Chapter 4: Der Krieg: Herbst 1978

Stop your messing around (ah-ah-ah)

Better think of your future (ah-ah-ah)

Time you straighten right out (ah-ah-ah)

Creating problems in town (ah-ah-ah)

Remus spähte über den Rand seines Buches durch das Fenster des Cafés, um etwaige Veränderungen auf der Straße davor zu beobachten. Er blickte auf die Uhr an der öligen Wand neben ihm. Noch fünf Minuten, wenn Pete keine Verspätung hatte.

Remus sah wieder auf sein Buch. Er hatte es nicht wirklich gelesen, er war zu abgelenkt. Er hatte in letzter Zeit selten Lust, etwas zu lernen, zwischen den Treffen des Ordens, eigenartigen und nur halb erklärten Aufgaben und den Besuchen in Hopes Hospiz – wo er jetzt alle paar Tage mal vorbeizuschauen versuchte.

Dazu kam noch, dass Remus und Sirius lernten, das erste Mal für sich selbst zu sorgen. Nach einer Woche Essen zum Mitnehmen hatte Remus sich geschlagen gegeben und Mrs. Potter nach einem Kochbuch gefragt. Die Ergebnisse waren bis jetzt sehr unterschiedlich ausgefallen. Sirius schien währenddessen wegen dem Zustand des Badezimmers eine Krise zu kriegen und hatte mehrere Abende damit verbracht, endlich ein paar Putzzauber zu lernen.

Sie hatten sich darüber gestritten, ob sie sich einen Fernseher kaufen sollten (Sirius stand dieser Muggel-Technologie auf bizarrer Weise misstrauisch gegenüber, er sah den Sinn dahinter einfach nicht) und dann gab es einen weiteren Streit über das Motorrad (Remus hasste alles daran, aber am meisten die gefährlichen Flugzauber, mit denen Sirius herumexperimentierte).

Aber sonst lief alles ziemlich gut. Ziemlich. So gut, wie es eben zu erwarten war.

Die Uhr tickte. Remus hob die zerkratzte Tasse an seine Lippen, trank und verzog das Gesicht. Eiskalt. Er war schon seit mindestens einer Stunde hier, aber es war ja nicht so, als ob er woanders gebraucht werden würde.

Seit der versemmelten Mission in der Nokturngasse im Juli hatte Remus eine klare Veränderung der Art seiner Aufgaben bemerkt. Er arbeitete oft mit Peter zusammen und wurde generell nur auf ‚sanfte' Missionen geschickt – Nachrichten weitergeben, aufgebrauchte Portschlüssel einsammeln – ein oder zwei Mal war er sogar dazu verdammt worden, Sandwiches für die Besucher der Potters zuzubereiten.

Währenddessen hatte Sirius und James' Glück sie in eine komplett andere Richtung verschlagen. Sie verbrachten die meiste Zeit mit Frank und Alice oder den Prewett-Zwillingen und unternahmen alle möglichen interessanten Dinge wie fortgeschrittene Verteidigung, Wache stehen und sogar einige nächtliche Angriffe.

Sirius hatte die Zeit seines Lebens. Remus ging es miserabel, aber er sagte nichts. In anderen Worten, es war alles wie immer.

Schließlich sah Remus auf und bemerkte Bewegungen. Es war das Ende eines Arbeitstages und Leute in schicken Anzügen und Hüten fingen an, die Straßen zu füllen. Wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass manche dieser Männer und Frauen ein bisschen weniger konservativ angezogen waren als die anderen. Es war auch im Zaubereiministerium Feierabend.

Remus stand schnell auf und stieß sein Schienbein gegen einen der Plastiksessel neben ihm. Er zischte durch seine Zähne und humpelte ein wenig nach draußen. Es war schwül – nicht sonnig, aber heiß und stickig; Kopfschmerz-Wetter. Dicke, üble Gewitterwolken hingen über den grauen Gebäuden und ein starker Geruch stieg von den Mülltonnen des Cafés auf; verdorbene Nahrungsmittel verrotteten in unangemessener Hitze für September.

