Chapter 10: Der Krieg: Fußsoldaten
CW: Erwähnung von Themen wie Sex, Gewalt und Tod von Tieren--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
I count the corpses on my left,
I find I'm not so tidy.
So I'd better get away, better make it today
I've cut twenty-three down since friday.
But I can't control it.
My face is drawn, my instinct still emotes it.
Die heiße Welle von Macht, die durch Remus' Körper strömte, verschwand langsamer als zuvor – möglicherweise, weil sie eigentlich immer da gewesen war – jetzt jedoch, wusste er, wie er sie aktivieren konnte. Vielleicht war sie aber auch ein Schutzmechanismus, weil seine Instinkte ihm verrieten, was als nächstes geschehen würde. Jeder im Gewölbe konnte ihn spüren. Livia schloss die Augen und seufzte befriedigt.
Die zügigen, schweren Schritte hallten von oben durch die Kirche. Adrenalin durchflutete Remus' Glieder, als der Betonklotz, der den Eingang der Gruft versperrte, zur Seite geschoben wurde. Greyback schritt hinunter. Er sah anders aus als vorher. Er war nicht mehr defensiv. Er lächelte, seine Haltung und sein Geruch wirkten herzlich – beinahe freundlich.
Remus' Herz setzte einen Schlag aus.
Greyback schmunzelte, seine Augen so dunkel und geheimnisvoll wie der Wald selbst.
"Remus Lupin," sagte er. "Ich glaube, es ist Zeit zu reden."
Remus nickte ehrfürchtig.
Greyback nickte ebenfalls, immer noch lächelnd, dann wandte er sich um und ging die Treppe wieder hinauf. Remus folgte ihm, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen. Endlich, endlich war seine Chance greifbar. Um was zu tun? Er wusste es noch nicht. Alles, was Remus in diesem Moment wusste, war das sein Vater ihn empfing und er war verzaubert.
Die Luft wurde frischer und sauberer, als sie wieder in die Kirchenruine gingen und Remus atmete tief ein und schloss dabei die Augen. Es war beinahe Abend; kühl und friedlich. Unter den leuchtenden Wolken verwandelte sich der Wald vom Tag zur Nacht. Die nachtaktiven Tiere gähnten und streckten sich und krochen aus ihren Bauen und Tunneln.
Greyback führte Remus am Altar vorbei, aus dem gewölbeartigen Eingang der Kirche und sie liefen – nicht sehr weit – durch dürre Buchensprösslinge, vorbei an stämmigen, englischen Eichen, über einen schmalen, versteckten Pfad, welcher zu einer Art Höhle am Fuße eines Hügels führte. Ein Bau.
Ohne zurückzusehen, schritt Greyback hinein, nur leicht geduckt durch den Eingang, bevor er sich im Inneren wieder aufrichtete. Ein Schlund, der sich weiter und höher öffnete, als Remus von draußen hätte vermuten können. Er folgte ihm, weil er nichts weiter tun konnte. Drinnen roch es heimelig. Nach Erde und Wald und Fleisch und Wolf.
Auch wenn es keine natürlichen Lichtquellen gab, entzündeten sich eine Reihe von Fackeln an der Wand, sobald Greyback eintrat. So bot sich eine gemütliche, herzliche Atmosphäre. Es gab sogar ein Feuer mit einem Zinnkessel, in dem etwas köchelte, was reichhaltig und herzhaft roch. Auf einem Holztisch neben dem Feuer standen verschiedenste Speisen – frisch gejagte und gehäutete Beute, Schüsseln mit Nüssen und Beeren, Pilze, Nesseln und Brot.
Die Wände der Höhle waren zu Regalen ausgehoben worden, mit Aushöhlungen, die voller Bücher und Schriftrollen waren. Um sie herum standen einige Schemel und Greyback bedeutete Remus, sich zu setzen.
Remus setzte sich und starrte umher. Weiter hinten, von Schatten umhüllt, konnte Remus ein Bett riechen – oder zumindest den Platz, an dem Greyback schlief.
Der Geruch des Eintopfes lenkte ihn jedoch weit mehr ab. Remus hatte während der letzten eineinhalb Wochen die meisten seiner Mahlzeiten nur kalt und im Dunkeln genießen können. Der betörende Duft eines heißen Essens drohte, ihn zu überwältigen.
Er sah zu, wie sein Kidnapper eine Porzellanschüssel von einem Regal hob und eine kleine Portion der Suppe hineinfüllte. Dann nahm er noch einen Löffel und brachte sie ihm. Greyback reichte ihm die Schüssel und Remus nahm sie, unfähig, seine Augen von Greyback abzuwenden.
