Chapter 5: Der Krieg: Winter 1978-1979

Dieses Kapitel beinhaltet ziemlich bedrückende Themen, unter anderen den Tod eines Familienmitglieds und ein Begräbnis. Passt auf euch auf, bitte!-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Rows and flows of angel hair

And ice cream castles in the air

And feather canyons everywhere

I've looked at clouds that way

But now they only block the sun

They rain and snow on everyone

So many things I would have done

But clouds got in my way

Samstag, 23. Dezember 1978

„Jesus Christus", brummte Remus und öffnete seine verklebten Augen.

Er tastete auf seinem Nachttisch nach dem Wasserglas und sah, dass es leer war. „ Aguamenti ", krächzte er und seine Zauberstabhand zitterte.

Das Glas füllte sich mit Wasser und er trank es gierig. Er rollte sich auf seinen Rücken, presste die Handrücken gegen seine Augen und hoffte, die Kopfschmerzen damit zu lindern, die ihn zu quälen drohten. Er drehte seinen Kopf leicht und sprach den Klumpen unter der Bettdecke an:

„Bist du wach?"

Als Antwort bekam er nur eine Art Schauder und ein Grunzen. Remus schnaubte. Es war zu heiß im Schlafzimmer, sogar für Dezember. Er stand auf und ging zum Fenster, um es zu öffnen. Er presste seine Stirn gegen das kalte Glas und ließ die kalte Luft über seine heiße Haut strömen.

Sie waren letzte Nacht im tropfenden Kessel gewesen – vorweihnachtliches Trinken. Die Rumtreiber und Lily würden Weihnachten selbst bei den Potters verbringen, aber alle, die arbeiteten, hatten dieses Jahr erledigt und Mary hatte vorgeschlagen, etwas Dampf abzulassen, ausnahmsweise nicht vor den älteren Mitgliedern des Ordens des Phoenix.

Wie bei den meisten von Marys Ideen war es wirklich lustig. Marlene kam und brachte Yaz mit, die die McKinnons besuchte, weil ihre Familie ohnehin nicht Weihnachten feierte. Frank und Alice schauten vorbei, um Hallo zu sagen, und Sirius und James bestanden darauf, bei jeder zweite Runde mitzumachen.

Nach den letzten Bestellungen quetschten sich die, die noch stehen konnten, in ein Taxi zu Remus und Sirius' Wohnung, wo sie vielleicht keine Milch oder Brot hatten, aber die Bar immer gefüllt war.

Danach war alles ein wenig verschwommen. Remus hatte das schreckliche Gefühl, dass er und Lily irgendwann begonnen hatten, Muggel-Weihnachtslieder zu singen.

Er stöhnte laut. „Warum hast du mich so viel trinken lassen?!"

„Hey, schieb mir nicht die Schuld zu!" Lily tauchte plötzlich von unter der Decke auf und ihre roten Haare standen ihr zu Berge.

Remus zuckte zusammen und wirbelte herum. Er wickelte seine Arme schützend um sich.

„Was zur Hölle, Evans, was machst du hier?!"

„Konnte James nicht zum Gehen bringen", gähnte sie, „und ich wollte nicht auf der Couch schlafen, sie haben angefangen eine Festung zu bauen."

„Das ist das zweite Mal, dass du unangekündigt in meinem Schlafzimmer aufgetaucht bist, Evans, die Leute werden anfangen zu reden." Remus suchte nach einem T-Shirt.

„Auch das zweite Mal, dass ich dich nur in deiner Hose erwischt hab", lachte sie. „Oh, komm zurück, du Dummkopf, es ist noch früh."

Das tat er auch, aber nur weil der Raum jetzt kalt war und er nicht herausfinden wollte, was James und Sirius dem Wohnzimmer angetan hatten. Mit dem T-Shirt an kroch er zurück unter die Decke und Lily schlang ihre Arme um seine Taille. Ihre langen Haare kitzelten unter seinem Kinn genau wie Sirius'. Er streichelte ihre Schulter. Sie war so schön klein.

„Glaubst du, dass unser Leben so sein würde, wenn ich im vierten Jahr zugestimmt hätte, mit dir auszugehen?", fragte er gesprächig.

„Oh Gott", stöhnte sie und bedeckte die Augen mit ihren Fingern. „Musst du mich daran erinnern?!"

Er lachte.

„Ich weiß nicht, warum es dir so peinlich ist, ich war derjenige, der es nicht gecheckt hat."

„Ich war so in dich verknallt!"

„Schh." Er kicherte. „James hat Wochen gebraucht, um mir zu verzeihen. Ich musste ihm unter Veritaserum schwören, dass ich kein Interesse an dir hatte."

„Dieser Idiot. Ich liebe ihn."

„Mm."

„Ich bin so froh, dass Weihnachten ist", seufzte sie. „Wir brauchen alle eine Pause, nicht wahr?"

„Ja."

„Ich sollte heute packen, dann zu James' Eltern am Abend – wirst du auch kommen?"

„Sirius vielleicht", sagte Remus. „Ich besuche meine Mutter. Weißt du, sie ist... ähm. Sie ist jetzt im Hospiz."

„Oh, natürlich!", Lily drückte ihn. „Tut mir leid, Liebling. Wie geht es ihr?"

„Ich glaube, sie hatten nicht gedacht, dass sie bis Weihnachten durchhält. Aber sie bleibt stark."

„Oh, Remus", seufzte Lily traurig.

"Es is' in Ordnung." Remus löste sich und entschied, dass er doch aufstehen könnte. „Gut. Ich brauche eine Tasse Tee und eine Kippe", sagte er, stieg aus dem Bett und zog seine Jeans an.

„Ugh, ihr zwei müsst wirklich aufhören zu rauchen", sagte Lily und setzte sich auf. „Diese Decke stinkt."

„Sag mir nicht, dass du noch nie eine kleine Zigarette nach dem Sex hattest, Evans?" Remus zwinkerte und ging zur Tür.

„Nach dem S—?... Oh mein Gott, Remus !"