Remus hielt sich einen Moment zurück, er wartete und beobachtete. Er wollte nicht gesehen werden. Ein großer, gutaussehender Mann schritt an ihm vorbei, der schwarze Roben und eine flaschengrüne Weste trug. Er hatte scharfe Wangenknochen und platinblondes Haar, auch wenn er sehr jung war – Remus erkannte ihn sofort als Lucius Malfoy, den Mann, für den Narcissa ihr Leben riskiert hatte, nur um ihn heiraten zu können. Remus sah ihm zu, wie er die Straße entlangstolzierte, und lobte Sirius' Cousine flüchtig für ihren exzellenten Geschmack.

„Oh, hallo Moony."

Remus erschrak. Peter hatte irgendwie noch immer die Fähigkeit, ihn zu überraschen – man sah ihn nie kommen.

„Mein Gott, Pete, du hast mich erschreckt."

„Naja, wenn du nicht so damit beschäftigt gewesen wärst, Malfoys Arsch anzuglotzen—"

„Halt den Mund." Remus war so schon schlecht drauf und viel zu sensibel, um von ausgerechnet Peter Pettigrew geärgert zu werden.

„Hab nicht erwartet, dich zu sehen", sagte Peter nur, schielte auf seine Taschenuhr und steckte sie zurück in seine Hosentasche.

Er trug eine Tweed-Jacke und einen kleinen, dämlichen Melonen-Hut, senffarben. Er sah aus wie ein billiger Kobold.

Remus schimpfte sich innerlich selbst. Er war beschämt, dass er eifersüchtig auf seinen Freund war – der, obwohl er nur eine Handvoll NEWTs erarbeitet hatte, es geschafft hatte, ohne Mühe einen Einstiegsposten im Ministerium zu ergattern.

„Wie meinst du das?" Remus zog die Stirn in Falten. „Ich bin doch pünktlich, oder?"

„Hast du Arthurs Nachricht nicht bekommen?" Peter sah unschuldig zu ihm hoch. „Wurde abgesagt. Sie haben Caradoc geschickt."

„Oh." Remus verzog den Mund zu einer dünnen Linie.

„Also können wir nach Hause gehen!", sagte Peter fröhlich. „Godric sei Dank. Ich bin fertig. Die Arbeit heute war das reinste Chaos, das hat mich umgehauen."

„Stimmt, na klar", nickte Remus und ließ seine Schultern hängen.

Er war erst um die Mittagszeit aufgestanden. Dann war alles, was er getan hatte, die Zeitung zu lesen und zu rauchen und einen halben Laib Brot zu essen – den Sirius erst am Morgen davor gekauft hatte. Dies war gerade die längste Konversation, die er den ganzen Tag über mit einem anderen Menschen gehabt hatte.

„Bist du sicher, dass sie uns nicht brauchen?", sagte er hoffnungsvoll. „Wir könnten ja vielleicht trotzdem mitkommen—"

„Besser nicht", Peter schüttelte den Kopf. „Du weißt, wie Moody mit dem Protokoll ist. Ich bin jedenfalls am Verhungern, ich hatte kaum Zeit für die Mittagspause."

„Echt? Willst du dir etwas vom Tropfenden Kessel holen?"

„Sorry, ich hab Mum versprochen, dass ich heimkomme. Sie macht sich Sorgen, weißt du."

„Oh. Natürlich."

„Padfoot ist doch in der Wohnung, oder?"

„Ja, er müsste schon zurück sein."

„Dann bis zum nächsten Treffen, Moony!"

„Ja, bis bald."

Sie liefen in entgegengesetzte Richtungen, Peter machte sich auf den Weg zum nächsten Flohkamin (er hatte noch immer nicht gelernt zu apparieren), Remus ging in die nächste stille Gasse, um in Ruhe verschwinden zu können.

