Chapter 73: Siebtes Jahr: Was uns fehlt
Es waren wundervolle Versprechen, aber es sollte nicht so kommen. Remus würde nicht die Chance bekommen, Hogwarts mysteriös und würdevoll frühzeitig zu verlassen und Sirius würde nicht die Gelegenheit bekommen, zu beweisen, dass er seinem Moony überallhin folgen würde.
Später – nachdem der Krieg vorbei war und alles andere auch – dachte Remus darüber nach, ob alles anders geendet wäre, hätten Sirius und er die Schule verlassen. Vielleicht hätten sie sich dann gegenseitig mehr Nähe geschenkt, oder hätten andere beschützen können, indem sie sich entzogen hätten.
Jedenfalls passierte das alles nicht und es tat auch nicht gut, darüber zu grübeln-
Jahre und Jahre später, als die ganze Qual der Begräbnisse und Nachrufe und Gedenkstätten und Ansprachen langsam verschwand, würde Remus mit den Erinnerungen an die letzten Monate in Hogwarts zurückbleiben, als sie dumm und naiv und so unbeschreiblich glücklich waren, ohne es überhaupt zu bemerken.
Mittwoch, 29. Mai 1978
Das Wochenende verlief ruhig; sie hatten Hausaufgaben zu machen und Quidditchtraining und mussten einen enorm komplizierten Streich planen, und Marlene tat nichts.
Sirius und James erzählten, dass sie zwar beim Quidditchtraining gewesen war und so gut wie immer gespielt hatte, sie aber nicht mit ihnen gesprochen hatte. Mary sagte, dass sie noch immer wütend war, sich aber noch nicht entschieden hatte, die Sache jemandem zu erzählen oder nicht.
Erst Mitte der nächsten Woche entschied Marlene schlussendlich, Remus anzusprechen. Sie erwischte ihn allein – was in letzter Zeit selten war.
Er räumte den Zauberkunst-Klassenraum nach einer Lernstunde auf, kurz vor dem Mittwochstreffen der ‚zwischen-häuslichen Streichplanungskooperative'. Normalerweise half Chris mit, aber er hatte Schnupfen und sich den Nachmittag hingelegt. Remus hatte schon fast das gesamte Meeting abgesagt. Es schien alles so zwecklos – lernen und lernen und lernen – wofür? Um eine Prüfung zu schaffen, um eine gute Note zu bekommen, und dann?! Wenn Greyback ihn nicht tötete, bevor er zwanzig war, wäre er dann noch immer arbeitsunfähig. Aber alle schienen die Lerngruppe zu lieben und er hasste es, sie zu enttäuschen.
Sie roch nach Kräutern aus dem Gewächshaus, als sie eintrat – Rosmarin und Salbei und reichhaltige Erde. Er drehte sich herum und trat unbewusst zurück zur Wand hinter ihm.
„Hallo", sagte er.
Sie stand eine Weile nur da und starrte ihn schweigend an, bevor sie antwortete.
„Hallo. Ich bin so wütend auf dich."
„Ich weiß", nickt er im Versuch, verständnisvoll zu wirken, „ich denke, das ist dein gutes Recht. Bist du... äh. Bist du bereit, darüber zu reden?"
„Nein", sagte sie scharf und verschränkte die Arme. Sie funkelte ihn böse an und er wandte seinen Blick ab, wie ein Diener, der um Vergebung bettelte. Er hörte, wie sie etwas herumzappelte und ungeduldig seufzte. „Aber Danny sagt, das muss ich."
Remus lächelte absichtlich nicht, konnte aber die Flut an Erleichterung nicht ignorieren, die er bei diesen Worten fühlte. Er sah vorsichtig wieder auf.
„Du hast also mit ihm gesprochen?"
„Ja. Er sagte, dass er versucht hat, die Murtlap-Essenz mit Muggel-Desinfektionsmittel zu vermischen, und alles heilt schneller. Und du hattest recht mit dem Schlaftrank."
„Es ist das Beste, das ich gefunden habe. Für die Heilung", antwortete Remus vorsichtig und sah wieder weg. Sie bewirkte, dass er sich für sich selbst schämte.
„Jeder wusste es, außer mir", sagte Marlene. Sie hatte sich jetzt an die gegenüberliegende Wand gelehnt, der ganze Raum war zwischen ihnen; das Durcheinander an Tischen und Stühlen. „Sogar Mary."
„Sie hat es herausgefunden; ich habe es ihr nicht gesagt."
„Ich dachte immer, dass du so seltsam bist, weil du queer bist."
