Zu Hause
Leise schließe ich die Tür.
Nein! Ich will mich nicht reinschleichen, als hätte ich etwas verbrochen! Sie sollen ruhig hören, dass ich wieder da bin. Also öffne ich die Tür wieder und lasse sie unangenehm laut ins Schloss fallen.
Gerade will ich mir die Jacke ausziehen, als mir wieder einfällt, wessen Jacke ich trage.
Es ist Ians Jacke. Und auch wenn ich weiß, das ich ihn vermutlich nie wieder sehen werde, schöpfe ich Kraft aus diesem stück Leder, was ihm gehört.
Eine kraft, die da herrührt, das er mir eine Geborgenheit geschenkt hat, die nichts mit Mitleid zu tun hatte. Das er mich dazu gebracht hat mich begehrenswert und Sexy zu fühlen.
Verlegen erinnere ich mich daran, wie ich seine Erektion an meinem Hintern gespürt habe, man, war das peinlich, aber es hat mich auch erregt. Hat mir gezeigt, das er mich attraktiv findet und das habe ich zuvor bei noch keinem gemerkt.
Und dieses Gefühl, gibt mir Kraft, eine Kraft, die ich jetzt brache.
Ich bin Mia. Ich bin 16 und ich kann alles schaffen.
Auch meine aufgebrachten Eltern beruhigen, auch wenn ich nicht glaube, das wir in ruhe miteinander Reden werden.
Es wird laut werden, sehr laut. Wie so oft. Wie immer eigentlich.
Ich ziehe die Schuhe aus und schiebe sie unordentlich unter die Garderobe, dann werfe ich einen Blick in die Küche, die Links von mir ist.
Es ist eine Wohnküche, die durch einen Tresen, von der Wohnstube und dem Esszimmer, getrennt wird.
Die Küche ist leer. Trotzdem gehe ich hinein und mache Kaffee. Ich brauche jetzt dringend etwas, das meine Nerven beruhigt.
Als die Kaffeemaschine gurgelnd und schlürfend zum leben erwacht gehe ich am Tresen vorbei ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa liegt jemand und schläft.
Es ist Mara, meine Mutter. Unter ihren Augen sind tiefe schatten und sie sieht erschöpft aus. Ich will sie nicht wecken, also gehe ich zurück in die Küche, wo der Kaffee fast fertig ist.
Ich nehme mir eine Tasse aus dem Schrank und lasse sie beinahe Fallen, als Pascal plötzlich hinter mir steht.
>>Marie.<< setzt er an und kommt einen Schritt auf mich zu. >>Wo bist du gewesen?<<
>>Ich habe meinen Geburtstag gefeiert. << erkläre ich und weiche zurück bis ich mit dem Rücken gegen die Arbeitsfläche stoße und hebe abwehrend die Hände, als er noch einen Schritt auf mich zu macht. Nicht anfassen!
>>Wir waren krank vor Sorge, als du gestern plötzlich weg warst und nicht wieder gekommen bist. << Am Anfang sind seine Worte noch leise, aber um so länger er redet, desto lauter wird er.
>>Deine Mutter hat die ganze Nacht geweint und kein Auge zu gemacht. Und ich bin die stundenlang mit dem Wagen herum gefahren und habe dich gesucht! << Inzwischen ist er ziemlich laut.
>>Ich dachte dir wäre etwas passiert. Ich dachte du wärst tot! Weißt du eigentlich, was das für ein Gefühl ist?<< will er wissen >>Wenn man denkt seine einziges Kind ist weg und kommt nie zurück!<<
>>Es geht mir aber gut! Und ich bin wieder da. Ihr hättet mir ja erlauben können mit meinen Freunden zu feiern, dann hätte ich mich auch nicht rausschleichen müssen.<< schreie ich empört.
>>Ich lasse mich hier nicht einsperren, nur weil es euch nicht passt, mit wem ich meinen Geburtstag verbringe!<<
Ich knalle die Tasse, die ich immer noch in der Hand halte auf die Arbeitsfläche.