Er versuchte, sich etwas aufzumuntern, als er vor der Wohnungstür stand. Er schüttelte sich, bemühte sich, einen klaren Kopf zu bekommen und zwang sich zu lächeln. Er öffnete die Tür.

„Du bist ja früh zurück!", trällerte Sirius' Stimme aus der Küche, und das reichte, um Remus wieder zurück zu seiner schlechten Laune zu werfen. Es fühlte sich an wie ein Vorwurf.

„Mm", grunzte er, schloss die Tür und zog seinen Cardigan aus, die Haare auf seinen Armen juckten und kitzelten von der Hitze. Sie ließ seine Narben auch hervorstechen, wie Stacheldraht.

„Wie geht's?" Sirius erschien. Er hatte vor kurzem geduscht, seine Haare glänzten noch. „Ist was passiert?"

Remus schnaubte, streifte seine Schuhe von den Füßen und schleuderte sie unter den Couchtisch.

„Nichts ist passiert. Es wurde abgesagt. Oder jemand anderes hat es übernommen. Ist aber auch egal, es war nur sinnlose Arbeit."

„Nein, war es nicht", schnalzte Sirius. „Warum sollte dir Dumbledore sinnlose Aufgaben geben?"

„Weil man mir nichts anvertrauen kann, aber sie mich trotzdem noch immer warmhalten, sodass ich nicht auf einmal böse werde."

„Moony..." Sirius hatte jetzt seine Hände in die Hüften gestemmt.

Remus seufzte und winkte ab.

„Vergiss es. Wie war dein Tag?"

„Er war... hektisch. Lang", sagte Sirius vorsichtig. Er wollte Remus offensichtlich nicht noch weiter provozieren. „Das übliche Zeug eben, du weißt schon."

„Das weiß ich nicht", murmelte Remus. „Du darfst den ganzen Tag mit Auroren herumhängen. Das Beste, das ich bekomme, ist Wormtail."

„Sei nicht so." Sirius setzte sich neben Remus auf die Couch. „Du machst trotzdem viele nützliche Sachen. Und sie haben dich am Anfang des Sommers auf diese Mission geschickt, die war riesig!"

Remus sagte nichts. Er hatte Sirius nicht erzählt, was passiert war, wie er schon wieder die Kontrolle verloren hatte und dass Moody ihm sichtlich nicht mehr vertraute und dass Danny ihn wahrscheinlich hasste.

In der Stille, die folgte, stöhnte Sirius leicht auf.

„Schau, wenn du schlecht drauf bist, dann lass ich dich lieber allein. Ich hatte auch keinen brillanten Tag."

„Gut", sagte Remus spitz.

Es war nicht gut. Ein Teil von ihm wollte Sirius packen und ihn küssen, ihn ins Schlafzimmer ziehen und sich dafür entschuldigen, dass er ein Arsch war. Der andere Teil wollte einen gründlichen Streit, mit viel Geschrei und Gefluche. So oder so, er wollte einfach nicht, dass Sirius wegging.

Sirius seufzte und stand auf.

„Na dann." Er schnappte sich auf dem Weg nach draußen seine Schlüssel. „Ich arbeite etwas am Motorrad", sagte er. „Ich hole Brot auf dem Heimweg, weil es schon wieder leer ist."

Remus grunzte als Antwort und starrte Löcher in seine Socke, anstatt Sirius in die Augen zu sehen. Sie würden sich später vertragen, das taten sie immer.

* * *

Das Problem daran, nicht in Hogwarts zu sein, war, dass Remus nie wusste, wo die anderen waren. Er vermisste die Karte des Rumtreibers zutiefst und es war beängstigend, sich Sirius, James und Peter in der weiten Welt vorzustellen, während sie was auch immer gegenüberstanden.

Sie versinnbildlichte, wie Remus sich wegen so ziemlich allem fühlte, seit die Schule vorbei war. In Hogwarts hatte er die Kontrolle gehabt, er hatte einen Platz gehabt, einen bestimmten Status. In der realen Welt war er nichts und ein Niemand, zurück am unteren Ende.

