Chapter 36: Sommer 1995: Grant
A long time ago
I watched him struggle with the sea.
I knew that he was drowning,
And I brought him into me
Now today
Come morning light
He sails away
After one last night
I let him go.
Mr. Chapman,
wir freuen uns sehr Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie von der Brighton & Hove Stadtverwaltung für folgende Arbeitsstelle ausgewählt wurden:
Sozialarbeiter – Kinder- und Jugendfürsorge
Bitte beachten Sie die beiliegende Broschüre für weitere Details bezüglich Ihres Gehalts und Arbeitszeiten. Sie haben 30 Werktage Zeit, um auf dieses Angebot zu antworten, entweder per Post oder Telefon.
Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung.
A.P. Green
Leiter des Sozialdienstleistungsstelle, Brighton & Hove.
Grant las den Brief drei Mal, nur um sicherzugehen.
Naja. Er sollte eigentlich glücklich sein. Begeistert. Das waren wundervolle Neuigkeiten. Neuigkeiten, die gefeiert werden sollten. Es war ein Weg aus diesem Chaos, in dem er sich gerade befand.
Er schüttelte seinen Kopf, weil er sich schrecklich dabei fühlte, Remus' Leben als ‚Chaos' zu bezeichnen. Auch wenn es ein klein wenig die Wahrheit war.
Er war vor ein paar Wochen zu einem Bewerbungsgespräch hingefahren und hatte Remus gesagt, er musste Überstunden machen. Nicht, dass er irgendetwas vor Remus verstecken wollte – er wollte einfach nichts verschreien. Grant war normalerweise keine Person, der Glück widerfuhr; solche Dinge passierten ihm nie.
Grand glaubte nicht an Gott, oder an Schutzengel, oder Buddha und Brahman – oder an irgendetwas anderes als an seine eigene Willenskraft, aber irgendetwas an diesem Stellenangebot schmeckte nach göttlicher Absicht. Es war schließlich sein Traumjob. Vielleicht war das das Zeichen, auf das er gewartet hatte – als ob ein alter Exfreund, der aus dem Gefängnis zurückkehrte, nicht Omen genug war.
Er hatte seit Jahren mit der Idee gespielt, umzuziehen. Grant liebte London; es würde immer durch seine Adern fließen, aber sie waren jetzt beide Mitte dreißig und vielleicht war es Zeit für eine Veränderung. Er wollte Remus aufs Land bringen, zu frischer Luft und dem Meer und mehr Platz. Ein Neustart, weg von dieser elend kleinen Wohnung. Als also die Stelle frei wurde und Grants Manager ihm davon berichtete, ergriff er die Chance.
Natürlich war das alles gewesen, bevor Sirius zurückgekommen war.
Grant las den Brief nochmal von vorne. Er starrte seinen Namen an, in bürokratischer, schwarz-weiß gedruckter Schrift. Ein Brief mit meinem Namen drauf, und es ist nicht einmal eine Gerichtsvorladung, witzelte er in Gedanken. Er wünschte, er könnte den Brief seinem idiotischen Großvater zeigen. Ihm zeigen, wozu schwule Kleinkriminelle fähig waren, wenn sie sich anstrengten.
Er war stolz auf sich und, egal wie die Situation gerade aussah, er wusste, dass Remus auch stolz auf ihn sein würde. Er wünschte, er könnte es ihm sofort sagen, aber Remus war unterwegs und Grant versteckte sich im Schlafzimmer vor Sirius.
Grant sollte eigentlich ein Auge auf ihn haben, das hatte er versprochen, aber sobald Remus aus der Tür gewesen war, hatte Sirius gemein gesagt, dass er keine ‚Gouvernante' brauchte (meine Güte, wie unnatürlich vornehm sprach er bitte?!) und hatte sich wieder in einen Hund verwandelt.
Es war so schmerzlich offensichtlich, dass Sirius Grant zutiefst hasste, also fühlte sich das Versteck im Schlafzimmer wie die beste Lösung an.