Seine Statur füllte den gesamten Eingang aus, hart und muskulös und unbeweglich. Sein raues, schwarzes Haar war im Knoten zurückgezogen und seine gelben Augen brannten auf Remus hinab. Neugierig und gleichzeitig herausfordernd.
Trotz seines enormen Auftretens strahlte er eine Stille aus, die Remus vorher nur bei wilden Tieren gesehen hatte. Eine eisige Stille umgab ihn, die etwas Unheimliches versprach, wie eine gespannte Bärenfalle.
Greyback nahm Remus gegenüber Platz, mit den Händen auf den Knien und nickte zur Schüssel, die Remus' Hände wärmte.
„Iss." Sagte er.
Ohne Zögern – Remus wusste noch nicht genau, ob er die Anweisung befolgte, weil er es musste, oder weil er es wollte – löffelte er etwas Suppe in seinen Mund. Er hätte heulen können. Es war das Vorzüglichste, das er jemals gekostet hatte; heiß und voller Aromen – eine Art Hühnersuppe mit Zwiebel. Er kaute, wie geheißen, bevor er schnell schluckte.
Greyback fuhr sich mit der Zunge über die scharfen, spitzen Zähne. „Guter Junge."
Remus ignorierte ihn und aß weiter, auf einmal am Verhungern. Ein Gedicht, dass er einst gelesen hatte, kam ihm, wie als Warnung in den Sinn:
Though the goblins cuffed and caught her,
Coaxed and fought her,
Bullied and besought her,
Scratched her, pinched her black as ink,
Kicked and knocked her,
Mauled and mocked her,
Lizzie uttered not a word;
Would not open lip from lip
Lest they should cram a mouthful in.
Natürlich ging es im Gedicht um Kobolde. Du darfst nicht essen, was ein Kobold oder eine Fee dir gab – doch von Werwölfen hatte er nichts gelesen. Doch was hatte er tatsächlich je über Werwölfe herausfinden können?
Greyback beobachtete ihn für eine Weile, als säßen sie beide einfach zusammen beim Abendessen; wie alte Freunde. Er sprach erst, als Remus seine Schüssel fast geleert hatte.
„Hast dir am Ende Gaius vorgeknöpft, he? Sehr interessant. Ich hätte Castor vermutet."
„Er war fies", antwortete Remus.
„Er ist ein guter Welpe. Wunderschöner Wolf; sehr kraftvoll. Doch über Führung muss er noch einiges lernen, dass kann ich dir sagen. Was hältst du von meinen anderen Kindern, hm?"
Remus hörte auf zu Essen. Er schluckte und grübelte mit dem Löffel im Mund, bevor er ihn wieder in die leere Schüssel legte. Er sah Greyback in die Augen.
„Sie tun mir leid."
„Warum?"
„Die Art wie sie leben. Das hat keine Spur von Würde."
Greybacks Augen funkelten.
„Würde. Was bist du doch für eine reizende Kreatur, Remus Lupin. Ja, Würde. Das ist das perfekte Wort. Ganz genau." Greyback strich sich nachdenklich durch den Bart. „Es ist natürlich eine vorübergehende Situation. Wenn der Krieg gewonnen ist—"
"Wenn der Krieg gewonnen ist," sagte Remus gleichmäßig, „Werden Werwölfe noch mehr gehasst und gefürchtet als jemals zuvor. Wegen dem, was sie getan haben. Wegen ihren Verbrechen."
Greyback warf den kopf zurück und lachte schallend, zeigte dabei seine langen, gelben Zähne.
„Wirklich reizend, mein Junges. Ich hatte befürchtet, dass die Zelle dich verweichlicht hätte, aber..."
Greyback hob eine buschige Augenbraue und Remus spürte ein unangenehmes Ziehen in seinem Gehirn, als würde jemand mit den Fingern in seinen Gedanken rühren. Er verzog das Gesicht und aus Greybacks Kehle drang ein tiefes, dunkles Kichern, „Nein. Immer noch ungebrochen. Mein guter, starker Welpe."
Remus starrte ihn an. Das Ziehen setzte aus.
„Sie meinen," hauchte er, „Sie wollten mich gar nicht zerstören?"
„Natürlich nicht", spuckte Greyback verächtlich, „Ist es das, was du denkst? Sind dies die widerlichen Lügen, die sie über mich verbreiten? Warum sollte ein Vater wollen, dass seine Kinder zu Schaden kommen?"