Er runzelte ein wenig die Stirn. War er seltsam? Er sagte nichts, ihm fiel keine Antwort ein, die die Situation besser machen würde.
„Du hast meine Gefühle echt verletzt, Remus", fuhr Marlene fort. „Du hast mich jahrelang angelogen. Ich dachte, wir wären Freunde, ich habe Dinge mit dir geteilt, die ich sonst keinem erzählt habe."
„Wir sind Freunde!", protestierte Remus. „Ich bin zumindest dein Freund."
Er seufzte schwer. Würde es immer so sein, wenn es jemand herausfand? „Schau, ich konnte es dir nicht sagen, es waren schon so viele involviert... Madam Pomfrey und sogar Dumbledore. Ich musste es auch um ihrer Sicherheit wegen geheim halten. Und... du hast ziemlich klar gesagt, was du von Leuten wie mir hältst."
„Du hättest es mir sagen sollen."
„Was hättest du getan?" Remus war jetzt genervt. „Dich beschwert? Es jedem erzählt? Dafür gesorgt, dass ich rausgeschmissen werde?"
„Vielleicht hätte ich das nicht." Sie biss sich auf die Lippe und schaute weg. Je unsicherer sie war, desto wütender wurde Remus.
„Nun, ich hatte keine Lust drauf, dieses Risiko einzugehen!", sagte er. „Ich habe keine Familie oder ein Zuhause, wo ich hinkann, falls du das vergessen hast. Ich habe nichts außerhalb dieser Schule, also vergib mir dafür, dass ich alles versuche, um zu bleiben."
„Ich verstehe das." Sie sah schnell auf und streckte die Hand nach ihm aus. „Und ich würde nie wollen, dass du wegen mir in Schwierigkeiten kommst, aber Remus, verstehst du nicht, wie gefährlich—"
„Ich war elf! Ich war nur ein Kind, und dieser alte Mann taucht auf und sagt mir, dass ich auf eine magische Schule gehen kann – was hättest du getan?!"
„Schrei mich nicht an!", sagte sie traurig und sackte ein wenig in sich zusammen. „Ich bin nicht gekommen, um zu streiten."
„Sorry", murmelte er. „Ich hatte letztes Mal nicht die Chance dazu."
„Das tut mir leid."
„Gut."
Danach waren sie still und blickten beide zu Boden, beide spielten nervös mit ihren Händen. Remus konnte Marlenes Herz hören, wie es in einem gleichmäßigen, nervösen Rhythmus klopfte.
„Schau", sagte er mit leiser und stabiler Stimme, während er seine Fäuste entspannte. „Wenn du willst, dass ich Hogwarts verlasse, dann werde ich das. Solange du versprichst, dass du niemand anders in Schwierigkeiten bringst, werde ich mich nicht wehren."
„Aber deine NEWTs..."
„Die bringen mir nichts, wenn du jedem erzählst, wie gefährlich ich bin."
„Du klingst wie Danny."
Wieder Stille. Remus schüttelte den Kopf, müde und verärgert. Er versuchte es anders.
„Wie geht's ihm jetzt? Im Brief stand, dass er mich treffen will?"
„Ihm geht's ganz ok", nickte sie, ihre Augen etwas glänzend. „Ich glaube, es hat ihn aufgeheitert, dass jemand anderes das Gleiche durchmacht."
„Ja", nickte Remus, „das ist etwas, da ich gewollt hätte. James und Sirius und Pete... sie sich immer sichergegangen, dass ich mich nie alleine gefühlt habe. Also weiß ich, was das für einen Unterschied macht."
Marlene nickte und wischte sich über die Augen.
„Ich bin wütend", sagte sie erschöpft. „Aber ich weiß nicht, ob ich auf dich wütend bin. Du bist nur... es war so ein Schock und ich weiß nicht, wie viele Schocks ich noch verkrafte, heutzutage."
Er lachte und wusste nicht genau warum.
Sie lächelte schwach. „Ich werde es keinem sagen. Ich will nicht, dass du gehst. Danny sagt... er sagt, dass wir uns auf unsere Ähnlichkeiten fokussieren sollten, nicht auf unsere Unterschiede. Jetzt noch mehr als sonst. Lily und Mary haben dasselbe gesagt. Ich weiß, dass sie recht haben, es ist nur härter als ich erwartet habe."
„Ich will nicht, dass du mich hasst", sagte er vorsichtig.
„Ich hasse dich nicht."
„Zu hassen, was ich bin, ist dasselbe."
„Ich versuche mein Bestes, Remus." Sie blinzelte Tränen weg. „Ich schwöre es, ich werde es versuchen."
