Teil4

Eine Zeitlang schweigen wir beide.
Ich sitze mit geschlossenen Augen im Gras und genieße die Wärme auf meinem Gesicht. Verträumt lasse ich ihre Geschichte Revue passieren und hoffe, das mir irgendwann einmal etwas ähnliches widerfahren wird.
Das ich meinen Jason treffe. Meinen Ritter in glänzender Rüstung. Meinen Held.
Davon träumen wir doch alle oder nicht?
Eines Tages den richtigen zu finden?
Meinen persönlichen, ganz privaten Mr. Right?
Jemanden der ganz  allein mir gehört.
Den einen, dem ich bedingungslos alles sagen kann.
Den einen, den ich bedingungslos liebe, der mich liebt.

Und dann sind sie da.
Die Zweifel.
Die, die mich seit fast zwei Jahren Quälen.
Die Ängste,
die mich immer dann befallen, wenn ich am wenigsten damit rechne und die mich immer wieder unerwartet anfallen, seit ich die Adoptionspapiere gefunden habe...
Bin ich es wert?
Wert geliebt zu werden?
Habe ich das recht zu lieben?
Wenn meine richtigen Eltern mich schon nicht wollten?
Wieso sollte mich dann jemand anderer haben wollen?
Wenn meine leiblichen Eltern mich nicht liebten, warum sollte es dann jemand anderes tun?

WARUM!!!

Die Spirale in meinem Kopf beginnt sich erneut zu drehen. Meine Gedanken werden immer dunkler, trostloser.
Hoffnungsloser.
Schmerzhaft krampft sich der Knoten in meiner Brust zusammen, bis ich es nicht mehr aushalte, die Stille nicht mehr ertrage.

"Mel?" frage ich düster.
"Hmm. Was denn?" sie schaut mich aufmerksam an, ihr ist mein Stimmungsumschwung nicht entgangen.
"Was ist dann Passiert?" will ich wissen? "Gibt es ein Friede, Freude, Eierkuchen Ende?" fahre ich sarkastisch fort.

Sie setzt sich auf. Ihr Blick verfinstert sich ein klein wenig.
"Nein. Gibt es nicht." gibt sie zu. "Er ist gegangen. Einfach so. Erst hat er mich geküsst und dann hat er mich stehen gelassen." sie schnipst mit den Fingern vor meiner Nase.
"Einfach so! Bist du jetzt zufrieden?" sie wirkt traurig, aber auch ein wenig gereizt.

Zerknirscht schaue ich auf meine Hände. Ich schüttele den Kopf. Sie ist meine Freundin, eine meiner Besten und ich möchte das sie glücklich ist, auch wenn ich es nicht bin.

"Tut mir leid, Mel.  Ich meine, dass das mit Jason nicht so gut gelaufen ist."
"Mir auch." sie zuckt mit den Schultern.
"Aber ansonsten war der Abend echt toll. Ich meine es hat schon was, von einem der heißesten Typen die wir kennen, geküsst zu werden. Und soll ich dir noch was sagen." Ihre Mine wird von Sekunde zu Sekunde wieder fröhlicher.
"Seitdem habe ich ihn noch nicht wieder mit einer Anderen verschwinden sehen." sie zwinkert mir zu. "Meinst du, dass das vielleicht was zu bedeuten hat?" fragt sie hoffnungsvoll.
Und weil ich will, das sie glücklich ist lasse ich mich auf dieses Spiel ein. Wir wissen beide, das Jason ein Player ist, einer der mit den Herzen der Frauen spielt. Jemand, dem die Gefühle der Anderen egal sind. Einer dem es egal ist, welche Verwüstung er anrichtet. Und welches Chaos er zurücklässt.
"Bestimmt!"  ich versuche meine Stimme hoffnungsvoll klingen zu lassen. "Er wäre dumm, wenn er dich nicht wollen würde. Du bist doch die hübscheste, heißeste und Intelligenteste weit und breit. Hey!" Ich zwinkere ihr zu. "Und mit dem neuen Look, bist du sogar noch umwerfender als vorher. Richtig geheimnisvoll."