Er müsste warten, bis Remus nach Hause kam, um die Neuigkeiten zu verkünden. Er hoffte, dass er nicht zu lange weg sein würde, aber er hatte keine Ahnung. Remus war zu irgendeinem offiziellen Treffen gegangen und hatte Grant keine Details erzählt.
Er hatte aber mit Sirius darüber gesprochen – lange. Sie hatten darüber leise im Wohnzimmer gesprochen und gedacht, dass Grant es nicht merken würde. Ihr Geflüster ging wild hin und her – einen Moment war es verärgertes, kurzes Zischen, dann beruhigende, leise Entschuldigungen. Ihre Körpersprache war genauso – Grant hatte schnell gelernt, dass die wichtigen Dinge zwischen Sirius und Remus diejenigen waren, die keiner von beiden aussprach. Es war alles in Blicken, Gesten, geneigten Köpfen und hochgezogenen Augenbrauen versteckt. Es war unmöglich, als Außenstehender mitzukommen – und Grant fühlte sich sehr ausgeschlossen. Er hatte nie gewusst, dass zwei Menschen so wütend aufeinander und zur gleichen Zeit so sehr verliebt sein konnten.
Es war Liebe. Ohne Zweifel.
Grant spürte ein unangenehmes Ziehen in seinem Magen. Er hatte es seit Tagen ignoriert.
Remus war schon eine Weile verändert gewesen, aber bis dieser verdammte schwarze Hund aufgetaucht war, hatte Grant gedacht, dass es Hoffnung gab. Ein wenig mehr Zeit, ein wenig Raum, ein wenig Abstand von all dieser Dunkelheit. Grant würde Remus vom Abgrund zurückziehen; er hatte es schonmal getan, er konnte es wieder tun.
Aber jetzt schien es unmöglich – Remus wollte nicht, dass alles wieder wurde wie zuvor. Er hatte es nicht ausgesprochen – vielleicht wusste er es nicht einmal – aber für Grant war es offensichtlich.
Schau, ok, Grant wusste , dass er nicht der Hellste war. Nicht so clever wie Remus zumindest. Wahrscheinlich nicht so clever wie Sirius. Das hatte ihn nie sonderlich gestört, denn im Endeffekt konnte er niemand anders sein als er selbst, und er hatte damit genug zu tun. Er arbeitete hart und er kümmerte sich um andere und andere kümmerten sich um ihn und diese Dinge waren die Zutaten für ein glückliches Leben, Grants Meinung nach.
Also, er war kein Genie, aber er wusste manches trotzdem. Er dachte, dass er wenigstens wusste, wann es Zeit für einen würdevollen Abgang war.
Grant liebte Remus sehr. Er hatte ihn wahrscheinlich seit dem ersten Tag geliebt, vor zwanzig Jahren, als der schlaksige, erschöpfte, scheue Teenager in den Schlafraum in St. Edmunds geschlurft war.
Er war so still gewesen, und so verschlossen, auch wenn in ihm mit Sicherheit ein Universum versteckt war. Remus war nie zweimal der Gleiche; er war in einem Moment stumpf und weltmüde, in anderen naiv und beschämt. Er sprudelte vor Wut und Liebe gleichzeitig und meistens ließ er die Liebe gewinnen.
Grant stellte sich vor, dass er dies etwas beeinflusst hatte. Besonders in den letzten paar Jahren – Grant hatte hart gearbeitet, um die weichsten Teile von Remus zu konservieren. Und das hatte er; er hatte gute Arbeit geleistet. Er hatte sich gut um ihn gekümmert, bis Remus nicht mehr wirklich jemanden brauchte, der sich kümmerte. Es war vielleicht Zeit, loszulassen.
Er wollte ihn trotzdem nicht einfach zurückgeben wie ein geborgtes Buch.