„Danke", nickte er.
Für den Bruchteil einer Sekunde war er enttäuscht; er war bereit für etwas Neues gewesen. Zu wissen, dass er noch etwas warten müsste, stach einen Moment, aber es verschwand schnell, wie eine Tür, die sich schloss. Das war's. Er würde die Schule fertig machen und alle in Geschichte schlagen – in Arithmantik vielleicht auch – und würde das letzte Quidditchspiel ansehen und würde zu betrunken sein, wenn er mit seinen Freunden feierte. Greyback konnte warten.
„Kann ich dir damit helfen?" Marlene zeigte auf den unaufgeräumten Klassenraum. „Potter und Black und ihre Schurkengang werden bald hier sein, um ihren Angriff auf Slytherin zu planen..."
„Ja, ok", nickte Remus und sie begannen beide, die Tische zu verrücken. Die Konfrontation schien vorbei zu sein und für den Moment waren sie beide zufrieden damit. Er war froh; es war schrecklich gewesen, Marlene nicht als Freundin zu haben.
Remus und Chris benutzten normalerweise Magie, um die Möbel des Klassenraums zurückzuschieben, aber Marlene war mit Fortbewegungszaubern noch nie besonders gut gewesen, also fing sie einfach an, zu heben und zu drücken. Remus wollte nicht angeben, wo sie sich gerade wieder halbwegs vertragen hatten, also machte er es ihr so gut es ging nach.
„Ich werde mit Mary sprechen", sagte Marlene plötzlich, hob einen Stuhl auf und schob ihn unter einen Tisch. „Yaz will, dass ich das tue. Ich habe es Danny schon gesagt."
„Das ist gut", lächelte Remus ermutigend. „Ich bin mir sicher, Mary nimmt das gut auf. Sie ist die am wenigsten voreingenommene Person, die ich kenne."
„Ja, da hast du wahrscheinlich recht." Marlene sah ihm gedankenverloren zu, als er den letzten Tisch zurechtrückte. „Remus?"
„Hm?"
„Humpelst du wegen den Verwandlungen so?"
„Ich humple?" Remus stellte sich verunsichert etwas gerader hin.
„Manchmal mehr, manchmal weniger", antwortete sie sachlich. „Ich habe immer gedacht... wegen deiner Kindheit. Dass dir jemand etwas getan hat."
Er schüttelte den Kopf.
„Als ich dreizehn war oder so hat sich etwas ein bisschen komisch eingerenkt, glaube ich", sagte er schulterzuckend. „Wird ab und zu etwas steif. Ich merke es schon fast gar nicht mehr."
„Mmm", antwortete sie in Gedanken.
„—Wie oft?!"
Die Tür sprang auf und eine zornig aussehende Lily trat ein, James hinter ihr, Peter und Sirius dicht dahinter, beide grinsten. „Wir haben ausgemacht, keine Streiche bis zum Schuljahresende! Wir sollen uns unauffällig verhalten, du bist Schulsprecher!"
„Komm schon, Evans", sagte James mit ausgestreckten Händen, „das war doch gar nichts, das war nicht mal ein richtiger Streich, es war... äh..." Er warf Sirius einen flehenden Blick zu.
„Lebensfreude!", bot Sirius an.
„Lebensfreude!", nickte James grinsend.
„Dass alle Badezimmerspiegel plötzlich Trollgesichter zeigen, nennt ihr Lebensfreude?!", fuhr Lily sie beide an.
Es half nichts, alle drei Jungs brachen in schallendes Gelächter aus.
Remus kicherte auch; er hatte die halbe Recherchearbeit dafür gemacht. Letzte Woche hatte er Stunden damit verbracht, Geschichtsbücher über Trolldynastien nach Portraits zu durchsuchen, um alle Gesichtszüge richtig hinzukriegen. Er hoffte, dass er ein paar Reaktionen aufschnappen können würde, bevor Flitwick den Zauber brechen konnte, den sie verwendet hatten.
„Ihr Verrückten", lächelte Marlene schüchtern.
„Marlene!", rief Lily.
Sie drehten sich alle zu ihr um, dann zu Remus, mit offenem Mund. Er lächelte sie alle bewusst an, entspannte seine Schultern und klatschte in die Hände.
„Kommt schon! Diese Kooperative organisiert sich nicht selbst..."