Er grinste noch immer in sich hinein, als er das Wohnzimmer betrat, das aussah, als hätte eine Bombe darin eingeschlagen. Das Sofa war aus irgendeinem Grund in die Mitte des Raumes geschoben worden und die Polster wurden hinuntergenommen. James schlief tief und fest, ausgebreitet auf etwas, das aussah wie eine gigantische, cremefarbene Matratze auf dem Boden. Sirius hatte sich bei James' Füßen eingerollt und sein Kopf lag auf einem aufgerollten Pullover von Remus.

Remus schlich in die Küche und schaltete den Wasserkocher ein. Jede Oberfläche klebte mit etwas Süßem und Alkoholischem; überall standen Tassen und Gläser herum, halbvoll, in manchen steckten halb gerauchte Zigaretten. Remus zog eine Grimasse und spürte, wie sich sein Magen umdrehte, weswegen er ein Fenster öffnete, um frische Luft hereinzulassen. Er wollte sich wirklich nicht übergeben, wenn er es irgendwie vermeiden konnte.

Mary hatte ‚Frohe Weihnachten, Blutsverräter!' mit knallpinkem Lippenstift auf die Kühlschranktür geschrieben mit drei großen ‚X' darunter. Sie verbrachte den Rest von Weihnachten in Jamaika – das erste Mal, dass sie jemals das Heimatland ihrer Großeltern besuchte. Weihnachten war nie eine gute Zeit gewesen, wenn es um den Krieg ging, und dass Mary so weit wie möglich von der Gefahr entfernt war, beruhigte ihn.

Er war nicht begeistert, Weihnachten mit den Potters zu verbringen – obwohl er sich schon bei dem Gedanken schuldig fühlte. Sirius würde nie in Betracht ziehen, das Fest irgendwo anders zu feiern, also würde Remus natürlich mitziehen – und es hatte nichts mit Mr. und Mrs. Potter zu tun, die ihn besser behandelten, als es seine echte Familie jemals getan hatte. Es war der Krieg und der Orden und Moody, verdammt, der bestimmt auch dort sein würde.

„Ist das der Wasserkocher?", rief Sirius aus dem Wohnzimmer.

„Jap", rief Remus zurück. „Gleich fertig."

„Du bist ein wahrer Held, Moony", sagte James, als Remus mit einem Tablett mit Teetassen das Wohnzimmer betrat.

„Oh, ich weiß." Remus nickte und nippte an seiner Tasse. Er setzte sich auf den Arm des Sofas. „Was zur Hölle habt ihr mit meinen Möbeln gemacht?"

„Genial, nicht wahr?", Sirius grinste zu ihm hinauf, im Schneidersitz auf dem gigantischen Sofakissen. „Prongs' Idee – wir haben einen Vergrößerungszauber genommen."

„Sollen wir euch beiden beim Aufräumen helfen?", fragte Lily, als sie aus dem Schlafzimmer trat. Sie nahm eine Tasse Tee, setzte sich neben James und lehnte sich schläfrig an seine Schulter.

„Zuerst Frühstück", sagte Remus schnell. „Fry-Up?"

„Fry-Up", stimmten sie einstimmig zu.

Sie gingen zum nächstgelegenen Frühstückscafé und bestellen allesamt englisches Frühstück, nach dem sie sich viel besser fühlten und bereit waren, den Tag zu starten. Nach dem Frühstück begannen Sirius, Lily und James die Wohnung aufzuräumen, während Remus sich (auf Sirius' Drängen hin) für den Besuch bei Hope fertig machte.

Er trug keinen Anzug; das wäre zu viel des Guten, sogar an Weihnachten, aber er gab sich Mühe, bügelte sein sauberstes Hemd und zog eine braune Cordjacke an, die er beim Portobello-Markt gefunden hatte. Er polierte sogar seine Schuhe.

Sirius hatte angeboten mitzukommen, aber Remus wollte lieber alleine gehen. Es war das Einfachste, wenn er Zeit hatte, seine Gespräche mit Hope alleine zu verarbeiten, und er hoffte, Sirius konnte das verstehen. Außerdem würde niemand gerne zwei Tage vor Weihnachten in einem Gebäude voller sterbender Menschen feststecken.

Das Hospiz war am anderen Ende von Cardiff. Es fühlte sich nicht wirklich anders an als das Krankenhaus, außer dass die Räume privater und mit ein wenig mehr Sorgfalt dekoriert waren. Sie hatte nun jeden Tag frische Blumen, was schön war. Remus kaufte einen Weihnachtsstern, weil Lily ihm gesagt hatte, es wäre eine weihnachtliche Blume, und Hope kein festes Essen mehr zu sich nehmen konnte, also stand Schokolade außer Frage.

Jemand hatte goldenen und silberne Lamettagirlanden um ihr Bettgestell geflochten und Weihnachtskarten an die Wände geklebt. Es gab so viele, dass es aussah, als hätte sie eine spezielle, festliche Tapete.

„Sie sagte, dass ich sie sofort aufwecken sollte, falls sie schläft, wenn du kommst", sagte eine fröhliche, diensthabende Krankenschwester.

„Danke, ich wecke sie", lächelte er.

Seine Mutter lag leicht dösend in ihrem großen Krankenhausbett. Er fragte sich, wie groß sie war, wenn sie aufstand. Ziemlich klein, dachte er – wenn man die Fotos, die er von ihr und Lyall gesehen hatte, und ihre winzigen Hände bedachte. Er hatte sie immer nur im Liegen gesehen und jetzt bemerkte er, dass er sie wahrscheinlich nie anders sehen würde.

Er berührte sanft ihre Hand und drückte sie mit seinen Fingern. Ihre Augenlider flatterten und sie zog die Stirn in Falten. Der Schmerz war ihr ins Gesicht geschrieben. Sie drehte ihren Kopf, sah ihn und ihre Falten glätteten sich sofort.

„Hallo, mein Liebling", sagte sie mit belegter Stimme, als wäre ihr Mund voller Watte.

„Frohe Weihnachten, Mum", sagte er und setzte sich.

„Nadolig llawen", sagte sie in klarem, erdigem Walisisch.

„Wie geht es dir?"

„Besser, jetzt, wo ich dich sehe." Sie lächelte. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist."