Remus legte den Kopf schief,
„Sagen Sie's mir. Warum greifen sie einen Fünfjährigen an? Warum haben sie mich eingesperrt?"
„Belanglos," Greyback winkte mit seiner Hand, von langen Nägeln geziert, ab, „Tu nicht so, als wären dies die Fragen, auf deren Antwort du wartest."
„Woher wollen Sie wissen, was ich will?!" Remus fühlte sein Gemüt hochkochen und er hatte Mühe, es zu kontrollieren. Er versuchte, sich an die Macht zu halten, die er von Gaius genommen hatte, versuchte die Magie, die er in den Erdwänden des Baus spüren konnte, aufzusaugen.
„Ich weiß alles über dich, Remus Lupin." Wieder betrachtete er ihn mit rasiermesserscharfen Augen und abermals fühlte Remus dieses Stöbern in seinen Gedanken.
„Nein, das ist nicht fair." Remus schüttelte den Kopf, versuchte eine Mauer gegen Greyback aufzubauen.
„Sie benutzen Legilimens!"
„Pah. Ein Zaubertrick. Wölfe lesen keine Gedanken. Wölfe sehen die Seele.
Das klang für Remus nach ein und derselben Sache. Wieder kräuselten sich Greybacks Lippen in ein gefährliches Lächeln,
„Nein, Remus Lupin. Es ist nicht dasselbe. Seine Gedanken kann man schließlich ändern. An einem Tag fühlt sich Remus Lupin vielleicht zu seinen Rudelfreunden hingezogen und am nächsten verabscheut er sie. So funktioniert der Verstand. Aber Remus Lupin's Seele..."
Greyback schloss die Augen und sog tief die Luft ein, als ob Remus besonders lecker riechen würde.
„Hören Sie auf!"
„Bring mich dazu."
Remus versuchte es. Er versuchte sehr, sehr stark, die Magie, die von ihm Besitz ergriff, wieder nach außen zu drängen, durch seine Augen, durch seine Gedanken. Es schien zu funktionieren. Sein Verstand beruhigte sich und Greyback lehnte sich zurück, er sah zufrieden aus. Das verwirrte Remus sehr – er wollte Greyback nicht zufrieden stellen, niemals.
„Es ist schon in Ordnung, mich zu hassen, weißt du", sagte Greyback, streckte die Arme und dehnte die Schultern, als ob er sich zum Schlafen bereitmachte – oder zum Kämpfen, „Es ist nur natürlich, seinen Vater zu meiden."
Sie sind nicht mein Vater, dachte Remus in dem Teil seines Gehirns, in dem er sich noch wie er selbst fühlte, Ich hatte nie einen Vater und ich habe nie einen gebraucht.
„Beantworten Sie meine Fragen", sagte Remus, so kraftvoll, wie er es schaffte. „Wenn Sie sich so sehr um mich sorgen...wie ein...wie ein Vater, warum haben Sie mich dann verwandelt?! Warum haben Sie mich jahrelang gejagt, nur um mich dann in einen Käfig zu stecken, sobald ich da war?!"
Greyback lachte ihn aus, mit Reihen um Reihen von Zähnen und einer langen, roten Zunge.
„Du kannst dich bei Lyall Lupin bedanken."
„Sicher." Remus verzog das Gesicht, „Schrecklich menschlich von Ihnen, oder nicht?! Vergeltung?"
„Selbsterhaltung", konterte Greyback und kratzte sich amüsiert hinterm Ohr. „Lyall hatte so seine Vorstellungen davon, wie man mit meiner Familie umgehen sollte. Ungebildete Ideen. Er musste lernen."
„Warum haben Sie dann nicht ihn angegriffen—"
„Weil er schwach war", zischte Greyback, „Dass konnte ich an ihm riechen. Überhaupt kein Rückgrat, ein Heuchler. Und er hat es bewiesen. Ein besserer Mann hätte sein Junges und sein Weib nicht zurückgelassen. Aber vielleicht sollte ich es ihm danken. Er hat sich selbst zerstört, bevor ein Teil seiner Schwäche auf dich übergreifen konnte." Er leckte sich die Lippen. „Es ist zu meiner Devise geworden. Hol' sie jung, mach' sie stark."
Remus war zum Kotzen zumute. Er hasste Greyback so schrecklich, es fühlte sich an, als ob seine Gedärme zu Galle wurden.