* * *
Sirius hatte natürlich noch immer die gleiche Meinung über Marlene. Remus weigerte sich, diese zu hören. Er wollte diese Sache abschließen, er wollte darüber hinwegkommen. Und er wollte Danny treffen, so schnell wie möglich. Zum ersten Mal hatte er, im Guten wie im Schlechten, eine Art Verbündeten. Jemanden, der so war wie er, auf ihrer Seite. Er schrieb einen weiteren Brief, zerriss ihn und versuchte es noch einmal. Dann wieder und wieder. Es gab so viel zu sagen und Remus war sich nicht sicher, wo er anfangen sollte.
„Aber worüber willst du mit ihm sprechen?", gähnte Sirius eines Abends im Bett, als Remus einen weiteren Versuch aufgab, sich im Brief ordentlich vorzustellen. „Du weißt mehr darüber, was es heißt, ein Werwolf zu sein als er, es ist ja nicht so, als ob er besondere Einblicke bieten könnte."
„Darum geht es nicht", gähnte Remus zurück, löschte sein Zauberstablicht und legte sich hin. Er rieb sich die Fingerknöchel der rechten Hand. An manchen Tagen fühlte er sich, als ob er seine Feder nie weglegen würde; er war immer am Schreiben. Wenn er nicht fieberhaft seine NEWT-Notizen durchging, stellte er komplexe Berechnungen an, die dem Streich nützen würden, oder schrieb Grant, Ferox oder Danny.
„Dann warte, bis die Schule vorbei ist", riet Sirius. „Sicherer für euch beide."
„Da sind drei Monde dazwischen", antwortete Remus und versuchte, es sich gemütlich zu machen. Die Laken in Sirius' Bett zerknitterten immer zu schnell, er hatte keine Ahnung wie der Junge das immer anstellte.
„Das weiß ich", entgegnete Sirius hartnäckig. „Aber du kannst nicht viel tun, oder?"
„Denke nicht."
„Und du schuldest ihm nichts."
„Nein." Remus suchte seine Worte sorgfältig aus. „Aber ich schulde es mir, das Richtige zu tun, oder?"
„Ist es das, was dich so verrückt macht?" Sirius runzelte die Stirn, Remus wusste es.
Ein Ziehen in seinem Bauch sagte ihm, dass sie auf einen Streit zusteuerten, und er könnte ihn abwenden, indem er das Thema wechselte.
„Was meinst du mit ‚verrückt'?", schnappte er.
„Als du Danny das erste Mal geschrieben hast. Du musst zugeben, das war ein bisschen leichtsinnig."
„Bitte?!"
„Naja, für jemanden, der sieben Jahre lang versucht hat, jeden Aspekt von ihm komplett privat zu halten, war es ein wenig bescheuert, sich einfach hinzusetzen und einen Brief an einen Fremden zu schreiben—"
„—der Bruder meiner Freundin—"
„—und ihm alles über dich zu erzählen—"
„Nicht alles!"
„—aber wenn es nur dazu war, um das Richtige zu tun, dann ist es wohl gerechtfertigt."
„Schau, wenn du sauer auf mich bist, dann sag es, dieser sarkastische Mist passt nicht zu dir, Black." Remus rollte sich auf die Seite.
„Ich bin nicht sauer", sagte Sirius.
„Gut."
Remus wusste, dass das nicht das letzte Wort war. Er wartete, konnte es praktisch nicht erwarten.
„...Ich habe nur nachgedacht, das ist alles", sagte Sirius schließlich. Remus grinste in sich hinein, bevor er sich wieder herüberrollte und die Stirn in Falten zog.
„Was?"
„Es war so, als ob du weglaufen wolltest oder so."
„Natürlich wollte ich weglaufen", zischte Remus. „Ich habe es dir gesagt. Es bringt alles nichts, die NEWTs zu machen, mit dummen Prüfungen und Klubs und Streichen herumzuspielen, wenn draußen diese Dinge passieren, genau jetzt. Ich hatte eine Chance zu helfen, und ich ergriff sie. Was ist, wenn mir die Konsequenzen egal sind?! Du nennst mich leichtsinnig?! Ich dachte, du würdest es verstehen! Was ist aus der Rache an deiner Familie geworden? Was ist daraus geworden, das alles beenden zu wollen?"
„Das will ich doch...", sagte Sirius und klang ganz klein.
„Nun, so benimmst du dich nicht. Du scheinst dich mehr um dieses blöde Quidditchspiel zu kümmern als um den Krieg. Vielleicht ist für dich ja beides dasselbe."
„Merlin!", antwortete Sirius. „Du hörst nicht auf, bis du Blut leckst, oder?"
„Muss der Wolf in mir sein", sagte Remus kurz.
Er rollte sich wieder weg und schloss die Augen.
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