>>Marie!!<< schreit Pascal >>Mach nicht gleich alles kaputt! Warum zerstörst du alles. Warum hasst du uns so? Sind wir dir so scheiß egal, das du nichtmal bescheid sagen kannst? Und sagen kannst, das es dir gut geht, DAS DU LEBST! << brüllt er .<<Du hattest doch immer deine Freiheit, was ist passiert, das du dich so unmöglich benimmst!<<
>>Meine Freiheit!<< schreie ich zurück. >>Das nennst du Freiheit, wenn ich nicht einmal entscheiden darf, mit wem ich meinen Geburtstag feiere! Euch ist doch verdammt noch mal egal, was ich will!! Mit meinen Freunden hatte ich wenigstens Spaß!<<
>>Deine sogenannten Freunde!<< seine stimme klingt kalt, ruhig aber er atmet ziemlich heftig und ist auch immer noch ganz schön laut. >>Die freunde, die dich fast in den Knast gebracht hätten? Die freunde, die dich zum Klauen anstiften und die dich mit Alkohol versorgen! Meinst du DIE! Marie, das sind keine Freunde!Freunde, richtige Freunde helfen dir das Richtige zu tun und bringen dich nicht in Schwierigkeiten!<<
Aufgebracht fährt er sich mit der Hand durch die Haare, dann knallt er sie, urplötzlich mit voller Wucht gegen die Wand, so dass ich zusammenzucke.
>>Verdammt!<< schreit er. >>Es reicht! Endgültig!<<
Ich schweige. So einen Ausbruch habe ich bei ihm bis jetzt noch nicht erlebt, schreien, Haare raufen, unruhig auf und abgehen, Ja, ja ,ja! Aber er ist noch nie in irgendeiner Weise aggressiv geworden und das macht mir angst.
Erschreckt stehe ich da und schaue ihn aus weit aufgerissenen Augen an, bis ich ein leises Schluchzen neben mir hören. Als ich mich umdrehe steht Mara, eine Hand auf den Mund gepresst weinend vor mir. Unsere lauten stimmen haben sie geweckt, wie auch nicht anders zu erwarten war.
>>Marie.<< flüstert sie. >>Geht es dir gut?<<
Ich sehe sie an. Ihr tränenfeuchtes Gesicht, die geröteten Augen, die Erleichterung. Ihre Haare sind ein Wildes durcheinander und auf ihrer Wange ist ein Abdruck vom Kissen zu sehen. Eigentlich tut sie mir leid, sie kann ja nichts dafür, das meine richtige Mutter mich nicht wollte. Aber ich bin noch viel zu erregt, um ihr mein Mitgefühl zu zeigen.
>>Ja, es geht mir gut.<< stoße ich atemlos aus, ich bin noch ziemlich aufgebracht von dem Streit mit meinem Vater. Sie kommt auf mich zu, doch als sie sieht, wie ich vor ihr zurückweiche dreht sie sich Pascal zu und bricht schluchzend in seinen Armen zusammen.
Tröstend legt er einen Arm um sie und murmelt. >>Ist schon gut Schatz.<<
>>Marie, so kann es nicht weiter gehen. << sagt Pascal beherrscht, er gibt sich große mühe seine Stimme ruhig zu halten, aber ich kann hören, wie sie zittert.
>>Wenn die Arbeit im Pflegeheim beendet ist, dann...<<
>>Nicht! << unterbricht Mara ihn flehend, >>Nicht so.<<
>>Schatz, wie lange willst du noch warten?<< traurig schaut er auf sie hinunter. >>Wir müssen es ihr sowieso irgendwann sagen.<<
>>Aber das hat zeit bis morgen. << bittet sie.
>>Mir was sagen?<< frage ich verwirrt. Aber keiner beachtet mich.
>>Nein, es ist besser wir sagen es ihr gleich!<<
>>Aber wir haben uns doch noch gar nicht endgültig entschieden.<<
>>Was? Nach dem was heute passiert ist, bis du dir immer noch nicht sicher? Also, ich sehe keinen anderen Ausweg mehr, Schatz. Ich bin mit meinem Latein am Ende.
>>Hey! << brülle ich. >>Ich bin auch noch da!
Worüber reden die beiden da? Irgendwas habe ich verpasst, aber ich weiß nicht was. Sicher reden sie nicht über meine Adoption, denn die hat verdammt wenig mit der Arbeit in dieser Gruftibude zu tun. Also muss es etwas anderes sein.
Aber was? Ich komm einfach nicht drauf.
Wollen sie mir sagen, das wir umziehen, damit ich nicht mehr mit Mike rumhängen kann, oder soll ich die Schule wechseln. Oder vielleicht soll ich ja auch in eine Therapiegruppe um mein aufbrausendes Temperament in den Griff zu bekommen.
Und eine ganz kleine stimme, eine Stimme, die immer Lauter wird sagt mir, das es ihnen reicht. Das hat Pascal ja sowieso gesagt. "Es reicht! Endgültig".
Das sie mich satt haben, das sie alles versucht haben mich zu lieben, aber das es nicht geht, das sie mich nicht genug lieben können um mich hier zu behalten, das ich wieder da hin gehen soll, wo ich herkomme.
Ins Heim.