„Natürlich", sagte er ernst. „Es ist Weihnachten."

Sie hatten nie darüber gesprochen, dass er sie an Weihnachten selbst besuchen würde. Sie schlichen beide um das Thema herum und Remus nahm an, dass sie Weihnachten mit ihrer echten Familie verbringen wollte.

Sie fragte jetzt allerdings.

„Wo wirst du sein? Daheim mit Sirius?" Es war seltsam seinen Namen aus ihrem Mund zu hören mit ihren weichen, gerollten ‚r's.

„Bei den Eltern von unseren Freunden", antwortete er. „Die Potters – du hast Mrs. Potter einmal getroffen, hat sie mir erzählt. Euphemia."

„Ich erinnere mich nicht." Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich würde dich hierher einladen, aber ich fürchte, das wäre kein Spaß."

„Wie du willst, Mum", sagte er und hoffte, dass er nicht enttäuscht klang.

„Du wirst glücklicher bei deinen Freunden sein", sagte sie wie zu sich selbst.

„Mr. Potter hat Lyall gekannt", stocherte Remus weiter, weil er über etwas Wesentlicheres sprechen wollte. „Sie haben gemeinsam im Ministerium gearbeitet und sie sind manchmal ins Pub gegangen und James – ihr Sohn – er ist im März geboren, genau wie ich—"

„Ich erinnere mich nicht", sagte Hope, dieses Mal mit mehr Nachdruck. „Es tut mir leid, Remus, wirklich. Lyall hat diese Dinge immer getrennt. Es ist oft besser auf diese Art, das wirst du noch lernen."

Er dachte darüber nach. Dachte daran, wie wenig er den Großteil seines Lebens über seine Eltern gewusst hatte und wie wenig er infolgedessen von sich selbst gewusst hatte. Er dachte an Sirius und daran, dass sie immer stritten, weil Remus nicht offen genug war. Wie sehr es andere verletzte, Geheimnisse zu behalten, auch wenn man nur versuchte, sie zu beschützen.

„Das denke ich nicht", sagte er schlicht. „Ich denke nicht, dass es gut ist, ständig Dinge zu verbergen."

„Na gut", sagte Hope. Sie sah weg und zog ihre Hand aus seiner zurück.

Remus merkte, dass sie sich über ihn ärgerte. Es war ein seltsames Gefühl und das erste Mal in ihrer Beziehung. Er war sich nicht sicher, wie er reagieren sollte. Wenn er sie sein ganzes Leben lang gekannt hätte, dann wüsste er, was er tun sollte; es wäre nichts Neues, mit seiner Mutter aneinander zu geraten. Seine Stimmung sank, je mehr er darüber nachdachte – das war alles ihre Schuld, seine dummen, unterdrückten Gefühle, seine komplette Unfähigkeit, sich bei anderen Menschen wohlzufühlen, und hier war sie und wich ihm aus.

Er wollte ihre Aufmerksamkeit und kannte nur einen Weg, sie zu bekommen.

„Mrs. Potter – James' Mutter – sie ist großartig", sagte er. „Sie macht die besten Minzkuchen und ein komplettes Weihnachtsdinner und sie besorgt mir immer ein Geschenk, obwohl ich nicht ihr Kind bin."

Hope spitzte ihre Lippen, aber sie hob den Blick noch immer nicht.

„Das klingt schön", sagte sie mit einer leisen, festen Stimme.

Remus machte weiter: „Ja, James hat wirklich Glück. Ich habe nie ein ordentliches Weihnachtsfest erlebt, bevor ich zu den Potters gegangen bin."

„Doch, hast du!"

Sie sah ihn plötzlich an und er sah seinen eigenen Ärger in ihren Augen reflektiert.

„Hast du!", sagte sie. „Wir hatten wunderschöne Weihnachtsfeste, als du klein warst!" Sie starrte ihn an, als wäre er verrückt, als wäre er derjenige, der krank war, nicht sie.

„Erinnerst du dich nicht an den Baum mit dem goldenen Engel und an die Krippe? Ich dachte einmal, dass du das Jesuskind geschluckte hast, aber du hattest ihn unter deinem Polster versteckt, weil ich dir von dem bösen König Herodes erzählt habe und du wolltest, dass er in Sicherheit ist – du warst so süß. Und wir haben dir dieses Steckenpferd gekauft und einen Bauernhof – du hast den Bauernhof geliebt, die kleinen, rosa Schweinchen, ich hab sie immer wieder im Garten gefunden. Und die Handpuppen und den Armee-Panzer – erinnerst du dich an deinen Panzer? Ich habe Lyall gesagt, du wärst zu jung, du wärst ein sensibler Junge, ich wollte nicht, dass du Krieg spielst, aber du hast es geliebt, und Papa hat ihn mit Magie in Bewegung gesetzt und ihr habt stundenlang miteinander gespielt..."

Sie brach ab und war sichtlich aufgebracht. Remus starrte sie an.

„Ich kann mich an nichts davon erinnern, Mum", sagte er. Er suchte wieder nach ihrer Hand und drückte sie. „Ich wünschte allerdings, ich würde. Es klingt schön."

„Ich denke jedes Jahr an dich", sagte sie unter Tränen und ihre Stimme zitterte. „Jede Nacht habe ich die Adventskerze angezündet und an dich gedacht, Remus, und ich habe über dich geredet... Ich habe Siân auch von dir erzählt."

Er horchte auf. Sie schaute ihn vorsichtig an, als hätte sie Angst, er würde vielleicht ausrasten. Sich dessen bewusst behielt er einen ruhigen Ton.

„Könntest du mir ein wenig von Siân erzählen?"

Hope kaute auf ihrer Lippe. Sie sah so erschöpft aus von dem Schmerz und den Medikamenten und dem verdammten Krebs, und er begann, sich schuldig zu fühlen. Aber sie hatten fast keine Zeit mehr.

„Sie ist acht", sagte sie schließlich. „Sie wird neun im Februar."

„Und sie ist deine Tochter mit... mit Gethin?", fragte Remus. Er hatte das Gefühl, dass alle Luft aus dem Raum entwichen war.

