Chapter 27: 1985

Warnung – Erwähnung von HIV/AIDS (keine Todesfälle!)
Außerdem wird in diesem Kapitel viel über Sex gesprochen (nichts Gravierendes).----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

I've been loving you a long time;

Down all the years, down all the days.

And I've cried for all your troubles,

Smiled at your funny little ways.

We watched our friends grow up together

And we saw them as they fell.

Some of them fell into heaven,

Some of them fell into hell.

Remus mochte viele Dinge an Grant. Sein Lächeln, seine blonden Korkenzieherlocken, seinen dreisten, unverfrorenen Sinn für Humor. Grant war ein sympathischer Mensch. Aber es gab eine Sache, die Remus absolut nicht tolerieren konnte.

Grant liebte Fußball. Er war kein Fanatiker, aber er hatte definitiv mehr Interesse, als Remus wirklich für nötig hielt. Er unterstützte die Queens Park Rangers – und kaufte sich in einem Jahr sogar ein gefälschtes T-Shirt, plus den blau-weiß gestreiften Schal. Grant war nie jemand, der einfach nur beobachtete, sondern war auch ein gelegentlicher Spieler und samstags spielte er in einem schwulen Männerteam unten in Südlondon.

So lernte er Neil Newman kennen – einen großen, gutaussehenden Fußballspieler mit stacheligen Haaren und Oberschenkeln, auf denen man Walnüsse knacken konnte – und so traf Remus Anthea Luong; Neils Teilzeitfreundin.

„Teilzeit?!", Remus hob eine Augenbraue, als Grant es erklärte. Er schnürte seine Schnürsenkel zu, um an einem Samstag zum Training zu gehen und Neil kam, um ihn abzuholen.

„So ungewöhnlich ist das nicht", Grant zwinkerte ihm zu, Remus verstand.

„Aber wenn Neil queer ist–", versuchte es Remus.

Grant hob einen Finger. „Geh mit der Zeit, Sonnenschein – Queer ist out. Wir sind schwule Männer und wir sind stolz."

Remus verdrehte die Augen. „Was auch immer. Wenn Neil ein schwuler Mann ist, wie passt Anthea dann ins Bild?"

„Ich schätze, er muss bicentinell sein."

„Du meinst bisexuell", korrigierte Remus.

„Nein, er ist zweihundert Jahre alt", Grant streckte die Zunge heraus. „Ja, Mr. Wortwörtlich, bisexuell."

Remus konnte Neil das nicht wirklich verübeln, nachdem er sie auch getroffen hatte. Anthea war ein sehr attraktives Mädchen. Sie war winzig und lebhaft, mit langen schwarzen Satinhaaren und glitzernden Augen. Ihr Mund war wie eine Rosenknospe und sie hatte die schönste Haut, die Remus je gesehen hatte. Sie kleidete sich wie Cindy Lauper, alles Rüschen und Dayglo.

So schön, dich kennenzulernen", grinste sie und stellte sich auf ihre Zehenspitzen, um Remus zur Begrüßung auf die Wange zu küssen. Neil nickte ihm nur leicht argwöhnisch zu – Remus war das von Grants Geliebten gewöhnt.

„Tee für alle?", bot Grant an.

„Nee, wir sollten besser gehen", sagte Neil ziemlich deutlich, dachte Remus. „Wir wollen früh da sein, nicht wahr? Uns warm laufen."

„So nennst du es?", Anthea streckte ihm die Zunge heraus. „Remus, kann ich hier bei dir bleiben? Es gibt so viel, worüber ich mit dir reden möchte."

„Gibt es?!", er starrte sie erschrocken an. Bis vor zehn Minuten hatte er nicht einmal gewusst, dass Neil eine Freundin hatte.

„Oh ja, ich habe Anth hier erzählt, wie gut du in Astrologie bist", sagte Grant fröhlich und zog seine Jeansjacke an. Es sah albern aus, in Shorts und langen Socken, aber Remus fand generell alles, was mit Fußball zu tun hatte, albern.