„Wenn sie das wirklich glauben", machte er stoisch weiter, mit dem Mund voller Speichel, sodass seine Zunge schwer und nass wurde, „warum haben sie dann so lang gewartet, um mich zu finden? Sie hätten mich jederzeit aus meinem Zuhause schnappen können."
„Das habe ich in Betracht gezogen", Greyback nickte und neigte nachdenklich den Kopf, „Livia habe ich aufgenommen, als sie kaum sprechen konnte. Castor und Gaius als sie noch Knirpse waren. Aber du warst ein Sonderfall. Dumbledore hatte schon seine Krallen in dich geschlagen als Lyall noch nicht ganz kalt war. Ich weiß, was der alte Knacker vorhatte – sein eigener Schoßhund, sein gezähmtes Biest, dressiert und den Kopf voller Zaubertricks und Zauberer-Lügen. Ein gebildetes Monster." Er leckte sich lüstern die Lippen, „All das habe ich gewusst und ich dachte...warum nicht? Lass den Welpen zu mir kommen, wenn die Zeit reif ist, lass ihn alles lernen, was es über die Zaubererwelt zu lernen gibt und dann werden wir sehen, welche Seite am Ende gewinnt."
„Seite? Sie meinen...Sie oder Dumbledore?"
„Natur oder Kultur." Greyback kicherte. Remus wich angewidert zurück,
„Also bin ich ein Experiment?!"
„Wenn du das so sagen willst."
Remus riss endlich seinen Blick los, unfähig noch länger in Greyback's Laser-Augen zu starren. Sein Blick hing sich am rechten Bücherregal an. Nur Klassiker. Der Seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Die Insel von Doctor Moreau, Der Graf von Monte Christo.
Und der Käfig?", fragte er zittrig, während er auf die goldenen Buchstaben der Ledereinbände starrte. „War das auch Teil des Experiments?"
„Es war offensichtlich, dass du dich mit der Zeit zu sehr auf Dumbledore's Tricks verlassen hattest." Greyback sagte dies, als wäre es vollkommen logisch, „Du wurdest nur gefangen gehalten, solange es nötig war, um sicherzugehen, dass deine wahren Talente stark genug waren, um Form anzunehmen. Und das waren sie, Junges. Sieh dich jetzt an; du sprudelst vor Stärke."
Remus sah endlich zu ihm auf und blickte erneut in diese wölfischen, gelben Augen. Na schön. Wenn er wirklich so mächtig war, dann würde er es benutzen. Brennend vor bitterem Hass, der ihn wie Säure erfüllte, zwang er seine Kraft nach außen und fokussierte sie so scharf er konnte auf Greybacks Körper.
Schwäche ihn, er soll leiden.
Greyback setzte sich auf seinem Stuhl gerade hin und schloss die Augen. Er grinste, als ob Remus ihn liebkoste und nicht alles Böse der Welt auf ihn abfeuerte. Dann hob der Wolf eine Hand – und Remus sah, dass sie ganz leicht zitterte. Jedoch war Greyback nach wie vor extrem mächtig und Remus spürte, wie er seine Magie konterte und abblockte. Einen Versuch war es wert gewesen.
„Sehr gut, Remus Lupin", sagte Greyback nach einer langen Weile, seine Stimme war etwas rauer als vorher. „Sehr gut, mein Junges..." Er seufzte. „Das soll für heute reichen. Wir sprechen uns wieder."
Remus erhob sich schnell, es fühlte sich an, als ob er die ganze Zeit in den Stuhl gezogen worden war; und jetzt war er frei.
„Einen Moment noch..." Greyback erhob sich ebenfalls und drückte sich an Remus vorbei in die schattige Schlafkammer hinter ihnen. Sekunden später kehrte er mit einem großen, grauen Fell zurück und reichte es Remus. „Ein Geschenk, Welpe. Willkommen im Rudel."
Remus nahm es an sich und hielt es vorsichtig über einen Arm. Es war wunderschön; der weiche Pelz schimmerte silbern und schwarz unter seinen Fingern.
„Ich kann gehen?", fragte er und warf einen Blick auf den Höhleneingang, der jetzt unbewacht und offen war. Plötzlich war er nervös.
„Natürlich. Du kennst den Rückweg. Du bist jetzt nicht mehr in der Welt der Zauberer; du bist frei. Geh, wohin du möchtest. Kehre zum Rudel zurück. Oder nicht...wenn du lieber hier schlafen möchtest?" Er sah ihn hungrig an, sein Lächeln war spöttisch als er einen Schritt zur Seite machte und auf sein eigenes Bett deutete.