Als ein reifer und gebildeter, junger Mann, wusste er, dass er diese neuen Herausforderungen tapfer meistern müsste, bereit sich zu beweisen, wie James und Sirius – und sogar Pete. Aber das tat Remus nicht. Er schmollte.

Nach der abgesagten Mission mit Peter gab es ein weiteres langes und verwirrendes Treffen mit dem Orden und kaum jemand hatte auch nur einen Blick in Remus' Richtung geworfen. Moody war nicht da gewesen, genauso wenig wie Ferox, also konnte Remus sie auch nicht fragen, ob es Neuigkeiten von der Greyback-Front gab.

Es war schön, die Mädchen zu sehen – Lily hatte in der Abteilung für Zaubertrankforschung in St. Mungos angefangen und Marlene und sie hatten sich im Krankenhaus mit einer großen Gruppe neuer Leute angefreundet. Mary machte an einem Muggel-College eine Ausbildung zur Sekretärin und war bis jetzt – wie Remus – von ihren Aufgaben im Orden unbeeindruckt.

„Wollen wohl nicht, dass mein dreckiges Blut irgendjemanden auffliegen lässt." Sie rollte mit den Augen. Die gute alte Mary.

Seit diesem Meeting hatte Remus die meiste Zeit allein verbracht. Er schlief lange, hörte Radio, ging nach unten in den kleinen Laden an der Straßenecke, um sich Zigaretten zu kaufen, und tat so, als ob er lesen würde. Er hatte Sirius erzählt, dass er Verteidigungsmagie recherchierte, aber er sah den Sinn darin nicht, grundlos zu lernen.

Remus lag eines Tages auf der Couch und machte das Kreuzworträtsel in der Gratiszeitung, die er von irgendwo mitgenommen hatte. Naja. Er ‚machte' nicht wirklich das Kreuzworträtsel; er versuchte, die kreativsten Schimpfwörter, die ihm einfielen, in die Kästchen zu schreiben. Gerade steckte er bei der senkrechten Nummer zwölf ‚_ _ _ E _ _ _ _ F' fest, als das Telefon klingelte.

Er erschrak; das Telefon läutete nie.

„H-hallo?", sagte er krächzend, als er bemerkte, dass es ein Uhr mittags war und es das erste Mal war, dass er heute sprach.

„Was geht, Süßer."

„Grant?"

„Na, ich hoffe mal, niemand anders nennt dich Süßer, du Sack."

Remus lachte und grinste von einem Ohr zum anderen.

„Du sarkastischer Idiot. Wo warst du die ganze Zeit?"

„Hier und da. Sorry, ich hatte einen etwas stressigen Sommer... äh... bist du Zuhause?"

„Ja."

„Genial, ich bin in fünf Minuten da."

„Was?!"

„Bis gleich!" Er hatte aufgelegt.

Er war etwas verblüfft und weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, ging Remus schnell ins Bad, um sich im Spiegel zu betrachten. Er trug ein zerknittertes T-Shirt und warf sich einen Pullover über, der am Boden lag, um seine vernarbten Unterarme zu bedecken. Seine Haare schienen sich nie zu verändern, egal was er tat, also fuhr er nur mit den Fingern durch die Locken und sah zu, wie sie wieder in ihre ursprüngliche Form zurücksprangen. Er wünschte sich, dass er geduscht hätte, als er heute Morgen aufgewacht war, aber jetzt war es zu spät.

Es klopfte an der Tür und Remus beeilte sich, sie zu öffnen, während er seinen Zauberstab auf den Wasserkocher richtete, als er die Küchentür passierte, um ihn einzuschalten. Sein Puls verschnellerte sich, und er bemerkte, wie sehr er sich freute jemanden zu sehen, der nicht in den Krieg involviert war.