„Astronomie", erwiderte Remus. „Sehr unterschiedliche Dinge..."

„Ist doch beides Sterne und so, nicht wahr?"

„Nun...", er konnte nicht wirklich widersprechen.

„Wir sehen uns, Jungs! Habt Spaß!", Anthea winkte ihnen beiden zu und schob sie aus der Tür. Plötzlich war Remus allein mit einer fremden jungen Frau und hatte keine Ahnung warum. Er wollte unbedingt etwas trinken.

„Du hast keinen Fernseher", sagte sie rundheraus.

„Nein", stimmte Remus zu.

„Trotzdem tolle Wohnung!", sagte sie, während sie durch den Raum ging, aus dem Fenster schaute, Bücher aus dem Regal zog und die Umschläge überflog. „So schön, dass ihr in Chinatown wohnt – sprichst du Chinesisch?"

„Äh... nein...?"

„Ich schon, ich spreche eigentlich drei Sprachen, Chinesisch, Vietnamesisch und Englisch. Englisch ist meine Muttersprache und Vietnamesisch ist die Sprache meiner Mutter, wenn du verstehst." Sie zwinkerte ihm zu. „Und Neil sagt immer, ich sollte sagen, dass ich vier Sprachen spreche, weil ich so viel Scheiße rede." Sie lachte – es war ein etwas hässliches, schepperndes Lachen, wie Münzen, die auf Blech fallen, aber sie lachte mit solcher Überzeugung, dass es trotzdem liebenswert war.

„Richtig", nickte Remus. „Äh... Entschuldige, wolltest du nicht etwas über Astronomie wissen?"

„Vielleicht. Ich bin eine Jungfrau, was bist du?"

„Ähh... Fische, glaube ich?"

„Passen die zusammen?", fragte sie. Er blinzelte.

„Nein. Ich meine, ich weiß es nicht. Ich meine... wie ich schon sagte, das ist eigentlich Astrologie, nicht..."

„Neil ist ein Steinbock und die passen nicht zu Jungfrauen, habe ich nachgelesen. Ich schaue immer nach. Aber weißt du, das Herz will, was es will. Du weißt, dass sie vögeln?", sagte sie aus dem Nichts. „Er und Grant?"

„Ich hab es mir gedacht..."

„Stört es dich? Du wohnst doch bei Grant, nicht wahr?"

Remus nickte, obwohl er sie insgeheim korrigierte – Grant wohnte bei ihm, nicht umgekehrt. „Wir sind aber ziemlich locker."

„Oh, das ist gut", nickte sie ernsthaft.

„Schau, ähm... wie lange bleibst du?", Remus kratzte sich verlegen am Kopf.

„Nur bis die Jungs vom Fußball zurückkommen", lächelte sie. „Ist doch ok, oder? Grant sagte, du würdest die Gesellschaft mögen. Ooh, ich sag dir was, ich hätte gerne eine Tasse Tee."

„Äh. Ok...", er ging um den Wasserkocher aufsetzen, immer noch verwirrt. Was sollte das von Grant, ihn die Freundin seines Liebhabers babysitten zu lassen?! Als hätte Remus an einem Samstag nichts Besseres zu tun. Er hatte vorgehabt, die Zeitung zu lesen. Vielleicht ein bisschen die Archers im Radio zu hören.

„Kein Zucker, keine Milch!", rief Anthea. „Oooh, kann ich eine Platte auflegen?"

„Wenn du magst ..."

Sie legte ein Queen-Album auf. Remus seufzte vor sich hin. Er war wirklich kein Fan, aber Grant konnte nicht genug bekommen.

Als er den Tee brachte, saß Anthea auf der Couch und beugte sich über den Couchtisch, um einen Joint zu drehen. Sie grinste ihn an. „Lust darauf?"

„Gern, mach weiter", stimmte Remus zu. Nun, das war besser als nichts.

Sie rauchten und tranken Tee und hörten Queen und Anthea redete weiter und fragte alles Mögliche.