Ich sage das nicht nur, ich meine es auch tatsächlich so.
Mel ist die Beste.
Seit ich sie kenne, geht sie mit mir durch Dick und Dünn. Sie ist auch diejenige, die mich davon abhalten will, Dummheiten zu machen. Aber manchmal finde ich es einfach zu verlockend, bei dem Mist, den sich die Anderen aus unserer Gang ausdenken, mitzumachen.
Wie die Sache mit dem Zug.
Ich liebe Farben. Heute zwar nur noch wenn ich sie nicht tragen muss, aber Früher habe ich alle möglichen Farben angezogen. Grün, Rot, Blau. Sogar Gelb.
Bei dem Gedanken an das Gelbe Sommerkleid, das ich als Zwölfjährige trug muss ich ein kleines bisschen lächeln. Es war ganz schön knallig. Und ZIEMLICH gelb! Aber ich habe es geliebt.
Heute mag ich Farben nur noch auf dem Papier, oder auf Wänden, auch auf Leinwänden oder Wagonwänden.
Daher konnte ich bei der Sache mit dem Zug auch nicht "NEIN" sagen. Ich habe schon immer gern gemalt. Und Kunst ist auch das einzige Fach in der Schule, in dem ich immer noch eine Eins habe.
Und weil das so ist, finde ich Mel's neue Haarfarbe auch einfach klasse.

Sie lächelt mich dankbar an.
"Komm." sagt sie und steht auf. "Wir schauen mal was die anderen machen. Immerhin hast du heute Geburtstag. das ist dein Tag!"

Ich strecke ihr meine Hände entgegen und sie zieht mich hoch, dann gehen wir Seite an Seite zu der Waldhütte zurück. 
Meine Hose ist immer noch ein bisschen nass, aber weil es so warm ist, ist es eher angenehm und auch nicht zu kalt.

Im inneren der Hütte hat sich einiges getan. Die Couch ist an die Wand vor das Regal gerückt worden und der Tisch steht auf der anderen Seite unter dem Fenster, durch das man den See sehen kann.
So haben wir viel mehr Platz.
Auf den Tisch haben sie etliches en Essen aufgehäuft und erst jetzt merke ich, wie hungrig ich bin.
Ich esse zwar nach wie vor nicht viel, aber wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin, ist mein Appetit deutlich größer, als zu hause.
Neben einer Schüssel Nudelsalat steht ein Teller mit Brötchen. Es gibt einen gemischten Salat und irgendwer hat sogar Tiramisu mitgebracht. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
Auf dem Boden neben dem Sofa liegt ein ganzer Haufen Schlafsäcke. Was wohl bedeutet, das wir die Nacht hier verbringen werden.
Wow, wie aufregend. Und lieb von allen. Das sie sich für mich diese ganze Mühe machen.
Doch langsam drängt sich mir die Frage auf, wo die ganzen Sachen auf einmal herkommen. Und wo die anderen abgeblieben sind.

Ich folge Mel durch den Raum, bis durch die zweite Tür, hinter der sich ein Kurzer Flur befindet. Er endet in einem Raum, der Tatsächlich eine kleine Küche ist. Auf der Arbeitsfläche stehen Pappbecher und Teller. Dazu Besteck aus Plastik.
Auf dem Boden sehe ich mehrere Bierkisten und einen Karton, mit einigen Flaschen Alkopops und anderen Alkoholischen Getränken.
Na, das kann ja lustig werden.
Obwohl die Küche klein ist, hat sie einen eigenen Eingang und jetzt sehe ich auch, woher die ganzen Sachen kommen. 
Durch die geöffnete Küchentür, sehe ich Jasons neuestes Spielzeug.
Ein gelber Jeep Wrangler. Daneben stehen drei Motoräder. Das eine Gehört Mike, das andere Luke und das dritte muss das von Pelle sein. So sind sie also alle hergekommen.
Und weil vier Leute nicht zusammen mit den ganzen Klamotten in den Jeep gepasst haben erklärt sich mir jetzt auch die Tatsache, das Jason, vorhin als wir hier angekommen sind nicht da war.