Ich merke, wie ich blass werde, wie mein Herz sich schmerzhaft verkrampft und meine Magen rebelliert.
Ins Heim zu gehen hieße, hier weg zu gehen.
Weg von Mike!
Weg von Mel, Luke und Kathy.
Weg von allem, was mir etwas bedeutet. Von den einzigen Freunden die ich habe.
Ich will nicht ins Heim! Trifft mich die Erkenntnis. Natürlich nicht, wer will das schon, aber wie kann ich Mara und Pascal daran hindern, wenn sie mich hier nicht mehr wollen.
Während ich meinem Inneren Aufruhr lausche entgeht mir der erschöpfte Ausdruck im Gesicht meines Vaters, wie er resigniert die Schultern hängen lässt. Mir entgeht auch, wie meine Mutter sich erneut in tränen auflöst und ihren Kopf in seinem Hemd versteckt, scheinbar hat sie aufgegeben. Aufgegeben sich dagegen zu wehren, Aufgegeben um mich zu kämpfen, denn Endlich bekomme ich die Antwort auf meine Frage, worüber sie geredet haben, worüber sie mit mir reden wollten.
>>Marie, << setzt mein Vater an, >> wir haben uns, und bitte, du musst mir glauben wenn ich dir sage, dass es uns nicht leichtgefallen ist, aber wir haben uns dazu durchgerungen, das du für eine Weile auf ein Internat gehen wirst.
>>Ein..., ein... << stottere ich aufgebracht, als die Worte bei mir ankommen. >>EIN INTERNAT!<<
>>Ich habe nur gutes von Schloss Hohenfels gehört. Es gibt da viele Angebote...<< setzt Pascal an zu erklären, doch ich habe schon genug gehört.
>>Ich gehe verdammt noch mal nicht auf ein INTERNAT!<< brülle ich >>Ihr könnt mich mal!<<
>>Marie sei doch vernünftig. Du könntest wieder mit dem Klavierspielen anfangen, oder du könntest Tanzunterricht nehmen. Oder...<< seine stimme ist beherrscht, ich kann sehen, wie er sich bemüht, ruhig zu bleiben.
>>Ich gehe da nicht hin, Verdammt! Ihr könnt mich nicht zwingen!<< unterbreche ich ihn.
>>Ich fürchte dir bleibt keine andere Wahl!<< sagt er hart. >>So wie es jetzt ist kann es nicht weitergehen. <<
Mein Atem geht schnell, mein Herz hämmert in meiner Brust und meine, zu Fäusten geballten Hände sind schwitzig. Ich fege die Tasse, die ich vorhin auf die Arbeitsfläche geknallt habe mit einem Aufschrei auf den Boden, wo sie mit einem Lauten klirren zerbricht.
>>Fick dich!<< schreie ich meinen Vater an, dann renne ich durchs Wohnzimmer, zurück in den Flur, die Treppe hoch in mein Zimmer, laut knalle ich die Tür hinter mir zu und schließe ab. Ich drehe meine Musikanlage voll auf und renne im meinem Zimmer auf und ab. Wie ein Tiger im Käfig.
Hin, her, hin, her...
Doch es hilft nichts, ich werde meine Wut nicht los.
>>Ahhh!!<< schreie ich laut und reiße an meinen Haaren, dann reiße meinen Schreibtischstuhl an der Lehne herum und donnere ihn an die Wand, dann schleudere ich ihn quer durchs Zimmer, wo er auf dem Boden liegen bleibt. Im nächsten Augenblick pfeffere ich meine Papiere, Stifte, die Lampe und alles, was sich noch auf meinem Schreibtisch befindet hinter her.
Aber das reicht noch nicht, auf meiner Kommode stehen einige Bilderrahmen und mein Wecker. Ich nehme alles nacheinander in die Hand und knalle sie an die Wand. Der Lärm, den ich dabei mache ist mir egal, ich höre ihn sowieso nicht, denn dafür ist die Musik viel zu laut.
Als nichts mehr übrig ist und weil es mir irgendwie auch nicht weiterhilft, werfe ich mich auf mein Bett, vergrabe meinen Kopf in den Kissen und schreie so laut und so lange ich kann.
Aber auch das bringt mich nicht weiter.
Ich richte mich auf, sitze wutschnaubend mit hoch rotem Kopf auf meinem Bett und blicke auf die Verwüstung in meinem Zimmer.
Und dann sehe ich sie, die Schere.
Unschuldig liegt sie zwischen den ganzen Anderen Sachen auf dem Boden. Langsam stehe ich auf, nehme sie in die Hand und drehe sie nachdenklich hin und her.
Was ich damit alles machen könnte....
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