„Grant sagt, du bist wirklich schlau, Privatschule und alles."

„Ja." Remus zuckte mit den Schultern.

„Und du weißt alles über Konstellationen und solche Sachen. Hey, ich kann deine Tarotkarten lesen, wenn du willst?"

„Nein danke."

„Wie kommt es, dass du all diese Narben hast?"

Er blinzelte, überrascht. Sie lächelte immer noch hübsch und schien aufrichtig neugierig auf ihn zu sein.

„Ich habe einfach viele Narben bekommen", sagte er und schluckte. „Lust auf einen Gin Tonic?" Eigentlich hatte er kein Tonic, aber er konnte so tun, als hätte er es einfach vergessen und es pur trinken.

„Ja, warum nicht", nickte sie strahlend. Er stand auf und sie folgte ihm in die Küche, immer noch plappernd: „Du bist also nicht krank oder so?"

„Nein", sagte Remus. „Ich habe sie beim Kämpfen bekommen. Einige davon habe ich selbst verursacht."

„Oh, du armes Ding", sagte sie, ihr Mitgefühl echt. Sie beugte sich vor und drückte freundlich seinen Arm. „Entschuldige die Frage, Liebes, aber man kann heutzutage einfach nicht vorsichtig genug sein, weißt du, was ich meine?"

„Mh", er goss den Gin in zwei Becher. Er wusste genau, was sie meinte und er wollte nicht darüber reden. Oder darüber nachdenken.

Sie beschwerte sich nicht, als er ihr ein Glas mit purem Gin reichte, sondern stieß einfach ihre Gläser zusammen und strahlte „Cheers!" und nahm dann einen guten Schluck.

Sie gingen zurück zur Couch. Remus nahm die Flasche.

„Du bist so groß, Remus. Was bist du – einsneunzig?"

„Einssiebenundachtzig."

„Ich liebe große Männer", schnurrte sie.

„Ich auch."

Anthea lachte erneut darüber, ihre Plastikohrringe klirrten aneinander. Sie plauderte noch mehr, erzählte ihm dumme, unsinnige Dinge über sich selbst; wo sie zur Schule gegangen war, ihre Lieblingslieder im Radio, alle Filme, die sie je gesehen hatte, in den Kinos. „Und ich tanze auch gerne ein bisschen, so lernte ich Neil kennen, als er unten in Vauxhall tanzte. Soll ich es dir zeigen? Ok, du musst dir mich in diesem glitzernden lila Kleid vorstellen, in Ordnung? Und meine Haare waren damals kürzer."

Sie stand auf und fing an, zur Platte zu tanzen.

Ooh love,

Ooh loverboy

What're you doin' tonight, hey boy

Set my alarm, turn on my charm

That's because I'm a good old-fashioned lover boy

Remus musste sich das glitzernde Kleid nicht vorstellen; sie war eine sehr gute Tänzerin. Sie drehte und wand sich vor sinnlicher Energie, warf ihm kokette Blicke zu und bewegte ihre Hüften. Bekifft und entspannt lümmelte Remus auf dem Sofa und beobachtete sie. Sie war wie ein Traum, hübsch und anmutig, aber auch überwältigend und unübersehbar echt. Remus fragte sich, warum er immer mit Schwätzern hängen blieb und warum um alles in der Welt er es so mochte.

Das Lied endete und sie hielt ihre Arme hoch wie eine Turnerin, die gerade eine perfekte Übung absolviert hatte. Remus lächelte unwillkürlich und applaudierte.

„Lust auf einen Tanz?" Sie klimperte kokett mit den Wimpern. Remus konnte nicht anders; was auch immer sie gekifft hatten, war stärker, als er es gewohnt war und er war entzückt von ihr.

„Dann mal los."

Er tanzte nicht wirklich, aber er hielt ihre Hände, während sie sich an den richtigen Stellen drehte und ließ sie kichernd in seine Arme fallen. Sie hatte die zartesten Handgelenke, die Knochen fein wie die eines Vogels.