Er musste noch mal los und den ganzen Kram holen.

Wir gehen auf den Jeep zu, in dem Jason sitzt und an der Musikanlage herumfummelt. Auf der Fahrerseite lehnen sich Mike und Pelle zu ihm ins Auto und diskutieren darüber, welche Musik er spielen soll.

Mel wirkt ein kleines Bisschen nervös, als Jason uns bemerkt und aus dem Wagen steigt um uns zu begrüßen.
"Moin, Mädels." er legt kurz einen Arm um mich, dann um Mel.
Die Begrüßung ist kurz, reserviert, doch seine Augen haften einen Augenblick länger an Mel und weiten sich ein kleines bisschen, als er sie anschaut, sagt aber nichts zu ihrem neuen Look.

Ich werfe ihr einen mitfühlend blick zu. Ich sehe, wie ein schatten über ihr Gesicht huscht, doch schon ist er wieder verschwunden. Sie lächelt mich an und zuckt mit der Schulter, als wolle sie sagen... Es war nur ein Kuss mehr nicht... Alles beim alten, also was soll's.

Ich hoffe für sie, das sie es tatsächlich so leicht nimmt. Denn eigentlich ist sie nicht der Typ dafür, sich auf so flüchtige Dinge einzulassen. Ich mein, klar. Sie Tanzt heiß und Sexy und auch ganz eng mit den Jungs und flirtet auf Teufel komm raus mit jedem der ihr gefällt, aber beim Küssen hört für sie der Spaß auf.
Ich schaue sie noch eine Weile nachdenklich an, doch dann wendet sich meine Aufmerksamkeit wieder den Jungs zu, die sich in der Zwischenzeit scheinbar auf einen Titel geeinigt haben, denn plötzlich dröhnt laute Musik durch den Wald.
"Ouuhhh!" schreit Mel auf und fängt an zu Tanzen. Die Hände in der Luft beginnt sie die Hüften kreisen zu lassen.
Sofort ist Luke mit von der Partie, er tänzelt auf sie zu, stößt sie mit der Hüfte an und schon geht zwischen den beiden die Post ab. Bei dem Anblick kann auch ich nicht lange stillstehen und fange an mich zur Musik zu bewegen. Ich schnappe mir Mike und schon verwandelt sich der Wald in eine Tanzfläche.

Als das Lied endet und ein neues beginnt stoßen Rike und Gisi zu uns.
Sie kommen aus dem Wald gelaufen. Beide haben die Arme voller Holz, dass sie neben Lukes Motorrad auf den Boden fallen lassen und schließen sich uns an.
"Die Party steigt nicht ohne uns!" verkündet Rike lauthals. Ihre wilden Moves sind echt der Hammer.
Nach einer Weile kommen Ossi, Kathleen und Pelle  um die Ecke des Häuschens auf uns zu. Ossi steigt zu Jason in den Jeep. Kathy rennt zu Luke, springt ihm auf den Rücken und schlingt die Beine um seine Hüften.
Luke schwankt ein wenig, doch dann fängt er sich wieder, wirft seiner Freundin über die Schulter einen Blick zu und grinst sie an. Er umfasst ihre Beine und dreht sich mit ihr im Kreis.
Die Stimmung ist richtig gut. Ausgelassen tollen wir herum, bis wir alle außer puste sind.

"Ich brauch was zu trinken." stößt Pelle atemlos hervor. "Will noch jemand was?" fragend schaut er in die Runde.
"Ja, Ich!" quietscht Rike
"Oh, ja! Ich auch!" stöhnt Gisi und lässt sich erschöpft gegen den Jeep fallen.
"Warte, man. Ich komm mit." bietet Ossi an und steigt aus dem Jeep.
"Warum gehen wir nicht alle." Schlägt Luke vor. "Dann können wir es uns vorne auf der Wiese gemütlich machen."