Grant hatte sich in seinem kurzen, aber bunten Leben von einigen Menschen verabschiedet, und niemand von ihnen hatte ihm etwas bedeutet, bis auf Remus. Grant wusste, wie erbärmlich das klang. Fast sechsunddreißig und nur eine richtige Beziehung – nur eine echte Freundschaft.
Was auch passierte, sie würden Freunde bleiben – das war keine Frage. Aber Grant wusste, dass er praktisch denken musste und sich einmal um sich selbst kümmern musste. Remus hatte immer zu einer anderen Welt gehört; das war Teil seiner Attraktivität.
Es war Zeit geworden für Remus, zurückzukehren wohin er gehörte. Und auch wenn Grant wusste, dass seine Abwesenheit eine Weile wehtun würde, es war einfach notwendig.
Es erinnerte ihn an dieses eine Lied von Suzanne Vega – Grant war nie jemand gewesen, der besonders auf Liedtexte achtete, im Gegensatz zu Remus – er hatte keine poetische Seele. Aber als das Solitude Standing Album erschien, war es überall im Radio und Grant hatte es gemocht – er wollte das Album immer kaufen, kam aber nie dazu. Sie hatte eine eindringliche Stimme und diese eine bestimmte Melodie war geisterhaft und eigenartig.
Dann hatte ihm Remus erzählt, worum es in dem Text ging, und er hatte es gehasst.
Er mochte normalerweise keine Märchengeschichten – als er mit sechs Jahren seine Sexualität erkannt hatte, hatte ihn die Idee von mutigen Rittern, die Jungfrauen in Nöten retteten, nicht besonders inspiriert. Aber irgendetwas an Calypso hatte einen Nerv getroffen.
Er wusste, dass er keine Sirene war, die auf den Felsen saß und ihre Brüste in Richtung vorbeifahrender Segler streckte, aber er kannte Remus. Er kannte Remus in- und auswendig. Er hatte die Veränderung in ihm gesehen, seit Sirius zurück war.
Anfangs hatte sich Remus an Grant als sein Beschützer geklammert, was Sinn ergab; ein wenig Regression war zu erwarten gewesen, und Grant hatte immer sein Bestes gegeben, für Remus ein fester Boden unter den Füßen zu sein. Aber nachdem der Stress der ersten paar Tage vorüber war, hatte sich Remus und Sirius beide etwas entspannt und alles war anders. So anders, dass es schockierend war.
Grant hatte nicht wirklich gewusst, wie ihre Beziehung gewesen war, als sie jung waren, aber er erhaschte jetzt Blicke darauf. Diese Art, wie Remus Sirius anstarrte , als ob er die wunderschönste Kreatur auf dieser Erde wäre. Die Hitze in seinen Augen, die Art, wie seine Zunge im Mundwinkel spielte, als ob er etwas unfassbar Schmutziges tagträumen würde. Remus hatte Grant nie so angesehen, nicht wirklich.
Und Sirius leuchtete, sobald Remus mit ihm sprach.
Ja, sie waren offensichtlich noch verliebt, aber es war nicht dieselbe Liebe, die Grant und Remus teilten. Er wusste nicht, ob sie besser war oder nicht, aber er konnte den Konflikt praktisch fühlen, der Remus innerlich zerriss. Er wollte Remus nicht zerreißen; noch nie. Er wollte ihn noch immer beschützen.
Und da war Sirius selbst – geziert und giftig, immer lauernd wie eine Spinne, der ihm messerscharfe Blicke zuwarf, sobald Grant den Raum betrat. Er machte seine Gefühle ihm gegenüber glasklar und das entrüstete Grant; er wollte deswegen nur noch mehr darum kämpfen, Remus behalten zu dürfen.
Aber das war nicht mehr Grants Entscheidung. Remus ging irgendwo hin und Grant konnte ihm nicht folgen. Sie hatten eine Kreuzung erreicht und alles war klar. Vielleicht war der Brief wirklich ein Omen.