Hope nickte und schloss ihre Augen. Tränen flossen zwischen ihren Wimpern hervor und strömten ihre Wangen hinunter.

„Ich habe nicht mehr geheiratet – nicht nach Lyall. Aber ich habe mich verliebt. Ich hatte meine Siân."

„Nur Siân?"

Sie nickte wieder. Remus runzelte die Stirn.

„Als ich dich das erste Mal besucht habe, hat die Krankenschwester gesagt, du würdest immer über deine Kinder reden – ich dachte, du hättest mehr als eines."

„Habe ich doch." Sie sah ihn verdutzt an und blinzelte durch die Tränen. „Dich und Siân."

„Oh." Er fühlte sich schrecklich. Die ganze Zeit hatte er gedacht, er wäre eines von Hopes schrecklichen Geheimnissen gewesen.

„Ich habe mich nie geschämt", sagte sie und ein trotziger Unterton schlich sich in ihre Stimme. „Nicht für meinen wundervollen Jungen. Nie."

„Mum..." Er fühlte sich, als hätte er einen Schlag in den Bauch bekommen. Er weinte mit einem Mal auch und drückte ihre Hand verzweifelt.

„Komm her." Sie streckte sich nach ihm aus und er stand auf, um sich vorsichtig auf die Bettkante zu setzen. Er lehnte sich vor, sodass sie ihre Arme um ihn schließen konnte. Er legte seinen Kopf auf ihre Schulter und versuchte nicht zu viel Gewicht auf ihren schwachen Körper zu legen, aber sie war stärker, als er ihr anrechnete und hielt ihn fest.

„Es tut mir leid, Mum", sagte er, seine Worte gedämpft von ihrem weichen Nachthemd. Sie roch nach Talkum und Lavendel und Familie. Sie streichelte über sein Haar.

„Es gibt nichts, was dir leidtun muss, Schatz. Ich hab dich lieb."

„Ich hab dich auch lieb", weinte er.

I've looked at clouds from both sides now

From up and down, and still somehow

It's cloud illusions I recall

I really don't know clouds at all

* * *

Moons and Junes and Ferris wheels

The dizzy dancing way you feel

As every fairy tale comes real

I've looked at love that way

But now it's just another show

You leave 'em laughing when you go

And if you care, don't let them know

Don't give yourself away

Er blieb länger als normalerweise im Hospiz, und als er vor die Haustür der Potters apparierte, war er todmüde. Er fühlte sich wie Wäsche, die ausgewrungen worden war und auf der Wäscheleine hing, schwach und blank und leer.

James musste ihn vor der Türe befragen – es war inzwischen eine selbstverständliche Gewohnheit geworden.

„Welchen Film haben wir im Sommer 1974 gesehen?"

„Der große Gatsby", antwortete er emotionslos.

James sah den Ausdruck in seinem Gesicht und trat sofort zur Seite.

„Alles klar, Moony?", fragte er und legte eine Hand auf Remus' Schulter.

„Ja." Remus nickte und hoffte, dass er einfach nur müde aussah. „Ich will nicht unhöflich sein, aber wäre es okay, wenn ich einfach gleich ins Bett gehe? Äh. Sag deinen Eltern, dass es mir wirklich leid tut, ich bin einfach..."

„Ja, natürlich, Kumpel!", sagte James eifrig. „Geh rauf, ich sag ihnen, dass du erledigt bist."

„Danke." Remus lächelte. Er stieg die bekannten Stufen hinauf zu seinem Bett. Er hoffte wirklich, Mrs. Potter würde es nichts ausmachen – er würde am nächsten Morgen in Ordnung sein, aber jetzt gerade wusste er nicht, ob er es aushalten würde, sie zu sehen. Sie umarmte ihn außerdem immer und heute von einer Mutter umarmt zu werden, war alles, was er ertragen konnte.

Natürlich dauerte es nicht lange, bis Sirius seinen Kopf durch die Schlafzimmertür steckte.

„Ich lass dich in Ruhe, wenn du willst", sagte er und trug ein Tablett beladen mit Käse, Gurken, Schinken, Kräcker und natürlich Mrs. Potters berühmten Minzkuchen hinein. „Ich dachte nur, du hättest vielleicht Hunger?"

„Ich bin am Verhungern." Remus grinste ihn an. „Danke."

Zufrieden überquerte Sirius den Raum etwas zuversichtlicher und setzte das Tablett zwischen ihnen auf dem Bett ab. Sie saßen eine Weile stumm im Schneidersitz auf der Bettdecke, während Remus aß und Sirius so tat, als würde er ihm nicht zuschauen. Als er fertig war, nahm Sirius das Tablett weg. Remus legte sich hin und streckte seine schmerzenden Glieder.

„Soll ich gehen?", fragte Sirius.

„Nein", sagte Remus. „Nur... erwarte nicht zu viel, okay?"

„Okay." Er legte sich neben Remus auf den Rücken.

„Wie ist der Kater?", fragte Remus, als er sich daran erinnerte, in welchem Zustand sie am Morgen gewesen waren.

„In Ordnung." Sirius schnaubte. „Evans und ihre Tränke."

„Großartig."

Remus schloss seine Augen und ließ die Geschehnisse des Tages auf sich wirken. Es war gut, Sirius an seiner Seite zu haben, entschied er. Alleine zu sein wäre wahrscheinlich wirklich schrecklich. Wenn es doch nur einen Weg gäbe, das auszudrücken, ohne dass es falsch herauskam.

„Ich habe eine Schwester", sagte er schließlich. „Sie ist acht."

„Wow."

„Mm." Er griff nach Sirius' Hand und hielt sie. „Sie hat Monate gebraucht, um mir das zu erzählen. Gott weiß, was ich sonst alles nicht weiß. Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit miteinander."

Sirius drückte seine Hand mitfühlend. Remus leckte sich über die Lippen und bereitete sich auf das Nächste vor. „Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit, aber ich wünschte auch... ich wünschte auch, sie würde offener sein. Es tut wirklich weh zu wissen, dass es Teile von ihr gibt, die sie geheim hält."