Von allen Seiten kommt zustimmendes Gemurmel. Schon gehen die ersten ins Haus. Ich finde es nur schade, das Jason den Jeep hier hinten geparkt hat, ich würde gern weiter Musik hören.
"Jason?" er steigt gerade aus seinem Jeep.
"Was gibt's?" fragt er mit düsterer Stimme. Man, der ist echt ne Spaß bremse!
"Kannst du den Wagen einmal ums Haus fahren, damit wir da Musik hören können?" will ich wissen, doch statt zu antworten gibt er ein gereiztes Brummen von sich und startet den Motor.

Man, welche Laus ist dem denn über die Leber gelaufen? Kopfschüttelnd schaue ich ihm hinterher wie er den Jeep vorsichtig zwischen den dicht stehenden Bäumen hindurch, am Haus vorbei manövriert. Es ist ganz schön eng, doch er  schafft es. Als ich ihn nicht mehr sehen kann folge ich den anderen ins Haus.
In der Küche will ich mir was zu trinken nehmen, doch die Sachen sind weg.
Ich gehe durch den Flur zurück, ins Wohnzimmer.
"Komm Mia! Hilf mir mal!" ruft Gisi mir zu, als sie mich sieht. Schnell gehe ich zu ihr rüber und nehme ihr die Schüssel mit dem Nudelsalat ab, den sie nach draußen bringen will. Dazu nehme ich den Teller mit den Brötchen, dann folge ich ihr.
Jason hat den Jeep am äußeren Rand der Lichtung geparkt. Dorthin tragen wir die Sachen und stellen sie auf der Motorhaube ab. Die Getränke stehen gleich neben dem Vorderreifen.

"Hätten wir gewusst, das Jason den Jeep da durch kriegt, hätten wir uns das ausladen ja sparen können." sie schaut nach links, dorthin, wo Jason durch die Bäume gefahren.

Ich zucke mit den Achseln. "Macht doch nix. So viel ist es ja auch nicht gewesen."
"Schon." gibt sie zu. "Aber trotzdem." sie schaut ein wenig beleidigt.
Ich stupse sie mit dem Ellenbogen in die Seite und grinse sie aufmunternd an. "Mach doch nicht son Drama draus."
Darauf hin streckt sie mir die Zunge raus und grinst. Das kann ich auch! Wie zwei Idioten stehen wir da und stecken uns gegenseitig die Zungen raus. Wie die Kinder ! Voll albern!
"Hey ihr Süßen, wollt ihr auch oder seit ihr noch nicht Alt genug dafür?" Ossi steht grinsend vor uns und hält uns zwei Flaschen Bier entgegen.
Ich werde ein bisschen rot, weil ich mich so kindisch aufführe. Gisela streckt auch ihm die Zunge raus und greift gleichzeitig nach der Flasche, aber ich schüttele den Kopf.
"Bier ist nicht so mein Fall Ossi, weißt du doch. Was habt ihr denn noch mitgebracht?"
Er stellt das Bier in die Kiste zurück und durchwühlt den Karton.
"Willst du was Rotes?" er grinst mich an. "Wir haben auch Gelb oder Grün." fährt er fort. "Oder was hältst du von Orange?"
"Ist egal. Gib mir.... das Grüne." er hält mir eine Flasche mit grünem Inhalt hin, die Anderen stellt er in den Karton zurück.
Dann nimmt er mir die Flasche wieder weg. Äh, hallo..., was soll denn das jetzt? Schon will ich protestieren, als ich sehe, wie er sein Feuerzeug hervorholt und die Flasche öffnet.
"Danke." ich nehme die Flasche erneut, als er sie mir hinhält.