Als sie schließlich auf der Couch zusammenbrachen, um einen weiteren Joint zu rauchen, zog sie ihre Schuhe aus und legte ihre Beine über seinen Schoß. Grant tat das manchmal; sie hatten nur ein Sofa, also war es die einzige Möglichkeit, sich auszustrecken.

„Du siehst sehr gut aus, Remus", sagte sie durch den Rauch.

„Ha"", erwiderte er und kippte den Rest seines Gins zurück. Er konnte sich nicht mehr einschenken, ohne ihre Beine wegzustoßen und das wollte er nicht, also entschied er sich für den Joint.

Wirklich. Du bist sehr sexy."

„Schh", gluckste er. „Was glaubst du, wer du bist? Tauchst hier unangemeldet in meiner Wohnung auf und verhörst mich."

„Verhöre ich dich?" Sie weitete ihre Augen. „Erliegst du meinen Techniken?"

Remus lachte, vornübergebeugt, seine Hände auf ihren Beinen – sie waren so glatt und weich. Sie kicherte auch, als sie ihn beobachtete. Ihre Augen waren so dunkel und so voller Leben. Er wollte sie. Remus erkannte es plötzlich, als ob ein Licht angeschaltet würde – der Raum war heller, ihr Gesicht klarer. Verdammte Scheiße.

Er beendete den Joint. Sie wand sich auf die Couch und schloss zufrieden die Augen. Er ließ seine Hände auf ihren Beinen – nur dort liegen, er wollte sie nicht packen oder so etwas Schreckliches. Er wollte nur... was? Was tat man mit einem Mädchen? Mary war fast ein Jahrzehnt her und es war nicht so, als hätte Remus dort wirklich eine große Rolle gespielt. Er war hauptsächlich überrascht gewesen, dass sie sich ihn ausgesucht hatte.

So fühlte er sich jetzt auch, als Anthea ihre Augen öffnete und ihn wieder anlächelte. „Sorry, wolltest du dich auch hinlegen?"

„Was?" Remus Rücken kribbelte alarmiert. Würden sie wirklich?! „Nein! Ich meine... ähm..."

„Du bist so hübsch", grinste sie, rutschte zur Seite und zog ihn neben sich herunter. „Lass uns einfach ein bisschen zusammen liegen, es ist schön, nicht wahr?"

„Mm..."

Sie legte ihren Arm um ihn. Ihr weiches schwarzes Haar kitzelte unter seiner Nase und er konnte nicht anders, als ihren Duft einzuatmen. Es war warm und irgendwie würzig, wie Nelke oder Zimt. Es gefiel ihm. Sie lagen eine Weile so da. Die Schallplatte war zu Ende und drehte sich nur knisternd auf ihrer Nadel.

„Was denkst du, was Neil und Grant gerade machen?", flüsterte Anthea, ihre Hand lag plötzlich an seinem Gürtel, die Handfläche flach gegen seinen Schritt. „Wahrscheinlich sind sie in den Duschen, was meinst du?"

„Äh", sagte Remus sprachlos.

„Du solltest Neil mal ohne Klamotten sehen, er ist ein Adonis. Ich meine, er ist ein Schwachkopf, aber das vergisst man schnell, wenn er loslegt – ich wette, sie sind beide verschwitzt und matschig vom Spielfeld."

Remus versuchte, seine Atmung zu regulieren, aber sie bewegte ihre Hand weiter und es fiel ihm schwer, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Schließlich sah sie zu ihm auf und küsste ihn sehr zärtlich auf die Lippen. „Hast du Lust darauf?"

„Ja", hauchte Remus, „mach weiter."

Zwei Stunden später stand Anthea unter der Dusche, als Grant und Neil zur Tür hereinkamen. Remus lag immer noch in seiner Unterhose ausgestreckt auf der Couch, gerötet und völlig fassungslos.

Grant sah zweimal hin und brach dann in Gelächter aus. Neil sah entsetzt aus. Er marschierte ins Badezimmer und forderte Anthea auf, sofort herauszukommen.