Er riss die Tür heftiger auf, als es nötig gewesen wäre, sodass sie fast gegen die Wand knallte.

„Hey." Grant stand im Türrahmen mit weiten Augen, aber grinsend, sein Gesicht rund und sonnig wie damals, als er fünfzehn war, mit dem abgebrochenen Zahn und der hellen Kleidung und alles war gut in dieser Welt.

„Hi", hauchte Remus und trat zurück, um Grant hereinzulassen. „Ich freue mich so, dich zu sehen!"

„Verdammt", Grant stupste ihn mit seinem Turnschuh an, als er eintrat, „wenn ich gewusst hätte, dass ich so begrüßt werde, wäre ich schon vor Wochen vorbeigekommen."

Er stand mitten im Wohnzimmer, Hände in die Hüften gestemmt, und sah sich staunend um. Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Euch geht's ja richtig gut hier, hm? Echt nett."

„Schätze schon." Remus kratzte sich am Hinterkopf. Es sah ein wenig unaufgeräumt aus, mit alten Zeitungen und leeren Teetassen überall, nicht zu vergessen die übergehenden Aschenbecher. Plötzlich war er sehr verlegen.

„Wozu habt ihn n' Kamin?", kicherte Grant. „Dachte diese modernen Wohnungen haben alle Zentralheizungen?"

„Mm", murmelte Remus, „Tee?"

„Gerne."

Remus ging in die Küche und nutzte ein wenig wortlose Magie, um den Prozess zu beschleunigen, bevor er die Tassen ins Wohnzimmer brachte, wo Grant stand und das Bücherregal begutachtete. Er sah so gepflegt aus. Seine Kleidung war rein und elegant – er trug sogar ein Anzughemd, das einen weiten blumigen Kragen und Manschetten hatte.

Remus gab ihm seinen Tee und räumte die gröbsten Sachen weg, bevor er sich setzte.

„Ich kann es nicht glauben, dass du hier bist", sagte er. Grant lachte.

„Ich auch nicht, ehrlich gesagt. Lange her, hm?"

„Wie war dein Urlaub?"

„Oh, äh..." Grant schien verlegen. Seine Ohren wurden kirschrot. „Das war 'n bisschen geflunkert... Ich wollte nichts verschreien."

„Was verschreien? Was hast du gemacht?"

„Ich, äh. Schau, lach mich jetzt nicht aus, ok? Ich hab Abendkurse besucht. Du weißt schon, für meine O-Levels." Er sah zu Boden.

„Das ist großartig!", sagte Remus. Grant hob seinen Blick vorsichtig, so als ob er auf die Auflösung eines Scherzes wartete.

„Schätze besser spät als nie. Ich hatte heute mein CSE Matheexamen, drüben im Russel Square. Verdammt schwierig, aber ich glaub ich hab genug Punkte, um durchzukommen. Der verfickte Pythagoras war echt ein Wichser, was?"

Remus lachte.

„Aber Glückwunsch! Woher der Sinneswandel?"

„Will eines Tages mal woanders arbeiten als in 'nem Pub." Grant zuckte die Schultern. „Die ganzen Studenten zu vögeln hat mir wohl die Augen geöffnet. Will nicht mein ganzes Leben als Dummer dastehen."

„Du bist nicht dumm", sagte Remus bestimmt und sah ihn streng an.

„Naja, werden wir dann sehen." Grant winkte ab, wieder schüchtern. „Wenn ich Mathe und Englisch auf die Reihe kriege – und ich glaube ich hab auch ganz ok abgeschnitten in Englisch – du solltest mal meine Rechtschreibung sehen, die ist meilenweit besser – dann hoff ich, dass ich im Jänner mit den A-Levels starten kann. Ich glaub, ich will Psychologie machen."

„Psychologie", sagte Remus staunend.

„Ja", kicherte Grant, „Ricky – das ist einer dieser Studenten, mit denen ich was hatte – hat gemeint ich sollte lieber Politik machen, aber ehrlich gesagt steht mir das Gerede über Trotzki bis hier. Er war 'n Kommunist."