Dann nimmt er sich selbst ein Bier "Prost!" er hält mir seine Flasche hin und ich stoße mit ihm an, dann mit Gisi. "Prost!" sage auch ich und nehme einen schluck. Das Zeug ist fruchtig und ziemlich süß, irgendwie schmeckt es nach Limetten oder Zitrone. Den Alkohol merkt man kaum. Ich habe Durst also nehme ich noch zwei große schlucke und schon ist die Flasche halb lehr. Ahhh tut das gut.

Ich habe Lust Musik zu hören, also klettere ich in den Jeep und schalte die Anlage ein. Ich drehe die Lautstärke etwas runter, damit wir uns auch weiterhin unterhalten können und stelle mich dann wieder zu Gisi und Ossi.
Eine weile stehen wir da und reden, hören Musik und trinken. Schon bald ist meine Flasche leer und ich nehme mir eine zweite. Diesmal ist der Inhalt Rot und es schmeckt nach irgendwelchen Beeren.
Kathy steht mit Luke und Mike ein Stückchen weiter.
Ihr Lachen klingt fröhlich und ungezwungen. Kathy schmiegt sich an Luke und gibt ihm einen Kuss. Er legt den Arm um sie und flüstert ihr etwas ins Ohr, was sie ein wenig erröten lässt. Luke grinst und lässt seine Hand ein wenig tiefer gleiten. Weit unten am Rücken hält er inne und streichelt sie. Ganz leicht nur. Aber es muss schön sein, denn Kathy rückt noch ein wenig dichter an ihn heran.

Verträumt schaue ich den beiden zu, wie sie flirten und das obwohl Mike bei ihnen steht.
Muss das schön sein, so verliebt zu sein.
Mike wirft mir einen unergründlichen Blick zu und grinst mich verschmitzt an. Ich höre ihn "Mensch, sucht euch doch ein Zimmer. Das ist ja nicht mehr Jugendfrei!" sagen, bevor er zu uns rüber kommt und die beiden sich selbst überlässt.
"Na, hast du genug Pheromone abbekommen?" mit einem breiten grinsen hält Ossi Mike etwas zu trinken hin.
Er greift nach der Flasche und nickt.
"Ist ja nicht zum aushalten, wenn die erst richtig loslegen. Obwohl son bisschen Porno live... kann auch ganz nett sein." Er zwinkert mir zu. Vor Verlegenheit, weil ich die beiden immer noch anstarre, wie sie sich gerade die Zungen in den Hals stecken, werde ich ganz rot. Schnell nehme ich einen großen Schluck aus meiner Flasche und verschlucke mich prompt.
Wenn möglich laufe ich noch röter an und huste mir fast die Lunge aus dem Leib. Tränen schießen mir in die Augen und verschmieren meine ziemlich dick aufgetragenes Make Up. Japsend schnappe ich nach Luft. Ossi, Mike und Gisi müssen lauthals Lachen. Trotzdem klopft Mike mir fest auf den Rücken, bis ich wieder Luft bekomme.
Ich wedele mit der Hand. "Geht schon wieder." stoße ich gepresst hervor. Ich räuspere mich noch ein paar mal, dann habe ich es überstanden.  
Mit dem Handrücken wische ich mir die Augen trocken, aber das war ein Fehler. Als ich die Hand wieder runter nehme sehe ich den breiten, schwarzen streifen darauf. Seufzend wende ich mich an Mel, die gerade mit Jason, Pelle und Rike im Schlepptau auf uns zukommt.
"Hast du mal ein Taschentuch?" frage ich verlegen.
"Was ist denn mit dir passiert?" amüsiert schaut sie mich an, greift aber gleichzeitig hinten in den Jeep und zieht ihre Handtasche hervor. Sie kramt solange darin herum, bis sie ein Tuch gefunden hat.
"Hier." sie hält mir eine Packung Abschminktücher entgegen.
"Ich habe mich verschluckt, das ist alles." Ich nehme die Packung und setzte mich in den Wagen, stelle den Rückspiegel so ein, das ich gut hineinsehen kann und entferne mein Make Up. Ärgerlich nur, das ich nichts dabei habe um es aufzufrischen.