Remus drehte sich erneut der Magen um und er verließ den Bau so schnell er nur konnte. Eine ganze Weile stand er allein da. Der Gedanke zu Apparieren – hier herauszukommen, so schnell er nur konnte; nach Hause zu gehen, zu Sirius und London und seinen Freunden – kam ihm nur flüchtig.
Im Wald war es inzwischen Nacht geworden. Remus atmete die herrliche Luft ein und sah auf zu den zarten Lichtern am Himmel. Über seinem Kopf huschten Eulen, auf der Jagd nach Beute. Füchse schlichen durchs Unterholz, Maulwürfe wühlten durch die Erde unter seinen Füßen. Er fühlte sich so sehr als Teil dieser Welt wie sie alle. Eine natürliche Kreatur, die zum Leben erwachte.
Eine kühle Brise ließ die Blätter über seinem Kopf rascheln und er zitterte. Ohne Nachzudenken zog Remus den Fellumhang über seine Schultern und zog ihn fest um seinen Körper. Er fühlte sich gut an, wie eine zweite Haut. Er atmete noch einmal tief ein und aus und genoss Ruhe und Frieden der Einsamkeit. Dann wandte er dem Bau den Rücken zu und kehrte zu seinem Rudel zurück.
* * *
Danach veränderten sich die Dinge natürlich. Als Remus an diesem Abend zum Rudel zurückkehrte, hatte er schon einen neuen Platz in der Hierarchie. Gaius war befreit worden und er sah Remus nicht mehr in die Augen; forderte ihn nicht heraus, er blieb nur in seiner Ecke. Livia stellte klar, dass Remus nun über Gaius stand, indem sie sich ihm zuerst näherte, um sein neues Fell zu streichen. Sie schnurrte verzückt,
„Wunderschön," sagte sie, „wunderschön."
Und als es Zeit wurde, schlafen zu gehen, durfte Remus sich aussuchen, wo er auf dem Höhlenboden schlafen wollte. Diese Entscheidung musste gut durchdacht werden; Er konnte neben Livia schlafen, der Alpha-Wölfin und was würde das aussagen? Es würde Gaius mit Sicherheit zeigen, wo nun sein Platz war. Sicher würde Moody das Gleiche tun, wenn Moody nur die leiseste Ahnung hätte, wie er sich hier verhalten sollte.
Mit Castor hatte er seine Bedenken. Zum einen riet ihm sein Instinkt, mit dem hübschen, jungen Mann zusammenzuhalten – und das lag nicht gänzlich nur daran, dass Castor ihm geholfen hatte. Remus hatte sich an seinen Geruch gewöhnt, doch das machte ihn nicht weniger anziehend. Andererseits war Castor eindeutig ein Abweicher. Sich auf seine Seite zu stellen, würde vielleicht für andere Rudelmitglieder verdächtig aussehen.
Jedoch war er müde und schläfrig und hatte heute schon so viele lebensverändernde Entscheidungen getroffen. Also wählte er Castor, der sich zumindest sicherer anfühlte. Remus würde später um Vergebung bitten müssen.
In den folgenden Tagen lernte Remus das Rudel nicht nur am Geruch und als Verstoßene kennen – sondern als individuelle Menschen. Viele von ihnen, wie Jeremy, waren erst kürzlich übergelaufen. Jugendliche Ausreißer, verbannte Kinder von Zaubererfamilien, die sich für sie schämten. Jeder von ihnen erzählte schreckliche Geschichten von Hunger und Leid und furchtbarer Misshandlung.
Zum ersten Mal in seinem Leben, stellte Remus fest, dass er eine privilegierte Kindheit gehabt hatte. Was tat es zur Sache, dass die Hausmutter eine kaltherzige alte Kuh gewesen war, die Kinder verabscheute. Er hatte zumindest ein Dach über dem Kopf gehabt.
Einige von ihnen waren nett und lustig, andere albern und unreif. Einige waren traurig und schüchtern. Jeden Tag wollte Remus ihnen mehr helfen; einen besseren Ort und ein besseres Leben für jeden einzelnen zu finden.
Doch natürlich hatten sie nicht alle dieselbe Geschichte. Einige von ihnen waren nicht nur für Nahrung und Unterkunft bei Greyback – sie waren tatsächlich für Rache hier. Sie glaubten von ganzem Herzen an die Philosophie ihres Vaters; Mord war für sie kein Verbrechen, nur die Natur eines Jägers. Die Welt schuldete ihnen Blut und das würden sie sich holen.