„Wer, Trotzki?"

„Nein, Ricky."

„Alles klar." Remus nippte gedankenverloren an seinem Tee. Jeder machte was aus seinem Leben. Jeder hatte ein Ziel. Und hier war er, der nur dasaß und zuschaute, wie immer. Selbsthass stieg in ihm auf.

„Also...wie geht's Sirius?", fragte Grant höflich.

„Ja, gut. Er ist grade weg. Äh... Vorlesung an der Uni."

„Cool. Und... deine Mutter? Wie geht's ihr?"

„Liegt im Sterben", grunzte Remus.

„Mist."

Remus spuckte seinen Tee praktisch aus, als er lachen musste. Grant grinste.

„Hey, hast du das von St. Eddys gehört?"

„Was gehört?" Remus runzelte die Stirn.

„Hat zusperren müssen. War anscheinend die letzte dieser Erziehungsanstalten in Großbritannien – die heißen jetzt alle ‚Lebensgemeinschaften'."

„Was ist mit all den Jungs passiert?"

„Manche sind im Jugendknast. Der Rest wurde auf andere Heime aufgeteilt. Sie reißen das Gebäude ab, da kommen Wohnungen hin."

„Gut, dass wir dieses Loch los sind", sagte Remus düster.

„Darauf trink ich", schnaubte Grant und hob seine Teetasse. Sie quatschten noch eine Weile und brachten sich auf den neuesten Stand. Grant war in keiner ernsthaften Beziehung und wusste nicht, wie lange er noch in Brighton bleiben würde. Er vermisste London, aber er wusste, dass es besser war, noch Geld anzusparen, bevor er wirklich zurückkam. Er war so anders als das letzte Mal, als Remus ihn gesehen hatte.

„Genug von mir, was geht bei dir so? Bist du auch an der Uni?"

„Ich mach irgendwie nicht wirklich was", seufzte Remus. „Es ist gerade schwer, einen Job zu bekommen. Ich bin meistens nur hier."

„Na, zum Glück hast du dir das hier eingerichtet, hm?" Grant gestikulierte herum, nahm die Zigarettenschachtel auf dem Couchtisch und schüttelte sie. Remus nickte und nahm selbst auch eine.

„Ja, zum Glück", sagte er deprimiert, als er sie anzündete.

„Du musst ein bisschen mehr raus, Schätzchen", sagte Grant ernst.

„Was?"

Grant machte ein schnalzendes Geräusch, blies Rauch aus und sah Remus von oben bis unten an.

„Sieh dich doch an, du deprimierter Idiot! Ich bin nicht blind, weißt du. Du sperrst dich hier mit deinem Selbstmitleid ein, stimmt's?"

„Nein, ich—"

„Remus", seufzte Grant kopfschüttelnd, „ich mein das nicht böse, ich sag ja nur. Weißt du noch, als ich St. Edmunds verlassen habe und in dieser Hölle gewohnt habe?"

„Ja...?" Remus wünschte, er könnte es vergessen, aber es war in sein Gehirn eingebrannt. Die dreckigen Matratzen, die blanken Holzdielen, die Feuchtigkeit.

„Ich dachte anfangs echt, es ist großartig – keine Schule mehr, keine Hausmutter, die mir Sachen befiehlt, nur ich, wie ich mich um mich selbst kümmere." Er schüttelte seinen Kopf und presste die Lippen aufeinander. „Ich mochte es, wegzulaufen. Ich hab das immer gemacht, als Kind. Bin von meiner Mutter weg, von meinem Großvater – dieser Trottel – von überall, wo mich jemand einsperren wollte. Und das Ding ist, sie haben mich immer gelassen. Die Hausmutter hat nie die Polizei gerufen, meine Mutter hat nie versucht, mich zu finden. Eigentlich warst du die einzige Person, die je versucht hat, mich zu finden."