"Danke!" sage ich und reiche Mel die Verpackung, als ich fertig bin.
Nachdenklich schaut sie mich einen Moment an, dann nimmt sie mich bei der Hand, schnappt sich ihre Tasche und schleift mich ins Haus.
"Was ist denn jetzt?" verwirrt stolpere ich hinter ihr her.
"Süße," sagt sie, "Ich sag es dir nicht gern, aber mit dem Grufti Look ist jetzt Schluss!"
Verdattert bleibe ich stehen und starre sie an. "Aber," will ich protestieren, das geht sie nun gar nichts an. Sie kann mich doch nicht einfach rumkommandieren, wie meine Mutter, der es auch nie gefallen hat, das ich mir so tiefe schatten unter die Augen gemalt habe. Das ich mein Gesicht hinter einer Maske aus Make Up und Liedschatten versteckt habe, damit niemand sieht wie Blaß ich bin, wie eintönig, Langweilig, Unscheinbar. Traurig.
"Komm schon, Mia." bettelt Mel fast. "Vertrau mir. Viel schlimmer kann es nicht werden."
Sie legt die Hände zusammen als würde sie Beten und schaut mir Tief in die Augen. "Du darfst es auch wieder abwischen, wenn es dir nicht gefällt." verspricht sie.
Ergeben seufze ich auf. "Na gut."
Sie macht einen kleinen Hopser und klatscht in die Hände. "Toll, Toll TOOLLL!" freut sie sich. Sie ist ganz aus dem Häuschen. Meine Freundin schleift mich, ihre Schminkpuppe, an der Hand ins Haus. Durch das Wohnzimmer in den Flur, wo sie die Tür zu einem winzigen Schlafzimmer öffnet.
Es gibt nur ein Bett und einen kleinen Schrank, mit einem Spiegel.
Bestimmt schiebt sie mich auf das Bett zu und bedeutet mir mich zu setzten. Sie stellt ihre Handtasche auf das Bett und beginnt darin zu kramen.

Make Up und Puder, Lidschatten in blau, grün und rot zieht sie hervor, doch sie schüttelt immer wieder den Kopf "Wo ist es denn?" murmelt sie vor sich hin. Dann. "Hab ich dich!" triumphierend zieht sie  ein Döschen aus der Tasche.
"Augen zu!" befiehlt sie mir, bevor ich sehen kann was es ist.
Murrend tue ich was sie sagt. Ich bin immer noch nicht überzeugt, das ich das will, was sie mit mir vorhat.

Ich höre sie noch einmal in ihrer Tasche kramen und blinzele neugierig unter meinen Wimpern hervor, doch sie sieht es trotzdem.
"Augen zu! Habe ich gesagt." tadelt sie mich.
"Ja, Ja. Ich mach ja schon!" gereizt presse ich die Augen zu, dann höre ich, wie sie etwas aufreißt.
Behutsam wischt sie mir mit einem Tuch über das Gesicht. Es riecht wie das Abschminktuch vorhin. Scheinbar habe ich etwas übersehen. Es dauert nicht lange, dann ist sie scheinbar mit dem Ergebnis zu frieden.
"Auf frisches Make Up verzichten wir. Und Puder brauchst du auch nicht, deine Haut ist so schön. Absolut Makellos." ich kann die Bewunderung in ihrer stimme hören. "Du hast echt glück!"
Ich? Glück? Niemals! Nur weil ich nicht mit so vielen Pickeln zu kämpfen habe wie die meisten in meiner Klasse, habe ich noch lange kein Glück. Reine Haut allein macht nicht Glücklich.
"Ach was!" widerspreche ich bestimmt, weil ich mir ein Kommentar nicht verkneifen kann.
Sie hält kurz inne, scheint mich zu mustern, aber ich kann sie nicht sehen, weil ich die Augen geschlossen habe.