„Ich habe es auch geglaubt", sagte Castor am nächsten Morgen. Er hatte Remus angeboten, ihm die Jagdpfade im Wald zu zeigen. Sie fingen Hasen und anderes Kleinwild mit ihren Instinkten und Magie. „Für eine lange Zeit, habe ich alles geglaubt, was er sagte. Er ist der einzige Lehrer, den ich je hatte."
„Aber du hast deine Meinung geändert?", fragte Remus hoffnungsvoll, weil er sich über Castors Motivationen immer noch nicht sicher war.
„Ja", gab Castor zurück, ohne Remus' Beklemmung zu bemerken. „Es war ein schleichender Prozess."
„Wodurch wurde er ausgelöst?" Remus schnaufte ein wenig, beim Versuch, mit Castor mitzuhalten. Er war geschmeidig und muskulös, das Sinnbild von guter Gesundheit, trotz seiner Narben.
„Nichts Besonderes", sagte Castor, hielt an und sah sich um, als hätte er eine Geruchsspur bemerkt. Er schien es sich anders zu überlegen und zog weiter, mit erhobenem Kopf und scharfen Augen. Er wirkte so natürlich und in sich ruhend. Remus glaubte nicht, dass er je so sein könnte. Es erinnerte ihn vage an Sirius – mit der Ausnahme natürlich, dass Castor sehr viel weniger redete. Man musste ihm die Antworten förmlich aus der Nase ziehen.
„Nichts Besonderes?" keuchte Remus, "Irgendwas muss doch—"
„Bücher", sagte Castor und schritt voran, verfolgte irgendeine Fährte.
„Bücher?!"
"Vater ermuntert uns, uns zu bilden. Unseren eigenen Verstand zu entwickeln. Und das habe ich. Es ist der Lauf der Natur, gegen den Vater zu rebellieren."
Das klang auf schaurige Weise nach Greyback. Castor machte das oft – sie alle taten es. Sie sprachen mit einer Stimme, und es war immer die Greybacks.
„Aber wenn er euch dazu ermutigt, warum sind dann nicht mehr von euch—"
„Ich sagte wir werden ermutigt, nicht gezwungen", sagte Castor mit einem leicht ironischen Lächeln auf den Lippen.
„Oh." Sagte Remus. Er erinnerte sich, wie Livia Platon zitiert hatte. Sich zu bilden, hieß nicht, dass alle zu denselben Schlüssen kamen.
„Ich habe auch auf dich gehört", sagte Castor schließlich. „Als die Dryadin mich gefangen hatte, in Schottland. Ich wusste, du warst mein Feind, doch ich wollte dir nichts tun. Und dann habe ich gemerkt, dass ich eigentlich niemandem etwas tun wollte. Ich glaube, dass wir in Frieden leben können, fort von den Menschen, so wie andere Kreaturen es auch tun."
„Ist es wirklich das, was du willst–?"
Castor hielt ihn schnell zurück und duckte sich tief. Keine zwei Meter entfernt saß ein Hase. Remus hielt den Atem an und sah zu wie Castor langsam nach vorne schlich und eine beruhigende Beschwörung flüsterte. Als er die Kreatur erreichte, hoppelte sie ihm benommen in den Schoß. Für einen Moment streichelte er sie, immer noch flüsternd. Dann brach er ihm das Genick.
Remus wollte angewidert sein, den Hasen bedauern. Doch er konnte das Blut schon riechen und sein Magen knurrte. Castor lächelte ihm zu, mit leuchtenden, grauen Augen. Er hielt ihm den Hasen hin, während Blut an seinem Handgelenk tropfte.
„Für dich, Remus Lupin."
Remus war geschmeichelt.
Jeremy zeigte Remus ein paar „Sammeltechniken" des Rudels, welche so ziemlich aus Diebstahl bestanden. Um den Wald herum gab es einige, verstreute Dörfer und alles, was sie tun mussten, war dorthin zu apparieren und ein leeres Haus zu finden, wobei ihnen ihr Geruchssinn half.
Einmal standen sie im Schlafzimmer eines solchen Hauses, als Jeremy die ganze Wahrheit über ihre Rolle im Krieg verriet.
Wenn Remus belanglos zugesehen hatte, wie ein Hase vor seinen Augen ohne viel Federlesen geschlachtet wurde, dann würde ein solcher Diebstahl auch nicht weiter bekümmern. Tatsächlich brachte er sogar einige süße Erinnerungen an seine kriminelle Jugend zurück. Trotzdem nahm er nicht wirklich Teil. Er stöberte nur ein wenig durch den Kleiderschrank, während Jeremy in der Kommode nach Schmuck suchte.