„Du Schlampe!", keuchte Grant und krümmte sich vor Lachen.

„Tschüss Grant, tschüss Remus!", rief Anthea, als sie und Neil hinaus eilten. Er hatte ein Gesicht wie Donner und die Tür schlug hart hinter ihnen zu.

„Na dann", sagte Grant und fasste sich. „Ich hoffe, deine Freundin hat nicht das ganze heiße Wasser aufgebraucht."

„Ich weiß wirklich nicht, wie das passiert ist", sagte Remus und zog sein T-Shirt an. „Wir haben uns nur Schallplatten angehört und sie hat geredet und dann..."

„Was, das war der einzige Weg, sie zum Schweigen zu bringen?"

Remus sah verlegen zu ihm auf. „Glaub es oder nicht, aber es hat sie nicht zum Schweigen gebracht."

Grant brauchte fast volle zehn Minuten, um sich einzukriegen.

* * *

Sie bekamen einen Fernseher, ein paar Wochen später – Grant scherzte, dass, wenn Remus so gelangweilt war, dass er mit Mädchen vögeln würde, sie besser etwas Unterhaltung für ihn besorgen sollten. Er sah Anthea nicht wieder, was schade war, denn um ehrlich zu sein, Remus hätte nichts dagegen gehabt, das zu einer regelmäßigen Sache zu machen. Sobald man sich an all das Reden gewöhnt hatte, war sie sehr sexy. Er dachte nicht zu viel darüber nach, was es bedeutete, und Grant drängte ihn nicht.

Der Fernseher kam aus zweiter Hand – keiner von ihnen hatte genug verfügbares Einkommen für einen brandneuen. Sie bekamen ihn kostenlos von einem Freund von Grant, unter der Bedingung, dass sie ihn selbst abholten. Es war nur zwei Straßen weiter, aber das war trotzdem noch ein Problem.

„Kannst du ihn nicht... nach Hause schweben lassen oder so?", fragte Grant, die Hände in die Hüften gestützt, während sie auf den großen, klobigen Fernseher auf dem Bürgersteig starrten. „Sprich einen Zauber."

„Es ist gegen das Gesetz", erklärte Remus. „Jedenfalls in der Öffentlichkeit. Oder vor Mugg– dir."

„Pff." Grant hob eine Hand, um sich die Haare aus dem verschwitzten Gesicht zu streichen. „Scheiße. Ich wusste, ich hätte Autofahren lernen sollte."

Die Tür des Gebäudes öffnete sich und ein Mann kam heraus, er sah gerötet und verlegen aus. Das war der dritte Mann, den Remus mit genau demselben verstohlenen Blick gesehen hatte.

„Was ist das überhaupt für ein Ort?!", fragte er und spähte zu dem Gebäude hoch. Es sah aus wie alle anderen – vielleicht etwas heruntergekommen. Es gab keine äußere Beschilderung.

„Sauna", sagte Grant und ging in die Hocke, um zu sehen, ob er seine Arme um das Gerät bekommen konnte. Er konnte, aber es gab keine Möglichkeit, das Ding hochzuheben.

„Sauna?", Remus kratzte sich am Kopf.

„Weißt schon, ein Badehaus. Wo Männer zusammen alleine sein und ganz ins Schwitzen kommen können."

„Oh!", Remus schnappte verlegen nach Luft.

„Gott, Remus, wir leben in Soho."

„Ich weiß! Ich... wie auch immer, hebe es nicht so hoch, du machst dir den Rücken kaputt. Komm schon, nimm das Ende, ich nehme das... eins, zwei, drei, hoch..."

Sie haben es in etwa dreißig Minuten geschafft, mit nur einer Pause. Remus übernahm eigentlich die meiste Arbeit beim Tragen, aber es machte ihm nichts aus; sie hatten einen Tag zwischen den Monden ausgesucht und er fühlte sich ziemlich gesund.