„Oh?" Sirius leistete ausgezeichnete Arbeit, ruhig zu bleiben. Wenn Remus nicht so traurig gewesen wäre, würde er es witzig finden.

„Ja", sagte er. Er drehte sich um und sah Sirius an. Sirius drehte sich, um ihn ebenfalls anzusehen. „Es tut mir leid", sagte Remus nervös, „wenn ich dir jemals dieses Gefühl gebe."

„Moony—"

„—Es ist nur so, dass ich mir Sorgen mache", sagte Remus rasch. „Dass du nicht... wenn du ein paar Dinge wüsstest..."

„Es gibt nichts, was du mir erzählen könntest, das meine Gefühle für dich ändern würde", sagte Sirius.

Remus wurde sprachlos. Aber es war ein gutes Gefühl. Ein glückliches Gefühl sogar, wenn man die Umstände betrachtete. Er konnte Sirius nicht mehr ansehen, also drehte er sich auf seine Seite. Glücklicherweise schein Sirius zu verstehen, tat es ihm gleich und legte einen Arm um Remus' Körper. Remus atmete langsam ein.

„Diese Mission, auf der ich war, im Sommer? Das ist wirklich schlecht ausgegangen", sagte er und spürte, wie die Last bereits leichter wurde.

„Ich habe mir gedacht, dass etwas passiert ist", sagte Sirius. „Erzähl weiter."

„Ich... erinnerst du dich, wie ich das letzte Mal geworden bin, als Werwölfe in der Nähe waren? Also... richtig aggressiv und irgendwie nicht wirklich bei Verstand? Das ist wieder passiert. Niemand ist verletzt worden, aber ich bin mir ziemlich sicher, Danny denkt jetzt, ich sei gefährlich und verrückt."

„Ihm ist es nicht passiert?"

„Ich glaube, er muss es gespürt haben. Aber wir haben unterschiedlich reagiert. Ich habe irgendwie – die Kontrolle übernommen. Nicht absichtlich, es hat sich damals einfach natürlich angefühlt."

„Das macht Sinn", sagte Sirius. „Das ist, was du an Vollmonden machst, wir müssen dich Anführer sein lassen."

„Ja, ich hab nie so darüber nachgedacht."

„Also... wenn niemand verletzt worden ist, was ist passiert?"

„Einer der Werwölfe hat versucht, mich anzugreifen, aber ich habe ihn niedergerungen", sagte Remus. „Ich hätte Informationen sammeln sollen, aber stattdessen habe ich sie nur gereizt."

„Was hat Moody darüber gesagt?"

„Er war... kryptisch. Ich glaube nicht, dass er wütend war. Er hat mich gefragt, ob es mir etwas ausmachen würde, nächstes Mal alleine zu gehen – ohne Danny. Aber er hat mich auf keine anderen Missionen geschickt, keine richtigen, und das seit Monaten..."

„Sie müssen dich für etwas aufsparen", sagte Sirius. „Ich weiß das – James erzählt Frank und Alice immer wieder, wie gut du defensive Magie beherrscht und sie sagen einfach nur, sie können nichts tun ohne eine Anordnung von einem Höhergestellten."

„Vielleicht", seufzte Remus.

„Hat er wirklich gesagt, du musst nächstes Mal alleine gehen?"

„Er hat nicht gesagt, ich muss ... nur gefragt, ob es mir etwas ausmachen würde. Und ich glaube nicht, dass es eine andere Möglichkeit gibt – Danny wird nicht mehr mit mir arbeiten, er hatte zu viel Angst. Also schätze ich... ja, ich werde nächstes Mal auf mich alleine gestellt sein."

Sirius Arme schlangen sich enger um Remus.

„Ich hasse das."

Remus hatte keine Antwort darauf und Sirius schien auf keine zu warten, also lagen sie eine Weile einfach nur in Stille da, bis Remus einschlief.

* * *

Zweiter Weihnachtstag 1978

Wie Lily es vorhergesagt hatte, war Weihnachten 1978 eine willkommene Pause von sämtlichen Problemen. Vielmehr – vielleicht weil es ein besonders schwieriges Jahr gewesen war – erinnerte sich Remus an dieses Weihnachtsfest als eines der schönsten und glücklichsten, die sie je zusammen erlebt hatten.

Mr. und Mrs. Potter ließen ein wenig nach – Euphemia sagte, sie wollte keine so große Party schmeißen wie üblicherweise, und das Ministerium hatte ohnehin vor großen gesellschaftlichen Zusammenkünften gewarnt. Mr. Potter musste aus seinem Büro ausgesperrt werden – James und Sirius hatten den Schlüssel gestohlen – aber er sah es positiv und beteiligte sich mit Begeisterung an den Festlichkeiten.

Remus bemerkte, dass dieses Jahr eher James und Lily die Gastgeber waren. Sie koordinierte einen Großteil des Kochens, der Dekoration und des Schreibens der Weihnachtskarten, während er sicherging, dass alle jederzeit mit Getränken versorgt waren, dass all die üblichen Weihnachtsspiele gespielt wurden und dass die ganze Zeit voller Freude war.

Was die Geschenke betraf, war es so wie immer – Süßigkeiten und Nüsse und kandierte Früchte, neue Socken und Unterwäsche, ein Pyjama von Lily als Scherz („Damit ich aufhöre, dich in Unterhose zu erwischen!") und ein glänzendes, neues Paar Doc Martens von Sirius.

Überraschenderweise bekam Remus dieses Jahr auch ein Geschenk von Grant und er fühlte sich schlecht, weil er ihm im Gegenzug keines besorgt hatte. Er lachte, als er es öffnete – ein Terminplaner. Grant hatte seine eigene Adresse und Telefonnummer auf die erste Seite geschrieben und hinten bei den Notizen hatte er die Überschrift geschrieben: Neujahrsvorsätze: 1. Nimm dir Zeit für die schönen Dinge.

Als der erste Weihnachtstag aus und vorbei war, besuchten James und Lily die Evans-Familie am zweiten Weihnachtstag (James graute davor, weil er Lilys Schwester schon zweimal getroffen hatte und beide Male daran gescheitert war, sie zu beeindrucken.) Also gingen Sirius und Remus zurück in ihre Wohnung, um sich auf das neue Jahr vorzubereiten. Sirius gefiel die Idee, ihre eigene Party zu veranstalten und Remus war bereit nachzugeben, solange sie nur Leute einluden, die sie kannten.