„Ich..." Remus hatte das nicht gewusst.

„Ich weiß nicht, wie du das gemacht hast", kicherte Grant und kratzte sich am Kinn. „Vielleicht hast du ja einen magischen Zauberstab oder so. Aber du hast mich gefunden. Zwei Mal. Darüber habe ich im letzten Jahr echt oft nachgedacht."

„Ich wollte nur sichergehen, dass du ok bist."

„Ich weiß", lächelte Grant sanft, „das ist, was mich so überrascht hat. Da ist dieser Typ – dieser clevere, lustige, vornehme Typ – dem ich nicht komplett am Arsch vorbeigehe, so wie allen anderen. Hat sich so angefühlt, als ob ich es wert wäre. Also hab ich mir gedacht, dass ich auch was wertvolles tun sollte."

Remus wusste nicht, was er sagen sollte. Er stellte seinen Tee ab.

„Das ist der Grund, warum ich bis zu meinen Examen warten wollte, bevor ich dich besuche", fuhr Grant fort. „Auch wenn ich durchfalle, wollte ich dir wenigstens erzählen, dass ich es versucht habe, dass ich versuche, mich zu bessern."

„Du musst mir nichts beweisen", sagte Remus ernsthaft.

„Ich weiß", nickte Grant. „Ich hab es für mich getan, echt. Ich hab es getan, weil wegrennen und all die Probleme ignorieren am Ende nichts bringt. Wenn du willst, dass Leute denken, du bist es wert, dann musst du dich auch so verhalten."

Remus lachte glatt.

„Hört sich so an, als ob du schon Psychologiekurse machst."

„Hab viel gelesen", zwinkerte Grant. „Also verstehst du, was ich dir sagen will?"

„Ja", seufzte Remus. Mach etwas Sinnvolles. Hör auf, Trübsal zu blasen.

„Gut", sagte Grant fröhlich, „denn wenn du hier nicht glücklich bist, dann tausch ich gern mit dir. Nette Wohnung, viele Bücher, ein umwerfend schöner Freund..."

Remus lachte wieder und stupste Grants Schienbein spielerisch an.

„Halt den Mund."

„Niemals. Aber ich muss dann, hab 'nen Zug, den ich nicht verpassen darf – Ich komm aber in 'nem Monat oder so mal wieder vorbei, wenn ich die Prüfungen schaffe."

„Das wirst du", sagte Remus zuversichtlich. „Ich weiß es."

„Danke. Ruf mich mal an, ja?"

Sie umarmten sich an der Tür und Remus sah ihm zu, wie er zwei Treppenstufen auf einmal hinunterhüpfte und einen Pop-Song pfiff.

Remus fühlte sich erleichtert; seine Wangen taten weh vom Lächeln. Er schloss die Tür und sah sich im unaufgeräumten Raum um. Er hatte Lust, den Abwasch zu machen. Dann würde er vielleicht einen kurzen Abstecher in den Supermarkt machen und etwas fürs Abendessen kaufen. Sirius war den ganzen Tag weg, er würde sich über eine warme Mahlzeit freuen.

Morgen würde Remus mit all den anderen Dingen beginnen. Es gab so viel zu tun.

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Das Lied ist ‚A message to you Rudy' von The Specials

GCE O-Levels: General Certificate of Education, Ordinary Level. Eine fächerspezifische, Standard-Schulabschlussprüfung in Großbritannien vor 1988. Wurde normalerweise mit 16 Jahren gemacht und wurde für weitere Ausbildungen benötigt. Grant hat mit 15 die Schule geschmissen und sie deswegen nie gemacht.

GCE A-Levels: General Certificate of Education, Advanced Level. Die Abschlussprüfungen, bevor man mit der Universität beginnen kann. Werden normalerweise zwischen 16 und 18 gemacht. Ähnlich der Matura/dem Abitur.

Leo Trotzki (1879-1940): russischer Revolutionär, kommunistischer Politiker und marxistischer Theoretiker.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top