Glücklicherweise hatte Grant ein Händchen für Elektronik und schaffte es, alles anzuschließen, sobald der Fernseher tatsächlich im Wohnzimmer stand. Es sah komisch aus; ein großer schwarzer Plastikwürfel, der den ganzen Platz einnimmt. Am Ende stellten sie ihn auf eine Kiste vor dem Kamin, die sie sowieso nie benutzten. Die Antenne war nicht einwandfrei und brauchte ein bisschen Isolierband, um aufrecht zu bleiben, aber sobald sie das Ding einschalteten und das verschwommene Bild in Sicht kam, waren sie beide süchtig.

Remus, der seit Jahren kein Fernsehen mehr geguckt hatte, war in diesem Sommer ein absolut Süchtiger. Er war süchtig nach Soaps – EastEnders, Brookside und Coronation Street, aber er sah sich alles an; Debatten im Unterhaus, Snooker-Meisterschaften, Comedy, Dokumentarfilme, Top of the Tops und sogar eine schrecklich erschütternde Serie namens Threads über die Bedrohung durch einen Atomkrieg.

Der Fernseher lief morgens als erstes an, während er in der Wohnung herumhantierte, sich anzog oder die Zähne putzte, und meistens schlief er abends davor ein. Grant fing an, den Fernseher „den anderen Mann" zu nennen.

„Ich mag einfach den Lärm", sagte Remus, „um Gesellschaft zu haben."

„Du könntest versuchen, ein paar echte Freunde zu finden...", schlug Grant vor. Remus tat dies ab. Er brauchte keine Freunde; er hatte alles, was er brauchte.

An einem Sonntagnachmittag saßen sie beide im Wohnzimmer. Remus musste zu einem Reinigungsjob gehen, der um 3 Uhr morgens begann, also hatte er fast den ganzen Tag geschlafen. Grant las die Zeitung und Remus' Beine lagen über seinem Schoß. Mit seiner freien Hand rieb Grant geistesabwesend das Gewölbe von Remus' linkem Fuß, was Remus wieder müde und schläfrig machte.

Die Nachrichten waren gerade zu Ende, und sie warteten auf das Wetter, als plötzlich unheimliche Musik zu spielen begann.

Es gibt jetzt eine Gefahr, die zu einer Bedrohung für uns alle geworden ist", sagte der Fernseher unheilvoll. „Es ist eine tödliche Krankheit und es gibt kein bekanntes Heilmittel..."

Grant und Remus sahen beide auf, um die gruselige Ankündigung zu sehen. Ein Wort auf einem geschwärzten Grabstein – AIDS.

Stirb nicht an Unwissenheit! ", intonierte der Off-Kommentar.

Ein bekanntes Gefühl von Scham und Angst durchströmte Remus, eine kränkliche Mischung aus Emotionen, die er seit der Schule nicht mehr gefühlt hatte. Er zog seine Füße von Grant weg und zog seine Knie an die Brust. Er fühlte sich schmutzig, unantastbar.

„Christus", sagte Grant mit hohler Stimme und signalisierte Remus damit, dass er genau das Gleiche empfand. „Ist genug, um dich dazu zu bringen, das Ficken ganz aufzugeben, nicht?" Er schüttelte den Kopf.

Remus biss sich auf die Lippe. „Du passt doch auf, immer sicher zu sein, nicht wahr?", fragte er zögerlich.

„Ja, natürlich", Grant nickte schroff.

Remus sah zu ihm auf und verzog den Mund. Er hasste es Grants andere Verbindungen zur Sprache zu bringen und Grant war immer sehr diskret dabei. Nicht schuldig oder verschwiegen, aber diskret. Trotzdem wollte Remus sich so sicher wie möglich sein.

„Gut. Ich meine, du benutzt..."

Grant stand auf, die Hände in die Hüften gestemmt, deutlich verärgert.

„Ja, Remus, wenn ich andere Männer ficke, sorge ich dafür, dass Kondome griffbereit sind."

„Tut mir leid", Remus errötete und sah ihn an auf seine Hände herunter. „Das geht mich nichts an."