„So wie ich das sehe," sagte Jeremy heiter, „Ist Greyback vielleicht ein wenig aufgeblasen, bisschen hochmütig. Aber er hat viel für mich getan und für die anderen auch. Er hat sich mehr um mich geschert als jeder andere, seitdem ich diesen verdammten Biss habe."
„Hast du dich auch weitergebildet?", fragte Remus beiläufig.
„Nee, ich nicht", sagte Jeremy, „Lesen war nie so meins. Mochte Quidditch Lieber."
"Hm."
"Uh, Perlen", schnalzte Jeremy und hob ein Knäuel davon aus einer grünen Samtschachtel. „Ich hasse es, wie sie sich anfühlen. Meine Mutter hat immer solche getragen – Reinblüter-Erbstück."
„Du bist reinblütig?" Remus drehte sich leicht überrascht zu ihm um.
„Nein, nur meine Mutter. Dad ist Halbblut. Hat nicht mehr viel Bedeutung. Für sie bin ich schlimmer als ein Schlammblut. Bastarde." Er knallte wütend die Kommode zu. „Damit hat Greyback zumindest recht. Sie haben verdient, was sie bekommen werden."
„Wer?"
„Die Reinblüter."
"Was meinst du?" Remus wusste, dass er dämlich klang, doch er war wirklich verwirrt. Ihm wurde immer erzählt, dass manche Reinblüter-Häuser einige von Voldemorts stärksten Verbündeten waren – dass es die Halbblüter und Muggelstämmigen waren, die angefeindet wurden.
Das sagte er auch Jeremy.
„Oh ja", Jeremy nickte unbekümmert, „ein oder zwei von denen hatten wir uns schon vorgeknöpft. Aber die meiste Zeit sind wir nur zum Angsteinflößen da, um die alten Familien in Schach zu halten."
Remus fragte ihn weiter aus und Jeremy – der seit dem Gaius- Vorfall ganz darauf erpicht war, alles für Remus zu tun – packte unbekümmert aus. Voldemort benutzte die Werwölfe mehr oder weniger als Schläger zum Anheuern. Wenn auch nur einer seiner reichen Gönner anfing, zu viele Fragen zu stellen oder Zweifel bekam, dann brauchte es nur einen Besuch von Fenrir Greyback und ein paar seinen verrückten, wilden Gefolgsmännern, um alles wieder ins Lot zu bringen.
„Wir haben in letzter Zeit viele Villen gesehen," Jeremy gluckste vor Lachen, Er bemerkte den Blick, den Remus ihm zuwarf. „Oh, was ist?! Ich sagte doch, sie haben es verdient. Sie hätten sich ihm gar nicht erst anschließen sollen."
„Warte, dann bist du nicht mal auf Voldemorts Seite?!" Remus starrte ihn an.
„Natürlich nicht, der ist'n ziemlicher Spinner. Hab ne Scheißangst vor dem, um ehrlich zu sein. Aber naja. Ich habe diese Seite nicht gewählt, sie wurde mir auferlegt."
„Aber was, wenn du eine Wahl hättest, wenn du—"
„Es gibt keine Wahl, Remus Lupin!" sagte Jeremy feurig, mit dieser Stimme, die nicht die seine war. „Es gibt nur das Rudel. Wir können sonst niemandem vertrauen. Daran musst du dich gewöhnen, wenn du einer von uns sein willst."
Und das war bei allen von ihnen die Grenze. Ab einem bestimmten Punkt machten sie alle dicht. Hielten sich an das alte Skript. Greyback war ihr Anführer und selbst wenn sie nicht in allem mit ihm übereinstimmten, fühlten sich die meisten in seiner Schuld und vertrauten ihm bedingungslos.
Bei Tageslicht war sich Remus nie sicher, ob er Castor oder Jeremy trauen konnte – oder den anderen. Selbst Castor, der interessiert daran war, was Remus zu sagen hatte und der entschlossen war, die anderen zu überzeugen, sich aus dem Krieg rauszuhalten.
„Es ist nicht einfach", versuchte Castor zu erklären, „zu erkennen, dass unser Vater falsch liegt, dass wir nicht an den Angelegenheiten der Zauberer teilnehmen dürfen, besonders nicht am Krieg. Es würde bedeuten, das Rudel zu Entzweien."