"Doch echt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn man aussieht als hätte man eine Kraterlandschaft im Gesicht."
Jetzt kann ich die Augen nicht mehr geschlossen halten, ich muss sie einfach ansehen. "Von Wegen Kraterlandschaft!" empöre ich mich. "Deine Haut ist viel schöner als meine. Du siehst immer aus als kämst du gerade aus dem Urlaub."
Sie Zuckt mit den Achseln." Das liegt nur daran, das Meine Mutter Spanierin ist."

"Hey, habe ich nicht gesagt du sollst die Augen zu machen." sie gibt mir einen leichten Klaps auf die Schulter und ich mache lachend die Augen wieder zu.

Vorsichtig beginnt sie mich zu schminken. Ich merke, wie der Pinsel mit dem Liedschatten leicht über mein Lid gleitet, wie sie mit dem Eyeliner meinen Lidstrich nachzieht.
"Das Kitzelt jetzt vielleicht ein bisschen." warnt sie mich, bevor sie mit einem Pinsel Farbe auf meine Lippen streicht. Es kitzelt tatsächlich, aber es ist nicht schlimm.
"Jetzt mach die Augen mal auf." fordert sie.
Ich zucke ein wenig zurück, als ich sehe, wie dicht sie vor mir steht. Mit Wimperntusche in der Hand.
"Nach oben schauen." befiehlt sie und tuscht meine Wimpern. Anschließend nimmt sie einen Kajal und zieht eine feine schwarze Linie ungefähr von der Mitte aus bis nach außen auf mein unteres Augenlid.
"So das wars schon." bewundernd schaut sie mich an. "Schau mal in den Spiegel." sie zieht mich hoch und bringt mich in Position. "Tataa...!" präsentiert sie stolz ihr Kunstwerk.
"Na? Was meinst du?"
Überrascht starre ich mein Spiegelbild an. Vor mir steht eine Junge Frau, die ich kaum wieder erkenne. Klar, die Haare sind die gleichen. Struppig, borstig, zottelig. Auch die form meines Gesichts hat sich nicht verändert, aber der Rest... Bin das noch ich?
Die riesigen schwarzen Augen sind weg, die schwarzen Lippen eben so.
Mel hat meine Augen nur leicht mit einem dunklen Kupfer betont. Fast ist es nicht zu sehen, doch sie wirken auch so groß und verführerisch! Die Wimpern sind Lang und schwarz und unglaublich dicht.
Die Lippen glänzen seidig, natürlich. Sie hat sie nur mit Lipgloss bestrichen, der sie ein klein wenig dunkler gemacht hat.
Der Gesamteindruck gefällt mir sehr.
Lange habe ich mich so nicht mehr gesehen. Jeden Morgen gebe ich mir mühe, nicht so genau hinzusehen, wenn ich mich  fertig mache. "Meine Maske" aufsetze, hinter der ich mich verstecke, damit niemand mein wahres ich sehen kann.
Dasjenige, welches abgeschoben wurde, weggegeben. Das ungewollte, hässliche Mädchen, das ich bin.
Ich will das Mitleid nicht sehen in ihrem Blick, den ich erst verstanden habe, seit ich die Verfickten Papiere gefunden habe.
Deshalb habe ich angefangen mich so düster zu schminken, habe meine Haare schwarz gefärbt und zu Dreadlocks auf toupiert. Deshalb trage ich schwarz!
Seit dem ich diesen Look habe gehen mir die meisten Menschen aus dem Weg. Und wenn mein Äußeres sie noch nicht abschreckt, dann tun es spätestens mein finsterer Blick und meine giftigen Kommentare, die ich ihnen entgegen knalle. "Verpiss dich!" oder "Sie zu das du Land gewinnst" hilft ungemein, wenn man seine ruhe will.
Nur bei Mike hat es nichts gebracht, er hat mich trotzdem nicht in Ruhe gelassen, hat sich mit mir eingelassen und das Mädchen hinter der Dunkelheit gefunden.
Die Ruhige, zurückhaltende, schüchterne Mia. Die "liebe" Mia, die ich eigentlich bin. Oder zumindest gewesen bin.
Er hat  mich mit zu seinen Freunden geschleift, die jetzt auch meine Freunde sind.