„Wie viele, glaubst du, werden überhaupt in diese Wohnung passen?", fragte Remus, als sie die Türe öffneten. „Es ist ja nicht so, als hätten wir einen Ballsaal, wir haben nur ein Sofa!"

„Wir sollten die Mauer zur Küche einreißen und eine offene Küche haben", antwortete Sirius, als sie eintraten. Das Telefon läutete und er ging hin, um abzuheben. „Hallo?" Er runzelte die Stirn und hielt dann Remus das Telefon hin. „Für dich, glaub ich?"

Remus nahm den Hörer entgegen. Natürlich war es für ihn – Sirius kannte niemanden, der ein Telefon benutzen würde.

„Hallo?"

„Hallo? Sprich hier Remus Lupin?" Es war ein Mann mit einer tiefen Stimme und einem breiten walisischen Akzent. Remus' Inneres erfror. Er setzte sich auf die Lehne der Couch und stützte sich ab.

„Ja, das bin ich..."

„Ah, gut. Ah. Mein Name ist Gethin Rees."

Remus schluckte. Sein Hals war trocken.

„Ist sie... Sie ist von uns gegangen, nicht wahr?"

Es gab eine lange Pause am anderen Ende der Leitung und Remus begann zu weinen. Endlich sprach Gethin und seine Stimme klang rau.

„Es tut mir leid, Junge. Die Beerdigung ist nächsten Mittwoch."

I've looked at love from both sides now

From give and take, and still somehow

It's love's illusions I recall

I really don't know love at all

* * *

Tears and fears and feeling proud

To say "I love you" right out loud

Dreams and schemes and circus crowds

I've looked at life that way

But now old friends are acting strange

They shake their heads, they say I've changed

Well something's lost, but something's gained

In living every day.

Mittwoch, 3. Januar 1979

Remus seufzte, starrte aus ihrem Schlafzimmerfenster und sah den Regentropfen dabei zu, wie sie an der Scheibe hinunterrannen. Als er ein kleiner Junge gewesen war und es geregnet hatte, war er immer auf der größten Fensterbank in St. Edmunds gesessen, hatte sich zwei Tropfen ausgesucht und dann so getan, als würden sie um die Wette hinunter zum Fensterrahmen laufen. Eine Idee, die er aus einem Gedicht hatte; vielleicht eines, das Hope ihm vorgelesen hatte, das er jetzt vergessen hatte.

In Filmen regnete es immer bei Begräbnissen. Man nannte das ‚Vermenschlichung der Natur', das hatte Remus in einem alten A-Level-Englischbuch gelesen. Aber natürlich, wenn das Begräbnis im Januar in Wales stattfand, waren die Chancen auf Regen auch sehr hoch. Es war seltsam, über so etwas froh zu sein, aber es schien passend. Ein sonniger Tag wäre unerträglich gewesen.

„Bereit?", fragte Sirius sanft, als er den Raum betrat.

Remus sah betäubt zu ihm hinauf und nickte. Sirius sah umwerfend aus in seinem schwarzen Anzug mit zurückgebundenen Haaren. Remus fühlte sich ungepflegt, obwohl sie gleich angezogen waren, Sirius trug die Kleidung einfach besser. Remus hatte seine Haare kurz schneiden wollen, damit sie ordentlicher aussahen, aber er wurde am Ende davon überzeugt, es nicht zu tun. Trotzdem verspürte er einen Drang, etwas Drastisches zu verändern.

„Lass dir Zeit", sagte Sirius. „Wir haben noch eine Stunde oder so."

Remus nickte noch einmal. Der Gottesdienst begann um elf, aber Gethin hatte gesagt, dass er gerne früher kommen und die Trauergäste begrüßen könnte, wenn er wollte. Remus war sich noch immer nicht sicher.

Sirius schloss die Schlafzimmertür und setzte sich neben ihn. Er hielt seine Hand und starrte mit ihm aus dem Fenster.

„Warst du schon einmal auf einem Begräbnis?", fragte Remus schließlich.

„Onkel Alphards", antwortete Sirius. „Es war aber nur ein kleines. Neun oder zehn Leute. Ich kann mich nicht genau erinnern. Ich habe noch nie... jemand Nahestehenden verloren."

„Mm." Remus neigte seinen Kopf und sah noch immer den Regentropfen unter dem grauen Himmel zu. „Ich weiß nicht, ob ich Hope so gut gekannt habe. Ich habe sie nicht einmal ein ganzes Jahr gekannt."

„Ich glaube nicht, dass das eine Rolle spielt."

„Ich auch nicht." Remus beugte seinen Kopf.

Er würde nicht mehr weinen, er dachte nicht, dass er könnte. Es hatte sich zuerst gut angefühlt, der Schwall an Emotionen. Aber seitdem nichts. Nur Leere und ein hohles Gefühl, das er vorher nie gehabt hatte.

Sirius griff wieder nach seiner Hand.

„Ich werde die ganze Zeit an deiner Seite sein."

Remus sah ihn an und lächelte schwach.

„Danke. Okay, ich glaube, ich bin bereit." Er stand auf und setzte sich letztendlich in Bewegung. „Oh, scheiße!", sagte er und schlug sich auf die Stirn. „Die Blumen! Padfoot, ich habe vergessen die verdammten Blumen zu holen!"

Sirius legte eine Hand auf seine Schulter.

„Ich habe Wormtail damit beauftragt, er hat sie. Und Lily hat die Adresse der Kirche, damit wir uns nicht verirren – Prongs hat das Essen für den Leichenschmaus, seine Mutter hat ein paar Schweinepasteten und Würstchen im Blätterteig mitgeschickt und ich habe die Regenschirme dabei. Alles, was du tun musst, ist apparieren, sonst ist alles erledigt, in Ordnung?"

Überwältigt packte Remus ihn und umarmte ihn fest.

„Danke", sagte er.