„Könntest du das schaffen?", fragte Remus beeindruckt. Castor zuckte leicht mit den Schultern.
„Möglicherweise."
Hilfreich.
Remus hatte erwartet, Greyback wiederzusehen, jetzt, da er ein vollwertiges Mitglied war, doch der Rudelvater hielt sich seltsam bedeckt. Ein paar Mal rief er Livia zu sich, die, wie Remus erfuhr, am längsten von allen bei ihm war – beinahe jedes ihrer dreißig Jahre. (Remus war schockiert, als er ihr Alter erfuhr – sie schien gleichzeitig zu jung und zu alt dafür zu sein.) Andernfalls jedoch blieb Remus sich selbst überlassen.
Er hätte gehen können, wann immer er wollte, so viel wurde ihm bewusst gemacht. Jedoch hatte er den anderen im Rudel erzählt, dass er sonst nirgendwo hinkonnte, wie sie. Er brauchte ihr Vertrauen und dafür mussten sie sich mit ihm verbunden fühlen. Also versuchte er nie, sich davonzuschleichen und dem Orden eine Nachricht zu schicken – er war sich nicht einmal sicher, ob das möglich war, also er ließ es bleiben. Er wusste, dass diese Chance sich ihm vielleicht nie wieder bieten würde – und außerdem hatte Dumbledore ihn doch genau aus diesem Grund herangezüchtet.
Was Dumbledore und Moody und Ferox und all die anderen Erwachsenen anging, die Remus gern auf ihrem Schachbrett herumschubsten, war er doch genau da, wo sie ihn haben wollten. Und es scherte ihn nicht. Er war einsam, natürlich war er das; er sehnte sich nach Sirius wie nach einem verlorenen Teil seines Körpers und er hätte für eine Dusche, eine Zigarette und eine Tafel Schokolade alles gegeben. Doch der Wald fühlte sich mittlerweile an, wie ein Teil von ihm – und die anderen Wölfe waren wie eine Familie. Seine Mission wurde mit jedem Tag deutlicher und er wusste, dass er jetzt nicht gehen konnte. Also blieb er ständig sichtbar und verlor kein Wort über seine Freunde und Verbindungen Zuhause.
Freundschaft lief bei den Werwölfen anders. Rudelsolidarität bedeutete alles und Remus konnte es spüren – manchmal glaubte er, er würde sterben, um sie zu beschützen, selbst Gaius. Das einzige vergleichbare Gefühl waren die Rumtreiber in ihrer Animagusform, damals in Hogwarts – und irgendwie ergab das für Remus auch Sinn.
Auch Sex war hier ganz anders. In der Mitte des Monats, bemerkte Remus einige Rudelmitglieder, die sich für ein oder zwei Stunden in Pärchen in den Wald stahlen und dann mit dem vertrauten Geruch zurückkehrten. Es war offensichtlich, was geschah, doch niemand scherte sich darum. Es war nur ein weiterer Instinkt, den sie alle akzeptierten und dem sie ohne Frage nachgingen.
„Wenn der Mond näher rückt, wird das Verlangen stärker", erklärte Castor, als sie eines nachts im Gewölbe lagen und versuchten, das leise Keuchen und Tasten um sie herum zu ignorieren.
„Ist mir noch nie aufgefallen", log Remus und starrte an die Decke.
„Wenn du dich paaren willst", flüsterte Castor, „wähle mit Bedacht. Sie sehen zu dir auf und werden merken, wenn du jemanden bevorzugst."
„Nein", sagte Remus. „Ich bin nicht...Ich habe schon jemanden."
„Einen Menschen?"
„Ja."
"Dann willst du wieder zurück", schloss Castor. Er klang so traurig. Remus wollte sich zu ihm drehen, um sich zu entschuldigen, ihn irgendwie zu trösten, doch das war zu gefährlich und das wusste er.
Die Luft war schon jetzt schwer vor Begierde und er wusste nicht, was er tun würde.
„Das muss ich irgendwann", sagte Remus. „Aber ich möchte euch alle erst in Sicherheit bringen."
„Wir werden ohne dich überleben, Remus Lupin", gab Castor zurück, seine Stimme hatte die gewöhnliche ruhige, gleichmäßige Klangfarbe verloren. „Noch bist du nicht unser Anführer."
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Das Lied am Anfang ist ‚Running Gun Blues' von David Bowie.
Das Gedicht, das Remus einfällt, ist ‚Goblin Market' von Christina Rossetti.
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