, die ich vergessen sollte. Ich öffnete das Laufwerk für die Personensuche. 'Leontes Ogliastra' stand es dort von mir geschrieben. Schon lustig, dass ich den Namen schon so lange kannte und mir vor Kurzem noch einen alten, rundlichen Mann darunter vorstellte.
Noch bevor ich auf Enter tippte, lag auf einmal eine Hand auf meiner Schulter. Ich blickte an den roten Fingernägeln hinauf, über die knöchrigen Finger, bis hin zu dem Kopf meiner Vorgesetzten.
„Kommst du bitte mit in mein Büro?"
Sie hatte sich eine ihrer schwarz-grauen Locken glatt gegelt und mit einer von Perlen besetzten Spange oberhalb ihres Ohres befestigt. Um ihr Styling kümmerte sie sich, aber nicht um die Sicherheit ihres Personals.
Ich schüttelte ihre Hand ab und folgte ihr schweigend. In ihrem Büro haute mich beinahe der Duft von Sandelholz um. Ein neuer Lufterfrischer steckte in der Steckdose genau neben der Tür. Er schaffte es aber nicht, den Gestank von abgestandem Rauch sämtlich aus dem Büro zu vertreiben. Yvettes ungesunde Angewohnheit hatte sich wahrscheinlich schon in den dafür ungünstigen Teppichboden gefressen.
„Was ist passiert, ma fille?" Was so viel wie 'mein Mädchen' bedeutete. Normalerweise war sie nie so nett. Das schlechte Gewissen drückte ihre Augenbrauen mitleidig nieder. Sie brauchte sich keine Vorwürfe mehr zu machen. Von nun an übernahm ich selbst die Verantwortung für mich. Vertrauen in diesem Team schien fehl am Platz.
„Nun ja, ich wurde mit den freundlichen Worten empfangen, wie sehr meine Leute mich hassen müssten, um mich unwissend auf so eine Reisen zu schicken." Ich wartete nicht darauf, dass sie mir den Stuhl gegenüber von ihr anbot, ich setzte mich einfach mit verschrenkten Armen. Yvette tat es mir gleich.
„Liebes meinst du, ich kann dich vor jeder Gefahr warnen, die auf dich zukommt? Du bist Polizistin!", wies sie mich zurecht, was in mir allerdings nur noch weniger Verständnis weckte. Ich beugte mich über das lackierte Mangoholz.
„Mir ist bewusst, dass ich erschossen, erstochen, oder zumindest verfolgt werden könnte, aber ich finde, man sollte informiert werden, wenn es passieren könnte, dass einem demnächst Fangzähne im Hals stecken könnten!" Yvette schloss auf meinen Wutanfall ihre Augen.
Als sie ihre Lider aufschlug, bemerkte ich zum ersten Mal, seit ich sie kannte, einen gewissen Schreck in ihren groß gewordenen Augen. Sie zögerte, bevor sie wissen wollte
„So schlimm?" So schlimm? Ich lachte verächtlich. Die Erinnerungen ähnelten immer noch mehr einem Traum, den ich kaum wagte jemanden anzuvertrauen, da man mich unter normalen Umständen für verrückt halten würde.
„Sie haben eine ihrer Partys veranstaltet und jeder Beamte ist schön pünktlich gegangen, während ich wie eine Idiotin an der Bar saß und nichts befürchtete... Da eröffnete sich plötzlich ein All you can Eat- Buffet direkt um mich herum...
Ein Schlachtfeld... und einer dieser Vampire hatte es auf mich abgesehen", begann ich zu stottern. Roels Lederhaut färbte sich in meinem Kopf schwarz. Es versetzte mich jedesmal in die Haut eines Kaninchens, welches einem hungrigen Wolf gegenüber stand.
„Und du hast es wundervoll gemeistert! Du hast einen kühlen Kopf bewahrt und bist von Bord gegangen. Für die Kosten kommen wir natürlich auf.
Nivia, du kannst stolz auf dich sein. Dein Test ist bestanden."
Welcher Unmensch, der sich als Freund bezeichnet, schickt dich auf eine Mission, die über Leben und Tod entscheidet und das ahnungslos?
Ich hätte diesen Test nicht gemeistert. Entweder, ich wäre in meinem Zimmer, versteckt unter meiner Decke verrückt geworden, oder Roel hätte mich zum Abendessen verspeist.
„Wenn Leontes nicht da gewesen wäre, dann hätte ich deinen tollen Test nicht bestanden. Du müsstest meine Leiche jetzt irgendwo im Mittelmeer suchen!", schrie ich vor Verzweiflung, aber nicht weil ich tot sein könnte, sondern weil mein Retter mich auch noch stehen ließ.
„Stopp, Stopp, Stopp! Du meinst den Leontes? Ogliastra?!" Sie fuchtelte wild mit den Armen, während bei der Erwähnung seines Nachnamens ihre Stimme um einige Oktaven höher wanderte. Ich schaffte es nicht einmal es zu bereuen, ihn erwähnt zu haben, da setzte sie ihre Tirade fort.
„Du hälst dich ab sofort von ihm fern! Dieser Mann kümmert sich normalerweise nicht um die Interessen normal Sterblicher. Er ist zwar ein Partner und Kopf der 066, doch ein Blutsauger, bleibt ein Blutsauer!"
Es klingelte in meinen Ohren.
Ein Blutsauger? Niemals.
„Dich interessieren normal Sterbliche nicht! Leontes hat mich gerettet. Er ist ein Mensch und ich kann ihm vertrauen!" , und das sagte ich so selbstverständlich, obwohl er mich bestohlen und verlassen hatte.
„Merde! Kind, merkst du nicht, dass er dich mit seiner Macht schon verflucht hat?" Das einzige, was ich merkte war, dass ich ohne ihn, nicht hier gesessen hätte. Oder doch? Meine Iriden huschten über Yvettes Interieur auf der Suche nach Hinweisen, wo sie keine finden würden. „Können Vampire einen Menschen manipulieren... oder gar hypnotisieren?" Pure Panik flutete meine Lungenflügel. Die Art, wie ich ihn ansah und wie er mir mit einem Wimpernschlag alle Gedanken aus dem Kopf wischte...
„Nicht direkt, aber du hälst dich von heute an, fern von ihm! Das ist keine Bitte, sondern ein Auftrag deiner Chefin." Ihre Worte, die sie mit Druck versuchte in mich einzupflanzen, prallten an mir ab. „Das hättest du mir sagen müssen, bevor du mich in die Hölle geschickt hast." Und damit erhob ich mich, schob den Stuhl wieder an den Tisch und ging.
Es fehlte nur noch eine Sache. Ich blieb hinter meinem Schreibtisch stehen und tat letztendlich das, wobei Yvette mich unterbrochen hatte.
'Leontes Ogliastra, geboren 1952, gestorben 1980.'
Diesmal hatte Yvette mich nicht belogen, dafür jemand anderes. Schwarze Buchstaben auf weißem Hintergrund bewiesen es.
Er hatte mich seit unserer ersten Begegnung eiskalt hintergangen.
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