Sirius umarmte ihn zurück.

„Alles für unseren Moony, hm?"

Remus lächelte, atmete Sirius Haare und seinen Duft ein und ließ sich davon ankern. Die Wörter tauchten aus dem Nichts in seinem Kopf aus und endlich, endlich , war es einfach, sie zu sagen.

„Sirius?", flüsterte er, während er ihn noch immer festhielt.

„Ja?"

„Ich liebe dich."

Sirius küsste seine Wange und stieß ein leises Lachen aus, das nach Erleichterung klang.

„Ich liebe dich auch."

Sie gingen Hand in Hand ins Wohnzimmer. James und Peter trugen ebenfalls Anzüge und Lily ein einfaches, schwarzes Kleid. Ihre sonst so leuchtenden Haare waren ordentlich in einem Dutt zurückgebunden. Sie hielt einen gigantischen Blumenstrauß. Sie lächelten Remus vorsichtig und mitfühlend an, woran er sich inzwischen gewöhnt hatte. Er nickte ihnen dankbar zu.

„Gut", sagte Sirius und übernahm die Führung, „dann gehen wir los."

Es war eine kleine Dorfkirche, gerade außerhalb von Hopes Heimatgemeinde – dort war sie getauft worden und wenn sie einen Muggel geheiratet hätte, hätte die Hochzeit hier stattgefunden. Remus wusste aus ihren kurzen Gesprächen, dass Hope nicht besonders religiös gewesen war, aber dass ihre Familie der Kirche in Wales angehörte, also machte sie der Tradition halber mit.

Es war ein sehr schönes Gebäude – oder wäre es das zumindest gewesen, wenn es nicht so stark geregnet hätte. Hellgrauer Granit mit einem Glockenturm und einem spitzen Kirchturm, einfache aber schön bemalte Glasfenster. Wie eine Kirche aus dem Bilderbuch. Der Friedhof war voller alter Grabsteine und Steinkreuze, aber Hope würde auf ihren Wunsch hin eingeäschert werden.

Die Rumtreiber und Lily näherten sich langsam und gingen einen durchweichten Pfad hinauf, um sich zu den versammelten Trauergästen beim Eingangstor zu gesellen. Remus entdeckte Gethin sofort. Er stand gerade noch unter dem Vordach und schüttelte den Anwesenden die Hände, wenn sie eintraten. Er war ein großer Mann wie Lyall, aber nicht so spindeldürr. Er hatte dunkle Haare, dicke, schwarze Augenbrauen und ein fliehendes Kinn. Er sah völlig gebrochen aus und Remus war augenblicklich weniger nervös, ihn zu treffen.

Lily, James und Peter hielten sich zurück und hielten Ausschau nach einem Platz, wo sie das Essen für den Leichenschmaus abstellen konnten, der hinten im Pfarrsaal stattfinden sollte. Remus und Sirius warteten leise, bis sie an der Reihe waren hineinzugehen.

„Hallo", sagte Gethin und sah kaum auf, als Remus näher kam. „Danke fürs Kommen..."

„Ich bin Remus", sagte Remus und schüttelte die angebotene Hand. Gethin blickte unmittelbar auf und blinzelte. Sie waren auf Augenhöhe.

„Remus." Gethin schüttelte seine Hand schwach und seine dunklen Augen glitten an Remus hinab. „Hope hat ständig über dich geredet. Es ist schade, dass wir uns unter diesen Umständen treffen."

„Ja." Remus nickte.

Sie standen eine Weile nur unbeholfen da und sahen einander an, bevor Gethin wieder zu Sinnen kam. „Geht rein", sagte er mit einer einladenden Geste. „Deine Mutter wollte, dass du in der ersten Reihe sitzt, aber es ist deine Entscheidung..."

„Danke." Remus nickte wieder.

„Bis später, hm?", Gethin tätschelte seine Schulter.

„Ja. Gut", sagte Remus. Er war sich bewusst, dass er nur einsilbig redete.

Am Ende musste Sirius ihn in die Kirche schubsen, weil er vergessen zu haben schien, wie man sich bewegte. Sie machten sich langsam auf den Weg nach vorne und setzten sich. Remus konnte hören, wie Leute über ihn flüsterten; ein paar von ihnen wussten, wer er war, und die Reaktionen waren gemischt. Er ignorierte es. Er war für Hope da und niemanden sonst.

Den Gottesdienst selbst nahm er nur verschwommen war und er hörte kaum zu. Er starrte nur auf das Adlerpult und versuchte eine anständige Erinnerung an seine Mutter heraufzubeschwören.

Sie sangen keine Hymne, sondern spielten stattdessen einen Song von Joni Mitchell. Hope hatte Joni Mitchell nie vor Remus erwähnt, aber er vermutete, es musste ihr etwas bedeutet haben. Das war ein schmerzhafter Gedanke. Sie hatten so wenig Zeit gehabt. Es war nicht fair.

Siân war natürlich auch da. Remus erkannte sie sofort – sie war das einzige anwesende Kind. Sie trug ein cremefarbenes Kleid mit einer schwarzen Satinschleife und hatte ihren Kopf in den Schoß einer alten Frau vergraben, die Remus nicht kannte – er nahm an, dass es Gethins Mutter, Siâns Großmutter, war. Sie weinte die ganze Zeit und aus irgendeinem Grund tröstete Remus das. Hope musste eine wundervolle Mutter gewesen sein.

Danach fühlten sich Remus' Beine schwer an wie Blei; er war an seinem Platz festgefroren. Er stand nicht mit dem Rest der Familie auf, um hinauszugehen (es gab keinen Sarg, dem man nachging – ihr Körper war anscheinend schon im Krematorium), sondern wartete, bis sich die Kirche leerte. Sirius wartete mit ihm.

Als die Kirche von allen verlassen wurde, flüsterte Sirius: „Alles okay?"

Remus nickte.

Sirius berührte sanft sein Knie, aber tat sonst nichts. „Das war wirklich traurig. Es ist okay, wenn du müde bist und heim willst?"

„Nein, es ist in Ordnung." Remus schüttelte seinen Kopf. „Ich sollte hingehen. Ich habe Gethin gesagt, ich würde. Nur. Fünf Minuten noch?"