Er beschwörte einen Gedanken vor seinem inneren Auge, mit dem er gespielt hatte – von ihm und Remus in einem Haus am Meer, wo sie Bücher lasen und Frühstück im Bett aßen und Spaziergänge durch den Ort machten. Sie wurden älter, fanden neue Freunde. Wenn sie ein Haus hatten, das groß genug war, könnten sie sich für die Aufnahme von Pflegekindern registrieren – Grant hatte das die letzten Jahre schon interessiert; er wollte sich um Kinder kümmern, die sonst keiner wollte, und wenn er ein Sozialarbeiter werden würde, wäre er der perfekte Kandidat.
Er ließ die Fantasie ein letztes Mal in ihm aufsteigen und begann dann, sie wieder abzubauen. Denn tief im Inneren wusste Grant, dass Remus London sowieso nie verlassen hätte und Remus würde nie Pflegekinder wollen – er hätte zu viel Angst, sie an einem Vollmond zu verletzen. Diese Zukunft war immer ein wenig Wunschdenken gewesen; es ging dabei mehr um Grant als um Remus.
Es war Zeit aufzuhören, sich Sorgen um Remus zu machen, darum, was Remus brauchte. Das war nicht mehr seine Aufgabe. Vielleicht würde es jemand anders für Grant geben – das hoffte er, also würde er nie aufhören zu suchen. Vielleicht würde ihn jemanden beschützen wollen, zur Abwechslung. Es gab schon weitaus abwegigere Ereignisse.
Die Entscheidung war getroffen. Grant schrieb eine höfliche Antwort und nahm die Stelle an. Er würde sie auf seinem Weg nach draußen aufgeben.
Er begann leise zu packen, hoffte, dass Remus nicht heimkommen würde, bis er fertig war. Es gab so viel zu tun – aber gleichzeitig auch wenig. Grant überraschte sich selbst damit, wie einfach der Plan zu sein schien. Er hatte sein eigenes Bankkonto und hatte keine Kaution für die Wohnung gezahlt – er könnte im Pub seiner Tante in Hove wohnen, bis er seinen eigenen Ort zum Leben gefunden hatte. Er hatte sogar Freunde in Brighton, aus der Zeit, als er dort als Kind gewohnt hatte. Alles kinderleicht.
Also müsste er, wenn er mit packen fertig war, nur noch auf Wiedersehen sagen. Er hoffte, dass er es auf die richtige Art sagen konnte und nicht verbittert oder selbstmitleidig klang. Er hoffte, dass Remus es verstehen würde, dass Grant immer da sein würde, wenn er ihn brauchte; er würde auf der Stelle kommen.
Gleichzeitig hoffte er, dass Remus ihn nicht brauchen würde. Er hoffte, dass er ihn in sicheren Händen zurückließ.
Alles fertig zusammengepackt saß Grant auf dem Bett. Er konnte den Fernsehen im anderen Zimmer hören, ein wenig zu laut. Sirius ließ ihn manchmal die ganze Nacht laufen und weckte Grant damit auf. Aber wenn er hinüberging, um ihn auszuschalten, wachte dieser scheußliche schwarze Hund auf und knurrte ihn aus der Dunkelheit an. Wahrscheinlich hatte es mit Trauma zu tun; Grant machte ihm deswegen keine Vorwürfe, aber er wünschte sich einfach, dass er es nicht auf diese Weise verarbeiten würde.
Konnte er wirklich einem Mann wie ihm vertrauen, dass er sich um jemanden kümmerte? Grants Herz schmerzte, als er sich Remus vorstellte – den lieben, ernsten, sensiblen Remus – der wie ein mentaler Boxsack behandelt wurde. Er würde es einfach über sich ergehen lassen, Grant wusste das. Remus fühlte sich so schuldig wegen Sirius' Gefangenschaft, dass er jede Art von Missbrauch hinnehmen würde. Aber das war nicht richtig.
Grant stand auf. Er musste noch eine weitere Sache tun, bevor er verschwinden konnte.
Er musste mit Sirius reden.
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Das Lied am Anfang ist ‚Calypso' von Suzanne Vega.
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