„Richtig. Das tut es nicht", schnappte Grant aufgeregt und ging in die Küche.

Remus hörte, wie er den Wasserkocher füllte und dann anknipste, dann roch er Zigarettenrauch. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, wurde nervös und rief durch die Wand: „Ich habe nur... du weißt, ich könnte es nicht ertragen, wenn ich dich nicht hätte."

Leise. Schritte.

„Was ist mit dir?", fragte Grant und tauchte wieder auf.

„Mir?!", blinzelte Remus.

Grant verschränkte die Arme und lehnte sich an den Türrahmen. „Behandle mich nicht wie einen Idioten, ich weiß, dass ich nicht dein Ein und Alles bin. Und es war auch nicht nur Anthea. Wen auch immer du siehst, wenn du dich... jeden Monat, wenn du ... wenn du nicht du selbst bist."

Remus starrte ihn mit trockenem Mund an. Er blinzelte erneut und nickte: „Ich werde sicher sein."

„Ohne dich ginge es auch nicht", sagte Grant und zerzauste Remus' Haar. „Unemotionaler Wichser. Tasse Tee?"

Remus nickte, froh, dass sie sich nicht stritten, aber trotzdem beunruhigt. Grant hatte natürlich recht. Remus hatte mit Castor nie einen zweiten Gedanken an Schutz verschwendet. Konnten Zauberer es bekommen? Wenn sie es könnten, dann gäbe es ein magisches Heilmittel. Remus hatte Bilder von Aids-Kranken aus Amerika gesehen; skelettierte Männer in Krankenhausbetten. Er schauderte.

Grant kam mit zwei Tassen Tee zurück. Er reichte eine Remus, setzte sich dann neben ihn, schlug die Beine übereinander und hob die Tasse an seine Lippen, pustete darüber. Er nippte und blickte dann nachdenklich auf. „Ich könnte aufhören."

„Mh?", Remus blinzelte, in seine eigenen Gedanken versunken.

„Ich könnte aufhören, andere Leute zu sehen", wiederholte Grant geduldig. „Wenn du willst, meine ich. Alles, was du tun musst, ist fragen."

„Ich will dir nicht sagen, was du kannst und was nicht –"

„Remus", Grant hob eine Augenbraue, „ich lebe hier seit vier Jahren. Du bist manchmal ein richtiger Schwachkopf, aber du machst mich glücklich."

Remus starrte jetzt auf den Teppich und versuchte, nicht in Panik zu geraten.

Grant stellte seinen Tee ab und streckte die Hand aus, um Remus' Hand zu berühren. „Ich brauche niemanden außer dich", sagte er aufrichtig.

„Grant, ich..."

„Ich weiß, ich weiß", Grant hob eine Hand, „ich erwarte nicht, dass du es erwiderst, es ist in Ordnung, ich weiß, wie du dich fühlst und das reicht."

Remus atmete scharf ein und schloss seine Augen. Er atmete langsam aus und zwang sein Herz langsamer zu werden. Es war eine schöne Sache zu hören. Er hatte nie, nicht für einen Moment erwartet, dass er sich wieder so fühlen würde – oder dass es so anders sein würde als das letzte Mal.

„Okay", atmete er.

„Okay?", Grant legte seinen Kopf schief.

„Okay", Remus nickte, „es wäre mir lieber, du würdest niemanden außer mir treffen."

„Deal."

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Das Lied am Anfang ist "A Rainy Night in Soho" von The Pogues. Das Lied in der Mitte ist "Good Old Fashioned Lover Boy" von Queen.

- Ja, die Briten trinken wirklich so viel Tee. Es ist nicht nur ein heißer Getränk für uns, es interpunktiert einen Moment.
- Die Werbung "Don't Die of Ignorance" war echt. (Wenn ihr danach sucht, achtet bitte auf die Kommentare - Millionen von Menschen sind daran gestorben und sterben noch heute schreckliche Krankheit. Seid immer respektvoll.)

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