Sie mussten schließlich gehen, denn der Hausmeister wollte aufräumen.

Der Pfarrsaal war sehr klein und vollgestopft mit Leuten und ihren Gefühlen. Einige von ihnen lachten und schwelgten in Erinnerungen. Andere hatten noch rote Nasen und waren trist. Es war ein trostloser, kleiner Raum, der eine Sanierung nötig hatte; die Holzdielen splitterten an Stellen ab. Es gab eine Pinnwand mit Zeichnungen von den Kindern, die hier in die Sonntagsschule gingen, und eine weitere für die örtliche Pfadfindergruppe.

Drei Holztische bogen sich unter dem Gewicht des Essens, das Leute mitgebracht hatten – Berge an Sandwiches, Schweinepasteten, Chips, Käse- und Ananasspieße, Obstkuchen, übriggebliebenes Truthahncurry, Schinkenscheiben und andere kalte Speisen. Es war ein trockenes Begräbnis und eine alte Dame in der Ecke schenkte Teetassen mit Milch aus. Einmal in seinem Leben war Remus nicht hungrig.

Das Schlimmste von allem war der Tisch bedeckt mit eingerahmten Fotos und Alben. Die meisten waren von Hope und außer ein oder zwei Schnappschüssen von ihr als kleines Kind, war kein einziges vor 1965 geschossen worden. Remus sah sie alle an und versuchte, es sich in seinem Kopf vorzustellen – eine glückliche, gesunde Frau, die immer ihr Bestes gegeben hatte, auch wenn andere sie im Stich gelassen hatten.

„Sie wäre froh, dass du gekommen bist." Gethin tauchte neben ihm auf. Er streckte die Hand aus und strich über das Glas eines Bilderrahmens. Hopes schwarzweißes Gesicht strahlte ihn an, stillstehend und leblos.

„Ich musste", sagte Remus leise. Sirius stand für alles bereit an seiner anderen Schulter. Remus sah Gethin an. „Ich wünschte, ich wäre da gewesen. Für... naja, um Abschied zu nehmen."

„Es war sehr ruhig, wie sie", sagte der ältere Mann. „Sie war wach am Weihnachtsmorgen und schlief nach dem Mittagessen ein. Sie hatte keine Schmerzen."

Remus hatte nicht über die Schmerzen nachgedacht. Er wünschte, Gethin hätte ihm das nicht in den Kopf gesetzt.

„Ich weiß, was du denkst", sagte Gethin und deutete mit dem Kopf auf das Foto. „Keine Bilder von dir. Es war nicht absichtlich – sie hat alle in eine Box getan, damit ich sie dir zuschicken kann, aber ich habe deine Adresse verloren..."

„Ich will sie nicht." Remus schüttelte seinen Kopf.

„Remus", sagte Sirius sanft, „triff jetzt noch keine Entscheidungen."

Remus zuckte nur mit den Schultern.

„Es gibt noch ein paar andere Dinge", sagte Gethin und beäugte Sirius ein wenig verwirrt, bevor er wieder Remus ansah. „Ich behalte sie auf, solange du willst."

„Dinge?"

„Sachen, von denen sie wollte, dass du sie bekommst", sagte Gethin. „Kein Geld oder so—"

„Ich habe kein Interesse an Geld!", sagte Remus scharf.

Gethin runzelte die Stirn und sah verletzt aus. Seine Augen waren rot umrahmt, mit dunklen Ringen darunter, wie Flecken von Kohlstaub. Remus spitzte seine Lippen, trat einen Schritt zurück und schüttelte seinen Kopf.

„Es tut mir leid. Ich kann nicht hierbleiben. Es tut mir leid." Und damit drehte er sich um und ging geradewegs aus der Halle.

Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen, aber das Gras war noch nass und der Geruch nach satter Erde lag überall in der Luft. Eine Gruppe von alten Männern saß draußen auf den Bänken. Sie hatten ihre Krawatten gelockert und saßen krumm da. Sie rauchten und reichten eine unerlaubte Flasche herum, die nach etwas sehr Starkem roch. Remus schnaubte missbilligend und ging weiter. Er wollte dem allen entkommen.

„Remus!" Sirius kam den Pfad hinaufgelaufen, um ihn einzuholen, Lily, James und Peter nicht weit hinterher.

„Ich will gehen", sagte Remus.

„Du kannst mitkommen zu meinen Eltern, wenn du willst?", bot James an. „Mum hat gesagt, sie kocht uns allen Abendessen."

„Nein." Remus schüttelte seinen Kopf, schnappte sich Sirius' Arm und musterte ihn inständig. „Bitte, können wir einfach zurück in die Wohnung gehen? Nur du und ich?"

„Natürlich." Sirius legte seine ruhige Hand auf Remus' verzweifelte und Remus spürte, wie sein Herzschlag sich beruhigte.

Genauso geschah es auch und Remus versprach sich, dass er sich bei den Potters und bei seinen Freunden ein anderes Mal entschuldigen würde.

Aber wenn er auf eine Erholungspause vom Rest der Welt gehofft hatte, um sich einfach mit Sirius wegzusperren und nur einen Moment lang so zu tun, als würde nichts anderes zählen, musste er sich auf eine Enttäuschung gefasst machen.

Eine Eule saß auf dem Kaminsims, als sie die Wohnung betraten. An ihrem schuppigen Bein hing eine Mitteilung.

Remus.

Mein Beileid.

Bitte triff mich am Montag um 9 Uhr in der Aurorenzentrale.

A. Moody.

* * *

I've looked at life from both sides now

From win and lose and still somehow

It's life's illusions I recall

I really don't know life at all

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Der Song, der sich durch das ganze Kapitel zieht, ist ‚Both Sides Now' von Joni Mitchell.

Fry-Up: englisches Frühstück: Spiegelei, Speck, Würstchen, Blutwurst, getoastetes Brot, gegrillte Tomaten, sautierte Pilze und gebackene Bohnen (kann auch zu anderen Tageszeiten gegessen werden)

Portobello-Markt: bekannter Straßenmarkt in London

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top