Ich sehe die Quirlige Rike vor mir, wie sie auf mich zu springt mich in die Arme nimmt und sich erst dann vorstellt. Ihr langer Pferdeschwanz fliegt dabei lustig hin und her. "Hey, Ich bin Rike und du?" Bei der Erinnerung daran muss ich lächeln.

Luke, der mich interessiert mit seinen braunen Augen mustert, sich über den gepflegten, kurzen Bart streicht und mich dann freundlich begrüßt.

Kathy, mit den Tollen langen Beinen, war allerdings anfangs nicht so begeistert von mir, was ich ihr nicht verübeln konnte. "Was schleppst du denn da an?" Hatte sie Mike gefragt, doch er hat sie nur irgendwie seltsam angeschaut und dann war sie still. Hat die Achseln gezuckt und von da an Akzeptiert, das ich dazugehörte.

Ja und dann war da noch Jason! Eine Gänsehaut rinnt meinen Rücken hinab als ich an seinen finsteren Blick denke, den er mir zu wirft und mich dann ignoriert. "Was soll die kleine hier?" fährt er Mike an. "Wir sind doch hier nicht im Kindergarten!"
Ehrlich gesagt habe ich  mich das auch gefragt. Sie waren alle schon so Erwachsen. Viel älter als ich. Doch Mike schien der Meinung zu sein, das ich hier her gehörte, denn er verteidigte mich.
"Ich bringe mit, wen ich will, Klar!" fuhr er ihn an.
"Oh richtig ich vergaß, du bist ja die Heilsarmee" erwiderte Jason sarkastisch.
"Immer noch besser als ein riesen Arschloch!"
"Ich bin lieber ein Arsch, als ein Kinderficker!"

Oh Gott, am liebsten wäre ich im Erdboden versunken, so peinlich war mir das ganze. Die ganze Situation lud sich immer weiter auf, bis Mel dazwischen ging. Ich weiß bis heute nicht, wo sie den Mut dazu hernahm, denn Mike und Jason standen sich so dicht gegenüber und brüllten sich an, das nicht viel gefehlt hätte und sie hätten sich geprügelt.
"Jungs! Nu kriegt euch mal wieder ein!" sie stellte sich zwischen die beiden und schob sie energisch auseinander. Wow, noch heute bewundere ich sie dafür.
Jason starrte sie wütend an, dann brüllte er, "Macht doch was ihr wollt!" und ging wutschnaubend davon. An diesem Abend sah ich ihn nicht wieder und auch  Ossi, Gisi und Pelle lernte ich erst später kennen, als Mike mich das erste mal mit in die Disco nahm.
Doch seit her sind Mel und ich die besten Freunde. Vielleicht liegt es auch daran, das Mel gar nicht so viel älter ist als ich. Oder daran, das sie einfach der Netteste Mensch ist, den ich je kennen gelernt habe, naja mit Ausnahme von Mike vielleicht, denn ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier.

Bei den Gedanken an Mel tauche ich langsam aus der Vergangenheit auf und sehe mich wieder vor dem Spiegel stehen.

"Mia? Mia, jetzt sag doch was!"  dringt Mel's Stimme durch meine Gedanken. "So schlimm?" fragt sie und reicht mir die Packung mit den Abschminktüchern. "Dann machs ab."
Ich drehe mich um und strecke die Arme nach ihr aus. Die Packung mit den Tüchern ignorierend drücke ich sie an mich. "Danke!" flüstere ich den Tränen nahe.












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